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Analyse: Regelung der Vergangenheit per Gesetz – Einordnung der ukrainischen "Erinnerungsgesetze" | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Regelung der Vergangenheit per Gesetz – Einordnung der ukrainischen "Erinnerungsgesetze"

Oksana Myshlovska

/ 13 Minuten zu lesen

In Polen und der Ukraine wird das Verständnis über die nationale Vergangenheit per Gesetz geregelt. Welches übergeordnete Ziel verfolgen die beiden Länder damit und inwiefern unterscheiden sich die sogenannten "Erinnerungsgesetze" voneinander?

Originaldokumente aus den Archiven des Sicherheitsdienstes der höchst umstrittenen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) (© picture-alliance/dpa, RIA Novosti)

Zusammenfassung

Seit den frühen 1990er Jahren hat in Osteuropa und in einigen Ländern der ehemaligen Sowjetunion eine Gesetzgebung an Bedeutung gewonnen, die eine bestimmte Lesart der Vergangenheit vorschreibt oder verbietet (Erinnerungsgesetze). Diese Gesetzgebung verfolgt das übergeordnete Ziel, mit den Hinterlassenschaften der vergangenen Regimes fertigzuwerden und neue Legitimationsgrundlagen für postkommunistische und postsowjetische Eigenstaatlichkeit zu fördern. In der Regel wurden die Erinnerungsgesetze und das mit ihnen verbundenen Gedenken zuerst von populistischen und nationalistischen Parteien und Bewegungen angeregt, die eine spaltende Definition von politischer Gemeinschaft ansetzen, die sich auf das von einer Nation in der Vergangenheit erfahrene Leid stützt und die gesamte Schuld für die vergangenen Verbrechen den "totalitären" Regimes zuschreibt. Die Gesetze wurden wegen der potentiellen Verletzung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie aufgrund ihrer Einschränkung der wissenschaftlichen Diskussion kritisiert. Entscheidender ist jedoch, dass mit der Rechtfertigung und Legitimierung vergangener Gewalt und mit dem Aufrechterhalten negativer Emotionen gegenüber früheren Feinden die Erinnerungsgesetze und das mit ihnen verbundenen Gedenken Friedenskonsolidierung und Aussöhnung in der Gegenwart behindern können. Der vorliegende Beitrag betrachtet die jüngsten in Polen und in der Ukraine verabschiedeten Erinnerungsgesetze in diesem Zusammenhang.

Im Januar 2018 geriet Polen erneut in die Kritik ausländischer Regierungen (insbesondere aus den USA, aus Israel und der Ukraine), Organisationen der Integrationsarbeit und bekannter Intellektueller – für einen Schritt, der als weiterer Verstoß des Landes gegen sein internationales Bekenntnis zu den Menschenrechten gesehen wurde. Der polnische Sejm führte Ergänzungen zum "Gesetz über das Institut für Nationales Gedenken" (aus dem Jahr 1998) ein. Eine dieser Ergänzungen macht es zur Straftat, der polnischen Nation oder dem polnischen Staat Verantwortung oder Mitverantwortung für NS-Verbrechen, die vom Dritten Reich begangen wurden, oder für andere Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zuzuschreiben. Der Verstoß gegen das Gesetz wird mit einer Geldstrafe oder mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Künstlerische und wissenschaftliche Tätigkeit sind in dieser Ergänzung von den gesetzlichen Bestimmungen ausgenommen. Eine weitere Ergänzung betrifft die Leugnung von Verbrechen, die von ukrainischen Nationalisten und Mitgliedern ukrainischer Organisationen, die mit dem Dritten Reich zusammenarbeiteten, zwischen 1925 und 1950 begangen wurden – unter anderem die Leugnung ihrer Beteiligung an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und die Leugnung des Völkermords an Bürgern der Zweiten Polnischen Republik in Wolhynien und "Ostkleinpolen". Der Gesetzentwurf wurde dann vom Senat geprüft und von Präsident Duda rechtskräftig unterzeichnet.

