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Kommentar: Krieg – die neue Normalität in der Ukraine? | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Krieg – die neue Normalität in der Ukraine?

Gwendolyn Sasse V

/ 4 Minuten zu lesen

In Osteuropa herrscht seit 2014 ein Krieg, der mehr als 10.000 Todesopfert gefordert und zwei Millionen Menschen zur Flucht getrieben hat und scheinbar in Vergessenheit gerät. Was hat dieser Konflikt mit der Identität der Ukrainer gemacht? Und gibt es Auswege aus diesem fast schon zur Normalität gewordenen Zustand?

Soldaten der selbsternannten Volksrepublik Lugansk im Kampfeinsatz an der Frontlinie. (© picture-alliance/dpa, Sputnik)

Einleitung

Ein Krieg, der lange anhält, wird langsam zu Normalität – sowohl für die am Krieg Beteiligten und die betroffene Bevölkerung als auch für Außenstehende. Längst ist der Krieg in der Ukraine, der 2014 begann, bereits über 10.000 Menschen das Leben gekostet und über zwei Millionen Menschen zu Geflüchteten gemacht hat (davon mindestens 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge und 1 Million nach Russland Geflüchtete), weitgehend aus den Nachrichten verschwunden. Es ist fraglich, wie vielen Deutschen der Krieg, der sich in täglichen Kampfhandlungen fortsetzt, (noch) im Bewusstsein ist. Bereits vor Kriegsausbruch war der Informationsstand über die Ukraine und ihre historisch gewachsene, jedoch nicht zwingend mit Konflikt verbundene regionale, ethnolinguistische, politische und wirtschaftliche Diversität generell begrenzt. Zwischenzeitlich war die Ukraine im öffentlichen Bewusstsein etwas präsenter, aber nun bleibt vor allem der Nachgeschmack, dass dieses Land unwiderruflich mit Krieg, Instabilität und der Anspannung im Verhältnis des Westens zu Russland verbunden ist. Die gefühlte Distanz zwischen Berlin und Kiew bzw. dem Donbass ist deutlich größer als die geografische Entfernung. Es ist ein Krieg in Europa, der ganz Europa angeht, der jedoch nicht als solcher gesehen wird und momentan von innenpolitischen Themen in vielen europäischen Staaten zusätzlich überschattet wird.

Auch in Kiew hat man sich inzwischen mit dem Krieg eingerichtet. In der Hauptstadt geht das Leben seinen Gang; es fällt schwer, sich die Realität in der Kriegszone vorzustellen – und nahe der Kriegsgrenze im Donbass erscheint Kiew als sehr weit weg. Niemand in der Ukraine erwartet eine rasche Lösung des Konflikts. Es fehlt an Initiativen und politischem Willen, auf eine konkrete Lösung hinzuarbeiten. 2019 stehen Präsidentschaft- und Parlamentswahlen an, die bereits jetzt den innenpolitischen Kontext prägen. Hier dient der Krieg eher als Erklärung für schleppende Reformen und nicht als Anlass für eine Intensivierung von Friedensbemühungen oder eine Politik, die sich an den Bedürfnissen der Geflüchteten oder der Bevölkerung der selbsternannten, von Russland getragenen, "Volksrepubliken" Donetsk und Luhansk, orientiert. Das neue Gesetz, das die Re-Integration der durch Russland besetzten Gebiete postuliert, beinhaltet keine konkreten Schritte, die zu wirklicher Re-Integration führen könnten. In erster Linie geht es um die Benennung Russlands als Besatzungsmacht.

"Einfrieren"?

