Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Analyse: Die ukrainische Regierung auf dem Prüfstand: Die Regional- und Kommunalwahlen vom 25. Oktober 2015 | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? Analyse: Die hohen Kosten des Krieges: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die Armut verschärft Chronik: 22. Februar bis 7. März 2023 Besatzungsregime / Wiedereingliederung des Donbas (27.03.2023) Analyse: Etablierungsformen russischer Herrschaft in den besetzten Gebieten der Ukraine: Wege und Gesichter der Okkupation Karte: Besetzte Gebiete Dokumentation: Human Rights Watch: Torture, Disappearances in Occupied South. Apparent War Crimes by Russian Forces in Kherson, Zaporizhzhia Regions (Ausschnitt) Dokumentation: War and Annexation. The "People’s Republics" of eastern Ukraine in 2022. Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. März, Feminismus und Krieg in der Ukraine: Neue Herausforderungen, neue Möglichkeiten Umfragen: Umfragen zum Internationalen Frauentag Interview: "Der Wiederaufbau braucht einen geschlechtersensiblen Ansatz" Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Korruptionsbekämpfung (08.03.2023) Analyse: Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine Dokumentation: Statistiken und Umfragen zu Korruption Analyse: Reformen, Korruption und gesellschaftliches Engagement Chronik: 1. bis 10. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Analyse: Die ukrainische Regierung auf dem Prüfstand: Die Regional- und Kommunalwahlen vom 25. Oktober 2015

Dmitri Stratievski Berlin Von Dmitri Stratievski

/ 11 Minuten zu lesen

Die ukrainische Lokalwahl 2015 bezweckte eine neue Zusammensetzung der kommunalen Legislativen und außerdem stellte sie das neue Wahlgesetz auf die Probe. Im Ergebnis hat Petro Poroschenko seine Machtposition wesentlich gestärkt und erweitert. Auch wenn die Abstimmung größtenteils frei und fair verlaufen ist, zeigte sie doch deutlich viele Defizite der Wahlgesetze.

In der zweiten Runde der Lokalwahlen 2015 in Kiew wählten die Ukrainer Vitali Klitschko erneut zum Bürgermeister. (© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Angesichts der geplanten Dezentralisierungsreform wird die Bedeutung der Kommunalmandate und Bürgermeisterposten in der Ukraine steigen. Aus diesem Grund wird den turnusmäßigen Wahlen vom 25. Oktober eine besondere Bedeutung beigemessen. Insgesamt sollten etwa 170.000 Abgeordnete der über 10.000 Gemeinderäte gewählt werden. Für die landesweit 358 Bürgermeisterämter, unter anderem in den Metropolen Kiew, Odessa, Charkiw und Dnipropetriwsk, kandidierten mehr als 2.700 Personen. 142 Parteien haben sich bereit erklärt, um die Wählergunst in allen Regionen des Landes – bis auf die Krim, Sewastopol und die separatistisch kontrollierten Teile der Ostukraine – zu kämpfen. 132 von ihnen wurden zur Wahl zugelassen.

Die Zentrale Wahlkommission erklärte im Vorfeld, in weiten Teilen der Ostukraine sei die Durchführung des Wahlprozederes aus Sicherheitsgründen unmöglich. Davon waren 91 Gemeinden im Gebiet Donezk und 31 Gemeinden im Gebiet Luhansk betroffen. Mit den Binnenflüchtlingen konnten an diesem Tag insgesamt etwa 1,5 Millionen wahlberechtigte ukrainische Bürger von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen.

Zum Auftakt der Wahlen bezeichnete Petro Poroschenko die bevorstehende Abstimmung als "dritte Etappe des Neustarts in der Machtstruktur" und setzte unmissverständlich seine Prioritäten: "proukrainische Mehrheiten" in allen Ecken der Ukraine und zügige Reformen gleich nach dem Tag der Abstimmung. So verband der Staatspräsident sein politisches Schicksal indirekt mit dem Wahlergebnis.

