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Analyse: Russische Infrastrukturprojekte für die Krim. Neues Sotschi oder Versorgungsengpässe? | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Russische Infrastrukturprojekte für die Krim. Neues Sotschi oder Versorgungsengpässe?

Julia Kusznir Bremen Von Julia Kusznir

/ 9 Minuten zu lesen

Nach der Annexion der Republik Krim und der Stadt Sewastopol von der Ukraine hat Russland ein umfangreiches Förderprogramm für die Halbinsel entwickelt, das umfangreiche Infrastrukturprojekte vorsieht. Viele Probleme der Halbinsel, vor allem in den Bereichen der Wasser- und Energieversorgung sowie der Verkehrsanbindung, sind so schnell nicht lösbar.

Eines der Großbauprojekte der russischen Regierung auf der Krim ist eine 4,5 Kilometer lange Brücke über die Straße von Kertsch. Fähren für Züge, wie im Bild zu sehen, wären dann nicht mehr nötig. (© picture-alliance/dpa, RIA Novosti)

Einleitung

Im März 2014 wurden die Republik Krim und die Stadt Sewastopol von Russland annektiert. Die Annexion der Krim ist nicht nur weiterhin umstritten und sorgt für Konfrontationen und die Isolation Russlands auf internationaler Ebene, sie wird auch zunehmend eine wirtschaftliche Belastung für Russland.

Neues großes Infrastrukturprojekt

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf befindet sich die Krim mit einem Wert von 2.600 US-Dollar (im Jahr 2011) auf dem Niveau der schwächsten russischen Regionen, etwa Tschetschenien oder Inguschetien im Nordkaukasus. Die russische Regierung hat deshalb wirtschaftliche Entwicklungs- und Finanzhilfeprogramme für die Krim und die Stadt Sewastopol als zwei neue Regionen Russlands beschlossen. Die Ausarbeitung der Programme und die Kontrolle ihrer Umsetzung wurden dem Ministerium für Angelegenheiten der Krim übergeben, das per Präsidialerlass vom 31. März 2014 geschaffen wurde. Zentrale Maßnahmen finden sich im föderalen Programm "Sozio-ökonomische Entwicklung der Krim und der Stadt Sewastopol bis 2020", das im August 2014 verabschiedet wurde.

Den Regierungsplänen zufolge sollen Krim und Sewastopol in den kommenden Jahren zu einer der wirtschaftlich dynamischsten Regionen Russlands werden. Mittelfristig soll die Wirtschaft der Krim gemäß der russischen Planung um 7 bis 8 % jährlich wachsen. Dabei sollen Tourismus, Agrarwirtschaft und Industrie die zentralen Wachstumsmotoren sein. Geplant ist unter anderem der Bau neuer Fischfabriken und Schiffswerften. Die russische Regierung hofft, dass der wesentliche Teil der Investitionen für die Realisierung dieser Pläne von russischen Unternehmen getragen wird. Deshalb hat die russische Regierung Ende Oktober 2014 ein Paket von Gesetzentwürfen zur Einrichtung einer freien Wirtschaftszone auf der Halbinsel gebilligt, die Investitionen russischer Unternehmer fördern sollen. In Planung ist außerdem die Einführung von Vorzugskrediten, Steuervergünstigungen und speziellen rechtlichen Regulierungen, die das Investitionsklima auf der Krim deutlich verbessern sollen.

Die Krim-Förderung ist damit nach den Olympischen Spielen in Sotschi das nächste große russische Infrastrukturprojekt. Bis zum Jahr 2020 sollen aus dem föderalen Staatshaushalt mehr als 20 Milliarden US-Dollar als Wirtschaftshilfe auf die Halbinsel Krim fließen, unter anderem für die Gewährleistung einer funktionierenden Wasser- und Energieversorgung, den Bau einer Brücke über die Straße von Kertsch, die die Halbinsel mit Russland verbinden wird, sowie Rentenzahlungen an ca. eine halbe Million Rentner und die Erhöhung von Löhnen und Gehältern.

Die Infrastrukturprojekte sind dabei aus russischer Sicht von zentraler Bedeutung. Die Übergabe der Krim an die Ukrainische Sowjetrepublik erfolgte 1954 wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil die Infrastruktur der Halbinsel zunehmend auf die Ukraine ausgerichtet war. Die russischen Pläne sehen nun die Neuschaffung von Infrastruktur vor, die die Abhängigkeit von der Ukraine rückgängig machen soll. Dabei gibt es erhebliche Probleme.

Wasser

Die Halbinsel Krim erhielt bis zu 85 % ihrer Wasserversorgung, insgesamt mehr als 1 Mrd. Kubikmeter, über den Nord-Krim-Kanal aus dem Fluss Dnjepr. Im Mai 2014 hat die Ukraine die Wasserlieferungen auf die Krim eingestellt, mit der Begründung, dass keine neuen vertraglichen Vereinbarungen zwischen den ukrainischen Behörden und der Regierung der Krim erreicht werden konnten.

Die Regierung der Krim hat im September 2014 erklärt, dass die Vorräte in den Wasserspeichern der Halbinsel die Bedürfnisse der Region bis April 2015 erfüllen können. Das russische Militär hat Bohrungen an artesianischen Brunnenwasser-Quellen durchgeführt und baut Wasserleitungen, um die Bewohner der Halbinsel mit Trinkwasser zu versorgen. Darüber hinaus schließt die russische Regierung den Bau einer Meerwasser-Entsalzungsanlage auf der Krim nicht aus. Die Wasserknappheit ist aber vor allem für die Landwirtschaft auf der Krim spürbar, die sich auf eine sparsamere Wassernutzung umstellen muss, wie etwa Tröpfchenbewässerung. Die Behörden hoffen auf starken Regen und auf Schmelzschnee als zusätzliche Wasserquellen. Längerfristig gibt es hingegen bisher keine Alternativen zur Wasserversorgung aus der Ukraine und damit auch keine klare Lösung für die Wasserversorgung der Krim.

Strom

Genau wie beim Wasser kamen auch beim Strom mehr als 80 % des Verbrauchs der Halbinsel Krim aus der Ukraine, das entspricht über 6 Mrd. Kilowattstunden. Der restliche Bedarf wird aus Eigenproduktion gedeckt.

Seit September 2014 hat die Ukraine ihre Stromlieferungen auf die Krim kontinuierlich reduziert. Ursache hierfür ist nach Angaben des ukrainischen Netzwerkbetreibers das Fehlen von Kohle für die Wärmekraftwerke des Landes aufgrund der Zerstörung von Verkehrswegen und Bergwerken durch die pro-russischen Separatisten in der Ostukraine. Im Falle einer Verschärfung der Versorgungslage wurde auch eine vollständige Einstellung der Stromversorgung der Krim nicht ausgeschlossen.

In Reaktion darauf hat der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew die zuständigen Ministerien angewiesen, alle im Energiesektor der Krim geplanten Maßnahmen schnellstmöglich zu realisieren. Um die Energieunabhängigkeit der Krim zu gewährleisten, plant die russische Regierung vor allem den Bau von zwei Wärmekraftwerken mit einer Gesamtkapazität von 700 Megawatt in Simferopol und Sewastopol. Das russische Energieministerium hat das Unternehmen Technopromexport, eine Tochterfirma des staatlichen Konzerns Rostech, mit dem Bau der zwei Kraftwerke beauftragt.

Darüber hinaus sehen die russischen Infrastrukturprogramme für die Halbinsel die Modernisierung des Leitungsnetzes vor. Die in den 1940er bis 1960er Jahren gebauten Stromleitungen sind zu 70 % abgenutzt und oft überlastet, so dass ihre Kapazitäten für die Umstellung der Versorgungsstruktur auf Eigenproduktion nicht ausreichen. Zusätzlich ist eine Verbindung mit dem russischen Stromnetz über die Verlegung eines Stromkabels durch die Straße von Kertsch geplant. Auch der Bau von Anlagen für Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen ist vorgesehen.

Das größte Problem im Bereich der Elektrizitätswirtschaft ist der geplante Bau der zwei Kraftwerke. Die westlichen Sanktionen gegen Russland verhindern die Auslieferung der für die Kraftwerke bestellten Turbinen an Technopromexport. Das Unternehmen versucht derzeit u. a. über den Ölkonzern Rosneft, bereits früher nach Russland gelieferte Turbinen überlassen zu bekommen. Es ist aber noch nicht klar, ob, wann und wie die Frage der Lieferungen endgültig geregelt wird. Hinzu kommt, dass die zwei Kraftwerke für den Strombedarf der Halbinsel nicht ausreichen werden, insbesondere wenn das in der russischen Planung vorgesehene Wirtschaftswachstum zu einer Steigerung des Verbrauchs führt.

Erdgas

Zur Erdgasversorgung der Krim trugen Lieferungen aus der Ukraine nur ein Drittel bei, während der Rest – 2013 waren dies 1,6 Mrd. Kubikmeter – vom auf der Krim angesiedelten Unternehmen Chernomorneftegaz in der Region produziert wird.

Chernomorneftegaz war eine Tochterfirma des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftohaz. Sie wurde bereits im März 2014 von der Regierung der Krim verstaatlicht und soll demnächst in den staatlichen russischen Erdgaskonzern Gazprom eingegliedert werden. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft hat in Reaktion auf die Enteignung Anfang Oktober 2014 ein Strafverfahren gegen Russland eröffnet und Schadensersatz von 15 Mrd. Griwna (derzeit etwa 1,2 Mrd. US-Dollar) gefordert.

Einem Bericht des russischen Ministeriums für Naturressourcen und Umwelt zufolge verfügt die Krim über 44 Erdöl- und Erdgasfelder mit nachgewiesenermaßen 47 Mio. Tonnen Ölreserven und 165 Mrd. Kubikmeter Gasreserven. Chernomorneftegaz plant, weitere Erdgasfelder zu erschließen, um die Produktion zu erhöhen. Überdies hat Chernomorneftegaz vor, das Gasleitungsnetz der Krim an die russische Exportpipeline "South Stream" anzuschließen, die durch das Schwarze Meer über den Balkan bis nach Mitteleuropa verlaufen soll. Außerdem ist der Bau einer Flüssiggasanlage im Gespräch.

Die Ausweitung der Erdgasproduktion von Chernomorneftegaz dürfte allerdings durch die westlichen Sanktionen verhindert werden. Im Juli 2014 hat die Europäische Union die finanzielle oder technische Beteiligung an Entwicklungsprojekten auf der Krim verboten. Die Offshore-Förderung im Schwarzen Meer dürfte aber ohne westliche Technik nicht zu realisieren sein.

Brücke über die Straße von Kertsch

Der Bau einer Brücke über die Straße von Kertsch war schon seit einigen Jahren geplant, um eine direkte Verkehrsanbindung von der Krim nach Russland zu schaffen. Die ersten Vereinbarungen diesbezüglich wurden zwischen Russland und der Ukraine im April 2010 im Rahmen der Planung, die Brücke bis 2014 einzurichten, unterzeichnet. Die Pläne wurden aber nicht umgesetzt.

Im März 2014 beauftragte dann der russische Präsident Wladimir Putin das Transportministerium, die Brücke zu bauen. Die technischen Arbeiten vor Ort begannen wenige Monate später. In Reaktion darauf hat die ukrainische Seite Anfang Oktober offiziell ihren Verzicht auf die 2010 beschlossenen Vereinbarungen über die Errichtung der Brücke erklärt.

Nach dem russischen Plan soll eine 4,5 Kilometer lange Auto- und Eisenbahnbrücke über die Meerenge von Kertsch im Jahr 2018 fertiggestellt werden. Nach Schätzungen von Experten werden sich die Kosten für das Bauprojekt auf über 3 Mrd. US-Dollar belaufen. Die Brücke wird deshalb schon jetzt als die teuerste russische Baumaßnahme des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Die hohen Kosten sind durch technische Schwierigkeiten, Naturschutzmaßnahmen und die bei solchen Projekten übliche Korruption zu erklären.

Die russische Wirtschaftspresse hat Ende August berichtet, dass der Auftrag zum Bau der Brücke an das Unternehmen Stroitransgas geht, das Gennadi Timtschenko – einem russischen Rohstoff-Milliardär und engem Freund Präsident Putins – gehört. Als weiteres Unternehmen wird Mostrest am Bau der Brücke beteiligt sein, das unter der Kontrolle von zwei weiteren Milliardären und engen Freunden von Präsident Putin steht – Arkadi und Boris Rotenberg.

Wie die staatliche russische Agentur für Straßenbau mitgeteilt hat, hat der Bau der Kertsch-Brücke wegen seiner hohen Kosten zur Folge, dass die Ausgaben für andere Straßenbauprojekte im kommenden Jahr um etwa die Hälfte gekürzt werden müssen.

Woher kommt das Geld?

Die Versuche der russischen Regierung, durch Gespräche mit Unternehmensverbänden die Wirtschaft für Investitionen auf der Krim zu gewinnen, sind bisher nicht sehr erfolgreich. Insgesamt werden die von der russischen Regierung geplanten Infrastrukturprojekte auf der Krim zu einer hohen Belastung des Staatshaushalts führen.

Trotz optimistischer Prognosen der russischen Behörden wird die Suche nach den finanziellen Mitteln für die Projekte auf der Krim zunehmend schwieriger: Die bestehenden staatlichen Haushaltspläne werden überarbeitet und neue Finanzierungsquellen gesucht, darunter auch der Nationale Wohlfahrtsfond, in den Einnahmen aus Energieexporten fließen, um langfristig die Rentenversicherung zu stabilisieren.

Gleichzeitig werden Infrastrukturprojekte in russischen Regionen zugunsten der Krim gestrichen oder gekürzt. Das Ministerium für Regionale Entwicklung steht unter Druck und muss einige große staatliche Entwicklungsprogramme, wie etwa die "Stärkung der Einheit des russischen Volkes" oder das "Wohnungsbau-Programm", von der Liste streichen oder auf später verschieben. Darüber hinaus hat Moskau die Unterstützung von 16 Regionen aufgegeben, um die Krim finanziell zu unterstützen. Diese Regionen müssen dementsprechend eigene Ausgaben reduzieren.

Außerdem beabsichtigt die russische Regierung, über Privatisierungen und Steuererhöhungen Mittel für die Entwicklungsprogramme auf der Krim zu sichern. In diesem Zusammenhang wird der Verkauf von staatlichen Anteilen am Ölkonzern Rosneft beschleunigt. Unter anderem haben Parlamentsabgeordnete eine Solidaritätssteuer vorgeschlagen, die direkt zur Finanzierung der staatlichen Maßnahmen auf der Krim verwendet werden soll.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Gesamtkosten der Annexion der Krim sowohl für die Ukraine als auch für Russland sehr hoch sind und auch langfristig eine spürbare Belastung für die wirtschaftliche Entwicklung sein werden.

Für die Ukraine ist der Verlust der Offshore-Erdgasfelder, die sich im Schwarzen Meer um die Halbinsel befinden, ein Verlust, der die ukrainische Hoffnung untergräbt, durch eine Ausweitung der eigenen Förderung die Energiesicherheit des Landes zu verbessern. Darüber hinaus hat die Ukraine durch die Annexion der Krim die Kontrolle über strategisch wichtige Unternehmen in der Energiewirtschaft und der chemischen Industrie sowie über Häfen und die Straße von Kertsch verloren. Ukrainische Handelsschiffe müssen neue Routen finden. Eine Blockade der Straße von Kertsch für den Schiffsverkehr aus dem Asowschen Meer durch Russland wäre für die ukrainischen Exporteure ein harter Schlag.

Im Falle Russlands erinnern die Projekte für die Krim stark an die Baumaßnahmen für die olympischen Winterspiele in Sotschi. Dem Kreml nahestehende Unternehmen profitieren von überteuerten Projekten. Gleichzeitig belasten die hohen Kosten den Staatshaushalt. Im Fall der Krim wird die damit verbundene Umverteilung staatlicher Finanzmittel auch zu Verteilungskonflikten im regionalen Finanzausgleich führen. Etliche Infrastrukturprojekte werden zusätzlich durch die westlichen Sanktionen erschwert. Unter diesen Umständen ist es mehr als fraglich, ob die optimistischen Wachstumsprognosen, die die russische Regierung für die Krim in ihrer Regionalplanung aufgestellt hat, auch nur annähernd erreicht werden können.

Zumindest mittelfristig ist die Krim weiterhin auf Wasser- und Stromlieferungen aus der Ukraine angewiesen, die derzeit nicht garantiert sind. Diese Abhängigkeit birgt ein erhebliches Konfliktpotential für die ukrainisch-russischen Beziehungen.

Fussnoten

Dr. Julia Kusznir ist Postdoctoral Fellow an der Jacobs University Bremen.