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Analyse: Pazifismus, Patriotismus und Reformismus: Öffentlichkeitsstrategien der Oligarchen nach dem Maidan | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Pazifismus, Patriotismus und Reformismus: Öffentlichkeitsstrategien der Oligarchen nach dem Maidan

Steffen Halling Berlin Von Steffen Halling

/ 15 Minuten zu lesen

Die Oligarchen sind nach dem Sieg des Maidan über Janukowytsch und dem Krieg im Donbass in große Bedrängnis geraten. Als Stützen und Profiteure eines Systems, das über Jahre Partikularinteressen dem Gemeinwohl übergeordnet hat, stehen sie auch öffentlich unter Druck. Ihr Kampf um Legitimation im In- und Ausland zeigt unterschiedliche Strategien auf und ist als Spiegelbild ihrer Positionen im Machtgefüge der Post-Maidan-Ukraine zu betrachten.

Der ukrainische Oligarch Dmytro Firtasch bei einem Auftritt in einer Talkshow. (© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Um Entscheidungen zu beeinflussen, die ihren wirtschaftlichen Profit steigern, haben Oligarchen in der Ukraine in der Vergangenheit oft unterschiedliche politische Lager unterstützt, Massenmedien unter ihre Kontrolle gebracht und stellenweise formale politische Ämter übernommen. Seit der Orangen Revolution haben einige Oligarchen angefangen zu versuchen, ihr Öffentlichkeitsbild positiv zu beeinflussen. Auch dies stellt einen relevanten Bestandteil ihrer Strategien dar. Die öffentliche Meinung gezielt zu beeinflussen und sich vom negativ besetzten Oligarchen-Bild zu distanzieren, kann als Versuch gewertet werden, Legitimation zu gewinnen und das Risiko zu verringern, Strafverfahren oder Enteignungen ausgesetzt zu werden. Schließlich lässt sich argumentieren, dass die im bislang autoritär-kompetitiven System der Ukraine ohnehin fragilen Eigentumsrechte der Oligarchen einer noch größeren Gefahr ausgesetzt sind, wenn sie in der Gesellschaft als illegitim betrachtet werden. Widersacher und Konkurrenten können den als illegitim betrachteten Reichtum der Oligarchen nicht nur politisch instrumentalisieren, sondern auch selbst unter öffentlichen Handlungsdruck geraten, die Macht der Oligarchen zu begrenzen.

Dies deutete sich erstmals im Zuge der Orangen Revolution an. Umfangreiche Reprivatisierungspläne der damaligen orangen Koalition stießen nicht nur auf große Zustimmung in der Bevölkerung. Auch war die mit einer Nationalisierung und Reprivatisierung des Eigentums der Oligarchen verbundene Entmachtung der in der Bevölkerung als "Banditen" titulierten Akteure Teil der öffentlichen Erwartungshaltung gegenüber der aus den Demonstrationen des Winters 2004/2005 hervorgegangenen politischen Führung. Aber auch international kommt der Image-Arbeit der Oligarchen Relevanz zu. Sie kann beispielsweise dann eine Rolle spielen, wenn es darum geht, inwieweit die Oligarchen als "Partner" fungieren können oder aber ob und inwiefern sie für Fehlverhalten sanktioniert werden müssen.

Die "Deoligarchisierung"

Nach dem Sturz Janukowytschs und dem möglichen politischen Umbruch in Folge der Maidan-Proteste, die mit Ausnahme des heutigen Präsidenten Poroschenko zunächst keiner der Oligarchen offen unterstützte, dem Krieg im Donbass sowie der tiefgreifenden Wirtschaftskrise sehen sich die Oligarchen, aber auch die politische Führung heute einem weitaus größeren öffentlichen Druck ausgesetzt als zuvor. Exemplarisch drückt sich die negative Einstellung gegenüber den Oligarchen in einer von der ukrainischen Wochenzeitung Dzerkalo Tyzhnja zum Jahreswechsel 2014/2015 in Auftrag gegebenen Umfrage aus: Gefragt danach, was mit dem Eigentum der Oligarchen geschehen sollte, war mit 26,3 % die häufigste Antwort, dass das gesamte Eigentum der Oligarchen verstaatlicht werden solle. Gleichzeitig zeigten sich mehr als 90 % der Befragten überzeugt, dass die Oligarchen auch knapp ein Jahr nach dem Sturz Janukowytschs ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss beibehalten konnten. Eine Entmachtung der Oligarchen findet in der Bevölkerung entsprechend Rückhalt und kann als Teil des Mandats betrachtet werden, das Präsident Poroschenko, der selbst mit dem Versprechen angetreten war, seine Unternehmensbeteiligungen zu verkaufen, durch seine Wahl im Mai 2014 erhalten hat. Schließlich gilt es im Einklang mit den politischen Zielen des Maidan zu verhindern, dass auch in Zukunft weiterhin Partikularinteressen einer kleinen Gruppe politisch aktiver Unternehmer sich dem Gemeinwohl überordnen.

