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Analyse: Niedergang und Fall des russisch-ukrainischen Gashandels | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Niedergang und Fall des russisch-ukrainischen Gashandels

Simon Pirani

/ 11 Minuten zu lesen

Die Vertragsbrüche der beiden Energieriesen Naftogaz Ukrainy und Gazprom waren Gegenstand eines der bedeutendsten Handelsschiedsverfahren aller Zeiten. Können die Beschlüsse des Schiedsgerichts den Niedergang der russisch-ukrainischen Gasbeziehungen noch verhindern?

Die Vertragsbrüche der beiden Energieriesen Naftogaz Ukrainy und Gazprom waren Gegenstand eines der bedeutendsten Handelsschiedsverfahren aller Zeiten. (© picture-alliance/dpa, Sputnik)

Zusammenfassung

Der russisch-ukrainische Gashandel ist nur noch ein Schatten seines früheren Selbst. Die Verträge zwischen Gazprom und Naftogaz Ukrainy – über den Import von russischem Gas in die Ukraine und den Transit von russischem Gas durch die Ukraine zu europäischen Kunden (2009 bis 2019) – bleiben bestehen, wurden aber von beiden Seiten gebrochen. Die Vertragsbrüche waren Gegenstand eines der bedeutendsten Handelsschiedsverfahren aller Zeiten. Dieses wurde im April 2014 nach dem Sturz von Wiktor Janukowitschs Regierung und dem Ausbruch des Krieges in der Ostukraine in der Stockholmer Handelskammer eingeleitet. Die letzte Entscheidung des Schiedsgerichtes – über den Transitvertrag – erging am 28. Februar 2018 und wurde von Gazprom umgehend kritisiert. Der Handel hat sich nicht von der Politik lösen können. Die Vereinbarungen für die Zeit nach 2019 werden gemäß den politischen Beziehungen Russlands, der Ukraine und Europas ausgehandelt werden – auf historisch niedrigstem Niveau. Der Import von russischem Gas durch die Ukraine wird wahrscheinlich ganz zum Erliegen kommen, und der Gastransit wird auf ein bloßes Minimum reduziert werden.

Die wichtigsten Beschlüsse des Schiedsgerichtes waren,

  • dass Naftogaz für Importe zwischen April 2014 und November 2015 zu viel berechnet wurde, dass allerdings rückwirkende Forderungen für die Zeit zwischen 2009 und 2014 nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtes fallen; und dass die im Vertrag festgeschriebene Koppelung des Preises an die Entwicklung des Ölpreises durch eine Orientierung an den Preisen des deutschen Gasmarktes (am NCG-Handelspunkt) zu ersetzen ist.

  • dass die Take-or-pay-Schwelle für Naftogaz im Liefervertrag drastisch zu reduzieren ist: von 41,6 Milliarden Kubikmetern auf 4 Milliarden Kubikmeter jährlich.

  • dass die Klausel, die den Weiterverkauf von russischem Gases verhindert, null und nichtig ist; und dass das in die von Separatisten kontrollierten Gebiete gelieferte Gas nicht Naftogaz in Rechnung gestellt werden durfte.

  • dass Gazprom seiner Verpflichtung zur Beförderung von Mindestmengen gemäß Transitvertrag zwischen 2009 und 2017 nicht nachgekommen ist. Gazprom wurde verpflichtet, dafür 4,63 Milliarden US-Dollar an Naftogaz zu zahlen, wovon 2,02 Milliarden US-Dollar abgezogen wurden (zuzüglich Zinsen); diesen Betrag ist Naftogaz Gazprom aufgrund unbezahlter Rechnungen aus dem Jahr 2014 schuldig. Die von Gazprom geforderte Nettozahlung betrug 2,56 Milliarden US-Dollar.

  • dass die Forderung von Naftogaz, die neuen Transitgebühren anzuwenden, die von der ukrainischen Aufsicht 2016 eingeführt wurden, abzulehnen sei.

(Siehe dazu genauer: Pirani 2018, Externer Link: https://www.oxfordenergy.org/wpcms/wp-content/uploads/2018/03/After-the-Gazprom-Naftogaz-arbitration-commerce-still-entangled-with-politics-Insight-31.pdf)

Reaktionen

Die Leitung von Gazprom kritisierte die Entscheidung der Schiedsrichter hinsichtlich des Transitvertrags als "asymmetrisch" und ergriff drei Maßnahmen, um dagegen zu protestieren.