Seit den späten 1980er Jahren hat die Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften der vergangenen Regimes in Mittel- und Osteuropa verschiedene Formen angenommen: Rehabilitation von Repressionsopfern, Entfernung der früheren Staatsbeamten – die an Menschenrechtsverletzungen und Repressionen beteiligt gewesen waren – aus dem Dienst, Öffnung der Geheimdienstarchive, internationale und multilaterale historische Kommissionen, "Erinnerungsgesetze", die eine bestimmte Lesart der Vergangenheit verbieten oder vorschreiben, und die Gründung von "Instituten für Nationales Gedenken" – regierungsnahen Institutionen mit eigener Forschung, mit Zugang zu Geheimdienstarchiven und in einigen Fällen mit Strafverfolgungsbefugnissen. 1998 verabschiedete Polen das Gesetz über das Institut für Nationales Gedenken, das die öffentliche Leugnung von NS-Verbrechen, kommunistischen Verbrechen und anderen Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die gegenüber ethnischen Polen oder polnischen Staatsbürgern zwischen 1939 und 1990 begangen worden waren, unter Strafe stellte. Das Gesetz wurde zu einem Zeitpunkt angenommen, als eine Partei mit konservativen und antikommunistischen Positionen, die Wahlaktion Solidarność, an der Macht war. Auch in einigen anderen mittel- und osteuropäischen Staaten wurden ähnliche Gesetze, die das Naziregime und das kommunistische Regime gleichsetzten und die Leugnung der von ihnen begangenen Verbrechen unter Strafe stellten, verabschiedet.

Verabschiedung der "Erinnerungsgesetze" in der Ukraine

Die Ukraine hat ihr Gesetz – das das kommunistische und das nationalsozialistische totalitäre Regime verurteilt – später als andere mittel- und osteuropäische Staaten verabschiedet. Das Gesetz "Zur Verurteilung des kommunistischen und nationalsozialistischen totalitären Regimes und zum Verbot der Verbreitung ihrer Symbole" wurde im April 2015 als Teil eines Pakets von vier Dekommunisierungsgesetzen verabschiedet, nach der Annexion der Krim und dem Beginn des Konflikts in der Ostukraine. Zur gleichen Zeit machte es ein weiteres Gesetz aus dem Paket, das Gesetz "Über den Rechtsstatus und das Ehren der Erinnerung an die Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine im 20. Jahrhundert", illegal, die "Legitimität des Kampfes für die Unabhängigkeit der Ukraine im 20. Jahrhundert" zu leugnen. Das Gesetz bezeichnet verschiedene Organisationen und staatliche Gruppierungen als "Kämpfer für die Unabhängigkeit", unter anderem die höchst umstrittene und spaltende Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und die Ukrainische Aufständische Armee (UPA). Die nationalistischen Organisationen haben für einige Zeit mit Nazideutschland zusammengearbeitet, mit dem Ziel, einen nur von einer Gruppe kontrollierten Staat zu errichten. In der Zwischenkriegszeit beteiligte sich die OUN an terroristischen Anschlägen gegen den polnischen Staat und Zivilisten, dann traten OUN-Fraktionen und die Aufständische Armee in einen blutigen Konflikt mit polnischen Bürgern und sowjetischen Streitkräften ein und waren am Holocaust beteiligt. Das Gedenken an die nationalistischen Organisationen, zuerst in der Westukraine und dann allmählich auf nationale Ebene übergreifend, war Gegenstand von internen Streitigkeiten und von Konflikten mit Polen, Russland und Israel. Das Gesetz "Zur Verewigung des Sieges über den Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg 1939–1945" kodierte darüber hinaus den "Großen Vaterländischen Krieg" zum "Zweiten Weltkrieg" um, führte zusätzlich zur Feier des "Tag des Sieges" am 9. Mai die offizielle Feier des "Tags der Versöhnung" am 8. Mai ein und erwähnte die UPA-Veteranen gemeinsam mit den sowjetischen und schrieb ihnen so denselben Status zu. Das Gesetz "Über den Zugang zu den Archiven der Repressionsorgane des kommunistischen totalitären Regimes 1917–1991" schließlich erlaubte die vollständige Öffnung der Geheimdienstarchive.

