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Kommentar: Marktmacht gefährdet die Strommarktreform | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? 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Kommentar: Marktmacht gefährdet die Strommarktreform

Georg Zachmann

/ 5 Minuten zu lesen

Bei der Durchsetzung der ukrainischen Stromreform bildet die starke Monopolisierung der Marktanteile eines der größten Hindernisse. Um stabile Preise zu schaffen, müssen die Bedingungen für einen fairen Wettbewerb verbessert werden. Vor welchen weiteren Herausforderungen die Energiewirtschaft steht, macht Georg Zachmann deutlich.

Einziger großer privater Stromerzeuger ist die Donbass-Treibstoff-Energie-Gesellschaft, kurz DTEK, die sich im Besitz des Oligarchen Rinat Achmetow befindet. (© picture-alliance/dpa)

Der ukrainische Stromsektor soll durch eine tiefgreifende Reform EU-rechtskonform umgestaltet werden. Damit wird die Grundlage für eine Modernisierung des Sektors und damit langfristig sinkende Produktionskosten gelegt. Allerdings sind die Besitzverhältnisse im ukrainischen Stromsektor stark konzentriert. Ohne strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung des Wettbewerbs wie Privatisierungen, Erleichterung von Importen aber auch möglicherweise Zerschlagung von Monopolen wird es sehr schwer, wettbewerbliche Marktergebnisse zu erzielen. Sollte dies nicht gelingen, könnten die oligopolistischen Strukturen zu unangemessen steigenden Strompreisen führen, und das Vertrauen der Ukrainer in die EU und Märkte untergraben.

Stromsektorreform

Die Ukraine plant eine tiefgreifende Reform des Stromsektors. Das entsprechende Gesetz, welches einen mit europäischen Regeln konformen Strommarkt schaffen soll, passierte im September die erste Lesung des Parlaments. Mit diesem Gesetz will die Ukraine nicht nur ihre Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Energiegemeinschaft erfüllen, sondern auch den Rahmen für notwendige Investitionen im Stromsektor schaffen. Während momentan der Regulator bestimmt, welche Preise für Strom verlangt werden dürfen, sollen diese Preise in Zukunft durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Dazu soll die Schaffung verschiedener, nach EU Vorbild modellierter Märkte dienen.

Allerdings ist fraglich, ob selbst eine vollumfängliche Umsetzung der von der Energiegemeinschaft mitverfassten Regeln einen funktionierenden Strommarkt sicherstellen kann. Der Grund ist die enorme Konzentration des Besitzes in wenigen Händen.

Stromverteilung und -übertragung

Stromverteilung und -übertragung sind natürliche Monopole, da kein alternativer Anbieter mit dem Bau eines zweiten Netzes Gewinn machen kann. Daher werden einerseits die Netznutzungstarife vom Regulator bestimmt. Andererseits dürfen nach EU-Recht Stromproduzenten nicht die Netze kontrollieren. Das soll eine Benachteiligung konkurrierender Erzeuger verhindern. Die Umsetzung dieses sogenannten "Unbundling" ist in der Ukraine besonders wichtig, da 40 % der Verteilnetze dem größten privaten Stromerzeuger des Landes, DTEK [und damit dem Oligarchen Rinat Achmetow], gehören.

Die Konzentration der anderen Verteilnetzbetreiber in den Händen von wenigen Besitzern scheint auf den ersten Blick vergleichsweise unproblematisch, da die Besitzer nicht zu der Gruppe der einflussreichsten Oligarchen gehören. Das gilt sowohl für Konstantin Grigorischin als auch für Alexander Babakow, die 10 % bzw. 21 % der Stromverteilung kontrollieren. Allerdings besitzt mit Igor Kolomojskyj einer der einflussreichsten ukrainischen Oligarchen Minderheitsanteile an 6 Verteilunternehmen. In der Vergangenheit war es politisch gut vernetzten Oligarchen gelungen, Einfluss auf die Entscheidungen der Regulierungsbehörde zu nehmen. Inwiefern das im September verabschiedete Gesetz zur Unabhängigkeit des Regulators Einflussnahmen auf Netztarife und Netzzugang in der Zukunft verhindern kann, wird sich in der Praxis beweisen müssen – die aktuelle Sektorkonzentration wird es sicher nicht einfacher machen.