Die Idee des "Einfrierens" des Konflikts ist ein beliebter Terminus in der ukrainischen, russischen und EU-weiten Diskussion über den Krieg. Während der Status eines "eingefrorenen" Konflikts seit langem in anderen post-sowjetischen Konflikten als Bestandsaufnahme kursiert – zu Unrecht, denn auch auf niedrigem Niveau schwelende Konflikte stehen nie still und können jederzeit wieder aufleben – wird der Begriff des "Einfrierens" in Bezug auf den Donbass gar im Voraus als eine Art Strategie und die bestmögliche Option verhandelt. Dies ist ein Trugschluss – der Begriff geht an der jetzigen und zukünftigen Realität eines ungelösten Konflikts vorbei, da er suggeriert, dieser Prozess und seine Folgen ließen sich koordinieren. Viel wahrscheinlicher ist bei diesem Szenario ein politischer Kontrollverlust auf allen Seiten, einschließlich der Ukraine, Russlands und der "Volksrepubliken", der anderen, kriminellen und gewaltsamen Strukturen den Weg freimacht.

Alle Beteiligten am Minsk-Prozesses sind sich einig, dass der Prozess nicht funktioniert. Die Minsker Abkommen von 2014 und 2015 haben die Gewalt eingedämmt, aber keinen dauerhaften Waffenstillstand garantieren können. Das amerikanische Sanktionsregime, die Ankündigung von Waffenlieferungen aus den USA, auch wenn diese als Verteidigungswaffen definiert werden, das politische Kalkül Moskaus vor der russischen Präsidentschaftswahl im März 2018 und die durch die komplizierte Regierungsbildung in Berlin reduzierte Sichtbarkeit deutscher Außenpolitik erschweren den Dialog zusätzlich. In Ermangelung von Alternativen gilt es, die Option einer UNO-Blauhelmmission systematischer auf internationaler Ebene zu diskutieren. Der Überraschungsvorschlag von russischer Seite dazu ist in seiner Form politisch nicht umsetzbar, doch wurde er nicht schnell und umfassend genug als der kleine Fensterspalt gesehen, der er sein kann. Bis zu den russischen Wahlen besteht für diese Art der Diskussion ein gewisses Zeitfenster. Die Diskussion über eine UNO-Mission muss auch gleich die Idee einer internationalen Übergangsadministration mit einschließen, um die von Moskau und Kiew umstrittene Reihenfolge der Politik- und Sicherheitsdimensionen von Minsk II in kleinere, ineinander verschränkte Sequenzen umzustrukturieren.

Ukrainische Geschlossenheit

Insgesamt hat der Krieg das Gegenteil von dem bewirkt, was Russland durch seine Unterstützung für die "Volksrepubliken" zu erreichen hoffte: Die Idee vom ukrainischen Staat ist gestärkt worden und vereint weite Teile des Landes mehr als je zuvor, und auch die Westorientierung der Ukraine steht nicht in Frage. Eine Reihe neuer Umfragen – darunter auch eine Umfrage des ZOiS in der Donbass-Region und unter den Geflüchteten – zeigen, dass die Annahme zu kurz greift, dass sich diejenigen radikalisieren, die den Krieg und seine Kosten direkt miterleben. Diese Erkenntnis deckt sich mit dem, was wir über andere Konflikte, z. B. im Westbalkan, wissen.

Es ergibt sich ein komplexeres Bild, demzufolge der Krieg im Donbass sowohl zu einer Polarisierung von Identitäten als auch zum Erhalt oder gar zur Stärkung gemischter und auf die staatliche Einheit fokussierter Identitäten geführt hat. Darüber hinaus heben die Umfragen die Bedeutung ukrainischer Staatsbürgerschaft als Identitätskategorie hervor sowie eine größere Bereitwilligkeit der Bevölkerung, die ukrainische Sprache eng mit dem Staat zu assoziieren und zugleich mono- und bilinguale (Ukrainisch und Russisch) Sprachenwelten des Alltags explizit mit der Zugehörigkeit zum ukrainischen Staat zu verknüpfen. Diese integrativen Identitäten bieten eine gute Voraussetzung für die Zukunft des ukrainischen Staates, aber sie werden nur dann von politischer Konsequenz sein, wenn Kiew, Moskau, Berlin, Paris, Brüssel und Washington den Friedensprozess zu einer innen- und außenpolitischen Priorität machen.

Lesetipps

Fussnoten

Prof. Dr. Gwendolyn Sasse ist Wissenschaftliche Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) und Professor of Comparative Politics, University of Oxford.