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Kommentar: Die unersetzliche Atomenergie | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Die unersetzliche Atomenergie

Olga Koscharnaja Kiew Von Olga Koscharnaja

/ 10 Minuten zu lesen

Die beständige Produktion von Atomenergie hat trotz der Wirtschaftskrise und des militärischen Konflikts im Osten der Ukraine einen relativ störungsfreien Verlauf im letzten Jahr ermöglicht. Bei der weiteren Entwicklung der Atomwirtschaft steht das Land vor großen Herausforderungen.

Eine Lagerstätte für Atomabfälle in Tschernobyl. Der Bau solcher Lagerstätten gehört zu den Problemen der ukrainischen Atomwirtschaft. (© picture-alliance/dpa)

Der bereits seit zwei Jahren andauernde Militärkonflikt und die Wirtschaftskrise haben die ukrainische Atomenergie vor schwere Herausforderungen gestellt, vor allem in Bezug auf die Zuverlässigkeit des gesamten Vereinigten Energiesystems der Ukraine. Die Energieversorgung der Ukraine in den Herbst- und Wintersaisons 2014/2015 und 2015/2016 konnte aus verschiedenen Gründen nur dank der Atomenergie stabil funktionieren: Dies sind zum einen der Mangel an Anthrazitkohle und der Ausfall einiger Wärmekraftwerke, beides bedingt durch den Verlust der Kontrolle über den Donbass. Zum anderen konnten die Wasserkraftwerke und Pumpspeicherkraftwerke aufgrund der dritten Niedrigwassersaison in Folge nicht mit voller Kapazität arbeiten. 2015 lag der Anteil der Atomenergie am Strommarkt bei 57 Prozent, 2014 bei 50 Prozent. Dies ist der höchste Anteil innerhalb der letzten zehn Jahre, und das, obwohl die 15 Blöcke der ukrainischen Atomkraftwerke nur eine Kapazität von 13,8 Gigawatt haben. Das sind etwa 25 Prozent der Gesamtkapazität des Landes zur Stromerzeugung.

Atomenergie als Instrument der Regierung

Die Atomkraftwerke werden nicht das erste Mal zum "Rettungsring" für die Energiewirtschaft der Ukraine. Aufgrund der Wirtschaftskrise, die dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgte, waren die Jahre 1993–1995 für die Stromversorgung der Ukraine kritisch. Die Preise für die traditionellen Energieressourcen stiegen damals deutlich an. Dies führte dazu, dass die Verbraucher phasenweise vom Netz genommen wurden. Fehlende Mittel für den Erwerb von Brennstoffen führten dazu, dass die Wärmekraftwerke nicht genügend Strom liefern konnten, um die Verbrauchsspitzen zu decken. Die Atomkraftwerke dagegen arbeiteten zuverlässig und stabil, zudem wurde Ende 1995 der 6. Block des größten europäischen Atomkraftwerkes Saporischschja fertiggestellt und in Betrieb genommen.

Im Jahr 2004 wurden zwei weitere Blöcke, der Block Nummer 4 des Atomkraftwerkes Riwne und der Block Nummer 2 des Atomkraftwerkes Chmelnyzkyj in Betrieb genommen, die die aktuellen Anforderungen an die nukleare Sicherheit erfüllen. Seit der Unabhängigkeit der Ukraine wurde die Kapazität der Wärmekraftwerke, deren überwiegende Mehrheit sich derzeit in Privatbesitz befindet, nicht ausgebaut.

Einerseits haben alle Regierungen die Rolle der Atomenergie anerkannt und dies in offiziellen Dokumenten, wie zum Beispiel in der Energiestrategie der Ukraine bis 2030 und in den Entscheidungen des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, die durch Präsidialerlasse in Kraft gesetzt wurden, festgehalten. Auch in der aktuellen nationalen Sicherheitsstrategie (gültig seit dem 26. Mai 2015) wird festgehalten, dass für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit in Fragen der Energieversorgung die Entwicklung der Atomenergie zusammen mit der Förderung erneuerbarer Energien priorisiert wird. Dabei sollen natürlich alle aktuellen Standards bezüglich der Umwelt, der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes eingehalten werden.