Das Stromübertragungsnetz wird von dem staatseigenen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Ukrenergo betrieben. Aufgrund der Schlüsselstellung des ÜNB im modernen Stromsystem ist ein professionelles und gegenüber anderen Marktteilnehmern unparteiisches Management enorm wichtig. Nachdem eine Ausschreibung zur Ernennung eines neuen Direktors im Oktober 2015 scheiterte, führt nach wie vor der frühere Vizedirektor Wsewolod Kowaltschuk kommissarisch das Unternehmen.

Stromerzeugung

Der größte Teil der ukrainischen Stromerzeugung befindet sich nach wie vor in staatlicher Hand. Sowohl die Kernkraftwerke, die wichtigsten Wasserkraftwerke als auch einige Kohlekraftwerke sowie die Hälfte der Kraft-Wärme-Kopplungs-Kapazitäten (KWK) befinden sich in Staatsbesitz. Einziger großer privater Stromerzeuger ist DTEK. Mit seinen Kohle-, Gas-, KWK-, Wasser- und Wind-Kraftwerken erzeugte er 2015 insgesamt 26 % des Stroms. Diese Zahl unterschätzt allerdings die Bedeutung von DTEK, welches 62 % der Kohlekraftwerkskapazitäten besitzt, welche 2015 für 74 % der Kohleverstromung verantwortlich waren. Kohlekraftwerke werden häufig vor allem dann genutzt, wenn Kern-, Wasser-, Wind- Solar- und KWK-Kraftwerke nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. In solchen Stunden gibt es kaum Alternativen zu DTEK Kraftwerken. DTEK könnte also nach Aufhebung der Preisregulierung in diesen Stunden sehr hohe Preise für seinen Strom fordern (auch wenn Kapazitätszurückhaltung im Gesetzentwurf formal untersagt ist).

Einzig Importe könnten die Marktmacht von DTEK in diesen Stunden deutlich begrenzen. Allerdings wurden 2015 lediglich 1,4 % des Strombedarfs importiert, und die Importe kamen ausschließlich aus Russland. Dies ist zum einen technisch bedingt, da die Ukraine auf absehbare Zeit (d. h. für die nächsten fünf Jahre) im postsowjetischen Stromverbund verbleiben wird. Somit kann Stromaustausch mit der EU nur über die mit der EU, nicht jedoch mit dem Rest des ukrainischen Stromsystems synchronisierte, sogenannte Burshtyn-Insel durchgeführt werden. Da das namensgebende Kraftwerk Burshtyn von DTEK kontrolliert wird, wurde der gesamte Stromaustauch mit der EU 2015 allein von DTEK abgewickelt (Exporte in Höhe von 2,4 % der ukrainischen Stromerzeugung).

Zum anderen waren die Großhandelsstrompreise im Westen in der Vergangenheit meist höher als in der Ukraine, was den Import unwirtschaftlich machte. Allerdings waren 2016, zumindest temporär, die Preise im Westen sehr niedrig (teilweise 25 EUR/MWh) während DTEK für seine Kohlekraftwerke geschätzte 40 EUR/MWh erhielt. Somit könnte eine stärkere Einbindung der Ukraine in den EU-Strommarkt für DTEK effektiven Wettbewerb darstellen und würde eine marktbasierte Preisobergrenze für ukrainischen Strom setzen.