Der Kontext: die Dezentralisierungsreform und das Wahlgesetz

Der ukrainische Staat leidet seit 1991 unter unverhältnismäßiger Zentralisierung. Die Kommunen haben wenig Machthebel und finanzielle Kapazitäten, um Probleme vor Ort unbürokratisch zu lösen. Das mindert die Handlungsfähigkeit der lokalen Verwaltung und erschwert ihre Kommunikation mit der Bevölkerung. Die ukrainische Führung suchte nach einer Möglichkeit, die politischen Prozesse im Land zu kanalisieren und Paragraph 11 des Minsker Abkommens vom Februar 2015 (in der englischen Fassung "decentralization") zu implementieren. Im April 2015 tagte zum ersten Mal die Verfassungskommission unter dem Vorsitz des Parlamentspräsidenten Wolodymyr Grojsman, der mehrere Rechtswissenschaftler, Richter sowie drei Ex-Staatsoberhäupter angehörten. Sie beschäftigte sich unter anderem mit einem möglichen Dezentralisierungskonzept. Im August 2015 brachte Petro Poroschenko den Gesetzentwurf "Über die Verfassungsänderung bezüglich der Dezentralisierung der Macht" ins Parlament ein. Sein Kernstück ist die Übertragung kommunalpolitischer Befugnisse an die entsprechenden lokalen Stellen. Dieser Vorschlag ähnelt der polnischen Reform, die in dem ebenfalls unitären Nachbarland seit 1999 stufenweise umgesetzt wird. Im Plenarsaal votierten zwei Koalitionsfraktionen entschlossen dagegen, die Vaterlandspartei unter Julia Timoschenko und die Radikale Partei von Oleh Ljaschko. Die dritte politische Kraft, die Selbsthilfe von Andrij Sadowyj, kehrte der Gesetzesvorlage ebenfalls mehrheitlich den Rücken. Ihre fünf Abweichler wurden aus der Fraktion ausgeschlossen. Am Abstimmungstag kam es vor dem Parlamentsgebäude zu blutigen Zusammenstößen zwischen Nationalisten und Sicherheitskräften, bei denen vier Polizisten starben. Petro Poroschenko stellte die für die erste Lesung notwendige einfache Mehrheit nur mithilfe von Stimmen aus dem Lager der Opposition und der Fraktionslosen her. Die für das endgültige positive Votum des Parlaments erforderliche Verfassungsmehrheit wird der ukrainische Staatschef im Dezember zu erreichen versuchen.

Die oben beschriebene Gemengelage macht anschaulich, wie stark dieses Thema die ukrainische Gesellschaft bewegt und polarisiert. Nicht zuletzt geht es um Begrifflichkeiten. Dezentralisierung wird oftmals irrtümlich mit Föderalisierung verwechselt, die für bedeutende Teile der politischen Elite und der Bevölkerung der Ukraine negativ konnotiert ist. Daraus resultiert die Ablehnung des Dezentralisierungsmodells als einem aus Russland importierten Produkt, das gegen die ukrainische Staatlichkeit gerichtet würde und in die Hände der Separatisten spielen sollte. Dabei ist zu bemerken, dass im Land so gut wie keine Aufklärungskampagne zum Dezentralisierungskonzept in die Wege geleitet wurde bzw. wenig öffentliche Debatten stattfanden. Diese Tatsache schürt Ängste und bekräftigt Vorurteile.

Die ukrainische Wahlgesetzgebung wurde im Laufe der Zeit mehrfach verändert. Das letzte Wahlgesetz aus dem Jahr 2011 besiegelte die Rückkehr zu einem gemischten Wahlsystem. Im Juli 2015 verabschiedete die Werchowna Rada das Gesetz "Über die Lokalwahlen". Das Mischmodell bleibt in einer modernisierten Fassung erhalten. Auf der kleinsten Gemeindeebene (Dorf und Siedlung) wird nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt, für die restlichen Kommunen (Bezirk, Stadt und Gebiet) gilt ein Verhältniswahlrecht. Die Parteien erstellen ihre Listen und schicken einen Kandidaten pro Wahlkreis ins Rennen. Es werden keine Wahlbündnisse zugelassen. Für Bürgermeisterwahlen gibt es zwei Regelungen. In Städten mit mehr als 90.000 Einwohnern müssen die beiden Kandidaten mit dem höchsten Stimmanteil in eine Stichwahl gehen, wenn sie im ersten Wahlgang weniger als 50 % der Stimmen auf sich vereint haben. Für kleinere Ortschaften ist keine Stichwahl vorgesehen. Der ukrainische Wähler hat eine Stimme. Kritiker meinten, das neue Gesetz verfestige eine Monopolstellung der örtlichen Parteiverbände. Der Stellvertretende Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission Andrij Magera betitelte das in Kraft getretene Wahlwesen als "Rückschritt bei der Entwicklung eines funktionsfähigen Wahlsystems" und zog Parallelen zum aus seiner Sicht negativen Beispiel Russlands. Trotz der Kritik gab es bis zum Abstimmungstag keine Novellierung der entscheidenden Paragraphen des Wahlgesetzes. Eine Änderung vom September 2015 regelt nur freiwillige Gemeindefusionen mit dem Ziel, Wahlen synchron durchzuführen und Kosten zu sparen.