Erstens sagte sie am 1. März unmittelbar nach dem Urteil der Schiedsrichter die geplante Wiederaufnahme des direkten Gasexports in die Ukraine ab. Die Wiederaufnahme war gemäß dem Gerichtsurteil zum Liefervertrag – nach einer Unterbrechung von mehr als zwei Jahren – erwartet worden. Die Leitung von Gazprom verweigerte die Wiederaufnahme und überwies Vorauszahlungen, die von Naftogaz geleistet worden waren, zurück. Dies war für Naftogaz überraschend. Das Unternehmen erklärte am 3. März, dass es Sofortmaßnahmen, habe ergreifen müssen, um sicherzustellen, dass die Kunden anderweitig beliefert werden konnten. Die Leitung von Gazprom brachte die Annullierung nicht in Verbindung mit dem Beschluss der Schiedsrichter; im Gegenteil, der stellvertretende Geschäftsführer Alexander Medwedew gab an, dass zusätzliche Vereinbarungen, die vor der Lieferung hätten getroffen werden müssen, nicht getroffen worden seien. Es wurde allerdings kein wesentlicher Streitpunkt genannt, der derartige Vereinbarungen hätte aufhalten können.

Zweitens schrieb Gazprom am 3. März an Naftogaz, um die Aufkündigung beider Verträge einzuleiten. In den Verträgen ist eine Bestimmung über Streitigkeiten – einschließlich für solche, die zur Kündigung führen – enthalten. Diese Streitigkeiten müssen durch das Stockholmer Schiedsgerichtsverfahren gelöst werden. Vermutlich nach 30 Tagen (was den Liefervertrag angeht) und 45 Tagen (was den Transitvertrag angeht) – in dieser Zeit müssen beide Seiten versuchen, ihre Meinungsverschiedenheiten zu überwinden –, das heißt vermutlich im April wird die Angelegenheit an das Schiedsgericht gehen. Die Schiedsgerichtsverhandlungen könnten in diesem und im nächsten Jahr fortgesetzt werden.

Drittens legte Gazprom beim Stockholmer Schiedsgericht Berufung gegen die Entscheidung zum Liefervertrag ein und kündigte an, dass es eine ähnliche Beschwerde gegen den Transitvertrag einlegen werde. Der russische EU-Botschafter Wladimir Tschischow erklärte, dass die Anhörung dieser Beschwerden voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern werde.

Während dieser zusätzlichen Schieds- und Berufungsverfahren bleiben die laufenden Verträge wirksam. Beide enden am 31. Dezember 2019. Dies ist vermutlich die Grundlage für die Zusicherung des russischen Energieministers Alexander Nowak am 6. März, russische Gaslieferungen an EU-Kunden blieben zuverlässig, ungeachtet der Gazprom-Stellungnahme nach dem Beschluss der Schiedsrichter. Nowaks Zusicherung war eine Reaktion auf den Ausdruck von Besorgnis durch den Vizepräsidenten der Europäischen Kommission für die Energieunion Maroš Šefčovič am 2. März.

Von den europäischen Unternehmen, die russisches Gas beziehen, sind keine nennenswerten Bedenken geäußert worden, da es keine physische Unterbrechung der Lieferungen nach Europa gegeben hat und auch keine erwartet wird. In europäischen politischen Kreisen jedoch werden die Ereignisse die Besorgnis über den Grad der Abhängigkeit von russischem Gas allerdings möglicherweise noch deutlich verstärken.

Die russisch-ukrainischen Gasbeziehungen nach 2019

Angesichts der Erschließung der Jamal-Gasfelder könnten die russischen Gasexporte nach Europa mittel- und langfristig nicht nur auf ihrem derzeitigen Niveau (179 Milliarden Kubikmeter in 2016 und 194 Milliarden Kubikmeter in 2017) gehalten werden, sondern noch erhöht werden. Russlands Reserven werden auch in den 2020er Jahren günstigstes Gas für den Export nach Europa liefern. Die Grenzen für russische Exporte werden wahrscheinlich nicht von begrenzten Liefermöglichkeiten, sondern von der Europäischen Kommission und von den europäischen Regierungen gesetzt werden, die sowohl aus rein kommerziellen als auch aus politischen Gründen bestrebt sind, die Abhängigkeit von russischem Gas zu minimieren. Diese größeren Auseinandersetzungen und Verhandlungen bilden den Hintergrund für die Klärung wichtiger Fragen über die Vereinbarungen für den Gastransit durch die Ukraine nach 2019. Russland ist entschlossen, seine Abhängigkeit von dem Transit durch die Ukraine zu verringern, und die Europäische Kommission hält es für strategisch wichtig, diesen aufrechtzuerhalten.