Ukrainische und polnische "Erinnerungsgesetze" im Kontext

Die Gemeinsamkeit der aktuellen ukrainischen und polnischen Gesetze besteht darin, dass sie als Täter identifizierte Entitäten benennen, die die gesamte Last der Verantwortung für die Verbrechen der Vergangenheit tragen, und dass sie jeweils das Selbstbild einer rechtschaffenen Opfernation fördern, die keinerlei Schuld für jegliche Verbrechen hat – aufgrund des in der Vergangenheit erlittenen Leids und, im Falle der Ukraine, aufgrund eines Anspruchs auf den legitimen Kampf für die ukrainische Unabhängigkeit. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass die ukrainischen und polnischen Gesetze von politisch unbedeutenden rechtspopulistischen Parteien oder Bewegungen auf die Agenda gesetzt wurden. Die Ergänzung in Bezug auf die ukrainischen Nationalisten wurde von der rechtsextremen populistischen Bewegung "Kukiz‘15" vorgeschlagen. Genaugenommen hatte "Kukiz‘15" die Veränderung bereits 2016 vorgeschlagen, aber sie wurde zu jener Zeit nicht angenommen, da sie als zu radikal und als den ukrainisch-polnischen Beziehungen nicht zuträglich angesehen wurde. Die ukrainischen Gesetze wurden von der Radikalen Partei von Oleh Ljaschko, namentlich vom Parteimitglied Juri Schuchewytsch, dem Sohn des UPA-Kommandanten Roman Schuchewytsch, eingebracht, mit Unterstützung des Ukrainischen Instituts für Nationales Gedenken (UINP).

Erinnerungsgesetze haben in Osteuropa und in Ländern der ehemaligen Sowjetunion derart an Bedeutung gewonnen, da Geschichte in der Region ein Mittel zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts auf Grundlage einer Idee von Gemeinschaften, die von Kultur und Traditionen zusammengehalten werden, und ein Mittel zur Legitimierung des Staates darstellt. In der Ukraine haben anhaltende und wachsende Ungleichheit zwischen den politischen und wirtschaftlichen Eliten und der Bevölkerung, ein geringes Maß an Vertrauen in staatliche Institutionen, politische Parteien und in Politiker, ein geringes Vertrauen in die Möglichkeit der Bürger, die verschiedenen Ebenen der staatlichen Verwaltung zu beeinflussen (unter anderem durch Wahlen) und die Einschränkungen bei der Versorgung der Bevölkerung durch staatliche Dienste das Entstehen einer staatsbürgerlichen Identifikation mit den politischen Institutionen behindert. Allerdings ist eine solche Situation nicht mehr nur typisch für die Region. Da das Vertrauen in Institutionen und Demokratie insgesamt zurückgeht, haben populistische Parteien in vielen etablierten Demokratien die neuen Umstände genutzt, um kulturelle gemeinschaftliche Identifikation zu fördern. Der Ausbruch des Konflikts in der Ostukraine hat in der Ukraine den Diskurs über die Notwendigkeit eines stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalts auf Grundlage eines gemeinsamen historischen Gedächtnisses und einer gemeinsamen Identität weiter verschärft – angesichts der externen militärischen Bedrohung.

Kritik an den ukrainischen und polnischen "Erinnerungsgesetzen"

Sowohl die ukrainischen als auch die polnischen "Erinnerungsgesetze" wurden aus rechtlicher Sicht kritisiert, für die Verletzung der Meinungsfreiheit. 2015 kritisierte ein gemeinsamer Bericht der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) und der OSZE/BDIMR den weiten Geltungsbereich des ukrainischen Gesetzes zur Verurteilung des kommunistischen und des nationalsozialistischen Regimes, zu harte Strafen für den Verstoß gegen das Gesetz und die potentielle Verletzung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Gesetze beider Länder wurden außerdem von der Wissenschaft und von bekannten Intellektuellen für die potentielle Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit – im Sinne einer Einschränkung der kritischen Auseinandersetzung mit der Verwicklung der polnischen Nation und der "Kämpfer für die ukrainische Unabhängigkeit" in Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen – kritisiert.

