Inmitten der Diskussion über die US-Waffenlieferungen an die Ukraine und die andauernden gegenseitigen Vorwürfe und Beschimpfungen aller vom Ostukraine-Konflikt betroffenen Seiten verkündete Wladimir Putin am 5. September 2017, einen Resolutionsentwurf in die UNO einbringen zu wollen. Diesem zufolge sollen UNO-Friedenstruppen in der Ostukraine eingesetzt werden, um den Waffenstillstand, welcher zwischen der Ukraine und den prorussischen Separatisten 2015 in Minsk beschlossen wurde und sich bisher als labil erwiesen hat, sicherzustellen. Der unerwartete Vorschlag Russlands wurde schnell zum Gegenstand heftiger Diskussionen.
Die Idee, UNO-Friedenstruppen in der Ukraine einzusetzen, geht nicht auf den russischen Staatspräsidenten zurück. Die Ukraine befürwortet einen Friedenstruppeneinsatz bereits seit zwei Jahren, Russland hat ihn jedoch bisher verhindert bzw. blockiert. Im Jahr 2016 wandte sich der ukrainische Präsident der Idee des Einsatzes einer "bewaffneten OSZE-Polizeimission" in der Ostukraine zu, denn ein möglicher UNO-Friedenstruppeneinsatz könnte aus Kiews Sicht von Russland instrumentalisiert werden. Als Veto-Macht im UNO-Sicherheitsrat kann Russland direkten Einfluss auf die Gestaltung eines UNO-Friedenstruppeneinsatzes nehmen, sich als Friedensstifter präsentieren sowie die ganze Schuld für den Bruch des Waffenstillstands auf die Ukraine schieben, falls diese sich einer solchen Option widersetzen würde. Außerdem finden "Blauhelmeinsätze" oft in Regionen statt, in denen ein "ziviler Konflikt" vorliegt, was der ukrainischen Bewertung der blutigen Geschehnisse in der Ostukraine vollkommen widerspricht. Moskau betrachtet diese dagegen als "innerukrainischen Konflikt".
Insgesamt haben sich die von Russland vorgeschlagenen Grundlagen für einen UNO-Friedenstruppeneinsatz als höchst umstritten erwiesen. Der Vorschlag Putins gründet sich auf zwei Bedingungen. Zum ersten sollen die eingesetzten UNO-Friedenstruppen ausschließlich entlang der Kontaktlinie stationiert werden. Zum zweiten sollen sie ihre Mission nur im Einvernehmen mit der Führung der abtrünnigen ostukrainischen "Volksrepubliken" erfüllen bzw. das Mitspracherecht der Separatisten akzeptieren.
Hiervon ausgehend reagierten Kiew und Berlin auf Russlands Vorschlag. Indem es verlautbarte, diesen "zur Kenntnis genommen" zu haben, begrüßte das ukrainische Außenministerium im Rahmen seiner offiziellen Stellungnahme die Idee eines Friedenstruppeneinsatzes in der Ostukraine. Kiew brachte jedoch große Zweifel gegenüber dem russischen Vorschlag zum Ausdruck. So lehnte die Ukraine die von Russland vorgeschlagenen Grundlagen eines solchen Friedenseinsatzes ab, da diese ausschließlich die Interessen Russlands – und damit aus Kiews Sicht die einer feindlichen Konfliktpartei – fördern würden. Dem ukrainischen Außenministerium zufolge sollte ein Friedenstruppeneinsatz im Donbas allein mit Kiew und auf keinen Fall mit den Separatisten abgesprochen werden. Des Weiteren geht Kiew davon aus, dass die Friedenstruppen nur dann zu einem dauerhaften Frieden beitragen können, wenn sie nicht nur entlang der Kontaktlinie, sondern auch an der russisch-ukrainischen Grenze sowie auf dem ganzen abtrünnigen Gebiet eingesetzt werden. Nur dann könne mithilfe der Blauhelme ein wirklicher Abzug der "Besatzungstruppen und der Militärtechnik des Aggressorstaates Russland" und der "Söldner" sichergestellt werden.
