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Kommentar: Zensur – wofür? | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Zensur – wofür?

Heiko Pleines Bremen Von Heiko Pleines

/ 5 Minuten zu lesen

Wie steht es um die Medienfreiheit in der Ukraine? Und darf es staatliche Zensur auch in Demokratien geben? Von einem allgemeinen Standpunkt aus versucht Heiko Pleines den Präsidialerlass gegen populäre russische Internetportale einzuordnen und zu bewerten.

In Kiew protestieren junge Demonstranten gegen das Verbot des russischen sozialen Netzwerks V-Kontakte. (© picture alliance/NurPhoto)

Einleitung

In der Ukraine werden – mit Verweis auf Propaganda und im Kontext der Sanktionen – derzeit schrittweise die rechtlichen Einschränkungen für die Verbreitung russischer Medien verschärft. Sowjetische Symbole und kommunistische Propaganda sind bereits seit 2015 per Gesetz verboten.

Zuletzt traf es im Mai 2017 per Präsidialerlass populäre russische Internetportale. Die offizielle Begründung bezog sich hier auf "Internetattacken in einem Informationskrieg", wie etwa im Zuge der US-amerikanischen und französischen Präsidentenwahlen. Politischer Druck auf die Betreiber russischer Internetportale ist auch kein abwegiges Argument. Der Gründer des von dem Verbot betroffenen russischen Internetportals V-Kontakte – VK (das russische Facebook) –, Pawel Durow, hatte sich nach den russischen Protesten "Für faire Wahlen" 2011/12 geweigert, dem russischen Geheimdienst Zugang zu den Internetgruppen der Organisatoren der Proteste zu gewähren bzw. diese Gruppen zu schließen. Nach politischem Druck verkaufte er die Firma an den derzeitigen Eigentümer und ging ins Exil.

Gleichzeitig fällt auf, dass es dem ukrainischen Präsidenten mit seinem Erlass gegen die russischen Internetportale gelungen ist, die vorher heiß diskutierte Bekämpfung der Korruption, bei der der Präsident als Bremser auftritt, in den Schlagzeilen durch ein Thema zu ersetzen, bei dem er – zumindest seiner Wählergruppe – als Kämpfer für die richtige Politik erscheint.

Unabhängig von den Begründungen entsprechen die ukrainischen Maßnahmen einer Zensur, die bestimmte inhaltliche Positionen durch Verbote aus der öffentlichen Debatte fernhalten will. Sie haben auch in der Ukraine selber zu kontroversen Diskussionen geführt. Bereits vor dem aktuellen Verbot von Internetportalen erklärte fast die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung in einer repräsentativen Meinungsumfrage, dass "die Meinungsfreiheit in der Ukraine angegriffen wird" [Die Umfrage sowie weitere Dokumentationen zum Thema finden sich in den Interner Link: Ukraine-Analysen Nr. 182].

Um etwas Abstand von der tagesaktuellen Polemik zu gewinnen, möchte ich meinen Kommentar aber mit allgemeinen Gründen für Zensur beginnen, bevor ich dann den Sinn und die Angemessenheit der konkreten ukrainischen Maßnahmen diskutiere.

Zensur gibt es auch in Demokratien

Erst einmal gilt es festzuhalten, dass Zensur durchaus auch in Demokratien zum Einsatz kommt. Dabei geht es nicht um Zensur im engen verfassungsrechtlichen Sinne einer staatlichen Kontrolle von Publikationen vor der Veröffentlichung, sondern – wie auch im Fall der Ukraine – um ein Verbot konkreter inhaltlicher Positionen oder bestimmter Publikationen.

In Deutschland steht so das Leugnen des Holocaust unter Strafe. Die Publikation von Hitlers "Mein Kampf" war bis vor kurzem mit rechtlichen Auflagen versehen. Von der Bundesregierung wird derzeit ein neues Gesetz gegen "Hasskommentare" vorbereitet. Politische Parteien, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährden, können verboten werden. Ihre Publikationen und ihre inhaltliche Position werden damit aus der öffentlichen Debatte verbannt. Dahinter steht das Konzept der "wehrhaften Demokratie", die nicht zulässt, dass Gegner der Demokratie unter Berufung auf demokratische Rechte die Demokratie abschaffen. Elemente der wehrhaften Demokratie sind im deutschen Recht aufgrund der Erfahrungen der Weimarer Republik relativ stark verankert.

Dadurch entsteht, wie jüngst auch das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren gezeigt hat, ein schwieriges Spannungsverhältnis zwischen demokratischen Grundrechten einerseits und Schutz der Demokratie vor ihren Gegnern andererseits. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Ablehnung eines Verbotes der NPD damit begründet, dass die Partei zwar verfassungsfeindlich sei, aber nicht stark genug, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gefährden. In gewisser Hinsicht geht es darum, nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Umgekehrt stellt sich aber auch die Frage, ob ein Verbot noch durchgesetzt werden könnte, wenn eine Partei bereits stark genug wäre, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gefährden. Die "wehrhafte Demokratie" mag in der Lage sein, die Popularität verfassungsfeindlicher Positionen zu bremsen, solange diese noch marginal sind. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung keine Demokratie will, kann wohl auch Zensur nicht mehr helfen.

