Einleitung
Die Ukraine sieht sich auf der einen Seite konfrontiert mit einer tiefen Wirtschaftskrise und großem Reformbedarf sowie auf der anderen Seite mit der militärische Aggression im Osten des Landes, die die Ressourcen und die Mobilisierung der ukrainischen Gesellschaft erfordert. Die Reformen schreiten sehr langsam voran. Die Unternehmen arbeiten in einem sehr unsicheren Umfeld. In der Einschätzung der ukrainischen Manager bleibt die Qualität des Geschäftsklimas im Lande schlecht, die negativen Einschätzungen überwiegen. Allerdings hat sich der Geschäftsklimaindex (also die Differenz zwischen positiven und negativen Einschätzungen) vom Frühjahr zum Sommer 2015 von -0,35 auf -0,27 verbessert. Dabei ist der Anteil der mit dem Geschäftsklima unzufriedenen Unternehmen von 45 % auf 34 % zurückgegangen und der Anteil der zufriedenen Unternehmen von 5 % im April auf 6 % gestiegen ist.
Noch am ehesten positiv oder – besser gesagt – am wenigsten negativ sehen die ukrainischen Unternehmen ihre eigene finanzielle und wirtschaftliche Lage. Eine negative Einschätzung geben hier nur 35 %. Deutlich schlechter wird die Reformbereitschaft der Regierung eingeschätzt. Hier geben 57 % eine negative Einschätzung. Im Folgenden werden aktuelle Ergebnisse der vierteljährlichen Umfragen des Institutes für Wirtschaftsforschung und Politikberatung zum ukrainischen Geschäftsklima vorgestellt. Die Umfragen unter Managern in den Regionen der Zentral-, West-, Süd- und Ostukraine finden seit 1996 mit einer gleichbleibenden Respondentengruppe statt, die 450 Unternehmen aller Bereiche der verarbeitenden Industrie umfasst. Die jüngste Umfrage wurde vom 20. Juli bis 10. August 2015 durchgeführt und erhob u. a. die Einschätzung der Folgen des militärischen Konflikt in der Ostukraine. Die ebenfalls im Text vorgestellte Umfrage zur Korruption fand im April/Mai 2015 statt.
Unsicherheit dominiert
Das Verhalten und das Geschäftsergebnis eines Unternehmens werden sehr von dem Grad der Unsicherheit seines Umfeldes beeinflusst. Im Falle von hoher Unsicherheit ist das Verhalten der Unternehmen in der Regel vorsichtiger, die Unternehmen "warten ab". Genau diese Situation lässt sich derzeit in der Ukraine beobachten. Dies gilt sowohl für die aktuelle Situation als auch für die Erwartungen bezüglich der Zukunft. Der Anteil der unsicheren Unternehmensleiter, die selbst für die nächsten sechs Monate keine Vorhersagen bezüglich der finanziellen und wirtschaftlichen Entwicklung ihres Unternehmens machen können, liegt im Sommer 2015 bei 30 %. Das sind 5 % mehr als im April 2015, aber weniger als vor einem Jahr, als der Wert noch bei 35 % lag. Eine ähnliche Situation zeigt sich auch beim unternehmerischen Umfeld. In der aktuellen Umfrage trauen sich 32 % der Unternehmen keine Prognose für die Entwicklung der nächsten sechs Monate zu. Auch hier zeigt sich ein Anstieg gegenüber dem Frühjahr, aber der Wert liegt immer noch niedriger als zum Jahresbeginn.
Korruption
Die Ergebnisse der Unternehmensbefragung zu Korruption zeigen, dass die Zahl der Unternehmensleiter, die Korruption für ein verbreitetes Phänomen in ihrem Geschäftsumfeld betrachten, nach einem Rückgang 2014 jetzt sogar leicht über den Wert von 2013 gestiegen ist. Konkret erklärten 2013 insgesamt 62 % Korruption für verbreitet, 2014 nur noch 52 % und 2015 wieder 64 %. Eine ähnliche Einschätzung zeigt sich bei informellen Beziehungen zu staatlichen Behörden. Der Anteil derer, die glauben, dass informelle Beziehungen mit den Behörden für den Geschäftserfolg wichtig sind ist nach einem Rückgang von 43 % auf 38 % in diesem Jahr wieder auf 43 % gestiegen.
Am wichtigsten sind die informellen Beziehungen für kleine Unternehmen (45 %). Für mittlere und große Unternehmen liegt die Bedeutung solcher Beziehungen bei 37 % bzw. 38 %. Deutliche Unterschiede gibt es zwischen den verschiedenen Behörden (siehe Tabelle 1). Die Steuerbehörde wird am häufigsten genannt, wenn es um informelle Unterstützung für Unternehmen geht. Die regionalen Behörden folgen an zweiter Stelle, wahrscheinlich auch eine Reaktion auf die aktuelle Debatte zur Dezentralisierung der politischen Entscheidungskompetenzen. Die Polizei hingegen erhält – wohl auch in Reaktion auf aktuelle Reformen – ein vergleichsweise sauberes Image.
