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Analyse: Legitimation, Friedensplan und Reformagenda des neuen Präsidenten Poroschenko | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Legitimation, Friedensplan und Reformagenda des neuen Präsidenten Poroschenko

Inna Melnykovska Berlin Von Inna Melnykovska

/ 12 Minuten zu lesen

Nach den Präsidentschaftswahlen stellen sich dem neuen Präsidenten Petro Poroschenko drei Hauptaufgaben: Legitimitätserhalt, Frieden im Osten des Landes und umfassende politische und wirtschaftliche Reformen. Trotz der für ihn widrigen Bedingungen gibt es Erfolgschancen, wenn Poroschenko sich den externen Hebel, den die EU darstellt, zunutze macht.

Petro Poroschenko nach der Wahl am 26. Juni 2014 auf einer Pressekonferenz. (© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Die Berichterstattung rund um die Präsidentschaftswahlen reduzierte dieses Ereignis auf eine Frage von "Sein oder nicht Sein". Angesichts der Kämpfe im Osten des Landes sorgte man sich vor allem um die Durchführbarkeit dieser Wahlen. Jedoch waren diese kein Selbstziel, sondern ein Meilenstein im Siegeszug der Euromaidan-Bewegung. Die Präsidentschaftswahlen hatten drei Ziele, die nun zu den Hauptaufgaben des Präsidenten Petro Poroschenko geworden sind: (1) die Legitimation der neuen politischen Führung in Kiew im Inneren und nach außen zu stützen; (2) Frieden und Stabilität, besonders in den südöstlichen Regionen, herzustellen und die Ukraine vor einem Staatszerfall zu bewahren; und (3) Reformen, insbesondere bei der Bekämpfung der Korruption und für mehr Rechtstaatlichkeit, durchzuführen. Welche Chancen und Bedrohungen für die Erreichung dieser Ziele zeichnen sich heute, einen Monat nach den Präsidentschaftswahlen, ab?

Legitimation

Die Legitimation der Präsidentschaftswahlen wurde anfangs durch die fehlende rechtliche Basis für vorgezogene Präsidentschaftswahlen im Falle einer Präsidentenflucht sowie durch die Ankündigungen der pro-russischen Separatisten, die Wahlen zu behindern, in Frage gestellt. Die Resolution "Über die Selbstentfernung des Präsidenten der Ukraine aus dem Amt und vorgezogene Präsidentschaftswahlen in der Ukraine" (Interner Link: Ukraine-Analysen Nr. 132), die am 24. Februar 2014 mit 324 Ja-Stimmen (von 328 anwesenden Abgeordneten) angenommen wurde, schuf einen institutionellen Rahmen für die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen und indizierte einen parteienübergreifenden Konsens darüber, dass die Amtszeit des Präsidenten Wiktor Janukowytsch vorbei war. Die Wahlbehinderungen im Donbass wurden durch eine Erleichterung der Stimmabgabe außerhalb des jeweiligen Wohnortes zumindest teilweise aufgehoben. Der Sieg Poroschenkos im ersten Wahlgang mit 54,7 % der Stimmen bei einer durchschnittlichen Wahlbeteiligung von etwa 60 % kann als Zeichen hoher Legitimation gewertet werden.

Jedoch ist eine solche Zustimmung der Bevölkerung kaum der alleinige Verdienst Poroschenkos. In den südöstlichen Regionen waren die traditionellen Janukowytsch-Wähler desorientiert, einige blieben den Wahllokalen daher lieber fern. Man registrierte in diesen Regionen die niedrigste Wahlbeteiligung seit 1991. In den größten Festungen der Partei der Regionen – den Regionen Donezk und Luhansk – blieb die Mehrheit der Wahllokale aufgrund von Überfällen der pro-russischen Separatisten geschlossen. Interne Kämpfe in den Reihen der Partei der Regionen, die durch ihre verschiedenen Kandidaten für die Präsidentschaft deutlich zutage traten, haben zu einer weiteren Verunsicherung der ehemaligen Janukowytsch-Wähler beigetragen. Die Prominenz des offiziellen Kandidaten der Partei der Regionen, Mychajlo Dobkins, reichte kaum über die Region Charkiw hinaus, in der er zuvor das Amt des Gouverneurs innegehabt hatte. Die Kandidaten aus den Reihen der ehemaligen Opposition waren als zu "nationalistisch", zu extrem und als Kandidaten, die das Land weiter aufsplittern würden, gedeutet; bis auf Poroschenko. Er wurde von den Wählern der südöstlichen Regionen offensichtlich als gemäßigter zentristischer Kandidat wahrgenommen. In den westlichen und zentralen Regionen hat die strategische Stimmabgabe der Wähler Poroschenko den Sieg beschert. Angetrieben von der Gefahr des Staatszerfalls und dem Wunsch, die Wahlen auf den ersten Durchgang zu beschränken, entschieden sich die Wähler aus dem Lager der Opposition für den Kandidaten, der die besten Ergebnisse in den Umfragen hatte und für den sie im zweiten Wahlgang ohnehin gestimmt hätten. Eine solche strategische Stimmabgabe wurde durch die Entscheidung Witalij Klitschkos, nicht bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren, erleichtert.