Kohlemarkt

Mehr als die Hälfte der ukrainischen Kraftwerkskapazitäten (2015: 53 %) sind Kohlekraftwerke. Im Gegensatz zu Kern-, KWK-, Wind, Sonnen- und Laufwasser-Kraftwerken werden diese allerdings nur dann angeschaltet, wenn sie benötigt werden, weshalb sie für weniger als ein Drittel der Erzeugung (2015: 32 %) verantwortlich sind. Da aber in vielen Stunden zumindest einige Kohlekraftwerke benötigt werden, um die Nachfrage zu decken, ist anzunehmen dass im neuen Marktmodel der Strompreis stark vom Kohlepreis getrieben werden wird. Im Jahr 2015 wurden 84 % der ukrainischen Kraftwerkskohle von DTEK-Bergwerken gefördert (der Rest in staatlichen Bergwerken). Die Kohlepreise wurden vom Energieregulator Anfang 2016 höher als das Weltmarktpreisniveau festgelegt. Dennoch finden keine regelmäßigen Kohleimporte statt. Beides lässt sich durch die politische Bedeutung von Kohle-Arbeitsplätzen, vor allem in der Ostukraine, aber auch durch den Einfluss bestimmter Oligarchen im politischen System der Ukraine erklären.

Für einen wettbewerblichen Strommarkt in der Ukraine wäre es wichtig, dass alle Marktteilnehmer – insbesondere Zentrenergo – Zugang zu Kraftwerkskohle zu Weltmarktpreisen bekommen.

Fazit

Die Schaffung eines europarechtskonformen ukrainischen Strommarkts ist ein wichtiges Signal an einheimische und internationale Investoren, nicht nur im Stromsektor. Der Erfolg der Reform hängt stark davon ab, ob es gelingt, echten Wettbewerb in diesem stark konzentrierten Sektor zu schaffen. Daher sollte:

  • Bei noch anstehenden Privatisierungen darauf geachtet werden, dass diese den Wettbewerb im Stromsektor stärken. Insbesondere sollte der Kohlekraftwerksbetreiber Zentrenergo an einen starken Partner verkauft werden, der durch wettbewerbliche Preise und Investitionen den Marktanteil von Zentrenergo zu erhöhen trachtet. In keinem Fall jedoch sollte Zentrenergo unter die direkte oder indirekte Kontrolle von DTEK geraten.

  • Die Importmöglichkeiten für Strom und Kohle sollten sowohl technisch als auch regulatorisch verbessert werden, um auch hier den Wettbewerbsdruck in der Ukraine zu erhöhen. Insbesondere sollte der Energieimport stärker liberalisiert werden, um anderen Marktteilnehmern zu erlauben, mit den Oligopolisten in Wettbewerb zu treten.

  • Eine funktionierende Monopolaufsicht ist essentiell, um die Benachteiligung von Konsumenten und Konkurrenten zu begrenzen. Die im Juni 2016 erschienene Sektorstudie zum Strom- und Kraftwerkskohlemarkt des Antimonopolkomitees ist dabei ein guter Anfang. Der nächste Schritt muss sein, Fälle von Marktmachtmissbrauch konsequent zu verfolgen.

  • Für die Schaffung wirklicher Wettbewerbsbedingungen auf dem Erzeugungsmarkt wäre es von großem Nutzen, die Marktmacht in bestimmten Segmenten durch strukturelle Maßnahmen zu verringern. Dies würde realistischerweise eine politische Einigung mit den entsprechenden quasi-Monopolisten erfordern, die akzeptieren müssten, einige ihrer Firmenbeteiligungen an Wettbewerber zu verkaufen oder diese gegen andere Assets zu tauschen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich als Newsletter der deutschen Beratergruppe bei der ukrainischen Regierung veröffentlicht worden und ist im Internet verfügbar unter Externer Link: http://www.beratergruppe-ukraine.de/wordpress/de/publikationen/newsletter/

Fussnoten

Dr. Georg Zachmann arbeitet seit 2007 als Berater für Berlin Economics. Derzeit beschäftigt er sich als Senior Fellow bei Bruegel, einem ökonomischen Think Tank in Brüssel, mit Energie- und Klimafragen. Zudem berät er als Mitglied der Deutschen Beratergruppe bei der ukrainischen Regierung und des German Economic Teams Belarus (GET Belarus) Entscheidungsträger in diesen Ländern zu Fragen des Energiesektors.