Einleitung
Dreieinhalb Monate war ich Mitglied der Auswahlkommission für den Posten des Direktors des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine (NABU). Früher stand ich dem Kampf gegen die Korruption, der sich als unecht und manipulativ darstellte, distanziert gegenüber. Stattdessen habe ich große Anstrengungen unternommen, um den Zugang zu Informationen und die Transparenz staatlicher Behörden zu verbessern. Dies war das Einzigmögliche, was, meiner Meinung nach, unter den gegebenen Bedingungen zur Einschränkung der Korruption beitragen konnte. Jedoch konnte ich mir die Chance nicht entgehen lassen, beim ersten Auswahlverfahren für die Elite der Strafverfolgungsbehörde dabei zu sein, an dem Vertreter von NGOs beteiligt sind. Dies habe ich als einen Reifetest für Staat und Zivilgesellschaft gesehen. Deshalb habe ich zugestimmt. Die Ergebnisse des Auswahlverfahrens sind in jeder Hinsicht interessant, und ich hoffe, dass meine Überlegungen zu diesem Thema für künftige ähnliche Ausschreibungen von Bedeutung sein können.
Herausforderungen der Korruptionsbekämpfung
Leider hat sich die Korruption zu einem Eckpfeiler der ukrainischen Staatlichkeit entwickelt. 2005 schrieb ich in dem Artikel "…Plus De-Kutschmaisierung des ganzen Landes" [Leonid Kutschma war bis zur Orangen Revolution 2004 Präsident der Ukraine, Anm. der Übersetzerin], dass die "neuen Gesetze nicht funktionieren werden, wenn die abstoßende halbfeudale Gesellschaftsordnung weiter bestehen bleibt, in der nur die, die an der Macht sind, eine Vorzugsbehandlung und Vergünstigungen erhalten, und wenn die Steuerbelastung so hoch ist, dass es ohne Diebstahl kein Auskommen gibt, dann ist jeder gegenüber dem Staat angreifbar und alle werden inoffizielle Zahlungen leisten müssen".
In den letzten zehn Jahren entwickelte sich dieses System weiter und erreichte seinen Höhepunkt im Regime von Präsident Viktor Janukowitsch. Ein Jahr nach der Revolution der Würde haben wir uns aber nicht weit von dem alten System entfernt. Genau wie früher werden Gelder aus dem Staatshaushalt auf verschiedene Weise unterschlagen – durch Korruption bei Staatseinkäufen, durch Kapitalflucht der staatlichen Monopolunternehmen, die Firmenvermögen an Tochterunternehmen im Ausland übertragen, durch die Zweckentfremdung staatlicher Finanzmittel usw. Die kriminellen Geschäfte werden vor allem durch die Strafverfolgungsbehörden gedeckt; Schmuggel, Erpressungen durch den Staat und Steuerhinterziehung blühen; Posten werden verkauft und so weiter. Vor dem Hintergrund der militärischen Aggression im Osten mit allen daraus resultierenden Folgen ist das extrem schändlich.
Der Hass auf die korrupten Schurken koexistiert problemlos mit der massenhaften Korruption im Alltag. Ukrainer glauben an die Notwendigkeit jedem (Beamten, Ärzten, Lehrern, Klempner usw.) für deren geleistete Dienste zu danken, und verstehen dabei nicht besonders gut den Unterschied zwischen einem Geschenk und einer Bestechung. Sie glauben, dass die Korruption beseitigt werden kann, wenn nur möglichst viele korrupte Menschen für lange Zeit hinter Gitter gebracht werden.
Diese Ansicht ist falsch, da sie auf einem Verständnis von Korruption als einem vorrangig moralischen Problem basiert. In Wirklichkeit ist es aber ein politisches und wirtschaftliches Problem. Am schlimmsten ist die Korruption auf der höchsten Ebene der Regierung. Vetternwirtschaft ersetzt marktwirtschaftliche Beziehungen, und ohne einen echten Markt, ohne Trennung von Wirtschaft und Politik kann Korruptionsbekämpfung, die nur auf Strafmaßnahmen basiert, keinen Erfolg haben. Es werden vielmehr auch Verwaltungsreformen benötigt, wie die Einführung moderner Informationstechnologien, der Abbau staatlicher Kontrolle über die Wirtschaft, die Einführung von Barrieren gegen Korruption wie zum Beispiel die Pflicht zur Offenlegung von Einnahmen und Ausgaben der Beamten. Jedoch werden weder die neuen Gesetze noch die neuen Behörden, wie das Nationale Antikorruptionsbüro und die Nationale Agentur zur Bekämpfung von Korruption, helfen, wenn sich die Beziehungen zwischen der Wirtschaft und der Regierung nicht grundlegend ändern werden. Vor kurzem gab es ermutigende Anzeichen solcher Veränderungen.