Besonderheiten der Ukraine

Es gibt im Umgang mit der schwierigen Vergangenheit jedoch bedeutende Unterschiede zwischen der Ukraine und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern. Geschichte und Erinnerung haben das symbolische und bedeutungsbildende Material geliefert, um dem früheren kommunistischen Regime seine Legitimität abzuerkennen, und um historische Narrative, die die postkommunistische Souveränität für legitim erklären, auszubessern oder neu zu erfinden. Während in Osteuropa und in den baltischen Staaten ein allgemeiner Konsens über die fehlende Legitimität der Zeit der kommunistischen Herrschaft und über die "Wiederherstellung" vorkommunistischer Eigenstaatlichkeit herrschte, war die Ukraine gespalten in Bezug auf die Einstellung zur Sowjetherrschaft. In der postsowjetischen Zeit nahm die Westukraine (in der Zwischenkriegszeit Teil Polens), die der Sowjetunion zeitgleich mit den baltischen Staaten zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gewaltsam einverleibt worden war, einen anderen Weg als der Rest der Ukraine. Für den Rest der Ukraine stellten der sowjetische Staat und der ukrainische sowjetische Staat die bedeutendste direkte Erinnerung und staatslegitimierende Erfahrung dar; diese war in der späten Sowjetunion um die Erinnerung an das Opfer im Großen Vaterländischen Krieg herum konstruiert worden. Die in der Zeit zwischen 1917 und 1921 gebildeten ukrainischen Regierungsformen (vor allem die Ukrainische Volksrepublik, die über eine hohe Legitimität verfügte, da sie 1917 Wahlen abhielt) waren eine zu weit entfernte und zu kurzlebige landeseigene vorkommunistische Erfahrung mit Staatlichkeit, um eine bedeutende gemeinschaftsbildende Grundlage für die Legitimation einer postsowjetischen Eigenstaatlichkeit zu sein.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Westukraine im Rahmen von Kriegsbeschlüssen nach einem bitteren Kampf zwischen der lokalen aufständischen Bewegung (UPA), die von einer radikalen Fraktion der OUN angeführt wurde, und dem sowjetischen Militär, in dessen Reihen auch Bürger der sowjetischen Ukraine kämpften, wieder in die Sowjetunion integriert. Die Eingliederung wurde von Massenrepressionen gegen OUN-Mitglieder, Aufständische und die sie unterstützende lokale Bevölkerung begleitet. Während der Sowjetzeit hatte die Westukraine die in der sowjetischen Ukraine stärkste heimliche Opposition gegen das Sowjetregime; unter den Oppositionellen waren frühere politische Gefangene (unter anderem ehemalige OUN- und UPA-Mitglieder) und in der Nachkriegszeit aus Polen Vertriebene, die die sowjetische Herrschaft nie anerkannten. Diese Personen prägten Ende der 1980er Jahre die politische Opposition und erreichten in der sowjetischen Ukraine im März 1990 bei den ersten Wahlen, die einen Wettbewerb darstellten, auf lokaler Ebene in der Westukraine die Mehrheit der Stimmen. Der Sowjetherrschaft wurde auf regionaler Ebene ihre Legitimität aberkannt, und sowjetische Denkmäler und Ortsnamen wurden schnell entfernt oder ersetzt. Gleichzeitig kam es zu einer grundlegenden Wiederbelebung der Erinnerung an die vergangenen Kämpfe für die Unabhängigkeit, einschließlich an den im populären Gedächtnis bedeutsamsten: den Kampf der OUN und der UPA. Während andere ost- und mitteleuropäischen Länder ihre vorkommunistische Souveränität wiederherstellten, verband die regionale und dann nationale Erinnerungsgesetzgebung in der Ukraine die postsowjetische Eigenstaatlichkeit mit der nationalen Befreiungsbewegung, die nicht zu einem legitimen souveränen Staat geführt hatte (wenn auch einige nationalistische Narrative einen kurzlebigen Staat, der vom radikalen Flügel der OUN im von den Nazis besetzten Lwiw 1941 ausgerufen wurde, dazu zählen), und war für verschiedene Regionen der Ukraine eine trennende Erfahrung. Das glorreiche Narrativ vom früheren Kampf gegen die Feinde rechtfertigte Gewalt im Namen der Unabhängigkeit – und über das dem ukrainischen Volk von den "kolonialen" und "besetzenden" Staaten zugefügte Leid. In derartigen Narrativen wurden der totalitäre Charakter der nationalistischen Organisationen, ihre terroristischen Kampfmethoden und ihre Gewalt gegenüber Zivilisten nicht berücksichtigt. Die sowjetische Erinnerung an den Krieg dagegen wurde sehr emotional und auf der Grundlage von Hass und Verachtung gegenüber "Faschisten" und "Nazis" – den Besatzern der sowjetischen Heimat – konstruiert, womit auch die verschiedenen Fraktionen von OUN und UPA als "Kollaborateure der Faschisten" gemeint waren.

In den frühen 1990er Jahren verabschiedeten Gemeinderäte und Regionalregierungen in der Westukraine (in Verletzung der gesamtstaatlichen Gesetzgebung) Gesetze, die die OUN und die UPA als "Kämpfer für die ukrainische Unabhängigkeit" anerkannten, und gewährten den OUN- und UPA-Veteranen soziale Unterstützung. Die regionalen Regierungen und andere regionale Organisationen appellierten bei vielen Gelegenheiten an das Parlament der Ukraine, die OUN- und UPA-Kämpfer als Kriegsveteranen anzuerkennen und ihnen auf nationaler Ebene einen ähnlichen Status einzuräumen wie den Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges. Dutzende Gesetzentwürfe mit der Forderung nach Anerkennung von OUN und UPA wurden von der Opposition und von nationalistischen Parteien ins Parlament eingebracht, keiner von ihnen brachte es zum Gesetz – bis zur Verabschiedung der Dekommunisierungsgesetze 2015.