Das Hauptziel der Gazprom-Strategie der Transitdiversifizierung – den Gastransit durch die Ukraine auf null zu bringen – kann bis 2020 und wahrscheinlich auch einige Jahre später nicht erreicht werden. Gazprom wird nach dem Auslaufen der aktuellen Verträge (2020 und 2021) den Transit durch die Ukraine mit Sicherheit benötigen, und wird möglicherweise selbst dann ein gewisses Maß an Resttransit brauchen, wenn die ersten beiden bedeutenden Diversifizierungspipelines Nord Stream 2 und Turkish Stream dann fertiggestellt werden.

Nord Stream 2 ist weiter bestrebt, bis Ende 2019 in Betrieb zu gehen, aber aufgrund ungeklärter Regulierungsfragen, die von der Europäischen Kommission und dem dänischen Parlament aufgeworfen werden, wird dieses Ziel voraussichtlich nicht erreicht. Turkish Stream befindet sich im Bau, und die erste Pipeline, die russisches Gas in die Westtürkei befördern wird, soll bis Ende 2019 fertiggestellt sein. Die zweite Leitung, die russisches Gas für den Weitertransport nach Südosteuropa in die Türkei befördern soll, könnte in einem ähnlichen Zeitrahmen fertiggestellt werden, aber es ist nicht klar, welche der verschiedenen Alternativen (geplante Pipeline von Griechenland nach Italien, der Ausbau der Trans-Adria-Pipeline oder eine Verbindungsleitung zwischen Bulgarien und der Türkei) für den Weitertransport von Gas zu europäischen Zielen gewählt werden wird.

In einer Publikation des Oxford Institute for Energy Studies aus dem Jahr 2016 wurde eine Reihe von Szenarien – in Bezug darauf, ob und in welchem Zeitrahmen neue Pipelines gebaut werden – behandelt (Pirani/Yafimava 2016, Externer Link: https://www.oxfordenergy.org/wpcms/wp-content/uploads/2016/02/Russian-Gas-Transit-Across-Ukraine-Post-2019-NG-105.pdf). Heute ist für Anfang 2020 folgendes Szenario sehr wahrscheinlich: Es wird nicht zum Bau neuer Pipelines kommen, sondern zur Anhebung der Kapazitätsobergrenze der OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung), wenn auch nicht vollständig, sondern teilweise. In diesem Fall wäre Gazprom ohne den Transit durch die Ukraine in der Lage, Tschechien, die Slowakei, Österreich und Ungarn mit dem Exportniveau von 2014 und darüber hinaus zu versorgen, aber nicht dazu, einen wesentlichen Teil der Nachfrage Italiens zu decken, und auch nicht dazu, in die südosteuropäischen Länder und in die Türkei zu liefern.

Es kann gut sein, dass bis Mitte der 2020er Jahre der Fall eintritt, dass zwei Leitungen von Turkish Stream und zwei Leitungen von Nord Stream 2 fertiggestellt sind. In diesem Fall wäre Gazprom selbst bei einem hohen Exportniveau von 180 Milliarden Kubikmetern in der Lage, ohne Transit durch die Ukraine all seine europäischen Märkte und die Türkei zu versorgen. Die Einschränkung, die jetzt allerdings gemacht werden muss, ist, dass die Nachfrage nach russischem Gas in Europa dieses Niveau möglicherweise noch übertreffen könnte. Gazprom wäre dann tatsächlich gar nicht in der Lage, die Tür für den Transit durch die Ukraine ganz zu schließen.

In den Jahren 2020 und 2021 wird Gazprom also ein Transitvolumen von 40 bis 75 Milliarden Kubikmetern durch die Ukraine benötigen. Wenn dann Nord Stream 2 und Turkish Stream vollständig in Betrieb gehen, könnte das notwendige Volumen abnehmen, theoretisch auf null, aber eigentlich würde Gazprom lieber die Möglichkeit behalten, ein Restvolumen durch die Ukraine zu befördern. Die Ukraine und die Europäische Union befürworten sowohl aus politischen als auch aus kommerziellen Gründen die Fortsetzung des Transits. Dafür gibt es drei mögliche Rahmen:

  • Abschluss eines mittelfristigen (über eine Laufzeit von drei bis fünf Jahren) und flexibleren Transitvertrags zwischen Gazprom und dem ukrainischen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), zum Beispiel über ein Volumen von 30 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Jetzt da die Ukraine EU-kompatible Marktregeln eingeführt hat, ist es möglich, dass Naftogaz Kapazitäten vom Übertragungsnetzbetreiber kauft und diese an Gazprom weiterverkauft.