So soll die Regierung sich vorrangig um die Vereinfachung von Regulierungsverfahren kümmern, einschließlich der Genehmigungsverfahren und der Einführung elektronischer Verwaltungsdienstleistungen, die den menschlichen Faktor in der Entscheidungsfindung beseitigen. Dies sollte den korruptionsbedingten Druck auf die Wirtschaft reduzieren. Es gibt Gesetzentwürfe über die obligatorische Offenlegungen der Einkünfte und Ausgaben sowie die Überprüfung der Steuererklärungen der Beamten, über eine Steueramnestie, die Begrenzung von Barzahlungen, und über die Belohnung von Beamten für ehrliches Verhalten. Die Zahl der Strafverfahren gegen Beamte auf verschiedenen Ebenen wegen Korruptionsdelikten ist deutlich gestiegen. Der Präsident verkündete einen neuen Kurs Richtung Deoligarchisierung, welche unmittelbar mit der Trennung von Großunternehmen und Staat verbunden ist. Der Beleg für diesen Kurs war der Konflikt mit der Finanzindustriellen Gruppe "Privat" und dem darauf folgenden Rücktritt des Oligarchen Ihor Kolomojskyj vom Posten des Gouverneurs der Region Dnipropetrowsk. Die Zeit wird zeigen, ob dieser Trend anhält.
Das Auswahlverfahren
Aber zurück zum Auswahlverfahren. Das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) ist eine Strafverfolgungsbehörde, zu deren Aufgaben die Vorbeugung, Aufdeckung, Verhinderung, Untersuchung und Ermittlung im Bezug auf Korruptionsdelikte auf den höchsten Ebenen der Regierung, nämlich der Beamten ersten und zweiten Ranges im öffentlichen Dienst, gehören.
Gemäß dem Gesetz zum NABU sollte die Auswahlkommission aus neun Mitgliedern bestehen, von denen drei vom Präsidenten, drei von der Regierung und drei vom Parlament ernannt wurden. Nach diesem Verfahren wurden folgende Personen ausgewählt: Refat Tschubarow, Historiker und Vorsitzender der Medschlis, der Abgeordnetenversammlung der Krimtataren; Jaroslaw Gryzak, Historiker und Professor der Ukrainischen Katholischen Universität in Lwiw und ich, Jewgenij Zacharow, Aktivist und Rechtschützer, Direktor der Charkiwer Organisation für Menschenrechte; Jurij Butusow, Journalist und Chefredakteur der Internetseite censor.net; Joseph Zisels, Aktivist und Menschenrechtler, Vorsitzender des Kongresses der ethnischen Gemeinden [Minderheiten] der Ukraine; die Rechtsanwältin Olexandra Janowska, Professorin an der Akademie der Rechtsanwälte, Ad-hoc-Richterin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte; der Jurist Giovanni Kessler, Leiters des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), der Rechtsexperte Viktor Musijaka, Professor an der Kiewer Mohyla Akademie; und Jewgenij Nischtschuk, Schauspieler am Nationaltheater Iwan Franko in Kiew und ehemaliger Kulturminister der Ukraine.
Das erste Treffen der Auswahlkommission fand am 9.Januar 2015 statt und beschäftigte sich ziemlich lange mit der Ausschreibung der Stelle, da das Gesetz die erforderlichen Qualifikationen für das Amt unklar formuliert. Ein zentraler Streitpunkt war, ob Ausländer für das Amt kandidieren dürfen. Das Gesetz kann diesbezüglich auf zwei Weisen interpretiert werden. Im Ergebnis wurden die ausländischen Kandidaten zum Auswahlverfahren unter einer Bedingung zugelassen, die ihre Teilnahme nahezu ausgeschlossen hat: sie sollten vor Ablauf der Frist für die Einreichung der Dokumente die ukrainische Staatsbürgerschaft erwerben. Im Ergebnis nahm nur ein Ausländer am Auswahlverfahren teil, der ehemalige stellvertretende Generalstaatsanwalt Georgiens David Sakwarelidze.