Die gegenüber dem Staat bestehende Erwartungshaltung im Umgang mit den Oligarchen hat jüngst im Begriff der "Deoligarchisierung" (Deoligarchizacija) Ausdruck gefunden. Der Begriff hat sich zu einem Schlagwort des politischen Reformdiskurses in der Ukraine entwickelt. Gemeint ist, dass die politische und wirtschaftliche Macht der Oligarchen gebrochen werden soll. Poroschenko hob die Deoligarchisierung der Ukraine zuletzt Anfang Juni 2015 in seiner Ansprache vor der Werchowna Rada als eine Grundvoraussetzung hervor, um die Korruption im Land zu bekämpfen und eine nachhaltige Veränderung des politischen Systems herbeizuführen. Er selbst stellte dabei einen historischen Vergleich zu den USA der 1930er Jahre an und verkündete, so entschlossen zu handeln wie einst Theodore Roosevelt bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechtes. Die für die Ukraine heute wichtigsten Bestandteile der Deoligarchisierung seien Poroschenko zufolge die Zerschlagung bestehender Monopole, die Stärkung der staatlichen Kontrolle im Rohstoffsektor sowie der Übergang zu einer aus dem Staatshaushalt erfolgenden Parteienfinanzierung.

Der Einflussverlust der "Oligarchen-Troika"

Neben jenen Oligarchen, die dem Familien-Clan Janukowytschs zuzuordnen sind und mit dessen Sturz ihren Einfluss entsprechend verloren haben, sind es vor allem drei Oligarchen, die zuletzt unter starken Druck geraten sind: Hierzu gehört Ihor Kolomojskij, der nach dem Sturz Janukowytschs zunächst deutlich an Einfluss gewann und vom damaligen Übergangspräsidenten Turtschinow zum Gouverneur der Provinz Dnipropetrowsk ernannt wurde. Im März 2015 eskalierte jedoch ein Konflikt um Kolomojskijs Beteiligungen am staatlichen Ölförderunternehmen Ukrnafta. Gängige Praxis war es zuvor gewesen, dass Kolomojskij mit einer Sperrminorität Aktionärsversammlungen des Unternehmens blockieren konnte. Relevante Entscheidungen wie auch die Ausschüttung von Dividenden an den Staat mussten dementsprechend mit ihm ausgehandelt werden. Kurz nachdem das Parlament durch eine entsprechende Gesetzesänderung beschlossen hatte, dieser Praxis ein Ende zu setzen, wurde Kolomojskijs Einfluss auch im staatlichen Ölförderunternehmen Ukrtransnafta zurückgedrängt. Der Absetzung des Chefs des Unternehmens, der lange Zeit dafür gesorgt hatte, dass Kolomojskijs Unternehmen mit lukrativen Aufträgen versorgt wurden, stellte Kolomojskij eine Gruppe bewaffneter Männer entgegen, die das Gebäude des Unternehmens kurzzeitig blockierten. Kolomojskij scheiterte mit dem Versuch der gewaltsamen Übernahme. Zudem musste er seinen Gouverneursposten räumen. Die Ernennung des ehemaligen Präsidenten Georgiens Michail Saakaschwili zum Gouverneur der Provinz Odessa stellt einen weiteren Versuch dar, Kolomojskij zu schwächen und den vor allem aufgrund von Schmuggelaktivitäten lukrativen Hafen von Odessa seiner Einflusssphäre zu entziehen. Saakaschwilis Vorgänger Ihor Palytsia ist ein ehemaliger Manager von Ukrnafta und gilt als Vertrauter Kolomojskijs.

