Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Analyse: Auf der Suche nach der engagierten Bürgerschaft: Örtliche Selbstverwaltung und bürgerliche Selbstorganisation | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? Analyse: Die hohen Kosten des Krieges: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die Armut verschärft Chronik: 22. Februar bis 7. März 2023 Besatzungsregime / Wiedereingliederung des Donbas (27.03.2023) Analyse: Etablierungsformen russischer Herrschaft in den besetzten Gebieten der Ukraine: Wege und Gesichter der Okkupation Karte: Besetzte Gebiete Dokumentation: Human Rights Watch: Torture, Disappearances in Occupied South. Apparent War Crimes by Russian Forces in Kherson, Zaporizhzhia Regions (Ausschnitt) Dokumentation: War and Annexation. The "People’s Republics" of eastern Ukraine in 2022. Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. März, Feminismus und Krieg in der Ukraine: Neue Herausforderungen, neue Möglichkeiten Umfragen: Umfragen zum Internationalen Frauentag Interview: "Der Wiederaufbau braucht einen geschlechtersensiblen Ansatz" Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Korruptionsbekämpfung (08.03.2023) Analyse: Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine Dokumentation: Statistiken und Umfragen zu Korruption Analyse: Reformen, Korruption und gesellschaftliches Engagement Chronik: 1. bis 10. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Analyse: Auf der Suche nach der engagierten Bürgerschaft: Örtliche Selbstverwaltung und bürgerliche Selbstorganisation

Mykhaylo Banakh

/ 8 Minuten zu lesen

Viele Ukrainer wünschen sich mehr Mitbestimmung in ihren Städten und Dörfern. Die ukrainische Regierung hat eine stärkere Dezentralisierung sogar gesetzlich vorgeschrieben. Bisher fehlt es aber an zivilgesellschaftlichen Engagagement vor Ort.

Die Ukrainer tragen ihren Staat: Was mit inszenierter Symbolik beim Unabhängikeitstag in Kiew demonstriert wird, muss in der Praxis in den Städten und Gemeinden noch umgesetzt werden. Die Regierung fordert eine stärkere Dezentralisierung. (© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Dezentralisierung ist eine der wichtigsten Reformen in der Ukraine. Ihre Implementierung sieht aber nicht nur entschlossene Schritte der Regierung und des Parlamentes, sondern auch eine aktive Beteiligung der BürgerInnen in ihren Städten und Gemeinden vor. Ohne bürgerliche Selbstorganisation und ohne lokale Selbstverwaltung, die dezentralisierte öffentliche Aufgabenwahrnehmung bedeutet, ist die erfolgreiche Übertragung von Kompetenzen und Befugnissen auf die Regionen nicht möglich. Aus diesem Grund ist das zivilgesellschaftliche Engagement vor Ort die Voraussetzung für den Erfolg der eingeleiteten Reform. In dem vorliegenden Beitrag wird dargestellt, inwieweit ukrainische BürgerInnen auf kommunaler Ebene gesellschaftspolitisch engagiert und zur lokalen (örtlichen) Selbstverwaltung bereit sind. Vom 5. bis zum 16. November 2014 wurde im Auftrag der Assoziation der Städte der Ukraine und der Stiftung "Demokratische Initiativen" eine Umfrage unter der städtischen Bevölkerung durchgeführt. Insgesamt wurden 1.803 Einwohner der 60 ukrainischen Städte befragt. Eines der Forschungsziele war es festzustellen, inwieweit Städter zum zivilgesellschaftlichen Engagement vor Ort und/oder zur Mitwirkung bei der örtlichen Selbstverwaltung bereit sind.

Gesetzliche Verankerung der örtlichen Selbstverwaltung in der Ukraine

Die örtliche Selbstverwaltung findet ihre gesetzliche Grundlage in der ukrainischen Verfassung. Die Regelung im Abschnitt XI Misceve samovrjaduvannja berechtigt die Einwohner eines Dorfes, einer Stadt oder eines freiwilligen Zusammenschlusses ländlicher Gemeinden, selbständig über Fragen von lokaler Bedeutung zu entscheiden. Die Ausübung der im Rahmen dieses Gesetzes vorgesehenen Vollmachten und Kompetenzen erfolgt durch gewählte VertreterInnen der betreffenden Kommune, sogenannte Dorf-, Orts- bzw. Stadträte. Die Räte der örtlichen Selbstverwaltung arbeiten in vielen Fragen mit den Organen der staatlichen Exekutive auf der jeweiligen Ebene zusammen und üben gleichzeitig Kontrollfunktionen aus. So steht es ihnen unter anderem zu, die Haushalte zu kontrollieren oder bei Bedarf Referenden abhalten zu lassen. Auch bei kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungsprogrammen haben sie Mitsprache- und Mitwirkungsrechte.