Gemäß der Vorgaben muss der Direktor des NABU die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen, einen Universitätsabschluss in Rechtswissenschaften vorweisen und über Berufserfahrung auf dem Gebiet des Rechts von mindestens zehn Jahren verfügen, davon mindestens fünf Jahre in leitenden Positionen. Er soll unter 65 Jahre alt sein, die offizielle Landessprache [d. h. Ukrainisch] sprechen und fähig sein aufgrund seiner beruflichen und moralischen Qualitäten, seines Bildungs- und Berufsniveaus und seines Gesundheitszustandes den Pflichten des Amtes nachkommen zu können. Nicht zum Direktor des NABU ernannt werden dürfen Personen, die über zwei Jahre eine leitende Position in einer politischen Partei inne hatten oder vertragliche Beziehungen mit einer Partei unterhielten, sowie Personen, die in den letzten zwei Jahren in Sondereinheiten der Strafverfolgungsbehörden zur Bekämpfung der Korruption gearbeitet haben.
Ab der Veröffentlichung der Anzeige am 12. Januar 2015 lief die Bewerbungsfrist für einen Monat. Am 11. Februar wurden llagen der 176 Bewerber geöffnet. Vom 11. bis 21. Februar wurden die Unterlagen auf der Internetseite des Präsidenten veröffentlicht. Die Auswahlkommission studierte alle Bewerbungsunterlagen und identifizierte 106 Bewerber, die die formalen Anforderungen an das Amt erfüllten. Vom 23. bis 28. Februar führte die Auswahlkommission Interviews mit diesen 106 Kandidaten durch und wählte 21 für die nächste Stufe des Auswahlverfahrens aus, die die Unterstützung von drei oder mehr Mitgliedern der Auswahlkommission erhalten hatten. Vom 2. bis 6. März führte die Auswahlkommission ausführlichere Interviews mit diesen Bewerbern durch und bestimmte am 6. März die vier besten Kandidaten, von denen zwei oder drei dem Präsidenten zur Ernennung vorgeschlagen werden sollten.
Die Unterlagen dieser vier Kandidaten wurden am 10. März von der Präsidialverwaltung zu einer speziellen Überprüfung und einer Kontrolle gemäß den Vorgaben des Lustrationsgesetzes eingereicht. Diese Verfahren dauerten länger als erwartet. Einer der vier Kandidaten, Jakiw Waritschew, hat die Überprüfung durch den SBU [den ukrainischen Geheimdienst] nicht bestanden. So blieben drei Kandidaten im Rennen: Artem Sytnyk, Mykola Siryj und Viktor Tschumak. Am 6. April hat die Auswahlkommission noch ein weiteres Interview mit den Kandidaten geführt und entschied sich endgültig für Sytnyk und Siryj. Alle Sitzungen der Auswahlkommission wurden in Echtzeit im Internet übertragen. Am 16. April 2015 ernannte Präsident Petro Poroschenko den 35jährigen Staatsanwalt Artem Sytnyk, der im Zeitraum vom 2001 bis 2011 als Ermittler der Staatsanwaltschaft gearbeitet hatte, zum Direktor des NABU.
Probleme der Kommissionsarbeit
Die Frage "Wofür brauchen Sie das?" verfolgt mich seit über 25 Jahren. Ich höre diese Frage immer wieder, wenn ich eine Anfrage beim Innenministerium oder beim Geheimdienst einreiche, oder Änderungen bei Verwaltungsverfahren vorschlage, oder irgendeinen Menschen zu schützen versuche. Beim Auswahlverfahren war es das gleiche. Viele glaubten, dass die Aufgabe der Auswahlkommission darin bestand, die Bewerbungsunterlagen durchzuschauen, die zehn besten Kandidaten auszuwählen, um ein halbstündiges Interview mit ihnen durchzuführen, dann die drei Besten auszuwählen und ihre Namen an den Präsidenten weiterzuleiten und das war’s.