Auch Rinat Achmetow, der bisher nicht nur reichste, sondern unter Janukowytsch auch mächtigste Oligarch der Ukraine, hat deutlich an Einfluss verloren. Dafür sind zwei Entwicklungen verantwortlich: Zum einen ist es Achmetow nach dem Sturz von Janukowytsch und dem Zerfall der Partei der Regionen nicht gelungen, seinen politischen Einfluss auf die Exekutive und die Legislative aufrechtzuerhalten. Am offensichtlichsten zeigt sich dies am Parlament, wo Achmetow bis zu den Wahlen 2014 Dutzende von Abgeordneten kontrollierte. Heute wird ihm hingegen lediglich die Kontrolle einer weitgehend handlungsunfähigen Abgeordnetengruppe im sogenannten Oppositionsblock zugeschrieben. Zum anderen haben sich durch den Krieg im Donbass und den Kontrollverlust über Teile der Regionen Donezk und Luhansk die politische und Teile der wirtschaftlichen Basis Achmetows dem Einfluss Kiews entzogen. Für Achmetow, der zumindest anfangs den Separatismus im Donbass unterstützt oder zumindest toleriert haben soll, um den in Folge des Maidan eingetretenen politischen Einflussverlust als Vermittler zwischen dem Donbass und Kiew kompensieren zu können, bedeutet dies, dass er sowohl mit der Regierung in Kiew als auch mit Machthabern im Donbass verhandeln muss. Auch wenn Achmetow herbe Einbußen erlitten hat und sein Vermögen nach Angaben des Magazins Forbes um knapp 60 % eingebrochen sein soll, sind Teile seiner Vermögen im Donbass nach wie vor intakt. Auch spielt Achmetow bis heute eine sehr wichtige Rolle in der ukrainischen Elektrizitätswirtschaft. Die Ankündigung Poroschenkos, den Energiemarkt zu "deoligarchisieren", deutet jedoch darauf hin, dass Achmetows Monopolstellung unter den neuen Kiewer Machtverhältnissen nicht mehr garantiert ist.

Dmytro Firtasch, der im März 2014 auf Ersuchen eines US-amerikanischen Gerichts unter Korruptionsverdacht in Wien festgenommen wurde, einer Auslieferung jedoch entging, weil ein österreichisches Gericht die gegen ihn erhobene Anklage als in Teilen politisch motiviert bewertete, ist von allen Oligarchen in die größte Bedrängnis geraten. Zwar schien es zunächst so, als ob Firtasch, der unter Janukowytsch großen Einfluss genoss und als einer der wenigen Oligarchen eindeutig als wichtiger Unterstützer des Ex-Präsidenten galt, durch die parallele Unterstützung der Partei UDAR von Witalij Klitschko auch unter den neuen Machtverhältnissen in Kiew seinen Einfluss behalten könnte. Darauf deutete vor allem ein Treffen zwischen Firtasch, Poroschenko und Klitschko im April 2014 in Wien hin, bei dem sich darauf geeinigt wurde, dass Klitschko auf eine Kandidatur um das Präsidentenamt verzichten, Poroschenko unterstützen und stattdessen für das Bürgermeisteramt in Kiew kandidieren sollte. Auch wenn Poroschenko vehement abstreitet, dass dabei auch mit Firtasch Vereinbarungen getroffenen worden seien, gelten informelle Einigungen in der ukrainischen Politik als wahrscheinlich. Nachdem Firtaschs Nadra-Bank jedoch bereits im Februar 2015 von der Nationalbank für insolvent erklärt wurde, kündigte Regierungschef Arsenij Jazenjuk unlängst an, zwei Chemiewerke, die sich im Besitz des Oligarchen befinden und eine wichtige Rolle in der ukrainischen Agrarwirtschaft spielen, zu verstaatlichen. Firtasch hatte zuvor, nachdem ein Kiewer Gericht die Beschlagnahmung von 500 Millionen Kubikmetern Erdgas seiner Holding Ostchem angeordnet und das ukrainische Innenministerium unter dem Vorwurf der Veruntreuung und Unterschlagung die Prüfung einer Konfiszierung von mehr als einhundert Immobilien des Oligarchen angekündigt hatte, gedroht, die Düngerproduktion in den beiden Werken ruhen zu lassen. Seinen Einfluss in der Chemie- und Düngemittelindustrie hatte Firtasch im Laufe der Präsidentschaft Janukowytschs deutlich ausweiten können. Auch soll er seit Jahren Gas für seine Unternehmen aus Russland zu Sonderkonditionen erhalten haben und als eine Art Strohmann des Kremls in der Ukraine fungiert haben.