Die prompte Reaktion des deutschen Außenministers dürfte auf den ersten Blick als allzu optimistisch bewertet werden, denn Sigmar Gabriel ging auf die Vorbehalte Kiews nicht ein. Mit der Aussage "ausgesprochen froh" über den Vorschlag Putins zu sein, beschränkte er sich auf eine grundsätzliche Begrüßung einer solchen Initiative. Auf diese kurze und optimistische Reaktion folgte allerdings eine gemeinsame ausführliche Stellungnahme des Außenministeriums und der Bundesregierung. Dieser ist zu entnehmen, dass sich die Bundesrepublik den Vorbehalten der Ukraine im Großen und Ganzen angeschlossen hat. Die Einsetzung der UNO-Friedenstruppen dürfe demnach nicht nur entlang der Kontaktlinie erfolgen, sondern müsse auf dem ganzen abtrünnigen Gebiet inklusive der russisch-ukrainischen Staatsgrenze stattfinden, um die Sicherheit der OSZE-Beobachtungsmission überall garantieren zu können. Das Mitspracherecht der "Volksrepubliken" sowie das vermeintliche Ziel Putins, mithilfe der UNO-Friedenstruppen den Konflikt einzufrieren, wurde zurückgewiesen. Außerdem sieht Deutschland auch die Möglichkeit kritisch, die nationale Zusammensetzung der UNO-Friedenstruppen zu bestimmen.
Am 11. September stimmte Wladimir Putin dem Einsatz der UNO-Friedenstruppen auf dem ganzen abtrünnigen Gebiet unerwarteterweise zu. Bekräftigt hat er seine Zusage während eines späteren Telefonats mit Bundeskanzlerin Merkel, die ihrerseits gegenüber dem russischen Staatspräsidenten die bisherige Haltung der Bundesrepublik zu einem UNO-Friedenseinsatz wiedergegeben hat. Anschließend nahm der Vertreter der "Donezker Volksrepublik" zu dem Telefonat Stellung. Seinen Äußerungen lässt sich entnehmen, dass die Separatistenführung von ihrer bisherigen harten Position, keine UNO-Friedenstruppen zulassen zu wollen, zumindest teilweise abgerückt ist. Ein UNO-Friedenstruppeneinsatz sei jedoch ohne Absprache mit den "Volksrepubliken" als am Konflikt beteiligten Seiten nicht "zweckmäßig".
Die bisherige kritische Position der Ukraine zur "Initiative Putins" bekräftigte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko während der UNO-Debatte am 20. September 2017 in New York. Er hob hervor, dass die Ukraine auf eine friedensstiftende Unterstützung seitens der UNO angewiesen ist wie nie zuvor und in diesem Zusammenhang seit 2015 ununterbrochen um die Einsetzung einer UNO-Friedensmission bittet. Allerdings halte die Ukraine nichts von den "jüngsten hybriden friedensstiftenden Vorschlägen Moskaus", welche der Legitimierung der "Marionetten Moskaus" auf dem abtrünnigen Gebiet und dem Einfrieren des Konflikts dienen sollten. Die Einsetzung einer vollwertigen UNO-Friedensmission sei demnach die einzige Möglichkeit, eine Lösung des Konflikts herbeizuführen, indem diese "die ukrainische Souveränität" in dem abtrünnigen Gebiet wiederherstellen bzw. den Abzug der "russischen Besatzungstruppen" auf dem ganzen abtrünnigen Gebiet sicherstellen und mittels der Kontrolle der Grenze mit Russland ein erneutes militärisches Eindringen Russlands unterbinden würde. Für ausgeschlossen hielt der ukrainische Präsident auch die Teilnahme der Soldaten des "Aggressors" bzw. Russlands an einer solchen Friedensmission.
Wie kann man die bisherige Entwicklung zusammenfassen? Obwohl Russland dem UNO-Friedenstruppeneinsatz zustimmte und eine Woche später zusammen mit den Separatisten von einer seiner bisherigen Forderungen, den Einsatz der UNO-Friedenstruppen nur entlang der Kontaktlinie zuzulassen, abgerückt ist, kann der alte unüberwindbare Gegensatz zwischen den Interessen Russlands und der Separatisten auf der einen und denen der Ukraine und des Westens auf der anderen Seite noch nicht verabschiedet werden. Beide Seiten halten weiterhin an ihren gegensätzlichen Positionen hinsichtlich der Frage, ob den Separatisten ein Mitspracherecht in Bezug auf einen solchen Friedenstruppeneinsatz eingeräumt werden muss, fest. Ihre eigene Rolle im Konflikt bewerten sie auch weiterhin unterschiedlich, was eine Verständigung zusätzlich erschwert. Solange diese Gegensätze nicht aus dem Weg geräumt sind, sind mögliche Verhandlungen über die technische Umsetzung eines UNO-Friedenstruppeneinsatzes in der Ostukraine mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt.
Lesetipp:
Bosko, Katerina: "Die Debatte um eine bewaffnete OSZE-Mission in der Ostukraine", Ukraine-Analysen 171, 30.06.2016, S. 19–20, Externer Link: http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen171.pdf