Somit ist Poroschenkos hohe Legitimation der Desorientierung der Wähler im Osten und Süden sowie der strategischen Stimmabgabe der Wähler im Zentrum und im Westen der Ukraine zuzuschreiben. Seine Legitimation im Inneren wurde von der Legitimation nach außen verstärkt. Der Westen schickte nicht nur zahlreiche Beobachter, sondern machte die Anerkennung der Präsidentschaftswahlen und ihre Ergebnisse zu einer Bedingung bei der Frage nach der dritten Stufe der Sanktionen gegen Russland. Russlands Präsident Wladimir Putin gab nach: Er traf sich bei den D-Day-Feierlichkeiten in der Normandie mit Poroschenko. Seitdem führen die beiden regelmäßige Telefonate zur Lage im Osten. Ob diese hohe Legitimation erhalten bleibt, hängt von Poroschenkos Effektivität bei der Erfüllung der zwei anderen oben genannten Aufgaben ab. Hier ist er jedoch mit der Diskrepanz der zwischen den Vorstellungen der Wähler aus den verschiedenen Regionen konfrontiert. Während die Bevölkerung in den südöstlichen Regionen sich nach dem baldmöglichsten Frieden sehnt, sind die Wähler in den zentralen und westlichen Regionen nicht mit einem Frieden um jeden Preis einverstanden. Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die gewünschten Reformen. Im Osten ist man weniger bereit, die sozialen Kosten der Reformen zu tragen. Im Westen erwartet man die Durchsetzung eines schnellen und radikalen Reformprogramms, das die Ukraine den Vorstellungen des Euromaidans entsprechend zu einem Land nach europäischem Vorbild machen würde, und ist eher bereit, für Demokratie und Bürgerrechte Abstriche beim Wohlstand zu machen.

Der Friedensplan des Präsidenten

Die Herstellung des Friedens im Osten gehörte zu den wichtigsten Punkten von Poroschenkos Wahlprogramm. Auch in seiner Inaugurationsrede hat er vor allem den Bürgern im Osten einen baldigen Frieden versprochen. Bereits einen Tag nach seiner Inauguration berief Poroschenko eine Drei-Parteien-Kontaktgruppe ein, bestehend aus der OSZE-Vertreterin Heidi Tagliavini, dem Botschafter Russlands in der Ukraine Michail Surabow und Pawlo Klimkin, der zum damaligen Zeitpunkt Botschafter der Ukraine in Deutschland war und nun neuer Außenminister ist. Diese Kontaktgruppe soll die Aktivitäten aller drei am Friedensplan des Präsidenten beteiligten Seiten vorbereiten und koordinieren.

In den ersten Wochen nach dem Amtsantritt des Präsidenten wurde die Anti-Terror-Operation (ATO) bei der Vorbereitung seines Friedensplans gestärkt. Damit sollte die Eindämmungslinie zu einem Eindämmungskreis umgeformt werden, der die pro-russischen Separatisten von der Verstärkung mit Waffen und Söldnern aus Russland abschneiden sollte. Die ATO-Kräfte konnten auch tatsächlich einige Teile der Regionen Luhansk und Donezk von den pro-russischen Separatisten befreien. Nach Angaben der ATO-Führung konnten die ukrainischen Kräfte über 250 Kilometer der Grenze wieder unter ihre Kontrolle bringen. Von einer kompletten Einkreisung ist man jedoch weit entfernt geblieben. Darüber hinaus hat die Stärkung der ATO wegen der ungenügenden Ausrüstung der ukrainischen Kräfte auch mehrere Opfer mit sich gebracht. Separatisten haben vor allem mehrere Hubschrauber und ein Militärflugzeug mit 49 Insassen der ukrainischen Armee abgeschossen.