Andererseits haben alle Regierungen die Atomenergie zur Bewältigung rein taktischer Aufgaben genutzt, wie etwa zu Wahlkampfzwecken oder für Lobbyismus. Zu Wahlkampfzwecken wurden Stromtarife für die Bevölkerung so niedrig wie möglich, das heißt auf einem Drittel des tatsächlichen Wertes, gehalten. Außerdem wurden die Unternehmen der regierungsnahen Finanz- und Industriegruppen, ganz zu schweigen von staatlichen Bergwerken und Wasserkanälen, unterstützt, indem sie beim Stromkauf Vergünstigungen auf dem staatlich kontrollierten Stromgroßhandelsmarkt erhielten. Denn bis heute gibt es in der Ukraine einen Stromgroßhandelsmarkt mit einem einzigen Akteur, dem Staatsunternehmen Energorynok. Alle Energieerzeuger sind dabei verpflichtet, den erzeugten Strom an das Unternehmen zu verkaufen. Die staatlichen Atom- und Wasserkraftwerke verkaufen den Strom zu regulierten Tarifen, die von der Nationalen Kommission für die Regulierung von Energie- und Versorgungsdienstleistungen festgelegt werden. Da die Preise für die Bevölkerung auf einem niedrigen Niveau gehalten werden, erhöht die Kommission den Strompreis für die Industrieunternehmen. So werden die regionalen Energieversorger (die sich mehrheitlich in Privatbesitz befinden) für ihre Verluste entschädigt. Dieses Vorgehen wird Quersubventionierung genannt. Wirtschaftlich ist es nicht zu begründen. In der ganzen Welt, mit Ausnahme von Belarus und der Ukraine, liegt der Strompreis für die Industrie um etwa 30 Prozent niedriger als der für die Bevölkerung. In der Ukraine hingegen belief sich das Volumen der Quersubventionierung im Januar 2016 auf 4.660 Millionen Hrywnja (das entspricht 167 Millionen Euro).Und das, obwohl der Tarif für die Bevölkerung im letzten Jahr bereits zweimal angehoben wurde.

Da der Anteil der Atomkraft am Energiemarkt signifikant ist (44–50 Prozent in den letzten Jahren und 2015 sogar 57 Prozent), haben alle Regierungen die Tarife für Atomstrom niedrig gehalten, um die durchschnittlichen Preise für Energie auf dem Stromgroßhandelsmarkt zu senken. Der Preis für Atomstrom beträgt derzeit nur die Hälfte des Preises für Strom von Wärmekraftwerken. Zu Zeiten der Regierung Asarow lag er sogar nur bei einem Drittel. Ein Problem dieser Preispolitik sind ausstehende Zahlungen für bereits erfolgte Stromlieferungen. Zahlungsrückstände der Energieverbraucher gegenüber Energoatom beliefen sich allein im Jahr 2015 auf mehr als vier Milliarden Hrywnja (etwa 150 Millionen Euro). Die Gesamtschuld von Energorynok gegenüber Energoatom betrug mehr als 11 Milliarden Hrywnja (über 380 Millionen Euro). Diese Summe entspricht dem Wert der gesamten Sromproduktion ukrainischer Atomkraftwerke in einem Zeitraum von vier Monaten. Wie diese Schulden bezahlt werden sollen, wissen weder das zuständige Ministerium noch das Staatsunternehmen Energorynok.

Im Tarif von Energoatom hatten die Kosten für den Erwerb und die Entsorgung von Brennelementen einen Anteil von 52 Prozent, während der Anteil der Investitionen lediglich bei 11 Prozent lag. Dieser Mangel an Investitionsmitteln ist katastrophal. Denn erstens soll die Laufzeit von Atomreaktoren über die geplante Laufzeit hinaus verlängert werden. Zweitens muss schnellstmöglich eine zentrale Lagerstätte für Atommüll gebaut werden, um einerseits die Abhängigkeit von der Russischen Föderation zu reduzieren, andererseits auch aufgrund der wirtschaftlichen Vorteile (mit einer Amortisationszeit von zwei Jahren). Und drittens muss das Taschlykskaja Pumpspeicherkraftwerk fertiggestellt werden, um den Spitzenverbrauch abfedern zu können. Das Investitionsprogramm von Energoatom sieht für 2016 nur 3.993 Millionen Hrywnja (139 Millionen Euro) vor. Dies reicht für die Entwicklung und Schaffung neuer Kapazitäten nicht aus.