Delegitimierung der sowjetischen Narrative

Wiktor Juschtschenko zerstörte während seiner Präsidentschaft das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Narrativen der staatlichen Legitimation, nach dem seine Vorgänger gestrebt hatten. Er erklärte offiziell, dass die Sowjetzeit eine Zeit der Besatzung gewesen sei, die im Januar 1918 mit der Militäroffensive der Bolschewiki gegen die Ukraine begonnen habe. Juschtschenko setzte sich ein für die nationale und internationale Anerkennung der Hungersnot von 1932 und 1933 (Holodomor) als Genozid, begangen vom stalinistischen Regime am ukrainischen Volk. Im Jahr 2006 wurde der Holodomor vom ukrainischen Parlament als Genozid am ukrainischen Volk anerkannt. Das Gesetz prangerte die Sowjetfunktionäre, die die Hungersnot verursacht hatten, an und wies die Demontage ihrer Denkmäler an. Die Schaffung des Ukrainischen Instituts für Nationales Gedenken (UINP) im Jahr 2006 hatte folgende Ziele: Wiederherstellung und Bewahrung der Erinnerung des ukrainischen Volkes, Erforschung der "jahrhundertelangen Geschichte der ukrainischen Staatsbildung [und] der Etappen des Kampfes für die Wiederherstellung der ukrainischen Eigenstaatlichkeit im 20. Jahrhundert" sowie die Bewahrung der Erinnerung an den nationalen Befreiungskampf, an die Opfer von Kriegen, an die Hungersnot und an politische Repressionen. Während Juschtschenko die russischen und sowjetischen Narrative delegitimierte, förderte er als gemeinsame Grundlage für das nationale Gedächtnis Helden des nationalen Befreiungskampfes, die sich gegen Russland und die Sowjetunion erhoben hatten, wie Iwan Masepa, Symon Petljura und Stepan Bandera.

Die an den Euromaidan anschließende massenhafte Demontage von Lenin-Statuen und anderen Überbleibseln des kommunistischen Regimes hat die Gedächtnislandschaft in der Zentral-, Ost- und Südukraine für den Wettbewerb verschiedener Akteure geöffnet – zur Definition neuer Bestandteile des politischen Gedächtnisses. Die am häufigsten vorkommenden Neuerungen sind die Denkmäler für die Opfer des Euromaidan und für die Opfer des Krieges in der Ostukraine. Sie besetzen in der Regel jedoch nicht die zentralen Räume und ersetzen nicht die gefallenen Lenin-Statuen, sondern wurden an den Orten hinzugefügt, die dem Gedenken an die Toten vergangener Tragödien gewidmet sind – dem Holodomor, dem Großen Vaterländischen Krieg, dem Krieg in Afghanistan und der Tschernobyl-Katastrophe. Während die Denkmäler für OUN und UPA bis zum Euromaidan nur in der Westukraine errichtet wurden, breiteten sie sich danach auch über das Gebiet der Westukraine hinaus aus. 2016 wurden zwei Denkmäler (Gedenksteine), eins für Bandera und eins für Bandera und Roman Schuchewytsch, errichtet, das eine in Chmelnyzkyj und das andere in Tscherkassy. Von 51.493 veränderten Ortsnamen waren laut UINP bis Dezember 2016 20 Änderungen Benennungen von Straßen nach Stepan Bandera in der Zentralukraine (Region Poltawa, Region Sumy, Region Kiew, Region Mykolajiw, Region Chmelnyzkyj, Region Tscherkassy). Die Kommunistische Partei der Ukraine wurde mit Urteil des Kiewer Bezirksverwaltungsgerichtes vom 16. Dezember 2015 verboten, nachdem die Partei vom Generalstaatsanwalt der Ukraine und vom ukrainischen Sicherheitsdienst wegen ihrer Unterstützung der Separatisten angeklagt worden war.

