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Analyse: Die Oligarchen und die Politik in Kriegs- und Krisenzeiten | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die Oligarchen und die Politik in Kriegs- und Krisenzeiten Wie kann das eherne Gesetz der Oligarchie in der Ukraine gebrochen werden?

Inna Melnykovska Berlin Von Inna Melnykovska

/ 12 Minuten zu lesen

Die Seilschaften zwischen Politik und Wirtschaft haben den Krieg und die Krisen überdauert. Hinter der breit diskutierten und sogar noch stärker gewordenen Präsenz der Großunternehmer in der Politik verbergen sich jedoch qualitative Veränderungen innerhalb der ukrainischen Oligarchie. Einst vereint in der Patronage-Maschinerie Janukowytschs, bemüht sich die kritische Masse der Oligarchen nun um die Sicherung ihrer akkumulierten Vermögen. In der wettbewerbsorientierten Landschaft der ukrainischen Politik nach dem Euromaidan sehen sie einen solchen Schutz durch persönliche Präsenz in der Politik oder / und Verbindungen zu unterschiedlichen politischen Kräften gewährleistet. In Verhandlungen mit der Regierung um Kapitalsicherung machen sie Zugeständnisse bei Reformen, die einige profitable Einnahmequellen einschränken und ihre wirtschaftlichen Monopole gefährden. Die Oligarchen fördern bedingt die wirtschaftliche Liberalisierung und tragen zum politischen Wettbewerb bei – und sind so auf dem Weg, sich in eine traditionelle Wirtschaftslobby zu verwandeln. Die Verfassungsänderung hin zu einem parlamentarischen Regierungssystem, die Dezentralisierungsreform sowie die Einführung des proportionalen Wahlsystems, die offenen Parteilisten und die transparente Parteienfinanzierung können den horizontalen, den vertikalen und den innerparteilichen Wettbewerb stärken und den Wandel der Oligarchie forcieren.

Rinat Achmetow. (© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Soziale Gerechtigkeit und Kampf gegen Korruption waren die zentralen Forderungen der Euromaidan-Proteste. Diese Forderungen zielten vor allem auf die Großunternehmer, die so genannten Oligarchen, die über die Jahre beträchtliche Vermögen und politisches Einflusskapital angehäuft hatten, um diese mittels Korruption und auf Kosten der Gesamtbevölkerung wiederum zu weiterer Selbstbereicherung einzusetzen. Jedoch beschränkte sich die Wucht der Euromaidan-Proteste lediglich auf den Familienclan des ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Die Konten seiner Familie wurden eingefroren. Nach der Flucht Janukowytschs und der Mitglieder seines Familienclans aus dem Land verringerte sich auch ihr Einfluss auf die nationale Politik.

Nichtsdestoweniger wird die ukrainische Wirtschaft weiterhin von oligarchischen Strukturen dominiert. Das gesamte Vermögen der 100 reichsten Unternehmer in der Ukraine betrug im Mai 2014 nach Schätzungen des Wirtschaftsmagazins Forbes Ukraine 42 Milliarden US-Dollar und machte damit etwas weniger als ein Drittel des ukrainischen Bruttoinlandprodukts aus (BIP-Prognose für 2014: 143,2 Milliarden US-Dollar). Laut Transparency International blieb die Ukraine 2014 eines der korruptesten Länder der Welt (sie steht auf dem 142. von 175 Plätzen des Corruption Perceptions Index). Im Ease of Doing Business Index der Weltbank steht die Ukraine 2014 auf dem 96. Platz (von 189); in der Ukraine Geschäfte zu machen, ist schwieriger als in Russland, in Kasachstan und in Belarus. Auch die Seilschaften zwischen oligarchischen Wirtschaftsinteressen und Politik sind nach wie vor intakt. Petro Poroschenko, der 2014 mit einem geschätzten Vermögen von 1,3 Milliarden US-Dollar auf dem 6. Platz der 100 reichsten Unternehmer in der Ukraine geführt wird (s. Tabelle 1 auf S. 23), wurde Ende Mai 2014 zum Präsidenten gewählt. Bei Janukowytsch in Ungunst geratene Oligarchen, wie Ihor Kolomojskyj und Serhij Taruta, konnten ihren Einfluss auf die Politik zurückerlangen. Die beiden wurden zu Gouverneuren in Dnipropetrowsk und Donezk ernannt. Die Großunternehmer Rinat Achmetow und Dmytro Firtasch, die dem Familienclan nahe gestanden haben, werden von der neuen Regierung nicht rechtlich verfolgt und konnten ihre Seilschaften in den staatlichen Verwaltungs- und Sicherheitsstrukturen weitgehend aufrechterhalten.