Ukrainische Beamte sind fest davon überzeugt, dass staatliche Verpflichtungen durch staatliche Unternehmen, und damit zu ihren Lasten, erfüllt werden müssen. Die Regierung hat sich zum Beispiel verpflichtet, die Entwicklung erneuerbarer Energien zu fördern und Strom für arme Haushalte zu subventionieren. Eigentlich müsste dies aus dem Staatshaushalt finanziert werden, in den auch von staatlichen Unternehmen Steuern und Gebühren gezahlt werden. Staatsbetriebe hingegen sollten als kommerzielle Unternehmen gewinnorientiert arbeiten und nicht über Quersubventionierungen private, kostenintensive Energieunternehmen unterstützen. Zur Sicherstellung der Rentabilität privater Unternehmen stehen dem Staat alle erforderlichen Mittel zur Verfügung.

Diversifizierung

Die Ukrainekrise hat auch in der EU die Debatte über die Energiesicherheit intensiviert. Die European Energy Security Strategy wurde 2014 veröffentlicht. Im Abschnitt 7.2. "Uran und Brennelemente" wird hier festgestellt, dass die Russische Föderation ein wichtiger Konkurrent für europäische Unternehmen ist. Dies gilt sowohl für die Herstellung von Brennelementen als auch für die Bereitstellung integrierter Pakete für Investitionen in die gesamte Produktionskette der Atomwirtschaft. Besondere Beachtung erhalten in diesem Zusammenhang Projekte zum Bau von neuen Atomkraftwerken in der EU auf Basis sowjetischer Technologien. Hier soll gewährleistet werden, dass keine Abhängigkeit von russischen Atombrennstofflieferungen entsteht. Die Diversifizierung der Lieferungen von Atombrennstoff wird für alle Betreiber von Atomkraftwerken gefordert. Das ist ein absolutes Novum in der europäischen Energiepolitik.

Die Diversifizierung der Versorgung mit Atombrennstoff und den dazugehörigen Dienstleistungen in den verschiedenen Phasen des Atombrennstoffkreislaufs gilt in der Ukraine bereits seit 15 Jahren als eines der wichtigsten Elemente zur Gewährleistung der nationalen Energiesicherheit. So auch in der aktuellen Version der Strategie der Nationalen Sicherheit. Die Fragmentierung gestaltet sich für Atomkraftwerke komplizierter als für Wärmekraftwerke, weil Brennelemente für die ukrainischen Reaktoren weltweit nur von zwei Unternehmen hergestellt werden: TVEL (Russland) und Westinghouse (Japan, USA, Kasachstan).

Die ersten Schritte zur Diversifizierung der Versorgung mit Atombrennstoff hat die Ukraine bereits im Jahr 2000 gemacht, als ein Projekt zur Verwendung von Atombrennstoff der Firma Westinghouse in die Wege geleitet wurde. 2014/15 wurden zudem Bemühungen unternommen, die Dienstleistungen in den verschiedenen Phasen des Atombrennstoffkreislaufs aufzuteilen. Der Liefervertrag zwischen Energoatom und Westinghouse für die Versorgung ukrainischer Atomkraftwerke mit Brennstoff wurde im Frühjahr 2014 verlängert. Ende 2014 wurde eine Ergänzung zu diesem Vertrag unterzeichnet. Diese sieht zusätzliche Lieferungen im Falle höherer Gewalt vor. Am 24. April 2015 unterzeichnete Energoatom einen Vertrag mit der französischen Firma AREVA über den Kauf von angereichertem Uran-235. Das angereicherte Uran wird an die schwedische Fabrik von Westinghouse geliefert und dient als Grundlage zur Herstellung von Atombrennstoff für ukrainische Atomkraftwerke.

Das 2010 gegründete ukrainisch-russische Joint Venture zur gemeinsamen Produktion von Atombrennstoff entspricht nicht dem Ziel der Diversifizierung: Alle Unternehmensentscheidungen müssen im Einvernehmen mit dem russischen Partner TVEL getroffen werden, und die Lizenzvereinbarung zum Technologietransfer schreibt die exklusive Verwendung russischer Schlüsselprodukte vor. Nach Beginn des militärischen Konflikts wurde das Projekt eingefroren. Obwohl es die Staatsprüfung für Nuklear- und Strahlensicherheit bestanden hatte, verweigerte die ukrainische Regierung die Genehmigung. Im November 2015 lehnte die zuständige staatliche Regulierungsbehörde die Genehmigung zum Bau einer Brennstoffanlage mit der Begründung ab, dass die Frist für die Einreichung der Bewerbungsunterlagen abgelaufen war.

