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Kommentar: Der Fall Saakaschwili: Politiker töten das Recht | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? 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Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. 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Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Kommentar: Der Fall Saakaschwili: Politiker töten das Recht

Jewgenij Zacharow

/ 5 Minuten zu lesen

Micheil Saakaschwili ist nach dem Entzug seiner Staatsbürgerschaft staatenlos. Der Menschenrechtler Jewgenij Zacharow sieht in diesem Akt eine "eklatante Menschenrechtsverletzung" und eine Strategie des Präsidenten, seinen politischen Gegner mundtot zu machen.

Der ehemalige Gouverneur des ukrainischen Gebietes Odessa reiste trotz Entzuges seiner Staatsbürgerschaft zurück in sein Land und fordert nun seine Nationalität zurück. (© picture-alliance/dpa)

Am 25. Juli 2017 entzog der ukrainische Präsident Petro Poroschenko per speziellem Erlass Micheil Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft, während sich Saakaschwili in den USA aufhielt. Am 10. September kehrte Saakaschwili trotzdem in die Ukraine zurück. Über beide Ereignisse wurde bereits viel und von vielen geschrieben. Trotzdem möchte ich die Aufmerksamkeit noch auf einige bisher ignorierte Aspekte richten, die mir wichtig erscheinen.

In Teil 1, Artikel 25 der ukrainischen Verfassung ist festgelegt, dass ukrainischen Staatsbürgern die Staatsbürgerschaft nicht entzogen werden kann und das Recht auf Änderung der Staatsbürgerschaft bedeutet, dass die Annahme und Aufgabe der ukrainischen Staatsbürgerschaft eine Frage der Entscheidung und Initiative der konkreten Person ist. Eine andere Interpretation ist aus rechtsstaatlicher Perspektive nicht möglich. Die Regelung in Teil 26, Artikel 106 der ukrainischen Verfassung über die Befugnisse des Präsidenten, dass der Präsident "die Entscheidung über die Annahme und Aufgabe der ukrainischen Staatsbürgerschaft sowie den Flüchtlingsstatus in der Ukraine trifft", bedeutet, dass er als Garant der Rechte und Freiheiten der Menschen die Entscheidung der betroffenen Personen bei der Annahme bzw. Aufgabe der ukrainischen Staatsbürgerschaft bestätigen soll – mehr nicht. Der willkürliche Entzug der Staatsbürgerschaft gegen den Willen des Betroffenen ist meistens eine Verletzung der nationalen Verfassung.

Des Weiteren ist allgemein bekannt, dass Saakaschwili ausschließlich die ukrainische Staatsbürgerschaft besaß. Artikel 19 des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft verbietet explizit den Entzug der Staatsbürgerschaft in den Fällen, in denen die betroffene Person dadurch staatenlos wird. Genau deswegen ist nach meiner Überzeugung der Präsidialerlass, der Saakaschwili die Staatsbürgerschaft entzieht, ein Zeichen politischer Willkür, eine vorsätzliche Verletzung der Verfassung und des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft durch den Präsidenten. Falls in diesem Fall der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen wird, ist zu erwarten, dass er die Maßnahme des ukrainischen Staates als unmenschliche Behandlung gemäß Artikel 3 der Europäischen Konvention von 1950 beurteilen wird.

Der Entzug der Staatsbürgerschaft von Saakaschwili ist eine eklatante Menschenrechtsverletzung, die einen Politiker trifft, der sich beim Präsidenten unbeliebt gemacht hat, so dass sie auch als typische politische Verfolgung einzuschätzen ist. Es ist bitter dies festzustellen, aber nach der moralischen Logik und dem ethischen Muster ähnelt dies sehr der politischen Verfolgung in der Sowjetunion als Menschenrechtsaktivisten – wie Peter Grigorenko, Lew Kopelew, Raissa Orlowa oder Jefim Etkind – während eines vorübergehenden Auslandsaufenthaltes die Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass der Entzug der Staatsbürgerschaft in der Sowjetunion als politisch-strafrechtliche Maßnahme bis fast zum Ende der 1960er Jahre offiziell vorgesehen war. Aber unser demokratischer Staat sollte sich doch von all diesen Überbleibseln und Vorurteilen der sowjetischen Vergangenheit lösen und diese nicht nachahmen und sei es unbewusst!

Wie geht es nun weiter? Saakasschwili hat angekündigt, dass er für die Rückgabe seiner Staatsbürgerschaft kämpfen wird. Wenn stimmt, was die ukrainischen und ausländischen Medien schreiben, ist der offizielle Grund für den Entzug der Staatsbürgerschaft, dass er in Einbürgerungsdokumenten nicht erwähnt hat, dass er in Georgien strafrechtlich verfolgt wird. Das heißt, er hat bewusst falsche Angaben zur eigenen Person gemacht. Saakaschwili selbst erklärt, dass die Unterschrift unter dem entsprechenden Dokument nicht von ihm stammt.