Ich bestand darauf, dass jeder, der sich für das Amt beworben hatte und den formalen Vorschriften entsprach, das Recht bekam, mindestens ein Gespräch mit der Auswahlkommission zu führen, um zu erklären, warum er Direktor des NABU werden möchte. Denn, wenn wir diesen Wunsch des Kandidaten ablehnen, gleicht dies einer Diskriminierung durch uns. Ein großes Problem war die Erfüllung des Quorums, d. h. die Pflicht zu jeder Sitzung der Auswahlkommission mindestens sechs der neun Mitglieder zusammen zu bekommen. Vor allem in den ersten beiden Phasen des Auswahlprozesses, als wir täglich gezwungen waren, gemeinsam für die Prüfung der Bewerbungsunterlagen und die erste Interviewrunde Zeit zu finden. Giovanni Kessler hat in dieser Zeit nicht teilgenommen, Jaroslaw Gryzak war krank und hatte wichtige Auslandsreisen. Zweimal musste Joseph Zisels ins Ausland reisen. Jewgenij Nischtschuk und Jurij Butusow waren in Kiew, aber sie konnten wegen ihrer Arbeit an den Sitzungen nicht teilnehmen. Jewgenij Nischtschuk hatte fast täglich Theaterproben und zwei Aufführungen, für Jurij Butusow waren die Ereignisse im Osten der Ukraine zweifellos wichtiger.
Da alle Mitglieder der Auswahlkommission ehrenamtlich arbeiteten, konnten keine Ansprüche an sie gestellt werden: jeder Freiwillige gibt so viel Zeit wie er kann, weil er in seiner Freizeit arbeitet. Andererseits gilt aber auch, dass, wer seine Zustimmung zur Arbeit in der Auswahlkommission gegeben hat, damit eine gewisse Verantwortung übernimmt und wer nicht teilnehmen kann, lieber verzichten sollte. Ich denke, dass es in Zukunft angemessen wäre, eine schriftliche Verpflichtung der Mitglieder zur Teilnahme an den Sitzungen der Auswahlkommission einzuholen.
Auswahlkriterien
Das öffentliche Interesse am Auswahlverfahren war groß. Der Verlauf des Auswahlverfahrens, die Kandidaten, ihre Qualifikationen, ihr Vermögen und ihre Fähigkeiten wurden ständig im Fernsehen, in Printmedien, im Internet und in den sozialen Netzwerken diskutiert. Viele glaubten, dass alles bereits entschieden sei und es eigentlich kein echtes Auswahlverfahren geben werde. Als Namen des bereits sicheren Kandidaten wurden entweder David Sakwarelidze, Viktor Tschumak oder Anatolij Matios genannt. Einige erfanden Szenarien, dass der Präsident "seinen eigenen" Kandidaten durchsetzen wollte, wehrten sich dagegen und feierten anschließend ihren Erfolg bei der Verhinderung dieses Szenarios. Das war erheiternd, da es keine solchen Szenarien gab.
Natürlich hatte die Präsidialverwaltung, wie alle anderen, ihre eigenen Vorstellungen bezüglich geeigneter und ungeeigneter Kandidaten, aber ich kann versichern, dass es weder Druck, noch Ratschläge oder Empfehlungen von Seiten der Präsidialverwaltung gab. Solche Ratschläge und Empfehlungen haben wir von einigen Parlamentsabgeordneten und von zivilgesellschaftlichen Organisationen erhalten. In einigen Fällen gab es neben durch Massenmedien verbreitete Empfehlungen auch Briefwechsel mit der Auswahlkommission und Berichte über die Beurteilung der Kandidaten mit dem Versuch, unsere Wahl zu beeinflussen. Jedoch kann sogar solches Verhalten nicht als Druck bezeichnet werden.
Bezüglich der erforderlichen Qualifikationen des Direktors haben in der öffentlichen Debatte zwei Ansichten dominiert. Die erste pragmatische, die auch ich teilte, die aber bei wesentlich weniger Menschen Unterstützung fand, ist folgende: Der zukünftige Direktor des Nationalen Antikorruptionsbüros sollte eine starke Persönlichkeit sein, anständig, prinzipientreu, ein erfahrener Profi, der Erfahrung in der erfolgreichen Verfolgung von Straftaten besitzt.