Die obengenannten Räte können den Bewohnern auf deren Initiative hin eigene Haus-, Straßen-, Stadtviertel- und sonstige Organe der örtlichen Selbstverwaltung genehmigen und ihnen eigene Teilkompetenzen, Finanzen und Vermögen zuteilen. Zu den finanziellen Ressourcen, über welche die örtliche Selbstverwaltung verfügt, gehören Einnahmen aus lokalen Steuern und Erträge aus der Nutzung kommunalen Eigentums sowie aus dem Betrieb öffentlicher Unternehmen. Im Rahmen der örtlichen Selbstverwaltung können dementsprechend bürgerschaftliche Initiativen vor Ort zur Entfaltung kommen.

Der Begriff "örtliche Selbstverwaltung" ist eine wörtliche Übersetzung aus dem Ukrainischen. Im deutschsprachigen Raum sind die Begriffe "lokale Selbstverwaltung" oder auch "kommunale Selbstverwaltung" gängiger. Da die örtliche Selbstverwaltung in der Ukraine nicht nur Dorf-, Orts- und Stadträte, sondern auf kommunaler Ebene auch Bezirks- und Gebietsräte umfasst und die Räte auf allen diesen Ebenen als "Organe der örtlichen Selbstverwaltung" bezeichnet werden, kann der Terminus "örtliche Selbstverwaltung" nicht mit der kommunalen Selbstverwaltung im westlichen Sinn gleichgesetzt werden

Bürgerliche Mitbestimmung: Einflussmöglichkeiten in der eigenen Stadt und Bereitschaft zur gesellschaftspolitischen Teilhabe vor Ort

Laut der obengenannten repräsentativen Befragung sind drei von vier BürgerInnen (73,6 %) mit ihrem Einfluss auf die Entscheidungen in ihrer Stadt nicht zufrieden. Nur etwa jede/r zehnte Befragte (8,6 %) war mit den vorhandenen Einflussmöglichkeiten zufrieden oder eher zufrieden. Beachtlich ist, dass 17,8 % der Befragten ihren Einfluss nicht einschätzen und die Frage nicht beantworten konnten (vgl. Grafik 1). Es wurden unter anderem die Anstrengungen der Stadtverwaltung, bestimmte lokale Probleme zu lösen, bewertet. Die Einflussmöglichkeiten der Bürger auf die lokale Politik haben nur 4,2 % der Befragten als gut oder eher gut eingeschätzt (vgl. Grafik 2).

Nur etwa 38,6 % der Befragten waren bereit, ihre eigene Stadt mitzugestalten und sich aktiv an der kommunalen Entwicklung zu beteiligen. 42,9 % erteilten dem lokalen freiwilligen Engagement und der kommunalen Mitbestimmung eine Absage. Fast jeder/e fünfte Befragte (18,5 %) war unentschlossen (vgl. Grafik 1). Warum sind so wenige bereit, sich in ihrer Stadt sozial oder politisch einzubringen? 17,9 % der Befragten haben kein Interesse und 16,2 % schlechthin keine Zeit für freiwilliges Engagement, jeder/e fünfte Befragte (21,9 %) konnte die Frage nicht beantworten. 44,6 % wussten nicht, wie sie sich einbringen können, oder glaubten nicht, dass ihr Engagement etwas verändern kann (vgl. Grafik 3). Fast jeder zweite Städter wäre dementsprechend für solch ein Engagement zu gewinnen, wenn ihm/ihr die Perspektiven solch einer aktiven Beteiligung aufgezeigt würden.

Gesellschaftspolitisches Engagement auf lokaler Ebene und Interesse an der kommunalen Politik

Gesellschaftspolitisches Engagement in Städten und Gemeinden findet in vielfältigen Formen statt. Neben konventionellen Beteiligungsformen wie der Wahlbeteiligung oder einer freiwilligen Mitarbeit in politischen Parteien und lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen werden auch unkonventionelle Formen wie die Teilnahme an Demonstrationen und Kundgebungen oder die Unterzeichnung von Petitionen wahrgenommen. BürgerInnen können sich darüber hinaus in weniger formalisierten Selbsthilfegruppen, Wohnquartierkomitees, Stadtteil- und Elterninitiativen organisieren.