  • Eine Reihe kurzfristigerer Verträge über kleinere Mengen. Dies ist wahrscheinlich, wenn Bemühungen, eine robustere Vereinbarung zu erzielen, scheitern.

  • Die Verlegung des Lieferortes in Gazproms laufenden langfristigen Lieferverträgen von der Westgrenze der Ukraine und von anderen europäischen Verkaufsorten an die Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Dieser Ansatz, der von der ukrainischen Regierung und von europäischen Politikern schon lange unterstützt wird, hat aus Sicht von Gazprom keine ersichtlichen kommerziellen Vorteile. Erstens müsste das Unternehmen die Verhandlungen über seine langfristigen Verträge mit den großen europäischen Abnehmern wieder aufnehmen. Zweitens würde der Verkauf von Gas an der russischen Grenze einen Präzedenzfall mit unvorhersehbaren und potentiell unerwünschten Folgen schaffen. Gazproms große europäische Kunden sind von dem Vorschlag, der eine große Umwälzung in Handelsvereinbarungen bedeuten würde, ebenfalls nur mäßig begeistert. Und schließlich ist der politische Hintergrund –Russlands Beziehungen zur Ukraine und zu den europäischen Ländern auf niedrigstem Niveau – für einen Schritt in diese Richtung ebenfalls nicht förderlich. Wenn man all dies bedenkt, ist die Verlegung des Lieferortes unwahrscheinlich.

Diese drei möglichen Szenarien gelten bis Mitte der 2020er Jahre. Angenommen es kommt nicht zu einem Tauwetter in den politischen Beziehungen, ist es möglich, dass danach nur noch Restvolumen, die nicht auf anderen Strecken transportiert werden können, durch die Ukraine geleitet werden. Das könnte bedeuten, dass zeitweise gar kein Transit stattfindet.

Ohne einen politischen Gezeitenwechsel ist es unwahrscheinlich, dass der direkte russische Gasexport in die Ukraine, der im November 2015 eingestellt wurde, wieder aufgenommen wird. Der Gasverbrauch der Ukraine ist aufgrund des militärischen Konflikts, der Wirtschaftskrise und leichten Energieeinsparungen stark zurückgegangen – und der Bedarf wird allein durch heimische Förderung und Importe aus EU-Ländern gedeckt.

Das ukrainische Transportwesen

Ein entscheidendes Element, das den Gastransit durch die Ukraine nach 2019 prägen wird, ist die Reform der Naftogaz-Tochter Ukrtransgaz, die die ukrainischen Gaspipelines und Erdgasspeicher betreibt. Das ukrainische Energierecht sieht vor, dass diese Vermögenswerte entflochten werden, das heißt, dass sie innerhalb von 30 Tagen nach Abschluss des Stockholmer Schiedsverfahrens von Naftogaz’ anderen Geschäftsbereichen (Öl- und Gasförderung, -versorgung und anderen) getrennt werden müssen. Dennoch bleiben große Hindernisse.

  • Erstens haben die Regierung und Naftogaz unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Entflechtung vonstattengehen soll. Eine Regierungsverordnung (Nummer 496, aus dem Juli 2016) sah vor, dass der Transportbereich von Ukrtransgaz nach den Verhandlungen des Schiedsgerichtes an ein neues Staatsunternehmen – Main Gas Pipelines of Ukraine – zu übertragen sei und dass anschließend der Speicherbereich zu entflechten sei. Die Leitung von Naftogaz dagegen hat eine neue Tochtergesellschaft – Ukraine Gas Transmission System Operator – gegründet, um das Transportsystem, nicht jedoch die Speicheranlagen zu verwalten; sie argumentiert, dass die Muttergesellschaft während des Entflechtungsprozesses die Kontrolle über das gesamte System behalten solle. Die Frage, ob der Speicherbereich zusammen mit den Pipelines oder getrennt von ihnen entflochten werden sollte, wird durch Rechtsstreitigkeiten über gespeichertes Gas, die von Industriekonzernen unter der Leitung von Oligarchen aufgebracht wurden, verkompliziert.

  • Zweitens sind sowohl die Regierung als auch Naftogaz der Ansicht, dass europäische Partner einbezogen werden sollten, aber die Form der Zusammenarbeit ist noch nicht klar. Es besteht die Aussicht, europäische Übertragungsnetzbetreiber als Partner einzubeziehen, mit politischer Unterstützung durch die EU. In einem memorandum of understanding, das im April 2017 gemeinsam mit Naftogaz und Ukrtransgaz unterzeichnet wurde, haben Snam aus Italien und Eustream aus der Slowakei Vorschläge für eine Entflechtung gemacht. Die Leitung von Naftogaz führt auch Gespräche mit anderen europäischen Übertragungsnetzbetreibern.

