Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kommentar: Ein kleiner Regimewechsel in Kiew. Reformpolitische Implikationen der Parlamentswahl vom 26. Oktober 2014 | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? Analyse: Die hohen Kosten des Krieges: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die Armut verschärft Chronik: 22. Februar bis 7. März 2023 Besatzungsregime / Wiedereingliederung des Donbas (27.03.2023) Analyse: Etablierungsformen russischer Herrschaft in den besetzten Gebieten der Ukraine: Wege und Gesichter der Okkupation Karte: Besetzte Gebiete Dokumentation: Human Rights Watch: Torture, Disappearances in Occupied South. Apparent War Crimes by Russian Forces in Kherson, Zaporizhzhia Regions (Ausschnitt) Dokumentation: War and Annexation. The "People’s Republics" of eastern Ukraine in 2022. Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. März, Feminismus und Krieg in der Ukraine: Neue Herausforderungen, neue Möglichkeiten Umfragen: Umfragen zum Internationalen Frauentag Interview: "Der Wiederaufbau braucht einen geschlechtersensiblen Ansatz" Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Korruptionsbekämpfung (08.03.2023) Analyse: Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine Dokumentation: Statistiken und Umfragen zu Korruption Analyse: Reformen, Korruption und gesellschaftliches Engagement Chronik: 1. bis 10. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Kommentar: Ein kleiner Regimewechsel in Kiew. Reformpolitische Implikationen der Parlamentswahl vom 26. Oktober 2014

Andreas Umland Kiew Von Andreas Umland

/ 5 Minuten zu lesen

"Das wohl positivste Ergebnis und das vierte Novum des jetzigen Parlaments ist der Einzug einer ganzen Reihe profilierter Aktivisten des Euromaidans, die über verschiedene Parteilisten bzw. direkt gewählt zu Abgeordneten wurden", kommentiert Andreas Umland die Situation nach den Wahlen.

Lange war sie unter der Regierung Janukowitschs eingesperrt, jetzt sitzt sie selbst wieder im ukrainischen Parlament — Julia Timoschenkos Vaterlandspartei hat über 5 % bei den Parlamentswahlen geholt. (© picture-alliance, abaca)

Mit den – unter den gegebenen schwierigen Umständen – relativ erfolgreich verlaufenen Parlamentswahlen vom 26. Oktober 2014 hat die Ukraine die letzte große unmittelbare Forderung des Euromaidans erfüllt. Die Ukraine hat damit auch einen kleinen Regimewechsel seit Ende Februar abgeschlossen. Nach Wiedereinführung der semipräsidentiellen Verfassung im Frühjahr sowie der Amtsübernahme Poroschenkos und der Teilratifizierung des EU-Assoziierungsabkommens im Sommer 2014 hat sich mit dem jüngsten Wahlergebnis sowohl die institutionelle als auch die personelle Konstellation der Kiewer politischen Landschaft grundlegend verändert. Von einer tatsächlich neuen Ukraine zu sprechen, scheint in vielerlei und nunmehr auch in parteipolitischer Hinsicht gerechtfertigt. Vier grundlegende Veränderungen in der Werchowna Rada lassen mich hoffnungsvoll auf zumindest diesen Aspekt der neuen politischen Situation in Kiew blicken: der Sieg proeuropäischer Parteien, das Fiasko der KPU, das schwache Abschneiden sonstiger Randparteien und der Einzug etlicher Zivilgesellschafter ins Parlament.

Erstens haben die ausdrücklich prowestlichen Parteien, d. h. die Volksfront Arsenij Jazenjuks (22,12 %, 82 Sitze), der Präsidentenblock Petro Poroschenkos (21,82 %, 132 Sitze), die Selbsthilfe Andrij Sadowijs (10,97 %, 33 Sitze) und die Vaterlandspartei Julia Timoschenkos (5,68 %, 19 Sitze), erstmals eine klare Mehrheit, also 266 im von 450 auf 423 Abgeordnete geschrumpften Legislativorgan der Ukraine. Dies ist ein Novum im ukrainischen Parlament, das bislang stets zwischen Nationaldemokraten einerseits und mehr oder minder prorussischen Fraktionen andererseits gespalten war sowie einen großen, schwer definierbaren sogenannten "Sumpf" in der politischen Mitte enthielt. Sowohl das Lager der Antiwestler als auch der "Sumpf" sind in der neuen Rada deutlich geschrumpft. Die prowestlichen Nationaldemokraten dominieren derart klar, dass wohl selbst bei einer regulären Wahl in allen Regionen der Ukraine, also auch auf der Krim und im Donezbecken, so kann man spekulieren, die proeuropäischen Kräfte eine zwar etwas geringere, aber immer noch klare Mehrheit errungen hätten.

Vor allem ist – und das ist die zweite Neuerung – erstmals die Kommunistische Partei (KP) und damit die bei weitem stärkste eindeutig antiwestliche und prorussische Kraft der Ukraine nicht im ukrainischen Parlament vertreten (3,88 %, keine Sitze); manche scherzen – seit 96 Jahren zum ersten Mal. Die bisherige KP könnte sogar aufgrund ihrer allzu engen Bindung an Russland sowie ihrer belasteten sowjetischen Vergangenheit auf Dauer aus der politischen Landschaft der Ukraine verschwinden. Womöglich wird die so entstehende politische Nische in Zukunft durch eine sich selbst als sozialistisch oder sozialdemokratisch bezeichnende Partei, derer es in der Ukraine etliche gibt, gefüllt.

Zum dritten haben neben der KP auch andere Randparteien überraschend schlecht abgeschnitten. Vor allem gelang es der sogenannten Radikalen Partei des Politclowns Oleh Ljaschko nicht, die beachtlichen Umfrageergebnisse seiner Populistentruppe im Sommer 2014 in reale Wählerunterstützung umzusetzen. Obwohl die Radikalen mit 7,44 % (22 Sitze) die Fünfprozenthürde übersprangen und nun eine Fraktion stellen, könnte Ljaschkos Partei eine Eintagsfliege in der ukrainischen Politik bleiben. Weder Ljaschko selbst noch seine Fraktionsgenossen sind visionäre Politiker, die ein nachhaltiges politisches Konzept für die Partei erkennen lassen.

Noch bemerkenswerter sind die Entwicklungen am rechten Rand. Wie von einigen Nationalismusforschern, etwa Anton Shekhovtsov (Institut für die Wissenschaften vom Menschen, Wien), schon vor den Präsidentschaftswahlen vom Mai 2014 prognostiziert, erlitt die wichtigste eindeutig rechtsradikale Partei, die sogenannte Allukrainische Union Freiheit (Swoboda), einen stärkeren Einbruch ihrer Wählerunterstützung als erwartet. Ihr profilierter Anführer und talentierter Euromaidan-Sprecher Oleh Tjahnibok hatte schon bei den Präsidentschaftswahlen im Mai zur Überraschung vieler Beobachter lediglich 1,16 % erhalten. Seine Partei scheiterte im Oktober mit 4,71 % knapp an der Eingangsbarriere zum Parlament. Die Freiheitspartei ist mit diesem Absturz von den 10,44 %, die sie 2012 erhalten hatte, nun geschwächt. Sie erkämpfte aber immerhin sechs Direktmandate in der Werchowna Rada, bleibt in den drei Gebietsparlamenten Galiziens dominant und verschwindet damit nicht völlig aus der politischen Landschaft der Ukraine.

Ein noch kläglicheres Schicksal ereilte den berüchtigten Rechten Sektor, eine neue, schwer definierbare und weitgehend unerforschte Dachorganisation verschiedener mehr oder minder nationalistischer Kleingruppen, die 1,81 % erhielt und nur ein Direktmandat errang. Zu dem Misserfolg des Rechten Sektors kam es trotz der enormen internationalen Aufmerksamkeit, die diese Neugründung im Rahmen der russischen Desinformationskampagne gegen die Ukraine seit Anfang 2014 erhalten hatte, und ungeachtet der wachsenden Popularität von militantem Patriotismus in der von Krieg, Leid und Zerstörung geprägten Ukraine. Zwar gelang der schillernden Führungsfigur des Rechten Sektors, Dmytro Jarosch, der Parlamentseinzug per Direktmandat aus einem Wahlbezirk seiner hauptsächlich russischsprachigen Dnipropetrowsker Oblast (29,76 %), bei den gesamtnationalen Präsidentschaftswahlen fünf Monate zuvor hatte Jarosch allerdings nur 0,70 % erhalten. Seine Autorität dürfte sich daher – trotz der indirekten russischen Werbung für den durch die Kremlmedien dämonisierten Jarosch – auch in Zukunft in Grenzen halten.

Das womöglich bedauerlichste Ergebnis der Wahlen ist die Direktwahl des ebenfalls schillernden Ultranationalisten Andrij Bilezkij im Kiewer Stadtbezirk Obolon (33,75 %). Der bis vor kurzem der ukrainischen Öffentlichkeit völlig unbekannte aus Charkiw stammende Bilezkij schaffte aufgrund seiner monatelangen öffentlichen Profilierung als Frontkämpfer, Vaterlandsverteidiger und Kommandeur des inzwischen auch im Westen weithin bekannten Freiwilligenregiments Asow den Sprung ins Parlament. Der ukrainischen Öffentlichkeit weitgehend verborgen blieb dabei Bilezkijs dubiose Vergangenheit als sogenannter "weißer Führer" der klar faschistischen Zwergorganisation Sozial-Nationale Versammlung – Patriot der Ukraine (SNA-PU). Der unverhohlene biologische Rassismus und der kaum kaschierte Neonazismus der SNA-PU stellt selbst im Kontext des ukrainischen Rechtsradikalismus eine Aberration dar.

Insgesamt kommen die ukrainischen Ultranationalisten jedoch nach einer Zählung des führenden Rechtsextremismusforschers Wjatscheslaw Lichatschow (Euro-Asiatischer Jüdischer Kongress, Jerusalem) im neuen Parlament auf insgesamt nur 13 Mandate, womit sich deren Zahl gegenüber dem letzten Parlament auf knapp ein Drittel reduziert hat. Das Scheitern der Freiheitspartei und des Rechten Sektors an der Fünfprozentbarriere ist umso bemerkenswerter, als nur einige wenige Wähler von der Krim und nur ein Teil der Wählerschaft des Donezbeckens an den Wahlen teilgenommen hat. Damit war die verbleibende Gesamtwählerschaft der Ukraine eigentlich zu Gunsten der ukrainischen Ethnozentristen reduziert, die auf der Krim und im Donbas nur geringe Unterstützung genießen. Nichtsdestoweniger scheiterten zur Überraschung nicht zuletzt ihrer eigenen Führer beide Parteien bei den Verhältniswahlen. Sie hätten mit einer vereinigten Liste zwar wahrscheinlich den Sprung über die Eingangshürde geschafft, man kann jedoch spekulieren, dass bei einer regulären Wahl in allen Regionen der Ukraine auch eine vereinigte Liste der Freiheitspartei und des Rechten Sektors letztlich weniger als fünf Prozent Wählerunterstützung erhalten hätte.

Das wohl positivste Ergebnis und das vierte Novum des jetzigen Parlaments ist der Einzug einer ganzen Reihe profilierter Aktivisten des Euromaidans, die über verschiedene Parteilisten bzw. direkt gewählt zu Abgeordneten wurden. Unter ihnen sind so bekannte investigative Journalisten wie Serhij Leschtschenko und Mustafa Nayem oder auch so hoch angesehene Zivilgesellschafterinnen wie Hanna Hopko, Switlana Salischtschuk und Iwanna Klympush-Zinzadse. Es hatte zwar auch vorher einzelne Parlamentsabgeordnete mit ähnlichem Profil in der Rada gegeben, etwa den Fernsehjournalisten Andrij Schewtschenko. Allerdings erreicht ihre Zahl mit 19 derartigen Deputierten nun eine kritische Masse, die darauf hoffen lässt, dass sich nicht nur der Inhalt, sondern auch der Modus der Gesetzgebungstätigkeit im neuen ukrainischen Parlament merklich verbessern wird. Zwar werden auch weiterhin die sogenannten Oligarchen versuchen, hinter den Kulissen zu ihrem persönlichen Vorteil Einfluss auf die Legislative zu nehmen, zumindest die Zivilgesellschafter, so ist zu erwarten, werden sich jedoch dagegen energisch zur Wehr setzen.

Fussnoten

Dr. phil., Ph. D. Andreas Umland ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Euroatlantische Studien Kiew und Herausgeber der Buchreihe "Soviet and Post-Soviet Politics and Society", ibidem-Verlag Stuttgart.