Öffentlichkeitsstrategien der Oligarchen

Kolomojskij, Firtasch und Achmetow sind schließlich auch jene Oligarchen, die öffentlich am stärksten, jedoch in sehr unterschiedlicher Art und Weise in Erscheinung treten. Wie sie dabei auf den ihnen gegenüber bestehenden Druck reagieren und welches Bild sie von sich in der Öffentlichkeit zeichnen, zeigt verschiedene Strategien auf.

Achmetow – der"Pazifist"

Rinat Achmetow hat von den drei genannten Oligarchen in der Vergangenheit die stärksten Versuche unternommen, als Philanthrop und verantwortungsbewusster Unternehmer aufzutreten. Hierfür gab seine Stiftung, die "Rinat Akhmetov Foundation for Development of Ukraine", seit ihrer Gründung 2005 nach eigenen Angaben etwa zwanzig Millionen Euro jährlich für Wohltätigkeitsprojekte aus. Im Fokus der Stiftungsarbeit standen Projekte im Bereich der Gesundheitsvorsorge, die Arbeit mit Waisenkindern sowie die Unterstützung von Bedürftigen in Folge von Naturkatastrophen, Unfällen in Kohlegruben und anderen Notsituationen. Am stärksten zeigte die Stiftung in Achmetows Heimatregion, dem Donbass, Präsenz. Um sein Image als Gönner und Förderer in "seiner" Region zu bestärken, fungierte neben seiner Stiftung insbesondere auch der Fußballverein Schachtar Donezk. Durch Investitionen in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro in Infrastruktur, Spieler und Nachwuchs gelang es Achmetow, dem Verein national und international zu Prestige zu verhelfen. Die Omnipräsenz der das Bergarbeiter-Image tragenden Marke "Schachtar" sowie niedrige Eintrittspreise zu Spielen in der hochmodernen Donbass-Arena ließen auch einkommensschwache Menschen am Erfolg des von Achmetow finanzierten Fußballklubs teilhaben und förderten die regionale Identität.

Seit dem Sturz Janukowytschs und dem Ausbruch des Krieges im Donbass verfolgt Achmetow nach außen zwei Strategien: Zum einen versucht er, sich vom Separatismus im Donbass zu distanzieren und somit Spekulationen über eine mögliche Unterstützung der Separatisten von sich zu weisen. Während er sich mit politischen Statements in den vergangenen Jahren und auch zu Beginn der Unruhen im Donbass zurückgehalten hatte, stellte sein Aufruf zum Protest gegen die selbsternannte "Donezker Volksrepublik" im Mai 2014 ein Novum seines öffentlichen Auftretens dar. Im Gegensatz zu Donezk, wo seine Aufrufe folgenlos blieben, gelang es ihm, Arbeiter seiner in der Hafenstadt Mariupol ansässigen Stahlwerke Asowstal und Iljitsch gegen den Separatismus zu mobilisieren. Mit der Distanzierung vom Separatismus bezog Achmetow jedoch keine dezidiert pro-ukrainische Position, sondern appellierte vielmehr stets sehr allgemein an beide Konfliktparteien, das "Blutvergießen" zu beenden und für den "Frieden" einzutreten. Auch wenn ihn seine anfängliche Passivität gegen den von Russland geschürten Separatismus im Donbass in der Ukraine in Bedrängnis gebracht hat, so scheint sein in Mariupol demonstriertes entschiedenes Vorgehen gegen den Separatismus dazu beigetragen zu haben, dass er sich bislang einem noch größeren Druck entziehen konnte.

Eine zweite öffentliche Strategie Achmetows ist es, gegen die humanitäre Notlage der von den Kriegshandlungen betroffenen Bevölkerung im Donbass anzugehen. Hierfür betreibt seine Stiftung seit August 2014 ein humanitäres Zentrum, das auf beiden Seiten der Front operiert. Die Schwerpunkte der Arbeit liegen zum einen darin, Hilfslieferungen in die Region zu schicken, und zum anderen in der Evakuierung, psychologischen Behandlung und vorübergehenden Unterbringung von Binnenflüchtlingen. Nach Angaben der Stiftung Achmetows, die Neutralität im Konflikt betonen möchte und seit Aufnahme ihrer humanitären Arbeit den früheren Zusatz "Für die Entwicklung der Ukraine" aus ihrem Namen gestrichen hat, wurden bislang mehr als drei Millionen Pakete mit Grundnahrungsmitteln in die Region gebracht, knapp 40.000 Menschen evakuiert und mehr als 20.000 Menschen mit medizinischen Produkten versorgt. Dass Hilfslieferungen in die selbsternannten Volksrepubliken zugelassen werden, deutet darauf hin, dass den dortigen Machthabern Achmetows Spenden zur Verringerung der bestehenden Versorgungsknappheit nützlich sind. Gleichzeitig versucht Achmetow durch sein Vorgehen, seinem in der Region jahrelang aufgebautem lokalpatriotischen Image zu entsprechen. Dies kann dazu beitragen, auch in Zukunft in der Region wirtschaftlich aktiv sein zu können und Enteignungen die Legitimationsgrundlage zu entziehen.