Der Wahlkampf

Die politische Landschaft der Ukraine hat sich im Vergleich zur letzten Kommunalwahl 2010 gravierend verändert. Zwei vormals große Spieler, die Partei der Regionen und die Kommunisten, die mindestens ein Jahrzehnt in mehreren Gebiets- und Stadtparlamenten im Osten und Süden des Landes dominiert hatten, waren nicht mehr am Wahlrennen beteiligt. Während die landesweiten Galionsfiguren dieser Parteien inzwischen aus der aktiven Politik ausgeschieden sind, wechselten ihre Gefolgsleute vor Ort die Parteifahne und sind weiterhin bedeutsame Akteure im Südosten der Ukraine. So war der amtierende Bürgermeister von Odessa, Gennadij Truchanow, der wieder kandidierte, bis vor kurzem Fraktionsvorsitzender der Partei der Regionen im Stadtrat. Sein Parteikollege, der heutige Kandidat für den Bürgermeisterposten in Dnipropetriwsk Oleksandr Wilkul, gehörte als Stellvertretender Ministerpräsident der ukrainischen Regierung unter Wiktor Janukowitsch an. Zugleich spielten die Vertreter der vormaligen Elite in den Listen der Regierungsparteien eine herausragende Rolle. Eineinhalb Jahre nach dem Machtwechsel in Kiew etablierte sich eine neue Machtpartei, der Block Petro Poroschenko-Solidarität (BPP-Solidarität), der vielen Apparatschiks der Janukowitsch-Ära Asyl angeboten hat.

Darüber hinaus war eine offene politische Konkurrenz zwischen den Mitgliedern der Regierungskoalition in Kiew eher schwierig. In erster Linie betraf das die Vaterlandspartei. Julia Timoschenko kritisierte mehrfach im Parlament das Wirtschaftsprogramm der Regierung. Ihre lokalen Politiker zeigten sich dagegen loyal gegenüber Kiew und verwiesen auf die Notwendigkeit des Zusammenhalts der ukrainischen Gesellschaft im Hinblick auf "die russische Aggression". Für eine Überraschung sorgte Premier Arsenij Jazenjuk, dessen Volksfront-Partei noch im August auf ihre Wahlteilnahme verzichtete. Die Volksfront ist seit Monaten im Tiefflug. Eine spürbare Wahlniederlage seiner Partei hätte die Stellung des ukrainischen Ministerpräsidenten weiter geschwächt. Die Partei UDAR des Kiewer Bürgermeisters Witalij Klitschko agierte weiterhin als Teil der Poroschenko-Partei und hat an Profil verloren. Der Oppositionsblock griff das tagespolitische Handeln der Regierung an. Diese Kritik hatte aber keinen grundsätzlichen Charakter und war nicht programmatisch verankert, wie es von einer führenden europäischen Oppositionspartei zu erwarten ist. Sie trug in weiten Teilen die Züge einer "Schaufensterpolitik". Zum Beispiel stellte der "Ministerpräsident des Schattenkabinetts" Borys Kolesnikow die Arbeitslosigkeit als zentralen Kritikpunkt an der Regierung in den Vordergrund. Der Vorsitzende des Parteiverbands im Gebiet Saporishshja, Wiktor Busko, betonte in seiner programmatischen Rede die "Fachkompetenz" seines Teams. Gleichzeitig beklagten seine Parteikollegen den maroden Zustand der städtischen Parkanlagen, obwohl sie in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Partei der Regionen lange Zeit in der Stadt- und Gebietsverwaltung in Regierungsverantwortung gewesen waren. Insgesamt waren die Lokalwahlen durch die Teilnahme vieler kleiner Parteien gekennzeichnet, die außerhalb ihrer Stammregion nur einen bescheidenen Bekanntheitsgrad haben. Die Mehrzahl von ihnen, zum Beispiel die Partei Vertraue den Taten in Odessa, diente ausschließlich dem Ziel, ihren Spitzenmann zu unterstützen und Mehrheiten in der lokalen Legislative zu schaffen.