Auch im Parlament, das im Oktober 2014 gewählt wurde, sind die oligarchischen Interessen quer durch die Parteien vertreten. Den Block von Petro Poroschenko dominiert der politische Wille des Präsidenten. Der Volksfront von Arsenij Jazenjuk werden Verbindungen zu Ihor Kolomojskyj unterstellt. Dem Oppositionellen Block, der als informeller Nachfolger der Pro-Janykowytsch-Partei Partei der Regionen gilt, wird eine Nähe zu Rinat Achmetow sowie weiteren Großunternehmern aus der Donbass-Region nachgesagt. Auch über die neuen Parteien sind wirtschaftliche Interessen verteilt. Die Radikale Partei von Oleh Ljaschko gilt als politisches Projekt von Dmytro Firtasch. Über die Partei Selbsthilfe dürften die neuen Groß- und mittleren Unternehmer um den Lemberger Bürgermeister Andrij Sadowij ihre Interessen im Parlament vertreten. Darüber hinaus sicherten sich in Einzelwahlkreisen Großunternehmer wie z. B. Serhij Taruta Abgeordnetenmandate. Sie sind somit sogar persönlich im Parlament präsent. Angesichts dieser Entwicklungen vermuten viele Beobachter eine Kontinuität der Oligarchie oder sogar eine Zunahme der oligarchischen Einflüsse auf die ukrainische Politik. Die Errungenschaften der Euromaidan-Proteste werden entsprechend auf einen Oligarchenwechsel reduziert.

Jedoch ist die Beständigkeit der oligarchischen Herrschaft in der Folge einer Revolution aus politikwissenschaftlicher Sicht weder überraschend noch eindeutig negativ zu bewerten. Sie bestätigt lediglich das eherne Gesetz der Oligarchie, das von Robert Michels festgestellt wurde: Bei einem revolutionären Umsturz werden die Oligarchen durch andere Oligarchen ersetzt. Das Gesetz kann nur durch qualitative Veränderungen innerhalb der Oligarchie selbst gebrochen werden: Bevorzugen Oligarchen anstelle von Kapitalakkumulation dessen Sicherung, können sie unter den Bedingungen eines politischen Wettbewerbs Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterstützen und sich in eine traditionelle Wirtschaftslobby umwandeln. In einem System mit konzentrierter politischer (meist präsidentieller) Macht werden sie dagegen zu Verbündeten der Autokraten. Die Oligarchen können somit bedingt sowohl Demokratie als auch Autokratie unterstützen.

In der Tat bestätigt die Geschichte der ukrainischen Politik, dass die Oligarchen beide Rollen einnehmen können. In den Amtszeiten Leonid Kutschmas schlugen die Oligarchen ihr Kapital daraus, dass sie Wettbewerbsvorteile (z. B. durch Energiesubventionen und Steuervergünstigungen) genossen und von den staatlichen Behörden (z. B. bei Staatseinkäufen und Privatisierungsauktionen) bevorzugt behandelt wurden. Als Gegenleistung unterstützten sie die Stärkung von Kutschmas präsidentieller Machtvertikale und dürften zur Entwicklung der autokratischen Züge seines Regimes beigetragen haben. Auch Janukowytsch baute seine Macht auf der Unterstützung der Geschäftsmänner aus dem Donbass auf, die er unter dem Sammeldach der Partei der Regionen mit Budgetsubventionen und großen Gewinnen bei Staatseinkäufen kooptierte. Sogar den Steuerkodex ließ Janukowytsch zugunsten der Großunternehmer auslegen. Im Gegensatz dazu förderten die Oligarchen während der Präsidentschaft von Wiktor Juschtschenko den politischen und medialen Pluralismus, dessen Nebenprodukt eine wettbewerbsfähige Demokratie war.