Kolomojskij – der "Patriot"

Ähnlich wie Achmetow ist Kolomojskij lange Zeit vor allem als Patron seiner Heimatregion Dnipropetrowsk in Erscheinung getreten, insbesondere durch die Finanzierung des Fußballklubs Dnipro Dnipropetrowsk sowie sein Engagement in der jüdischen Gemeinde, die zu einer der größten in Europa gehört. Nach dem Sturz Janukowytschs hat er im Unterschied zu Achmetow jedoch nicht versucht, sich von der Politik zu distanzieren. Im Gegenteil: Kolomojskij, der während der Präsidentschaft Janukowytschs kaum sichtbar gewesen ist, bezog unmittelbar nach dem Sturz Janukowytschs deutliche politische Positionen und sprach sich klar für die territoriale Integrität der Ukraine aus. Bereits im Februar 2014, als Janukowytsch Kiew verlassen und das Parlament ihn für abgesetzt erklärt hatte, kritisierte er einen Parteitag der Partei der Regionen "für die südlichen und östlichen Landesteile", den der damalige Gouverneur der Region Charkiw, Michail Dobkin, ausgerufen hatte, auf das Schärfste. Separatismus, dessen Förderung er den Veranstaltern vorwarf, werde in Dnipropetrowsk keine Chance haben. Tatsächlich wird es in erster Linie dem Vorgehen Kolomojskijs zugeschrieben, dass die an Donezk angrenzende Region Dnipropetrowsk vom bewaffneten Konflikt verschont geblieben ist. Als Gouverneur, dessen Posten er seit März 2014 bekleidete, gelang es ihm, die Region zu stabilisieren. Im Unterschied zu Achmetow, der den ihm vom damaligen Übergangspräsidenten Turtschinow angebotenen Gouverneursposten in der Region Donezk ablehnte, konnte Kolomojskij durch das Engagement seine Popularität in der Ukraine immens steigern und das Image eines treuen Patrioten aufbauen – dies vor allem auch deshalb, weil Kolomojskij zeitweise Gehaltszahlungen an öffentliche Bedienstete sowie die Versorgung von Armeeeinheiten in Dnipropetrowsk aus seinem Privatvermögen finanzierte. Ferner setzte Kolomojskij nicht nur Kopfgeld auf Separatisten aus, sondern übernahm auch den Aufbau von Freiwilligenbataillonen. Kolomojskijs Vormachtstellung in Dnipropetrowsk wurde als dermaßen hoch eingeschätzt, dass im Zuge des jüngsten Konfliktes mit der Regierung Befürchtungen laut wurden, dass seine Absetzung als Gouverneur sowie sein Einflussverlust in Kiew zu Instabilität führen und Bürgerunruhen in der Region nach sich ziehen könnten. Da Kolomojskij allerdings kaum ein Interesse an einem Erstarken von pro-russischen Kräften in der Region haben kann, ist vielmehr davon auszugehen, dass er auch in Zukunft versuchen wird, vom politischen Kapital, das er und sein Umfeld aufbauen konnten, zu profitieren.

Firtasch – der "Reformer"

Auch Firtasch betreibt eine eigene Stiftung, die seit 2008 vor allem im Bereich der Förderung von Wissenschafts- und Kultureinrichtungen in der Ukraine sowie in Großbritannien aktiv ist. Gefördert wird von ihm unter anderem das "Ukrainian-Studies"-Programm an der University of Cambridge sowie ein Stipendienprogramm, das ukrainischen Studierenden die Möglichkeit bieten soll, ein Jahr in Cambridge zu studieren. Zu seinen Wohltätigkeitsaktivitäten zählt er auch die Finanzierung der 2013 in London veranstalteten "Days of Ukraine in the UK". Außerdem hat Firtasch mehrere Bildungs- und Kultureinrichtungen in Tscherniwzi, wo er seine unternehmerische Karriere Ende der 1980er Jahre begonnen hat, finanziert. 2011 wurde er hier von Kyrill I., dem Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, für seine Spenden für den Aufbau der Trojeschina-Kathedrale mit einem kirchlichen Orden ausgezeichnet.