Der Wahlkampf stand im Zeichen der Gesamtsituation im Lande. Die Kandidaten konzentrierten sich wenig auf klassische kommunale Probleme wie Wohnen, Verkehr oder Infrastruktur. Sie mussten sich mit breiten innen- und außenpolitischen Fragenkomplexen auseinandersetzen wie etwa der Wirtschaftskrise, dem Verhältnis zu Russland, EU- und NATO-Beitrittsperspektiven, der Krim-Frage, Frieden oder Sieg im Donbass und Ähnlichem, auch wenn sie im Fall ihrer Wahl mit den vorhandenen regionalpolitischen Werkzeugen kaum einen Beitrag zur Lösung dieser Aufgaben leisten können. Angesichts der ungeklärten Kompetenzen zwischen Kiew und den Regionen infolge der bevorstehenden Dezentralisierungsreform sowie der leeren Kommunalkassen fiel es allen Anwärtern auf Dorf- oder Stadtratsmandate recht schwer, realisierbare Versprechungen abzugeben. Inhaltlich beschränkten sich die wichtigsten Akteure auf vier wesentliche Themen: 1. Senkung der Betriebskosten für Privathaushalte. Darauf hatten Oppositionsblock, Radikale Partei und Vaterlandspartei bestanden. 2. Patriotismus als tragendes Element der ukrainischen Gesellschaft, Abschied von der sowjetischen Vergangenheit (national gesinnte Parteien, UKROP, Radikale Partei). 3. Stabilität und Frieden (Oppositionsblock, Unser Region, Wiedergeburt), 4. Wirtschaftsreformen, Fortsetzung des aktuellen Regierungskurses (BPP-Solidarität). So wurde de facto nur ein einziges kommunalpolitisches Thema landesweit flächendeckend aufgegriffen, nämlich die unzumutbaren Mietnebenkosten. Infolge dieser Ideenlosigkeit wurde das Wahlkampffeld in mehreren Fällen den Populisten überlassen. Alternativ setzte man auf Lokalpatriotismus. So hat zum Beispiel der Kandidat für das Bürgermeisteramt in Dnipropetrowsk, Borys Filatow, die Kernthese seines Wahlprogramms wie folgt präsentiert: "Die Bevölkerung in der Geldgeberregion, die das (wirtschaftliche – D. S.) Rückgrat des Landes bildet, muss ein besseres Leben führen als die anderswo."

Wahltag und Wahlergebnis

Die Wahlbeteiligung lag bei 46,6 % und war damit noch niedriger als bei den letzten Lokalwahlen 2010. Laut der Zentralen Wahlkommission gingen damals 48,8 % der Wahlberechtigten zur Urne. Wie schon in den Vorjahren waren auch 2015 die Westukrainer am aktivsten: In der Region Ternopil lag die Wahlbeteiligung bei 56,5 %, in Lwiw bei 56,31 % und in Wolhynien bei 55,29 %. Im Süden waren die Wähler wesentlich passiver. In Cherson betrug die Wahlbeteiligung 37,41 %, in Mylolajiw 38,48 %. Am niedrigsten war die Wahlbeteiligung in den Gebieten Donezk (31,65 %) und Luhansk (35,27 %).