Dabei muss mitbedacht werden, dass Verbote immer das Potential haben, "Märtyrer" zu schaffen und dazu führen, dass sich Vertreter der verbotenen Meinung ausgeschlossen fühlen. Die resultierende Wahrnehmung von "Man darf es ja nicht sagen, aber …" führt dazu, dass entsprechende Positionen nur noch dort diskutiert werden, wo sie unwidersprochen bleiben. Damit entsteht eine Art "Gegengesellschaft".

Die Fragen der Verhältnismäßigkeit und der "Gegengesellschaft" sind auch für die Ukraine relevant.

Kanonen und Spatzen

Im Falle der Ukraine ist die Verhältnismäßigkeit der Zensurmaßnahmen mehr als fragwürdig. Sehr pauschal werden ganze Kategorien von Publikationen erfasst, etwa aktuelle russische Filme, russische Bücher oder jetzt von russischen Firmen organisierte soziale Netzwerke und Suchmaschinen im Internet. Der renommierte Vertreter der Charkiwer Menschenrechtsgruppe Jewgenij Zacharow etwa kommentierte, dass "Axt und Skalpell verwechselt worden sind".

So wird im ukrainischen Fall nicht nur mit Kanonen auf Spatzen geschossen, sondern der Schuss geht manchmal auch nach hinten los. Prominentes Beispiel ist der letzte unabhängige russische Fernsehsender Doschd, der auch die russische Politik gegenüber der Ukraine kritisch reflektierte, der wegen seiner Haltung in Russland nur noch per Internet verbreitet werden kann und der in der Ukraine verboten wurde. Halya Coynash, ebenfalls von der Charkiwer Menschenrechtsgruppe, hat jetzt darauf hingewiesen, dass die im April 2017 verbotenen sozialen Netzwerke, etwa mit Postings russischer Soldaten, wichtige Beweise für die russischen Aktivitäten in der Ostukraine enthalten, die frei zugänglich sein sollten.

"Gegengesellschaft"

Politische Brisanz bekommen die – nach demokratischen Standards – unverhältnismäßig breit angelegten ukrainischen Zensurmaßnahmen dadurch, dass sie einen großen Teil der Bevölkerung betreffen. Die Zensurmaßnahmen, die begleitet werden von einer Förderung nicht nur der ukrainischen Sprache und Kultur, sondern auch des national-ukrainischen Geschichtsbildes, werden von dem Teil der ukrainischen Bevölkerung, der oft als prorussisch bezeichnet wird, als gegen sich gerichtet wahrgenommen. Dementsprechend ist in der eingangs zitierten Umfrage die Zustimmung zu der Aussage, dass die Meinungsfreiheit in der Ukraine angegriffen werde, im von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teil der Ostukraine deutlich höher als im Rest des Landes.

Bis zum Euromaidan zeigten repräsentative Umfragen über viele Jahre ein ungefähres Gleichgewicht zwischen Russisch und Ukrainisch als Alltagssprache, zwischen der Befürwortung einer Integration mit der EU oder mit Russland sowie auch zwischen den Wahlergebnissen der entsprechenden politischen Lager. Der Konflikt mit Russland hat durch einen Stimmungsumschwung und durch den Verlust eines Teils der prorussischen Bevölkerung im Zuge der De-facto-Gebietsverluste den Anteil der prorussischen Positionen in der Ukraine deutlich reduziert. Trotzdem ist in aktuellen Umfragen ihre politische Vertretung, der Oppositionsblock, zeitweise die stärkste Kraft (in einem von Politikverdruss geprägten Umfeld).

Ausblick

Wenn die Ukraine nicht die Loyalität eines großen Teils ihrer Bevölkerung dauerhaft verlieren will, dann wären statt Zensur Argumente und Aufklärung erforderlich. Die wehrhafte Demokratie kennt so zum Beispiel auch das Konzept der politischen Bildung. Für den Umgang mit widersprüchlichen und emotional aufgeladenen Geschichtsbildern, die es in vielen Gesellschaften gibt, wäre etwa eine "Wahrheitskommission", wie in Chile nach der Pinochet-Diktatur, eine Möglichkeit.

Überzeugen können nur Argumente. Verbieten ist leichter. Die Quittung kommt in Demokratien aber oft bei der nächsten Wahl.

Fussnoten

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Prof. Dr. Heiko Pleines leitet die Abteilung Politik und Wirtschaft der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.