Öffentlich Schlagzeilen machte Firtasch im März 2015, als er in Wien, wenige Wochen vor der Entscheidung über seine Auslieferung in die USA, im Rahmen des internationalen Forums "Ukraine Tomorrow" unter der Anwesenheit einer Reihe namhafter europäischer Politiker – darunter auch Personen, zu denen er nachweislich Verbindungen durch sein Engagement in Großbritannien pflegt – die "Agentur zur Modernisierung der Ukraine" gründete. Aufgabe der Agentur soll es sein, dass ein Gremium aus acht Beratern innerhalb von 200 Tagen ein "Reformprogramm" für die Ukraine erarbeitet. Offiziell erfolgte die Gründung der Agentur auf Initiative des Ukrainischen Arbeitgeberverbandes sowie des Ukrainischen Gewerkschaftsverbandes. Firtasch, der als Präsident des Ukrainischen Arbeitgeberverbandes fungiert und öffentlich im In- und Ausland unter diesem Label auftritt, äußerte sich parallel zum Wiener Forum in mehreren ukrainischen und internationalen Medien ausgesprochen kritisch über die ukrainische Regierung, die sich nicht durch Reformen, sondern durch Korruption und Untätigkeit auszeichne. In Interviews vertrat Firtasch dabei folgende Kernpositionen: Zum einen sprach er sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Stattdessen solle Europa einen "Marshallplan" für die Ukraine in Höhe von 300 Milliarden Euro auflegen. Auch sei es notwendig, eine Freihandelszone zwischen der EU und Russland zu errichten. Außerdem sprach er sich für eine "Föderalisierung" der Ukraine aus und bezeichnete das Sanktionsregime gegen Russland als "dumm". Kritische Beobachter haben nicht zuletzt aufgrund seiner fragwürdigen Vergangenheit, seiner Beziehungen nach Russland sowie der auffälligen Ähnlichkeit seiner Rhetorik mit den offiziellen "Reformvorschlägen" des Kremls für die Ukraine darauf hingewiesen, dass Firtasch mit der Agentur vor allen Dingen versuche, sein Image im Ausland zu polieren, gleichzeitig jedoch auch eine parallele Reformagenda und Außenpolitik gegenüber Russland und der Ukraine lobbyiere. Während die von Firtasch initiierte Gründung der Agentur in Wien sich offensichtlich vorrangig an einen ausländischen Adressatenkreis richtet, zeichnet er von sich das Bild eines "Reformers", der in Opposition zur Regierung steht, zuletzt verstärkt auch in der Ukraine selbst. Im Zuge der jüngsten Eskalation des Konfliktes um seine Wirtschaftsaktivitäten bezeichnete er in einem Interview, das Anfang Juni 2015 in dem ihm und seinem Vertrauten Serhij Ljowotschkin gehörendem Fernsehsender "Inter", dem größten privaten TV-Kanal des Landes, ausgestrahlt wurde, den Kampf der Regierung gegen die Oligarchen als einen Angriff auf das gesamte ukrainische Unternehmertum. Als Präsident des Unternehmerverbandes warf er der Regierung zudem vor, kein Interesse an einer Beendigung des Krieges im Donbass zu haben, da dieser der Regierung diene, indem er von ihrer Reformuntätigkeit ablenke. Parallel meldete sich der ehemalige Kanzleichef Janukowytschs und derzeitige Abgeordnete des Oppositionsblocks Ljowotschkin in einem Gastbeitrag in der Zeit zu Wort, in dem er Poroschenko als "Spalter" der Ukraine bezeichnete und auf Unterdrückungsversuche hinwies, denen die Opposition in der Ukraine derzeit ausgesetzt sei. Firtaschs Versuch, sich öffentlich als Oppositioneller zu profilieren, ist für ukrainische Oligarchen recht untypisch. Sein Kalkül scheint jedoch nicht nur zu sein, den aus den Überresten der Partei der Regionen hervorgegangenen Oppositionsblock zu stärken, sondern auch sämtliche gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungen dem Vorwurf einer politischen Motivation auszusetzen.

Fazit

Die unterschiedlichen Strategien, mit denen ukrainische Oligarchen öffentlich handeln, stellen nicht nur eine Reaktion auf den ihnen gegenüber ausgeübten Druck dar, sondern auch ein Spiegelbild ihrer unterschiedlichen Positionen im Machtgefüge der Post-Maidan-Ukraine. Darüber hinaus sind ihre Öffentlichkeitsstrategien auch existenzieller Bestandteil ihrer tatsächlichen Handlungsstrategien um Einfluss- und Machtsicherung und orientieren sich an ihren jeweiligen Geschäftsinteressen.

Rinat Achmetow gibt nach außen politische Neutralität vor, indem er sich vom Separatismus im Donbass distanziert hat, gleichzeitig jedoch nur verhaltene pro-ukrainische Positionen vertritt. Vielmehr stellt er sich selbst als Lokalpatrioten dar und gibt die Bekämpfung einer nationalen Katastrophe vor. Da seine Geschäftsinteressen sowohl im Donbass als auch in der übrigen Ukraine liegen und er gleichzeitig auch auf funktionierende Beziehungen sowohl zu Russland als auch zu Europa angewiesen ist, bewegt er sich dabei in einem sehr engen Korridor.

Ihor Kolomojskij hat indes zunächst von der mit dem Separatismus im Donbass einhergehenden russischen Aggression nach dem Sturz Janukowytschs profitieren und einen deutlichen Machtzuwachs verzeichnen können. Indem er sich öffentlich als Patriot profiliert und in der vulnerablen Region Dnipropetrowsk für Stabilität gesorgt hat, ist es ihm gelungen, Sympathien in der Bevölkerung zu gewinnen. Seine Ernennung zum Gouverneur wurde öffentlich toleriert, obwohl sich der Maidan insbesondere auch gegen Akteure wie ihn richtete. Zwar präsentierte sich Kolomojskij durch die Demonstration seiner Einflussmöglichkeiten als unverzichtbar, dennoch ist sein Versuch, das staatliche Gewaltmonopol im Zuge des Konfliktes um die Unternehmen Ukrnafta und Ukrtransnafta zu unterwandern, gescheitert. Da er wirtschaftlich in besonderem Maße von der Existenz der Ukraine abhängt, bleiben ihm jedoch keine anderen plausiblen Alternativen, als sich mit der Regierung zu arrangieren und zu versuchen, seinen Einfluss in den bestehenden Verhältnissen und Strukturen zu erneuern.

Dmytro Firtasch steht nicht nur national, sondern auch international unter größtem Druck. Im Ausland versucht er, seine Reputation zu pflegen, indem er sich als Reformer präsentiert. Zunächst schien es, als gelänge ihm der Versuch, namhafte internationale Fürsprecher für eine Reformagenda zu gewinnen, die seinen Einfluss in der Ukraine zukünftig sichern könnte und gleichzeitig der Position Russlands entgegenkommt. Mehrere ursprünglich in das Projekt der "Agentur zur Modernisierung der Ukraine" eingebundene Politiker, darunter Peer Steinbrück, haben ihre Arbeit mit Firtasch zuletzt jedoch aufgekündigt. In der Ukraine geht Firtasch derweil öffentlich auf Distanz zur Regierung und tritt als Sprachrohr des Unternehmertums sowie der Opposition auf. Seine aktiv betriebene Politisierung kann – ähnlich wie seine Verteidigungsstrategie beim Prozess in Wien um seine Auslieferung in die USA – dazu dienen, sich als politisch motiviertes Opfer zu stilisieren.

Gemein ist allen drei hier betrachteten Oligarchen, dass sie zuletzt deutlich an politischem und wirtschaftlichem Einfluss verloren haben. Ob sie dadurch mittelfristig auch ihren Oligarchen-Status verlieren, dessen Voraussetzung es ist, auf nationaler Ebene politische Entscheidungen beeinflussen zu können und gleichzeitig eine tragende volkswirtschaftliche Relevanz einzunehmen – und ob gegebenenfalls andere politisch aktive Unternehmer in entstehende Lücken stoßen werden –, wird sich allerdings erst in Zukunft zeigen.

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Fussnoten

Steffen Halling ist Doktorand der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und Promotionsstipendiat in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien an der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er forscht zu Oligarchen in der Ukraine und ihrem Öffentlichkeitsbild.