  • Drittens hat Naftogaz die Versorgung von Haushalten und Fernwärmeunternehmen mit günstigem Gas lange quersubventioniert und die Last der Nichtzahlung – insbesondere durch Letztere – mit Einnahmen aus Verkäufen an Industriekunden und aus den Transitdiensten ausgeglichen. Die Marktreform hat seit 2014 Naftogaz’ Umsatz gegenüber den Industriekunden erheblich eingeschränkt; ohne die Einnahmen aus dem Transit würde ein Kollaps des Quersubventionierungssystems drohen. Während alle Seiten zustimmen, dass die Quersubventionierung schrittweise abgebaut werden muss, ist ihr Abbau gesellschaftlich und politisch schwierig, besonders vor dem Hintergrund der im März 2019 anstehenden Präsidentschaftswahlen – und das beeinflusst Zeitplanung und Art der Entflechtung.

Die größten Unbekannten in Bezug auf das Entflechtungsproblem sind jedoch Größe und Form des Transitgeschäfts nach 2019. Vielleicht kann die Marktreform in diesem Bereich erst Fortschritte machen, wenn die Zukunft des Transits klarere Gestalt annimmt.

Fazit

Die Hoffnungen, dass der Abschluss des Schiedsgerichtsverfahrens es den beteiligten Unternehmen ermöglichen würde, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und geschäftliche Vereinbarungen für den Transit nach 2019 auszuhandeln, wurden nicht erfüllt. Es ist unwahrscheinlich, dass Gazproms Berufung gegen die Entscheidung zu einem wesentlich anderen Ergebnis führen wird, und das Verfahren zur Beendigung der laufenden Verträge ist für die Entscheidung der Schiedsrichter irrelevant. Dennoch werden diese Schritte die möglichen Verhandlungen über Vereinbarungen für die Zeit nach 2019 überschatten.

Darüber hinaus werden in diesem und im nächsten Jahr, während das Berufungsverfahren läuft, weitere für Russlands Gashandel mit Europa entscheidende Fragen verhandelt, einschließlich des Endergebnisses der Untersuchung von Gazproms Preispolitik durch den Generaldirektor Wettbewerb (DG Comp) der Europäischen Kommission und einschließlich der rechtlichen und regulativen Hindernisse für die Pipelines Nord Stream 2 und Turkish Stream.

Gazproms Reaktionen auf die Gerichtsentscheidung scheinen eher eine Form des Protests als eine Geschäftsstrategie gewesen zu sein. Seine großen europäischen Kunden mögen nicht übermäßig besorgt sein. Aber der Eindruck, dass Gazprom sowohl bereit war, bezahlte und erwartete Gaslieferungen in die Ukraine auszusetzen, als auch Liefer- und Transitverträge zu beenden ohne etwas an ihre Stelle zu setzen, wird in Europa die politische Rhetorik über die Reduzierung der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen lauter werden lassen.

Die Europäische Kommission handelte nach 2014 die Einrichtung von "Winterpaketen" aus, die trotz der politischen Spannungen den Transit und die Gaslieferung in die Ukraine weiter ermöglichten. Sie könnte sich erneut berufen fühlen, einzugreifen – die Zeit dafür ist allerdings begrenzt, da die aktuelle Amtszeit der Europäischen Kommission am 31. Oktober 2019 endet.

Der Niedergang der russisch-ukrainischen Gasbeziehungen wird sich fortsetzen. Der Transit von russischem Gas durch die Ukraine wird ab 2020 weitergehen, allerdings in deutlich geringerem Umfang. Der Direktverkauf dagegen wird wahrscheinlich nicht fortgesetzt. Bis Mitte der 2020er Jahre könnte auch der Transit ganz eingestellt werden. Ein anderes Szenario ist nur realistisch, wenn sich die politischen Beziehungen verbessern, was wiederum eine deutliche Veränderung der Situation in der Ostukraine voraussetzen würde.

Übersetzung aus dem Englischen: Katharina Hinz

Im Text zitierte Literatur:

Fussnoten

Simon Pirani, Senior Visiting Research Fellow am Oxford Institute for Energy Studies, hat zahlreiche Arbeiten zu den Erdgasmärkten in der ehemaligen Sowjetunion veröffentlicht. Er ist Mitherausgeber von The Russian Gas Matrix: How Markets Are Driving Change (Oxford University Press 2014). Sein neuestes Buch, Burning Up: a Global History of Fossil Fuel Consumption, wird im August 2018 bei Pluto Press erscheinen.