"Politik der Reue" vs. Legitimierung über bewaffneten Kampf der Vergangenheit

In den letzten Jahrzehnten wurden mittel- und osteuropäische Länder von westlichen Staaten, europäischen Institutionen und Organen des Menschenrechtsschutzes darin bestärkt, dem Beispiel des westlichen Nachkriegseuropa zu folgen, das in Bezug auf vergangene Verbrechen eine "Politik der Reue" verfolgt, einschließlich der kritischen Auseinandersetzung mit der nationalen Vergangenheit, dem Verbot der Holocaustleugnung, der beidseitigen Verantwortung und Reue für die vergangenen Verbrechen sowie der Anerkennung aller Opfer der vergangenen Konflikte. Im osteuropäischen Kontext ist die Beschäftigung mit der Vergangenheit noch unvollständig und widersprüchlich. Während einige Fortschritte erzielt wurden – öffentliche und wissenschaftliche Debatten über Jedwabne in Polen, polnisch-ukrainische Historikerkommissionen und gegenseitige offizielle Entschuldigungen für die Verbrechen in Wolhynien und in anderen Teilen Galiziens –, zeigt die Verabschiedung der Erinnerungsgesetze, dass die Ländern nicht bereit sind, Verbrechen, die von als landeseigen betrachteten Organisationen begangen wurden, und die lokale Beteiligung an Verbrechen der Vergangenheit gründlich zu untersuchen und zu akzeptieren. Während einige Fortschritte in Bezug auf die schwierige gemeinsame Vergangenheit der Ukraine und Polens erzielt wurden, haben gleichzeitig der nationale Dialog und die nationale Aussöhnung sowie der ukrainisch-russische Dialog eine Sackgasse erreicht, da die Narrative des Großen Vaterländischen Krieges, mit dem die sowjetische Staatlichkeit und die Staatlichkeit der sowjetischen Ukraine legitimiert wurden, durch die Narrative der anderen Konfliktpartei ersetzt werden.

Die Erinnerungsgesetze wurden für die Einschränkung der Meinungs-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit kritisiert. Es gibt grundlegendere Kritikpunkte, die in den Debatten nicht im Vordergrund standen. Historische Narrative und Erinnerungen, die die Legitimität des ukrainischen Staates auf den bewaffneten Kampf der Vergangenheit gründen, rechtfertigen und verstärken die Gewalt in der Gegenwart und verhindern eine friedliche Lösung des Konflikts im Osten. Auf nationaler und lokaler Ebene verabschiedete Gesetze, die bestimmte Interpretationen der Vergangenheit vorschreiben oder verbieten, schränken die Möglichkeiten von Dialog, Kompromiss und letztlich auch von Aussöhnung zwischen Ländern und Regionen ein. Es gibt Gruppen, die in den vergangenen und gegenwärtigen Konflikten zu Opfern geworden sind und die noch auf Anerkennung und Gerechtigkeit warten: Juden, Polen, Zivilisten aus der Ostukraine, Polizisten, die während der Euromaidan-Proteste getötet oder verletzt wurden, oder die Opfer der Ereignisse des 2. Mai 2014 in Odessa.

Übersetzung aus dem Englischen: Katharina Hinz

Lesetipps:

  • HERA-Projekt "Memory Laws in European Comparative Perspective (MELA)",Externer Link: http://melaproject.org/.

  • Julie Fedor, Markku Kangaspuro, Jussi Lassila und Tatiana Zhurzhenko (Hg.): War and Memory in Russia, Ukraine and Belarus. Cham 2017.

  • Nikolay Koposov: Memory Laws, Memory Wars: the Politics of the Past in Europe and Russia. Cambridge 2017.

Fussnoten

Oksana Myshlovska ist Postdoc am Graduate Institute in Genf. Sie wirkt am interdisziplinären Projekt "Nation, Region and Beyond. An Interdisciplinary and Transcultural Reconceptualization of Ukraine", das vom Center for Governance and Culture in Europe der Universität St. Gallen geleitet wird, mit. Seit April 2017 arbeitet Myshlovska mit dem Institute of Development Studies der Sussex University und mit der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit an einem Projekt zur Dezentralisierung, Demokratisierung und lokalen Governance (DDLG) in fragilen Zusammenhängen. Zuvor war sie Dozentin und wissenschaftliche Beraterin beim World-Learning-SIT-Study-Abroad-Universitätsprogramm "International Studies and Multilateral Diplomacy". Myshlovska forschte außerdem für das Weltwirtschaftsforum (Global Agenda Councils) und für das Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAF). Ihre Forschung konzentriert sich auf Geschichts- und Erinnerungspolitik und Regionalismus in der Ukraine.