Andere Indikatoren, die die Bedeutung der Korruption für die Unternehmen messen, zeigen, dass Korruption nach einem Rückgang 2014 wieder attraktiver für Unternehmen geworden ist. So ist die mit Bestechungszahlungen verbundene Unsicherheit nach einem Anstieg im Vorjahr wieder gesunken. 2014 war die Zahl der Manager, die davon ausgingen, die möglichen Folgen von Bestechungszahlungen nicht vorhersagen zu können, um 5 % auf 63 % gestiegen. Im Mai 2015 liegt der entsprechende Wert nur noch bei 36 %. Dieses Ergebnis in Kombination mit steigender Korruption zeigt, dass die Unternehmen die ursprünglich erwarteten Signale einer durchgreifenden Korruptionsbekämpfung im letzten Jahr nicht erhalten haben, so dass sich Korruption jetzt bei der Mehrheit der ukrainischen Unternehmen wieder als Teil der Geschäftstätigkeit etabliert.
Korruption wird aber noch nicht als berechenbare Größe wahrgenommen. Die Zahl der Unternehmen, die die Höhe von Bestechungsgeldern für unvorhersehbar halten, war 2014 im Vergleich zum Vorjahr von 60 % auf 75 % gestiegen. 2015 verbleibt sie mit 72 % auf einem hohen Niveau. Während der entsprechende Wert für Großunternehmen von 71 % auf 61 % gesunken ist, stieg er für Kleinunternehmen von 72 % auf 75 %. Mit anderen Worten: Korruption wird als unberechenbar wahrgenommen und trägt damit zur Unsicherheit im Geschäftsumfeld bei.
Rechtsprechung
Die Bewertung der ukrainischen Justiz durch die Unternehmensvertreter hat sich ebenfalls verschlechtert. Der Anteil der, die glauben, dass aktuelle Rechtssystem in der Lage sei, die Einhaltung von Geschäftsverträgen durchzusetzen, ist nach einem Anstieg von 29 % (2013) auf 37 % (2014) im laufenden Jahr auf 24 % gesunken. Der Anteil der, die glauben, dass das Rechtssystem sie effektiv schützen kann, und die persönliche Sicherheit der Unternehmer vor Kriminalität garantieren kann, ist nach einem Anstieg von 19 % auf 27 % in diesem Jahr auf 22 % gefallen. Auch hier zeigt sich, dass die ursprünglichen Erwartungen der Unternehmen auf durchgreifende Veränderungen bisher noch nicht erfüllt worden sind.
Konflikt in der Ostukraine
Tabelle 2
Tabelle 2
Ein Grund für den tiefen Einbruch der ukrainischen Wirtschaft ist der militärische Konflikt in der Ostukraine. 27 % der befragten Unternehmen verbinden die Verschlechterung der Finanzsituation Ihres Unternehmens ausschließlich mit dem militärischen Konflikt. Weitere 35 % sehen den Konflikt als eine von mehreren Ursachen. Die konkreten Folgen des militärischen Konflikts für die Unternehmen haben sich aus der Sicht der Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr verändert (siehe Tabelle 2). Während im Sommer 2014 Probleme bei der Suche nach Abnehmern mit 44 % den ersten Platz einnahmen, verursacht im Sommer 2015 die Einbeziehung von Mitarbeitern zum Militärdienst die größten Probleme, welche von 43 % genannt werden. Danach folgen die Probleme bei der Suche nach Kunden, logistische Schwierigkeiten und Schwierigkeiten mit Finanzdienstleistungen. Dieses Jahr haben die Unternehmen außerdem verstärkt Unterbrechungen in ihren Produktionsketten gespürt. Der Anteil der Unternehmen, die aufgrund des Separatismus in der Ostukraine Probleme mit Zulieferungen hatten, stieg von 20 % im Sommer 2014 auf 28 % in diesem Sommer.
Anstelle eines Resümees
Der verhaltene Optimismus der Unternehmen bezüglich Geschäftsklima, Korruption und Rechtsprechung, der sich kurz nach dem Machtwechsel im Sommer 2014 zeigte, hat sich 2015 nicht fortgesetzt. Dies bedeutet, dass sich die Erwartungen der Unternehmen bezüglich rascher Veränderungen in der Wirtschaft nicht erfüllt haben. Die stärksten Belastungsfaktoren für das Geschäftsklima sind der Mangel an Reformen und der militärische Konflikt in der Ostukraine. Daher gehört die erfolgreiche Lösung des Konfliktes in der Ostukraine weiterhin zu den vorrangigen Maßnahmen, die die Unternehmen von der Regierung erwarten. Gleichzeitig werden der Regierung erste Erfolge bei der makroökonomischen Stabilisierung des Landes bescheinigt und es bleibt die Hoffnung, dass das Tempo der institutionellen Reformen sich erhöhen wird.
Übersetzung aus dem Ukrainischen: Lina Pleines