Um sich gesellschaftspolitisch zu beteiligen, muss man eine klare Vorstellung davon haben, wie das politische System in einer Demokratie funktioniert, warum die Mitbestimmung wichtig ist und was die eigene Mitwirkung bewegen kann. Insgesamt weist die städtische Bevölkerung in der Ukraine Interesse an der kommunalen Politik auf: 9,2 % der Befragten interessieren sich sehr und 49,9 % etwas für die Tätigkeit der Organe der örtlichen Selbstverwaltung. Etwa jeder/e dritte Befragte (32,3 %) hat gar kein Interesse an der kommunalen Politik und 8,7 % haben keine Meinung dazu (vgl. Grafik 4).

Das Interesse an Politik korreliert wohl auch mit der politischen Partizipation. Dies kann als ein Vorteil der ukrainischen Zivilgesellschaft bewertet werden, denn nicht eine mangelnde Partizipation erweist sich für eine Demokratie als gefährlich, sondern die Unwissenheit über Sachprobleme und die Funktionslogik des Politischen. Zunächst muss das Grundwissen über Politik und Gesellschaft geschaffen werden. Dazu gehört auch die Meinung über Politik. Dann kommen die Meinungsbildung sowie gewisse politische Präferenzen und erst danach die eigentliche Partizipation in Politik und Gesellschaft. Es scheint eine logische Reihenfolge zu sein. Im Umkehrschluss würde ein mangelndes Verständnis des Politischen auch ein mangelndes politisches Bekenntnis und geringere Partizipation bedeuten. Sich unterschiedlich stark für Politik zu interessieren, bedeutet also auch, sich stark oder gering politisch zu beteiligen.

Wie drückt sich dann das allgemeine Interesse an der Politik in konkreten Partizipationsformen aus? Welche Beteiligungsformen werden von ukrainischen BürgerInnen bevorzugt? 44 % der Befragten präferieren die Kommunalwahlen, fast jeder/e Zehnte Städter (9,9 %) würde sich zur Wahl stellen, was das Interesse an der kommunalen Politik bestätigt. 13,5 % der Befragten sind bereit, sich an der Landschaftsgestaltung an ihrem Wohnsitz zu beteiligen. 13 % würden an öffentlichen Anhörungen örtlicher Verwaltungsorgane, jede/r zehnte an Straßenprotesten (10,4 %) teilnehmen. 8,4 % der Befragten bevorzugen das Engagement in Freiwilligeninitiativen und etwa 4,1 % würden sich eher finanziell beteiligen (vgl. Grafik 5). Auf die Frage nach möglichen Einsatzgebieten antworteten 28,6 %, dass kein Bereich für sie annehmbar wäre und sie sich niemals ehrenamtlich engagieren würden. 18,8 % waren unentschlossen und konnten die Frage nicht beantworten (vgl. Grafik 6). Von Städtern wurden unter anderem folgende Bereiche des ehrenamtlichen Engagements genannt: Hilfe für Waisenkinder (22,7 %), Hilfe für ukrainische Soldaten (18,4 %), Menschenrechte (13,2 %) und Hilfe für Binnenflüchtlinge (6,3 %).

Beteiligung an der Arbeit der zivilgesellschaftlichen Organisationen

Einerseits wünschen sich Städter eine starke Zivilgesellschaft, die Entscheidungen der Verwaltung beeinflussen kann. Andererseits können sich die lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen keines großen Zulaufs an Mitgliedern und ehrenamtlichen Mitarbeitern erfreuen. Obwohl etwa jede/r dritte Befragte lokale freiwillige Bürgervereinigungen kennt und über ihre Tätigkeit informiert ist (vgl. Grafik 7), engagiert sich nur jeder/e Zehnte in diesen Organisationen (vgl. Grafik 8).

Berücksichtigt man auch andere Formen des persönlichen Engagements wie etwa Geldspenden, so liegt der Anteil der aktiven BürgerInnen wesentlich höher. Über 52 % der Befragten haben in den zurückliegenden zwölf Monaten für eine Organisation oder eine Bürgergruppe, die gesellschaftliche Probleme zu lösen versucht, gespendet (vgl. Grafik 9). Wer wenig Zeit hat, um sich für gesellschaftliche Belange einzusetzen, spendet einen Teil seines Einkommens für gemeinnützige Vereine. Das Bereitstellen von Geld gehört ebenfalls zum freiwilligen Engagement und findet in der Ukraine immer größere Verbreitung: Im Jahr 2006 spendete nur jeder vierte Bürger Geld (27,7 %).

