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Kommentar: Wir sind ein Volk! | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? 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Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Kommentar: Wir sind ein Volk! Reintegrations- und Versöhnungsstrategien für die Ukraine

Dmitri Stratievski

/ 5 Minuten zu lesen

Das neuerdings im Internet in Umlauf gebrachte Wort "Watniki" (für die Träger von Wattejacken aus der Sowjetzeit, ein für Kriminelle und die Unterschicht typisches Billigkleidungsstück) ist eine generalisierende und verächtlichmachende Bezeichnung für alle europakritischen Personen, überwiegend in der Ostukraine. Hinter der "Dämonisierung des Ostens" verbergen sich ernstzunehmende Gefahren für den erfolgreichen Reintegrationsprozess in der Ukraine. Das Land braucht ein gesamtnationales Konzept der (Neu-)Einbindung der Bevölkerung im Donbass, das die Menschen jeden Alters und aller Bevölkerungsschichten anspricht und mitnimmt. "Wir sind ein Volk!", hieß es bei der deutschen Novemberrevolution 1989. Dieser Spruch ist heute von außerordentlicher Aktualität für die Ukraine.

Das Gesetz zur Sonderstellung der Donbass-Region wurde vom ukrainischen Parlament verabschiedet. Im Bild: Präsident Petro Poroschenko. (© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Die im September in Minsk vereinbarte, wenn auch brüchige Feuerpause sowie eine Stärkung der Rolle der OSZE bringen neue Hoffnungen auf eine baldige politische Lösung der Ukraine-Krise mit sich. Selbst wenn der groß angelegte Kampfeinsatz in der Ostukraine sich dem Ende zuneigen und die Separatisten ihre Aktivitäten einstellen würden, würden die verbalen Gefechte in den Print- und elektronischen Medien der Ukraine unvermindert weitergeführt werden. Auf privater Ebene, im Kreis der ukrainischen Bürger, werden Worte als geistige Massenvernichtungswaffen benutzt. Alle Konfliktparteien agieren mit entehrenden Denkmustern und Klischeebildern. Die politischen Meinungsführer betrachten diese zwischenmenschliche Verhärtung eher als Kollateralschaden. Eine Mehrheit der Anhänger der ukrainischen Einheit verschiebt die Versöhnungsarbeit bzw. die Erarbeitung eines Masterplans zur mentalen Reintegration der Menschen aus Donezk und Luhansk in den ukrainischen Kulturraum bis auf weiteres. "Erst der Sieg, dann das Wort", lautet eine verbreitete Prämisse. Hier liegt ein wichtiger Denkfehler vor, denn kein militärischer Erfolg und keine bis ins Detail ausgearbeitete Friedensinitiative sichern allein eine dauerhafte Stabilität im Lande.

Problembeschreibung

Das Konfliktpotential in der ukrainischen Gesellschaft wurde lange Zeit unterschätzt. Im öffentlichen Diskurs dominierte die Annahme, das Land sei ein komplexes und vielfältiges, aber friedliches Gebilde. Religiöse, sprachliche und weltanschauliche Unterschiede werden zwar anerkannt, aber als unbedeutend für die territoriale Integrität des Staates betrachtet. Die ukrainischen Politiker manipulierten und instrumentalisierten diese Prozesse für ihre kurz- und mittelfristigen Mobilisierungszwecke. Vertreter aller Parteien und Teile der Massenmedien heizten die Menschen direkt oder indirekt auf. Der damalige Bildungsminister Dmytro Tabatschnyk etwa beschimpfte 2010 die Bewohner der Westukraine und sprach den Menschen in Galizien das Recht ab, Ukrainer zu sein. 2014 sprach Jurij Luzenko, der Vorsitzende der Poroschenko-Partei, in ähnlichem Stil über alle Menschen in Donezk und Luhansk.