Die Abhängigkeit der ukrainischen Atomkraftwerke von Brennstofflieferungen aus Russland ist weiterhin beträchtlich. Die Brennelemente der Firma Westinghouse befinden sich immer noch im Probebetrieb. Der Kern des Reaktors Nummer 3 des Atomkraftwerks Süd-Ukraine ist erst zur Hälfte mit Brennstoff von Westinghouse gefüllt. 2016 soll Reaktor Nummer 5 mit 42 Brennelementen von Westinghouse gespeist werden. Die langsame Schaffung von Alternativen zu den russischen Brennelementen hat ihre Ursache in einer Reihe von technischen Problemen, die aufgrund hoher Sicherheitsanforderungen nur langsam gelöst werden können. Nach Einschätzung von Experten haben sich die Brennelemente von Westinghouse gut bewährt. Während der gesamten Betriebszeit der Brennelemente wurde kein einziger Fall von Druckentlastung der Brennelemente festgestellt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Diversifizierung ist der Bau einer Lagerstätte für Atomabfälle der Atomkraftwerke Riwne, Chmelnyzkyj und Süd-Ukraine. Dies wird zur Zeit auf Grundlage einer Technologie der Firma Holtec International (USA) umgesetzt. Das Atomkraftwerk Saporischschja besitzt ein eigenes Trockenlager für abgebrannte Brennelemente.

Energoatom setzt als Betreiber aller ukrainischen Atomkraftwerke derzeit ein Importsubstituionsprogramm für die komplette Ausstattung der Atomkraftwerke um. Dabei sollen alle Bauteile von ukrainischen Maschinenbaufirmen geliefert werden. Nach Schätzung von Energoatom könnte so der Bau von zwei neuen Reaktoren in Chmelnyzkyj bereits zu 70 Prozent mit Produkten von ukrainischen Firmen getragen werden.

Neubauprojekte

Eine andere Möglichkeit die Abhängigkeit von der Russischen Föderation zu minimieren, ist der Bau neuer Reaktoren mit Hilfe von nicht-russischen Unternehmen. Bereits 2005 hat die ukrainische Regierung die Fertigstellung der neuen Reaktoren 3 und 4 des Atomkraftwerkes Chmelnyzkyj beschlossen. Dieses Projekt ist als vorrangige Aufgabe in die aktuelle Energiestrategie bis 2030 und im Dezember 2014 auch in das Arbeitsprogramm der Regierung aufgenommen worden. In Anbetracht der aktuellen Wirtschaftslage ist es aber offensichtlich, dass die notwendigen Investitionsmittel nur über eine externe Finanzierung generiert werden können. Im Sommer 2015 hat die ukrainische Regierung deshalb vorgeschlagen, den Bau der Reaktoren bis 2017 über einen langfristigen Stromliefervertrag mit Polen zu finanzieren.

Während die ukrainische Regierung 2015 unter Berücksichtigung der neuen Sicherheitsanforderungen in der Zeit "nach Fukushima" die Möglichkeit diskutierte, in Chmelnyzkyj zwei neue Reaktorblöcke vom Typ WWER-1000 der Firma Skoda zu verwenden, bezweifelt das Energieministerium seit Anfang 2016 die Zweckmäßigkeit der Errichtung der neuen Reaktorblöcke. Dies geht aus dem auf der Regierungswebseite veröffentlichten Dokument über die Umsetzung des Arbeitsprogramms der Regierung "Ukraine-2020" hervor.

In Interviews erklärte die Leitung des Ministeriums, dass keine neue Kraftwerke gebaut werden sollen, da der Stromverbrauch des Landes stark gefallen ist. Tatsächlich ist der Stromverbrauch vor allem in der Industrie stark zurückgegangen, im letzten Jahr um 18 Prozent. Darin, das dies als Argument gegen die Schaffung neuer Kapazitäten zur Stromproduktion verwendet wird, zeigt sich, dass die zuständigen Beamte nicht an ein Wachstum der ukrainischen Wirtschaft in den nächsten fünf bis acht Jahren glauben. Denn erst dann wären die neuen Reaktoren betriebsbereit.