Auch für den Erfolg des Euromaidans war die Unterstützung der Großunternehmer ein zentraler Faktor. Vor allem Poroschenko und Kolomojskij haben sich auf die Seite der Euromaidan-Proteste gestellt, Poroschenko war persönlich an den Barrikaden. Sein Fernsehsender Kanal 5 hat über die Proteste landesweit live berichtet und den Oppositionsführern Sendezeit zugeteilt. Kolomojskyj hat sich persönlich zurückgehalten; sein Sender 1+1 TV hat über die Euromaidan-Proteste aber seit ihren ersten Tagen positiv berichtet. Die Kolomojskyj nahstehenden Abgeordneten im Parlament haben am 20. Februar für ein Ende der Gewalt im Parlament gestimmt. Auch in der Janukowytsch nahestehenden Koalition der Oligarchen hat es Risse gegeben, die die Legitimation Janukowytschs unterminierten. Serhiy Ljewotschkin, der Leiter der präsidentiellen Administration Janukowytschs und ein enger Verbündeter Firtaschs, hat nach dem Niederschlagen der friedlich protestierenden Studenten in der Nacht auf den 30. November 2013 öffentlich seinen Rücktritt erklärt. Im Dezember 2013 begann Firtaschs Fernsehkanal Inter, positiv über die Proteste zu berichten. Auch wenn die Abgeordneten Achmetows am 16. Januar 2014 im ukrainischen Parlament den sogenannten Diktaturgesetzen zugestimmt haben dürften, die die Protestierenden kriminalisierten, hat dieser bereits im Dezember 2013 Janukowytsch für die Gewaltanwendung gegen die friedlichen Demonstranten kritisiert. Am 29. Januar haben dieselben Abgeordneten dann der Anwendung von Gewalt gegen die Protestierenden und der Verhängung des Ausnahmezustands ihre Zustimmung verweigert. Ab Januar haben Achmetows Medien – der TV-Sender Ukraina und die Zeitung Sewodnja – viel neutraler über die Proteste berichtet. Insgesamt haben die Oligarchen durch mehr oder weniger öffentliche Positionierung an der Seite der Demonstranten und gegen die Gewalt der Sicherheitskräfte, durch positive oder auch neutrale Berichterstattung über den Euromaidan sowie durch Gegenstimmen oder Verweigerung von Stimmen im Parlament zum Bruch der autokratischen Herrschaft Janukowytschs beigetragen.

Welche wirtschaftlichen Präferenzen und welches politische Verhalten der Oligarchen lassen sich nun für die Zeit nach den Euromaidan-Protesten, die Krisen- und Kriegszeiten, ableiten? Werden sie die marktwirtschaftlichen und demokratischen Reformprozesse in der Ukraine nun fördern oder bremsen? Und welche Reformen könnten die Umwandlung der Oligarchie in wirtschaftlichen Lobbyismus forcieren?

Oligarchen und ihre Geschäfte in Krisen- und Kriegszeiten

Die Ukraine durchlebt eine der schwierigsten Wirtschaftskrisen seit ihrer Unabhängigkeit. Die Weltpreise für Eisen und Stahl, die ukrainischen Exportrenner, fielen um 40 %. Die Reserven der Nationalbank sind auf einem Tiefpunkt von 12,6 Milliarden US-Dollar. Um die Außenkredite zu bedienen, hat sich die Regierung 17 Milliarden US-Dollar beim Internationalen Währungsfond geliehen. Die nationale Währung Griwna hat 2014 etwa 45 bis 50 % ihres Außenwertes gegenüber Dollar und Euro verloren. Darüber hinaus belasten die Annexion der Krim und der Krieg im Donbass das Staatsbudget enorm.

Die Krisen- und Kriegswirtschaft ist auch an den Oligarchen nicht folgenlos vorübergegangen. Das Gesamtvermögen der hundert reichsten Unternehmer in der Ukraine ist im Mai 2014 im Vergleich zum April 2013 um 13,5 Milliarden US-Dollar (circa 25 %) zurückgegangen (zum Vergleich: beim BIP wird im Jahr 2014 ein Rückgang von 8,5 %, bei der Industrieproduktion ein Rückgang von 5 % erwartet). Am meisten haben die Vermögen der Oligarchen an Wert verloren, deren Produktionskapazitäten sich in der Zone der Anti-Terror-Operation (ATO) im Donbass befinden. Hier werden 15,7 % des BIP und ca. 25 % der ukrainischen Exporte produziert. Zusätzlich zu den Verlusten aufgrund der allgemein schlechten Wirtschaftskonjunktur waren die Oligarchen in diesem Gebiet von den militärischen Auseinandersetzungen betroffen. Transport- und Energierouten wurden zerstört. Viele Unternehmen sind hier, auch wenn sie mit Europa Handelsbeziehungen pflegen, auf den Handel mit Russland angewiesen, die in den vergangenen Monaten oft unterbrochen wurden. Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen und der Lieferstörungen musste die Arbeit mehrerer Unternehmen zeitweise eingestellt werden.