Während sich die Maidan-Bewegung 2013 ursprünglich als Anwalt aller Ukrainer positionierte (für europäische Werte, einen hohen Lebensstandard, gute Arbeits- und Bildungschancen und Entwicklungsperspektiven), kam es im Zuge der Zuspitzung des Konflikts zu einem verstärkten Gebrauch von polarisierenden Stereotypen. Den Maidan-Befürwortern ("Westukrainer") wurden pauschalisierend "Faschismus" und "Bandera-Treue" zugeschrieben. Die Maidan-Kritiker ("Ostukrainer") wurden in ihrer Gesamtheit als "rückständige Sowjetnostalgiker" abgestempelt. In der russischsprachigen ukrainischen Zeitung "Nowoje wremja" erschien im August 2014 eine Publikation mit dem Titel "Warum werden die Ukrainer von der Donbass-Bevölkerung getötet?". Der Autor schließt die Menschen im Osten des Landes damit aus dem ukrainischen Kulturraum aus und er kommt zu dem Schluss, die "Deklassierten und Arbeitslosen im Osten" hassten Kiew und wollten sich für ihr Elend rächen. Dabei machten sie die Zentralregierung für soziale Missstände verantwortlich, ohne diese der lokalen Mafia anzulasten. Dieser Artikel ist kein Einzelfall. Die Online-Zeitung "Zensor.net" veröffentlichte im Juli dieses Jahres einen Post eines Bloggers mit dem Titel "Neun Gründe, warum ich Watniki nicht mag". Auch ganze ukrainische Regionen wie Galizien oder der Donbass werden abwertend beschrieben.

Die Zivilgesellschaft hat hier weitgehend versagt und wenig Vorkehrungen gegen die beschleunigte Erzeugung neuer Bösewicht-Bilder getroffen. Die Annexion der Krim durch Russland und die bewaffnete Auseinandersetzung im Osten haben diese Bilder heraufbeschworen. Eine wichtige destruktive Rolle haben dabei mediale Einflüsse aus dem Ausland gespielt. Viele Sendungen des russischen Fernsehens produzierten weitere Feindbilder und erschwerten dadurch den Anstieg von Empathie in der ukrainischen Gesellschaft. Zurzeit ist in diesem Spannungsbereich eine zwiespältige Tendenz zu beobachten. Einerseits hat der (aktive oder verbale) Einsatz für die ukrainische Einheit Teile der Bevölkerung konsolidiert, obwohl diese Entschlossenheit in ihrer aktuellen Stärke auch durchaus provisorischen Charakter haben kann. Andererseits fördern die hohen Verluste der Zivilbevölkerung in den Ballungsräumen Donezk und Luhansk und in der ukrainischen Armee das Lagerdenken. Auch die Binnenflüchtlinge aus dem Krisengebiet klagen über die bescheidene Willkommenskultur an ihren neuen Wohnorten. Sie haben erhebliche Schwierigkeiten bei der Arbeitsaufnahme und auf Wohnungssuche und sind mit der ablehnenden Haltung der Einheimischen konfrontiert, die ihren Ursprung in den Klischees über den Donbass hat.

Alle Feindbilder sind zu bekämpfen. Das dehumanisierende Bild von "den Donezkern" birgt allerdings derzeit die größten Gefahren und Risiken, weil die Integration der Menschen im östlichen Teil des Landes am dringendsten nötig ist.

Versöhnungsversuche

Die Geschichte der jüngsten Bemühungen, die Menschen im ukrainischen Osten wieder einzubinden, beschränkt sich auf wenige Episoden und ist nicht von Erfolg gekrönt. Der ukrainische Oligarch und Gouverneur von Dnipropetrowsk Ihor Kolomojskij plante für den 11. Mai eine Tagung der Lokalverwaltungen der südlichen und östlichen Regionen des Landes. Laut der Zeitung "Den" sollte diese Tagung einen Beitrag zur Reintegration des Donbass leisten. Perspektivisch sollte sie als dauerhafte Plattform für bilaterale Kontakte an der Grenze der zwei größten Gebiete der Ukraine fungieren. Die Veranstaltung wurde ohne Bekanntgabe von Gründen abgesagt. Beim zweiten Runden Tisch der nationalen Versöhnung am 16. Mai in Charkiw wurde die Verständigung auf zwischenmenschlicher Ebene nur als Randthema behandelt. Weitere Aktivitäten in diesem Bereich sind dem Autor nicht bekannt. Man legt viel Wert auf den künftigen Wiederaufbau der zerstörten Ortschaften. Dem Wiederaufbau von Vertrauen nach einem konflikt- und kriegsbedingten Vertrauensverlust wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt.