Die zweite Vorstellung vom Profil des passenden Bewerbers war viel populärer: Er darf auf keinen Fall ein (auch nur ehemaliger) Polizeibeamter sein, da diese alle korrupt sind, und mit so einem Direktor wird auch die neue Institution zwangsläufig korrupt werden. Deshalb müssen wir entweder einen Ausländer wählen, der hier zu Lande keine Paten, Verwandte, Landsleute und Freunde hat oder eine bekannte Person mit einem tadellosen Ruf, die sich außerdem mit dem Phänomen der ukrainischen Korruption gut auskennt. Oft meinten die Vertreter dieser Ansicht, dass es nicht notwendig ist, jemanden mit Erfahrung in Rechtsfragen und Strafverfolgung für dieses Amt zu ernennen. Dabei haben sie sich keine Gedanken darüber gemacht, wie eine solche Person die Untersuchung von Korruptionsdelikten organisieren soll. Bei den Mitgliedern der Auswahlkommission waren beide Ansichten vertreten.
Die Bewerber
Die Kandidaten für das Amt können in die folgenden zwei Gruppen unterteilt werden. Erstens waren aktive oder ehemalige Beamte aus dem Innenministerium, dem Geheimdienst, der Staatsanwaltschaft und ähnlicher Behörden vom Major bis zu Generälen vertreten. Zweitens bewarben sich Geschäftsleute, Anwälte, Wissenschaftler, Steuerexperten, von denen einige eine gewisse Erfahrung in der Strafverfolgung nachweisen konnten. Vor die Auswahlkommission traten viele interessante Menschen, deren Ambitionen auf den Posten des Direktors berechtigt waren. Es waren viele herausragende Persönlichkeiten dabei.
So konnte die Lage die Auswahlkommission mit der von Agafja Tichonovna aus Gogols "Die Heirat" verglichen werden: "Wenn man die Lippen von Nikanor Iwanowitsch, die Nase von Iwan Kusmitsch und etwas von der Gewandtheit nehmen könnte, die Baltasar Baltasarowitsch besitzt, und vielleicht noch ein bisschen von der Stattlichkeit des Iwan Pawlowitsch dazutun würde – dann könnte ich mich gleich entscheiden." Es gab keinen Kandidaten gegen den die Mitglieder der Auswahlkommission keine Einwände hatten. Gleichzeitig wurden auch die Vorteile der Kandidaten von den Mitgliedern der Auswahlkommission unterschiedlich eingeschätzt.
Zum Beispiel ist es für mich immer noch ein Rätsel, warum die Mitglieder der Auswahlkommission in der zweiten Runde der Interviews Galyna Klymowytsch nicht unterstützt haben, die ehemalige Ermittlerin der Generalstaatsanwaltschaft in besonders wichtigen Fällen, bekannt für ihre Unabhängigkeit, Prinzipientreue, Unbestechlichkeit und die erfolgreiche Aufklärung von vielen Verbrechen. Man könnte meinen, das ist die künftige Direktorin! In ihrem professionellen Umfeld ist sie eine Autorität. Vielleicht spielte eine Rolle, dass die Mehrheit der Mitglieder der Auswahlkommission keine Ahnung von diesem Umfeld hatte? Vielleicht unternahm Galyna Iwaniwna nicht genug, um ihre Qualifikationen aufzuzeigen, erzählte nichts über ihre Erfolge? Wie auch immer, sie schaffte es nicht in die abschließende Auswahlphase.
Das gleiche gilt für einen anderen meiner Meinung nach sehr starken Kandidaten, Gennadij Wasyukow, den ich persönlich zum Direktor ernannt hätte. Mit seinen 40 Jahren gelang es ihm, eine Karriere bei der Steuerbehörde und der Steuerpolizei zu machen, er bekam drei Hochschulabschlüsse, hat eine Doktorarbeit geschrieben, und war in den letzten vier Jahren als Geschäftsmann erfolgreich. Er hatte ein tiefes Verständnis für das Phänomen der Korruption und schlug originelle Antikorruptionsmaßnahmen vor. Aber nur zwei Mitglieder der Auswahlkommission stimmten für ihn. Vielleicht hat der Stereotyp des korrupten Steuerbeamten ihre Entscheidung beeinflusst? Vielleicht hat das Argument von Jurij Butusow die Mitglieder der Auswahlkommission überzeugt, der sagte: "Wie wird die Gesellschaft unsere Wahl beurteilen, wenn wir den ehemaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrates des Alkoholproduzenten ›Hortyzja‹ unterstützen?"