Der Grund für den Entzug der ukrainischen Staatsbürgerschaft erscheint aber sowieso lächerlich, weil zum Zeitpunkt der Verleihung der ukrainischen Staatsbürgerschaft allgemein bekannt war, dass gegen Saakaschwili in Georgien ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet worden war, was in der Ukraine damals als Zeichen politischer Verfolgung durch seine Gegner interpretiert wurde. Wenn es darüber hinaus stimmt, dass Saakaschwili das gesetzlich vorgeschriebene Formular gar nicht selber unterschrieben hat, was sollen wir dann über die Arbeit des Staatlichen Dienstes für Migration und der Kommission für Fragen der Staatsbürgerschaft halten, die die volle Verantwortung für ordnungsgemäße Durchführung entsprechender Verfahren haben.

Allerdings kann genau aus dem Grund, dass die Dokumente für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht ordnungsgemäß erstellt wurden, das Verwaltungsgericht Saakaschwili seine Staatsbürgerschaft nicht zurückgeben, weil diese gesetzwidrig verliehen wurde. So folgt auf eine gesetzwidrige Handlung die nächste. Diese Kette führt zu einer ausweglosen Situation, in der jede mögliche Lösung gesetzwidrig erscheint.

Am 10. September 2017 durchbrachen Anhänger Saakaschwilis die ukrainisch-polnische Grenze am Übergang Medyka in der Nähe des Ortes Schehyni und geleiteten Saakaschwili durch einen Korridor auf ukrainisches Territorium. Grenzbeamte und Polizei hatten die Anweisung, keine Gewalt anzuwenden. Dem war ein Versuch Saakaschwilis vorausgegangen, mit dem Zug aus Polen in die Ukraine einzureisen. Der IC Przemysl-Kiew wurde für einige Stunden in Polen aufgehalten. Nach einer späteren Erklärung der ukrainischen Bahngesellschaft befand sich im Zug ein Mensch, der kein Recht hatte in die Ukraine einzureisen.

Saakaschwili ist so durch eine illegale Einreise in die Ukraine zurückgekehrt. Dafür ist er vor Gericht zu einer Geldstrafe von 3.400 Hrywnja (umgerechnet ca. 110 Euro) verurteilt. Er erklärte, dass er gegen die Entscheidung Einspruch einlegen wird. Außerdem behauptete er, dass die Grenzbeamten seinen ukrainischen Pass beim Grenzübertritt gestohlen haben, statt ihn als ungültig zu beschlagnahmen.

Aus meiner Sicht ist die Hoffnung Saakaschwilis auf die Wiederherstellung seiner Staatsbürgerschaft durch ein ukrainisches Gericht irreal. Es ist daher zu erwarten, dass er sich an internationale Gerichte wenden wird. Auf diesen ersten Blick sind die Aussichten hier nicht schlecht. Wie oben dargestellt, verstößt der Erlass zum Entzug der Staatsbürgerschaft gegen ukrainisches Recht. Das internationale Recht sieht den Entzug der Staatsbürgerschaft nur ausnahmsweise vor, wenn eine legitime Begründung auf gesetzlicher Grundlage vorliegt und der Entzug zielführend und verhältnismäßig ist. Als Ausnahme zählt aber auch der Erhalt der Staatsbürgerschaft durch Betrug, indem bewusst irreführende Angaben und gefälschte Dokumente vorgelegt werden. Das bewusste Ignorieren der in Georgien laufenden Strafverfahren zum Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft und der nachträgliche Verweis auf eben diese Strafverfahren als Begründung verletzt aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der politisch motivierte Entzug der Staatsbürgerschaft verstößt a priori gegen die Vorgaben des internationalen Rechtes. Aus diesen Gründen ist es schwierig, ohne das Gesicht zu verlieren, dem erneuten Auslieferungsantrag der georgischen Staatsanwaltschaft zu folgen.

Gleichzeitig wissen wir nicht, ob Georgien neue bisher unbekannte Informationen zur Begründung für den Auslieferungsantrag vorgelegt hat. Deshalb sollten keine voreiligen Schlussfolgerungen gezogen werden. Vielmehr muss die Begründung der staatlichen Juristen bezüglich der Verhältnismäßigkeit des Entzugs der Staatsbürgerschaft unter Einbeziehung der Schwere der Saakaschwili vorgeworfenen Straftaten abgewartet werden.

So hat Präsident Poroschenko eigenhändig dem fast schon vergessenen georgischen Politiker zu neuem politischen Gewicht verholfen. Saakaschwili ist jetzt wieder ein aktiver Spieler im ukrainischen Machtkampf, der den Präsidenten scharf kritisiert.

Es ist der Fluch unserer Politiker, dass Poroschenko und Saakaschwili in diesem Fall wie Zwillinge ähneln, indem sie nach politischer Zweckmäßigkeit handeln und dabei das Recht ignorieren, wenn das Recht ihnen im Wege steht. Solange Saakaschwili als Freund und Verbündeter des Präsidenten erscheint, wird er zum Gouverneur einer Region ernannt und erhält dafür schnell die Staatsbürgerschaft, obwohl es formale Hindernisse gibt. Sobald er zum Gegner wird und stört, erinnern wir uns an die formalen Probleme und entziehen ihm die Staatsbürgerschaft, obwohl Verfassung und Gesetz dies verbieten.

Übersetzung aus dem Russischen: Lina Pleines

Fussnoten

Jewgenij Zacharow ist Direktor der Charkiwer Organisation für Menschenrechte. Außerdem ist er Mathematiker, Menschenrechtsaktivist, Journalist, Schriftsteller und Verleger.