Lösungsvorschläge

In der klassischen Konfliktforschung liegt der Fokus jeder Versöhnungsstrategie auf den Gemeinsamkeiten, die die Parteien verbinden. Laut einer repräsentativen Umfrage des Kutscheriw-Zentrums für Demokratische Initiative vom 16. bis zum 30. März 2014 lehnen die Bewohner der Regionen Donezk und Luhansk die Abspaltung ihrer Regionen von der Ukraine mehrheitlich ab (s. Ukraine-Analysen Nr. 132). Selbst wenn sich diese Daten infolge der militärischen Auseinandersetzungen und der damit verbundenen Todesfälle zu Gunsten der Ukraine-Gegner verändert haben sollten, dürfte der Anteil der ukrainefreundlichen Bevölkerung immer noch spürbar sein. Er besteht aus potentiell loyalen Bürgern einer erneuerten Ukraine. Die nationale Elite ist verpflichtet, auf der Grundlage eines breiten Konsenses ein Sonderprogramm für einen "Aufbau Ost" auszuarbeiten. Neben der Gewährung wirtschaftlicher Vorteile wie höhere Renten und Gehälter im Öffentlichen Dienst, Zuschüsse für Kleinunternehmer und Mittelstand sowie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muss der Bevölkerung in Donezk und Luhansk ein Sicherheits- und Zugehörigkeitsgefühl vermittelt werden.

Eine wichtige Voraussetzung des Wir-Gefühls ist die Gleichbehandlung. Im Kontext der "Dehumanisierungsproblematik" bedeutet das den Verzicht auf Anschuldigungen und Beschimpfungen der Menschen in der Ostukraine, vor allem in der Presselandschaft. Bereits 1973 hat der deutsche Presserat einen Pressekodex vorgelegt, dem Journalistenverbände auf freiwilliger Basis zugestimmt haben. Diese informelle Sammlung ethischer Regeln garantiert unter anderem die Wahrung der Menschenwürde. Auch unangemessene Darstellungen in Wort und Bild, die Menschen in ihrer Ehre verletzen, werden als sittenwidrig verurteilt. Ein ähnliches Dokument könnte auch die ukrainische Pressegemeinschaft verabschieden, damit berechtigte Kritik nicht in Schuldzuweisungen und Diffamierungen ausufert. Genauso wichtig ist ein positives Bild vom ukrainischen "Ostler" in der Gesamtgesellschaft, propagiert durch die Medien und eine staatlich gesteuerte Kampagne, die Straßenplakatierung und Werbespots im Fernsehen einschließt.

Die Überwindung der aktuellen Krise erfordert ein Bündel von Maßnahmen, die kurzfristig (nach dem Prinzip der "Brandbekämpfung") und langfristig wirken. Solange die politische, wirtschaftliche und kulturelle Elite des Landes nicht verinnerlicht, dass der Aufbau einer Brücke des Vertrauens zwischen Kiew und Donezk wichtiger ist als das Militärische oder Finanzielle, wird jede neue Friedensinitiative argwöhnisch wahrgenommen werden. Ohne den Partner zu respektieren, gewinnt man keine Kämpfe um die Herzen und Seelen.

Fussnoten

Dmitri Stratievski ist Politikwissenschaftler und Historiker sowie stellvertretender Vorsitzender des Osteuropazentrums Berlin e. V.