Am meisten hat die Achmetow-Gruppe gelitten, deren Produktionsaktivitäten im Donbass konzentriert sind. Achmetows Energieholding DTEK berichtete in der ersten Hälfte von 2014 über Verluste von 7,6 Milliarden US-Dollar (die ersten Verluste seit dem Krisenjahr 2008). Auch seine Metall-Holding Metinvest meldete einen Rückgang des Umsatzes von 46 % im Vergleich zu 2013. Die beiden Holdings machen 80 % der Achmetow-Gruppe aus. Laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes Ukraine ist Achmetow zwar immer noch der reichste Mann in der Ukraine, sein Vermögen hat aber den bisher größten Einbruch erlitten. Nach Angaben von LIGA.net hat sein Vermögen zum November 2014 8,3 Milliarden US-Dollar (ca. 40 bis 45 %) an Wert verloren. Damit ist er auch aus dem Bloomberg Billionaires-Index rausgeflogen.

Die Bewältigung der Lieferschwierigkeiten, die Sicherung der Produktionsabläufe sowie die Klärung des Status der Unternehmen auf der Krim wurden zu den Hauptsorgen der Oligarchen. Achmetow dürfte zum einen die Kohleerzeugung seiner Bergwerke außerhalb der ATO-Zone intensivieren, zum anderen aber auch auf das Kohleversorgungssystem der illegalen Bergwerke, der so genannten kopanki, in der ATO-Zone zurückgegriffen haben (dabei müsste er wohl einige Abmachungen mit den prorussischen Separatisten getroffen haben). Zum anderen organisierte er Kohlelieferungen aus Russland für seine Energieunternehmen. Firtasch, der seit März 2014 auf Ersuchen des FBI in Österreich in Haft ist, registrierte beispielsweise seine Krimunternehmen (z. B. den größten europäischen Titandioxid-Hersteller Krymskij Titan) in der Russischen Föderation und sorgte dafür, dass seine Chemie-Unternehmen weiterhin die durch die russische Regierung subventionierten Gaslieferungen (zum Preis von 249 US-Dollar pro Kubikmeter) bekommen. Achmetow hat einen Spagat versucht: Er hat seine Unternehmen auf der Krim als Tochterunternehmen ihrer ukrainischen Mutterholdings in die Russische Föderation "einbürgern" lassen. Einige Oligarchen machen keine Angaben über den legalen Status ihrer Unternehmen auf der Krim, werden aber vermutlich den Beispielen Achmetows oder Firtaschs folgen bzw. haben dies schon getan. Nur wenige sind bereit, das Risiko einzugehen und ihre Aktiva so wie Kolomojskyj auf der Krim durch Nationalisierung an die neuen Krimbehörden zu verlieren oder zu ihrem Verkauf sowie zu dem der russischen Aktiva insgesamt gezwungen zu werden.

Vermögensverluste und Produktionsschwierigkeiten sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in den Krisen- und Kriegszeiten gute Geschäfte gemacht wurden. Die Stadt Mariupol, die Hochburg Achmetows, blieb knapp außerhalb der Reichweite der kriegerischen Auseinandersetzungen und seine Metallkombinate Asowstal und Iljitsch sowie die Waggon- und Lokomotivenfabrik Asowmach blieben intakt und konnten weiterhin ihre gesamte Produktion nach Russland exportieren. Auch seine Metall-Unternehmen konnten nach wie vor von den subventionierten Energiepreisen und vom Schulderlass für die nichtbezahlten Energielieferungen profitieren.

Einige Oligarchen konnten aus den kriegerischen Auseinandersetzungen sogar Profite schlagen. Die Maschinenbau-Unternehmen Kolomojskyjs haben auf militärische Produktion umgestellt und Zulieferaufträge des ukrainischen Verteidigungsministeriums bekommen. Auch durch Treibstoffversorgungsaufträge der Armee konnte Kolomojskyj profitieren. Weiterhin hat er versucht, die Unternehmen der geschwächten Oligarchen Achmetow und Firtasch zu übernehmen, beispielweise hat er die Übernahmepläne Firtaschs bei der Privatisierung des Chemie-Unternehmens Sumyhimprom und den zwei Titanförderunternehmen Dalnehorskyj HOK und Irschanskyj HOK gestört und sie der Kontrolle der Firtasch-Gruppe entzogen.