Darüber hinaus gibt es auch ein ökologisches Argument für den Bau von neuen Reaktoren. Die Ukraine hat sich zur Umsetzung der Richtlinie 2001/80/EG zur Begrenzung von Schadstoffemissionen durch Großfeuerungsanlagen sowie der Beschlüsse der Klimakonferenz von Paris 2014 verpflichtet.

Hier einige Zahlen, die für sich selber sprechen: Nach Angaben des privaten Energieversorgers DTEK, der dem ukrainischen Unternehmer Rinat Achmetow gehört, erfordert die Erfüllung der Vorgaben der EU-Richtlinie insgesamt Investitionen von 23 Milliarden Euro in die Wärmekraftwerke der Ukraine. Darunter sind 2,5 Milliarden Euro für Anlagen zur Gasreinigung, 16,2 Milliarden Euro für den Ersatz veralteter Kraftwerke und weitere 4,6 Milliarden Euro für den Bau neuer Kraftwerke. Allein der Bau der zwei Reaktoren in Chmelnyzkyj, dessen Kosten in einer Machbarkeitsstudie auf etwa 4 Milliarden US-Dollar geschätzt werden, könnte die Treibhausgasemissionen der ukrainischen Stromwirtschaft um rund 24 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren. Damit könnte er zur Erfüllung der internationalen Verpflichtungen aus dem Klimaschutzabkommen beitragen.

Perspektiven der Atomwirtschaft

Die erfolgreiche Entwicklung der Atomenergie in der Ukraine erfordert die Einführung eines neuen Modells für den Strommarkt, das transparent, wettbewerbsfördernd und kundenorientiert ist. Verbrauchern sollte die Möglichkeit gegeben werden, ihren Stromlieferanten selbst zu wählen. Die Energieunternehmen sollten dazu motiviert werdem, die Kosten der Stromerzeugung zu senken, um wettbewerbsfähig zu sein.

Ein entsprechendes Gesetz über die Grundlagen des Strommarktes wurde bereits 2013 verabschiedet. Die zuständigen Regierungsbehörden haben bisher aber noch nicht die Regularien entwickelt, die zur Umsetzung des Gesetzes erforderlich sind. Stattdessen initiierte das Energieministerium die Entwicklung einer neuen Version des Gesetzes, dessen Entwurf unter Experten im Sommer und Herbst 2015 ausführlich diskutiert wurde. Der Gesetzentwurf wurde vom zuständigen Parlamentsausschuss am 30. März 2016 genehmigt und wird in Kürze dem Parlament in der ersten Lesung vorgelegt werden.

In den Übergangsbestimmungen des neuen Gesetzentwurfes über den Energiemarkt sind die Atomwirtschaft diskriminierende Bestimmungen enthalten, da eine staatliche Regulierung der Tarife vorgesehen ist. Das bedeutet, dass der Staat unter dem Vorwand der Liberalisierung des Strommarktes und des Strebens nach europäischen Standards tatsächlich seine eigene Firma aus dem Markt verdrängt, zum Vorteil der privaten Energieversorger. Damit wird der Geist der Reform – die Schaffung gleicher Bedingungen für alle Teilnehmer des Strommarkts – ad absurdum geführt.

Die ukrainische Atomwirtschaft wurde von allen ukrainischen Regierungen auf ihre Überlebensfähigkeit getestet. Wird die Branche eine weitere Bewährungsprobe durch einen verzerrten Energiemarkt überstehen? Noch haben wir keine Antwort auf diese Frage.

Übersetzung aus dem Russischen: Lina Pleines

Fussnoten

Olga Koscharnaja arbeitet seit fünf Jahren als Direktorin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Vereinigung "Ukrainian Nuclear Forum". Sie hat am Moskauer Mendelejew-Institut für Chemische Technologie studiert und promoviert. Vor ihrer derzeitigen Tätigkeit arbeitete sie als Abteilungsleiterin in der nationalen Regulierungsbehörde für Nuklear- und Strahlensicherheit der Ukraine sowie als leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nationalen Institut für Strategische Studien.