Zahlreiche Quellen berichteten über Gesetzwidrigkeiten und Manipulationen im Laufe des Wahlkampfs und am 25. Oktober. Die Abstimmung wurde in vielen Regionen der Ukraine von Stimmenkäufen überschattet, deren Ausmaß allerdings deutlich geringer war als bei den Lokalwahlen im Jahr 2010, so das Urteil eines landesweiten Netzwerks von unabhängigen Wahlbeobachtern. Der Wählerschaft bot man Lebensmittelpakete an. Studierende sollten mit einer "kleinen Prämie" motiviert werden. Am Wahltag wurde unerlaubte Parteiwerbung verteilt, deren Farbkombination mit dem Wahlzettel übereinstimmte. Am 25. Oktober erhielten Handynutzer bis zur Schließung der Wahllokale kurze Werbeapelle im SMS-Format.

Obwohl in mehreren Wahlkreisen der ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk außerhalb der separatistisch kontrollierten Landstriche, unter anderem in den ukrainischen Städten Mariupol und Krasnoarmijsk, keine Wahlen stattfanden bzw. diese für ungültig erklärt wurden, gab es für die Mehrheit der wahlberechtigten Ukrainer eine sichere Möglichkeit, frei für eine politische Kraft ihrer Wahl zu votieren. Das ist das wichtigste Ergebnis dieser Wahlen. Die internationalen Beobachter kritisierten zwar das Wahlgesetz und prangerten Unregelmäßigkeiten an, stellten jedoch nicht das Gesamtprozedere in Frage. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeiner kommentierte die Wahlen wie folgt: "Es ist gut, dass die Lokalwahlen am 25.10. in der Ukraine trotz des schwierigen Umfelds ohne größere Zwischenfälle stattfinden konnten. Die OSZE/ODIHR-Mission hat in einer ersten Stellungnahme einen grundsätzlich ordentlichen und transparenten Prozess der Stimmabgabe und -auszählung festgestellt." Generell haben die Wahlkommissionen vor Ort und indirekt auch die ukrainische Exekutive diese Härteprobe überstanden. Das amtliche Wahlergebnis steht noch in keiner Region der Ukraine fest. In einigen Städten müssen die Bürgermeisterkandidaten am 15. November in einer Stichwahl antreten, zum Beispiel in Kiew, Dnipropetrowsk und Sumy. Es sind zahlreiche Gerichtsklagen zu erwarten. Trotzdem erlauben die vorhandenen Daten folgende Schnellanalyse:

  • Entgegen den Hurra-Meldungen aus den Vorständen der Regierungsparteien kann die Koalition in der Werchowna Rada nicht mit einer stabilen Mehrheit auf kommunaler Ebene rechnen. Die Poroschenko-Partei hat gut abgeschnitten und erzielte in allen Landesteilen ein zweistelliges Ergebnis. Aus machtpolitischer Perspektive ist das eine wichtige Errungenschaft. Dieses Ergebnis ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten. Zum Beispiel stellt der Poroschenko-Block in der südlichen Region Odessa, einer früheren Hochburg der Partei der Regionen, jetzt in den Kreisstädten sechs Bürgermeister. Vier davon sind allerdings ehemalige Mitglieder der Janukowitsch-Partei. Sie waren bis zuletzt amtierende Vorsitzende der Stadträte und wurden von der jetzigen Regierungspartei aufgestellt.

  • Gewinner der Wahl ist Petro Poroschenko, Verlierer Arsenij Jazenjuk, der bis vor kurzem als Präsidentschaftskandidat gehandelt wurde. Jetzt muss er um seinen Posten an der Regierungsspitze bangen. Die Rufe nach seinem Rücktritt werden lauter.

  • Die Vaterlandspartei und die Radikale Partei haben keinen gesamtnationalen Machtanspruch mehr. Die Timoschenko-Partei schaffte es nicht in den Stadtrat ihrer Heimatstadt Dnipropetrowsk. (2010: dritter Platz und acht Sitze). In Charkiw hat die Vaterlandspartei vor fünf Jahren das zweitbeste Ergebnis gleich nach der Partei der Regionen erzielt und mit 14 Sitzen eine Stadtratsfraktion gebildet. Heute scheiterte sie an der Fünfprozenthürde. Der ukrainische Politologe Wolodymyr Fesenko sprach von der Vaterlandspartei als "Partei der Dorfbewohner". Tatsächlich leben ihre Stammwähler von 2015 überwiegend in den ländlichen Gebieten der Zentralukraine. Im städtischen Raum erntete vor allem die UKROP die Stimmen der Timoschenko-Partei. Oleh Ljaschkos Radikale haben bei der vergangenen Wahl keine eigene politische Nische gefunden. Ihr Appell, eine landesweite Protestbewegung gegen die erhöhten Betriebskosten zu organisieren, war nicht neu. Dazu wurde im September noch Ljaschkos politischer Weggefährte Ihor Mosijtschuk aufgrund von Korruptionsvorwürfen festgenommen. In den Augen vieler Wähler war das eine Blamage, weil die Radikale Partei das Thema Korruptionsbekämpfung immer als Schwerpunkt behandelt hat.