Insgesamt hat die kritische Masse der Oligarchen sich 2014 mit der Sicherung ihrer Kapitalvermögen und dem Erhalt von Produktionskapazitäten und Produktionsabläufen beschäftigt, um die wirtschaftlichen Verluste zu minimieren. Die Versuche Kolomojskyjs, seinen Einfluss auch auf Kosten der anderen Oligarchen auszubauen, haben die Bestrebungen nach Kapitalsicherheit nur verstärkt. Diese Tendenzen im wirtschaftlichen Verhalten lassen sich auch bei den politischen Strategien der Oligarchen erkennen.

Oligarchen und Politik nach dem Euromaidan

Die Euromaidan-Proteste haben die Seilschaften zwischen Politik und Wirtschaft zwar kaum gestört, deren Konfiguration aber entscheidend verändert. Das strikt vertikale Patronagesystem, das stark vom ehemaligen Präsidenten Janukowytsch dominiert wurde, bekam zwei Machtzentren an der Spitze, den Präsidenten Poroschenko und den Regierungschef Jazenjuk. Beide sind zwar proeuropäisch eingestellt, gehören jedoch zu unterschiedlichen politischen Lagern. Bei der Regierungsbildung wurde um eine Balance zwischen diesen beiden Machtzentren gerungen. Insbesondere wurde dies deutlich bei der Postenaufteilung innerhalb der Sicherheitsstrukturen, die in der Ukraine auch zur Lösung der wirtschaftlichen Konflikte zwischen oligarchischen Gruppen eingesetzt werden (könnten). So fallen beispielsweise das Verteidigungsministerium, die Generalstaatsanwaltschaft und der Staatssicherheitsdienst in die Obhut Poroschenkos, während Jazenjuk das Innerministerium und die ihm zugehörigen Freiwilligenbataillons unter seiner Schirmherrschaft behält.

Zur Dekonzentration der politischen Macht dürfte auch die Neuzusammensetzung des Parlaments beitragen. Die Koalition wird von fünf Parteifraktionen gebildet, die in der Wahlkampagne zum Großteil um die gleiche Wählerschaft gekämpft haben und die in einem latenten Konflikt zueinander stehen. Mit 302 Abgeordnetenstimmen verfügt die Koalition zwar über eine absolute Mehrheit, sie ist aber bei verfassungsrelevanten Abstimmungen auf die Kooperation mit den restlichen Abgeordneten angewiesen. Die Anwesenheit der Abgeordneten mit Einzelmandaten bietet dabei eine gewisse Flexibilität bei der Kompromissfindung, birgt aber auch das Risiko, dass Kompromisse situativ und kurzlebig sind. Der Oppositionelle Block und die Einzelabgeordneten, die ihre Mandate vor allem in den südöstlichen Regionen bekommen haben, halten bei Parlamentsentscheidungen einen zusätzlichen Legitimationshebel in der Hand: Möchte die Koalition ihre Entscheidungen gegenüber den südöstlichen Regionen legitimieren, ist die Zustimmung des Oppositionellen Blocks vorteilhaft. In einem so fragmentierten und hochkompetitiven Umfeld kann der Verlust politischer Einflusskapazitäten wirtschaftliche Verluste zur Folge haben. Das führte zu einer zunehmenden Repräsentanz der Wirtschaftsinteressen in der ukrainischen Politik.

Gegenüber den Parteien haben die Oligarchen auf die langerprobte Symbiose gesetzt: Die Wahlkampagnen der Parteien wurden finanziell unterstützt; als Gegenleistung werden dann der Schutz gegen Angriffe gegnerischer Oligarchen und andere Gefälligkeiten erwartet. Achmetow setzte auf die neue Partei, die auf der Basis der Partei der Regionen entstanden ist, den Oppositionellen Block. Diese Strategie erlaubte es ihm zum einem, sich von der kompromittierten Partei der Regionen abzugrenzen, zum anderen konnte er so auch die internen Rivalitäten mit der Gruppe Serhiy Tihipkos loswerden. Kolomojskyj setzte auf die Volksfront Jazenjuks. Firtasch, der in der Vergangenheit mal gute Beziehungen zur Partei UDAR von Witalyj Klytschko gepflegt hat und bereits bei den Präsidentschaftswahlen mit Poroschenko informelle Gespräche führte, dürfte dessen Block auch bei den Parlamentswahlen unterstützt haben. Da diese Verbindung aufgrund der prekären Lage der Oligarchen verborgen bleiben sollte, hat Firtasch vermutlich sicherheitshalber auch ein weiteres politisches Projekt gefördert – die Radikale Partei Ljaschkos. Weiterhin versuchten die Großunternehmer, die wegen der Flucht Janukowytschs und des Untergangs der Pro-Janukowytsch-Mehrheit (der Partei der Regionen und der Kommunistischen Partei) ihren direkten Draht zur Politik verloren haben, diesen durch persönliche Anwesenheit im Parlament zu kompensieren. Auch die neuen Unternehmer, die in den vergangenen Jahren zu Großunternehmern aufgestiegen sind, haben bei den Parlamentswahlen die Chance genutzt, ihre politischen Seilschaften ins Parlament durch direkte Mandate oder über Verbindungen zu den neuen Parteien, wie Selbsthilfe, auszubauen.