Es gab noch andere starke Kandidaten, die ich jedoch nicht unterstützt habe. Als sehr professionell und mit vielfältigen Kenntnissen und Fähigkeiten fielen Anatolij Matios und Dmytro Gorjatschew auf. Sie arbeiteten unter Präsident Janukowitsch in der Präsidialverwaltung bzw. dem Geheimdienst und aus diesem Grund habe ich sie abgelehnt. Die mit hervorragender beruflicher Erfahrung ausgestatteten Bewerber Dawid Sakwarelidze und Jurij Suchow haben in erster Linie auf die Straffunktion des NABU gesetzt. Ich glaube aber, dass zu viele Strafverfahren zu keinem positiven Ergebnis führen werden. Man sollte nicht Skalpell und Axt verwechseln. Aus einem anderen Grund habe ich Mykola Siryj und Viktor Tschumak nicht unterstützt. Beide sind für ihre Prinzipientreue und Unabhängigkeit bekannt, aber sie verfügen über fast keine Erfahrung in der Strafverfolgung, was aus meiner Sicht eine wesentliche Voraussetzung für diese Position darstellt.
Über Erfahrung in der Verbrechensaufklärung verfügen hingegen Jakiw Waritschew und Artem Sytnyk. Artem Sytnyk beeindruckte die Kommission durch seine Kompetenz, Prinzipientreue und einen starken Charakter. Man hatte den Eindruck, dass zehn Arbeitsjahre als Ermittler ihn nicht verdorben haben, dass er im Stande ist, unzulässigen Einflüssen zu widerstehen. Waritschew wirkte überzeugender. Er fiel durch seine ungewöhnliche Biografie auf. Als Ermittler in besonders wichtigen Fällen der Generalstaatsanwaltschaft der UdSSR, in den späten 1980er Jahren, verbuchte er einen großen Erfolg bei der Korruptionsbekämpfung in Zentralasien und Aserbaidschan und leitete dabei ein großes Untersuchungsteam. Dann kehrte er in die Ukraine zurück, obwohl ihm nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hohe Positionen in der Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation angeboten wurden. Aus familiären Gründen (Krankheit des Sohnes) zog er nach Spanien. Nach seiner Rückkehr war er einer der wenigen Anwälte, die in der Ukraine und Russland tätig waren. Als intelligenter, professioneller und offener Mensch, der seine Gedanken präzise formuliert, hat er die meisten Mitglieder der Auswahlkommission beeindruckt. Waritschew hat aber die Überprüfung durch den Geheimdienst nicht bestanden.
Die Entscheidung des Geheimdienstes enthielt rechtswidrig den Stempel "geheim", so dass weder die Mitglieder der Auswahlkommission, die keinen Zugang zu Staatsgeheimnissen haben, noch Waritschew selbst Einsicht in die Unterlagen erhalten haben. Mein Eindruck ist, dass dem Geheimdienst eine eigene Kanzlei in Russland und häufige Reisen dahin verdächtig erschienen sind. Ich denke, dass es ein Fehler war, einen Mann, der viele Vorteile für den Staat bringen könnte, von der Arbeit in staatlichen Einrichtungen auszuschließen. Warichews Ausschluss aus dem Auswahlverfahren hat die Mitglieder der Kommission stark getroffen, die für ihn stimmen wollten. Das Schicksal des Auswahlverfahrens hing in der Schwebe, da mehrere Kommissionsmitglieder wegen der Einschränkung ihrer Wahlmöglichkeiten verärgert waren und die Zweckmäßigkeit eines neuen Auswahlverfahrens diskutierten. Letztendlich hat der gesundes Menschenverstand gesiegt: Die Kommission hat für zwei Kandidaten gestimmt, Sytnyk und Siryj, und das Auswahlverfahren endete gut. Am 16. April 2015 ernannte Präsident Petro Poroschenko Artem Sytnyk zum Direktor des NABU.
Ausblick
Ich hoffe, dass das Nationale Antikorruptionsbüro funktionieren wird. Mittlerweile versteht jeder, dass die Korruption selbst verglichen mit dem Krieg sehr bedrohlich für das Land sein kann und bereits jetzt eine Gefahr für die Staatlichkeit darstellt. Die Gesellschaft wird das Büro unterstützen, sobald es gute Ergebnisse vorweisen wird, und wird seine Verwandlung in eine Farce verhindern, selbst wenn hochrangige Regierungsvertreter dies wünschen sollten. Übersetzung aus dem Ukrainischen: Lina Pleines