  • Das Wahlergebnis der erst 2012 amtlich registrierten Selbsthilfe bedarf noch weiterer Auswertung. In der Westukraine, einschließlich ihrer Hochburg Lwiw, musste die Partei Stimmen einbüßen. Während Selbsthilfe aus der Parlamentswahl 2014 in den Regionen Lwiw, Iwano-Frankiwsk und Wolhynien als drittstärkste Kraft hervorgegangen ist (18,8 %, 18,3 % und 11,5 %), wurde sie 2015 zwar teilweise zweitstärkste Partei, verlor aber je nach Region bis zu 4 %. Im Kampf um den Posten des Lwiwer Bürgermeisteramts verfehlte Andrij Sadowyj seine Wiederwahl knapp. Im Osten des Landes hat seine Partei dagegen gut Fuß gefasst. Sie profitierte vom Image der Mittelschichtspartei und zog mit dem zweibesten Regionalergebnis (12 %) in den Charkiwer Stadtrat ein. 2014 nahm Selbsthilfe in Charkiw Platz fünf ein und war mit 7,55 % der abgegebenen Stimmen deutlich schwächer.

  • Den Regierungsparteien ist es nicht gelungen, die neuorganisierten Reste der Partei der Regionen aus dem politisch-öffentlichen Leben zu vertreiben. Der Oppositionsblock und seine regionalen Ableger, die Bürgermeisterinitiative Unser Region sowie andere, mehrheitlich aus Repräsentanten der Janukowitsch-Zeit bestehende Parteien behalten ihre festen Positionen im Südosten der Ukraine. Von einem Alleinregieren wie früher kann hier aber keine Rede mehr sein.

  • Die alten Netzwerke in den wichtigen ukrainischen Großstädten haben ihre Stärke und Überlebensfähigkeit bewiesen. In Odessa und Charkiw haben die politisch Altgedienten ihre Bürgermeisterposten verteidigt. Für ihre sichere Wiederwahl reichen die heute vorhandenen wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten sowie eine freundliche Haltung des Präsidialamts ihnen gegenüber aus. Jegliche Bemühungen, neue Strukturen zu installieren, haben sich am Wahltag als erfolglos erwiesen. In Odessa verfügt der örtliche Gouverneur Miheil Saakaschwili über wichtige Ressourcen (der örtliche Staatsanwalt und der Polizeichef sind Gefolgsleute von ihm aus Georgien) sowie über einen Ruf als Reformer. Ungeachtet dessen unterlag sein Wunschkandidat Oleksandr Borowik gegenüber dem amtierenden Bürgermeister Gennadij Truchanow. In Charkiw wurde der Bürgermeister Gennadij Kernes mit klarer Mehrheit wiedergewählt. In Transkarpatien gewann das Einheitszentrum von Witalij Baloha, der seit 2005 in der Region herrscht.

  • Die politischen Newcomer konnten als "unbefleckte Einsteiger" zwar mit einem gewissen Vertrauensvorschuss der Bevölkerung rechnen, waren in Wirklichkeit aber meistens chancenlos. Sie erzielten nur Einzelerfolge auf den kleinsten kommunalen Ebenen, etwa in Dorfräten oder kleinen Städten. In keiner ukrainischen Großstadt gewann ein politischer Neuling den Kampf ums Bürgermeisteramt oder gelangte auch nur in die Stichwahl.

Fussnoten

Dr. Dmitri Stratievski ist Politologe und Historiker sowie stellvertretender Vorsitzender des Osteuropa-Zentrums Berlin e. V.