Die Oligarchen haben auch mit Aktivitäten abseits der Politik versucht, ihre Verhandlungsposition in den politischen Machtspielen zu stärken. Mit populistischen Aktionen, wie der des "Kopfgelds" für bewaffnete Separatisten, wurde Kolomojskyj zu einem nationalen Patriot-Oligarchen. Er finanzierte auch mehrere Freiwilligenbataillons, vor allem das Bataillon "Donbass". Achmetow dürfte einige separatistische Gruppierungen, wie "Oplot", zum Schutz seiner Unternehmen und Häuser angeheuert haben. Auch in Mariupol ließ er seine Arbeiter auf den Straßen patrouillieren, um die Besetzung von Gebäuden der Regionalverwaltungen wie in Luhansk und Donezk zu vermeiden. Ansonsten versucht er aber, sich aus dem unmittelbaren Militärkonflikt herauszuhalten und seine Legitimation bei der Bevölkerung mittels Hilfe für die Binnenflüchtlinge zurückzugewinnen.

Die Präsenz der Wirtschaftsinteressen in der Politik hat zugenommen. Da jedoch unter den Bedingungen mehrerer Machtzentren keiner der Oligarchen diese für sich zu monopolisieren vermag, werden die politischen Seilschaften primär zum Schutz des akkumulierten Kapitals genutzt. Die Versuche Kolomojskyjs, einige Unternehmen von Firtasch und Achmetow abzuzweigen, hatten bis jetzt wenig Erfolg. Nur da, wo die Oligarchen ihren Modernisierungsverpflichtungen nicht nachgekommen sind, haben sie ihre Rendite verloren. So wurde Firtasch die Verpachtung der Titanförderunternehmen Dalnehorskyj HOK und Irschanskyj HOK entzogen. Diese Erfahrungen schaffen einen zusätzlichen Anreiz für langfristige Modernisierungsinvestitionen der Oligarchen in eigene Unternehmen und dürften ihre Bestrebungen nach Kapital- und Vermögenssicherung weiter stärken.

Weiterhin haben die Oligarchen bei den existenziellen Schritten, die für die Kapitalsicherung notwendig sind, auch Zugeständnisse gegenüber der Regierung gemacht. In der Tat konnte die Regierung Jazenjuks ein Steuerpaket einführen, das die Oligarchen zu neuen Abgaben ans Staatsbudget verpflichtet. Auch wenn die Oligarchen einige steuerlichen Neuheiten, z. B. die Besteuerung und die Aufsicht über die Preisbildung im Außenhandel, noch hinauszögern konnten, führt kein Weg daran vorbei, dass ihre Wettbewerbsvorteile schwinden.

Ausblick

Das kapitalsichernde Verhalten der Oligarchen und ihre Bereitschaft zu Zugeständnissen bei den Reformen, die wirtschaftliche Liberalisierung, Transparenz und Rechtstaatlichkeit stützen, könnten durch eine weitere Zunahme des politischen Wettbewerbs gefördert werden. Der politische Wettbewerb kann dabei auf mehreren Wegen verstärkt werden: (1) horizontal durch die Verfassungsänderung hin zu einem parlamentarischen Regierungssystem; (2) vertikal durch die Dezentralisierungsreform; sowie (3) innerparteilich über die Einführung des proportionalen Wahlsystems, der offenen Parteilisten und der transparenten Parteienfinanzierung. Darüber hinaus könnte der Rückzug der Staatsbürokratie aus der Wirtschaft die Kräfte des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs entfesseln und so zu einem weiteren Wandel der oligarchischen Herrschaft hin zum Wirtschaftslobbyismus beitragen.

Fussnoten

Inna Melnykovska promoviert am Otto Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen.