Seit April 2016 wird eine intensive Debatte über eine bewaffnete OSZE-Mission in der Ostukraine geführt. Initiiert hat sie der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, vermutlich um den öffentlichen Druck zu lockern, der auf ihn in der Ukraine herrscht. So drängen sowohl Russland als auch die westlichen Partner auf die Umsetzung der Minsker Vereinbarung in puncto Lokalwahlen im Donbass. In der Ukraine wird diese Option aber von der Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen abgelehnt (s.
Mit der Forderung nach einem bewaffneten OSZE-Einsatz kommt Petro Poroschenko dem Verlangen der nationalistischen Parteien nach. Weil die Forderung kaum durchsetzbar ist, hofft Poroschenko, dadurch die unpopuläre Entscheidung über die Wahlen auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Im Einzelnen besteht die ukrainische Position darin, dass die Sicherheitskomponente vor der politischen Komponente der Minsker Vereinbarung stehen müsse. Das bedeutet, es einen konstanten Waffenstillstand geben sollte, bevor die Wahlen überhaupt stattfinden könnten. Die Sicherheitskriterien müssten nicht nur entlang der Kontaktlinie, sondern auf dem gesamten Konfliktgebiet eingehalten werden, so Poroschenko. Seiner Meinung nach kann die aktuelle OSZE-Mission die Erfüllung der oben genannten Bedingungen nicht gewährleisten. Aus diesem Grund bedarf es einer neuen Polizei-Mission, die permanent bewaffnete Checkpoints aufbaut, und zwar entlang der Kontaktlinie, an den Orten, an denen die abgezogenen schweren Waffen gelagert werden, und in dem von der ukrainischen Regierung nicht kontrollierten Teil der ukrainisch-russischen Grenze. Im Ergebnis soll eine bewaffnete OSZE-Polizeimission eine gewaltfreie Abhaltung von Wahlen in Donbass gewährleisten.
Der ukrainische Präsident vermittelt seine Position über verschiedene Kanäle nicht nur international, sondern auch national (wie etwa beim TV-Interview vom 24. April, bei den Veranstaltungen zum Tag der Grenzwache vom 28. Mai oder auf einer Presse-Konferenz vom 3. Juni). Das bedeutet, dass seine Adressaten neben Russland, Deutschland oder der OSZE auch die nationalistischen Kräfte in der Ukraine sind. Die Versicherheitlichung ("securitization") der OSZE-Mission hat auch eine andere Funktion: die Verantwortung für die Sicherheitslage in der Ostukraine von der ukrainischen Seite auf andere abzuwälzen. Falls eine solche Mission zu Stande kommen sollte, würde sie auch der Legitimierung der Donbass-Wahlen dienen, die die ukrainische Regierung im gegenteiligen Fall nicht anerkennen würde.
Trotz seiner Bemühungen hat Poroschenkos Vorschlag international bisher wenig Unterstützung bekommen. In seiner Stellungnahme dazu hat Deutschland den zivilen Charakter der Mission betont (s. Dokumentation
Am aktivsten haben jedoch die Anführer der "Volksrepubliken" auf Poroschenkos Vorschlag reagiert. Sie behaupten, dass eine bewaffnete OSZE-Mission das Scheitern der Minsker Vereinbarungen bedeuten und nur zur Eskalation führen würde. Inzwischen gab es bereits zwei Kundgebungen gegen eine bewaffnete OSZE-Mission in der "DNR". Am 10. Juni nahmen daran nach Angaben der OSZE-Beobachtermission sogar bis zu 20.000 Menschen teil. Während eine bewaffnete OSZE-Mission in den "Volksrepubliken" vorbehaltlos abgelehnt wird, wird gleichzeitig aber der Einsatz von Friedenstruppen aus Russland unterstützt. Dies wird jedoch die Ukraine niemals zulassen.
In Anbetracht aller oben skizzierten Positionen scheint die Debatte um eine bewaffnete OSZE-Mission in der Ostukraine in eine neue Sackgasse zu führen. Mit seinem Vorschlag versucht Petro Poroschenko zwischen unterschiedlichen Positionen zu lavieren und sowohl den innenpolitischen, als auch den außenpolitischen Druck auf ihn zu abzuschwächen. Seit Beginn dieser Debatte hat sich die Sicherheit der OSZE-Beobachter aber enorm verschlechtert. Die Mission kommt immer öfter unter Beschuss, vor allem auf den von der "DNR" kontrollierten Gebieten (s. Dokumentation
Die Ukraine-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde erstellt. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht sie als Lizenzausgabe.