Rückblick: Gemeinschaftsaktivitäten im Jahr 2005

Die oben dargestellten Zahlen muss man im Vergleich sehen. Wie weit war diese Art des lokalen Engagements im Jahr 2005 – ein Jahr nach der Orangen Revolution – verbreitet? Laut einer Umfrage des Razumkov-Zentrums lag die aktive Beteiligung zwischen 2% und 3,6 % (vgl. Grafik 10). Knapp 30 % der Befragten waren bereit, sich an der Arbeit der Wohnquartier-Komitees und der Initiativgruppen zur Lösung der aktuellen Probleme zu beteiligen, oder taten dies bereits. Die größte Ablehnung der Bürger erfuhren damals gerade Selbstverwaltungsräte, bürgerliche Komitees und Unterschriftenaktionen: Über 70 % gaben an, an diesen gemeinschaftsbezogenen Aktivitäten eher oder sicherlich nicht teilnehmen zu wollen. Die aktive Teilnahme an allen anderen in der Umfrage genannten Aktivitäten wurde von etwa zwei Dritteln der Bevölkerung abgelehnt. Die Beschränkung eigener Interessen zugunsten der Stadt und der Mitbürger war für fast jede/n achte/n Befragte/n eine Frage, die nicht eindeutig beantwortet werden konnte.

Probleme und Perspektiven des freiwilligen Engagements vor Ort und der lokalen Selbstverwaltung

Es reicht nicht, BürgerInnen über Tätigkeit und Vorhandensein lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen zu informieren. Vielen Interessenten und potentiellen Engagierten fehlt häufig der Zugang zum Engagement. Unter Zugang wird vor allem das Vorhandensein persönlicher Freundschafts- und Bekanntenkreise sowie deren Präsenz in entsprechenden freiwilligen Initiativen und Netzwerken verstanden.

Den zum lokalen und gemeindebezogenen Engagement bereiten BürgerInnen fehlen häufig auch Kompetenzen, die sie zu Mitwirkung und Mitbestimmung befähigen würden. Es müssten bestimmte Veranstaltungsformate wie etwa Planspiele zu Partizipation, Demokratie- und Medienwerkstätten angeboten werden, bei welchen Engagierte und Nicht-Engagierte zusammenkommen und gemeinsam entsprechende Kompetenzen erwerben. Dies würde sich sicher förderlich auf die Verbreitung des zivilgesellschaftlichen Engagements in der Ukraine auswirken. Interessierte und die für das freiwillige Engagement offenen TeilnehmerInnen hätten nun neben Kenntnissen und Kompetenzen auch Ansprechpersonen und entsprechende Anlaufstellen, um sich auf lokaler Ebene sozial oder politisch einbringen zu können.

Fazit und Ausblick

Insgesamt wird in den ukrainischen Regionen ein hohes Interesse an Kommunalpolitik festgestellt, was eine gute Voraussetzung für die Entwicklung der örtlichen Selbstverwaltung darstellt. Um die von der Regierung angekündigte Reform der Dezentralisierung erfolgreich implementieren zu können, reicht das allerdings nicht. Dafür benötigen Dorf-, Stadt-, Bezirks- und Gebietsräte in der Ukraine mehr engagierte und zur gesellschaftspolitischen Mitgestaltung bereite BürgerInnen. Auffallend hoch ist der Anteil der unentschlossenen und wenig aufgeklärten BürgerInnen: Sie würden sich engagieren, wissen aber nicht, wie und wo. In dieser Hinsicht ist die ukrainische Zivilgesellschaft gefordert, mehr BürgerInnen für die Gemeinschaftsaktivitäten zu gewinnen sowie zu aktiver Mitwirkung und gesellschaftspolitischer Mitbestimmung in ihren Städten und Gemeinden zu befähigen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen haben aber infolge der kriegerischen Auseinandersetzung im Osten des Landes andere Sorgen und konzentrieren sich auf in der Regel sozial ausgerichtete Tätigkeitsschwerpunkte. Hier kommt den westlichen und unter anderem auch deutschen Initiativen und zivilgesellschaftlichen Projekten eine außerordentliche Bedeutung zu.

Fussnoten

Dr. Mykhaylo Banakh studierte und promovierte in Freiburg. Er arbeitet am Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart an Projekten, mit denen in der Ukraine und in weiteren Ländern der Östlichen Partnerschaft Methoden der politischen Bildung, der Friedensbildung und des Konfliktmanagements vermittelt werden.