Der Friedensplan des Präsidenten wurde am 19. Juni bei einem Treffen der regionalen Eliten aus den Regionen Donezk und Luhansk konkretisiert. Er besteht aus 14 Punkten und umfasst neben den kurzfristigeren militärischen Plänen zum Waffenstillstand, zur Waffenniederlegung, zur Amnestie etc. auch langfristigere Punkte. So sieht eine Verfassungsänderung eine Dezentralisierung zugunsten der Regionen vor: Dabei würde der Präsident die Befugnis verlieren, die regionale Exekutive zu ernennen. Diese würde von den neu gewählten lokalen Räten formiert werden. Auch durch veränderte Finanzströme soll mehr Eigenverwaltung der Regionen ermöglicht werden: 25 % der Einkommenssteuer würden dem Plan zufolge in den Regionen bleiben. Außerdem wurden dem Donbass spezifische Versprechungen gemacht: ein Wirtschaftsprogramm zur Rekonstruktion der Region und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze (Budget: 1,5 Milliarden Euro) sowie stärkere Rechte der Regionen in Bezug auf historische Erinnerung, kulturelle Traditionen und Sprachenpolitik in Folge der Dezentralisierung.

Am 20. Juni besuchte Poroschenko den Donbass und kündigte den einseitigen Waffenstillstand auf, der bis zum frühen Morgen des 27. Juni hatte dauern sollen. Die pro-russischen Separatisten hatten zuvor angekündigt, sich nicht an den Waffenstillstand zu halten, jedoch die Bereitschaft signalisiert, dafür am 23. Juni an einem Treffen der Kontaktgruppe teilzunehmen (wobei der Außenminister Klimkin durch den ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma als informellen Beauftragten Poroschenkos ausgetauscht wurde). Nichtsdestotrotz hörten die Angriffe der Separatisten auf die ukrainischen ATO-Kräfte nicht auf, so dass Poroschenko am 24. Juni bereits die Option angekündigt hat, den Waffenstillstand vorzeitig zu beenden. Die Auswirkungen des Waffenstillstandes auf die militärische Lage sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz absehbar, werden von den ukrainischen Militärexperten aber negativ bewertet. Die Separatisten nutzten den Stillstand, um ihre Kräfte zu dislozieren und zu stärken.

Die Ausweitung des Dialogs mit den östlichen Regionen auf die bewaffneten Separatisten hat diese als Verhandlungspartner de facto legitimiert. Auf internationaler Ebene konnte der Waffenstillstand jedoch einige Erfolge verzeichnen. Die ukrainische Führung bewies sich als friedenswillig und trieb den Westen an, sich nicht auf eine Vermittlerrolle zu beschränken, sondern sich bei der Suche nach einer Lösung des Konflikts entschiedener an die Seite der Ukraine zu stellen. Weiterhin zeigte die anhaltende Versorgung der Separatisten mit Waffen und Manpower aus Russland, dass der Konflikt keine innerstaatliche Angelegenheit der Ukraine ist. Die EU reagierte mit Ankündigungen, den wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens am 27. Juni ohne weitere Verzögerungen zu unterschreiben und innerhalb der EU-Strukturen eine institutionalisierte Gruppe zur Unterstützung von dessen Implementierung zu gründen. Die dritte Stufe der Sanktionen gegen Russland wurde jedoch weiter aufgeschoben und die Ankündigung des russischen Föderationsrates, die Genehmigung des militärischen Truppeneinsatzes in der Ukraine auf Bitte des Präsidenten Putin zurückzunehmen, wurde (mit Skepsis) begrüßt.

Poroschenkos Reformagenda und ihr Umsetzungspotential

Poroschenkos Wahlprogramm – "Auf neue Art leben" – priorisiert die Reformen für mehr Rechtsstaatlichkeit, zur Bekämpfung der Korruption und zur Liberalisierung der monopolisierten Märkte. Die militärischen Auseinandersetzungen mit den pro-russischen Separatisten im Osten können die Reformen sicherlich erschweren. Noch mehr Gefahren bergen aber das politische System und die Parteienlandschaft der Ukraine. Nach der Rückkehr zur Verfassung von 2004 fehlen dem Präsidenten die Befugnisse zur Durchführung der versprochenen Reformen. Er kann lediglich den Außen- und den Verteidigungsminister sowie den Chef der Nationalbank und den Generalstaatsanwalt nominieren. Die angekündigten Reformen fallen aber hauptsächlich in die Zuständigkeit der Regierung, die zurzeit von der Partei Vaterland dominiert wird. Der Präsident könnte zwar auf die ungeklärten Befugnisse der präsidentiellen Administration und des Rats der Nationalen Sicherheit, die ihm untergeordnet sind, zurückgreifen. Das hätte aber, wie bereits nach der Orangenen Revolution, politische Konflikte mit der Regierung zur Folge.

Auf den ersten Blick ist Poroschenkos Stellung gegenüber dem Parlament zurzeit schwach. Bei Parlamentsentscheidungen kann er sich nicht auf seine Partei stützen, sondern ist auf die Zusammenarbeit mit der UDAR-Partei von Witalij Klitschko angewiesen. Mit 41 Abgeordneten sind deren Entscheidungskapazitäten jedoch beschränkt. Vorgezogene Parlamentswahlen könnten die Parteienlandschaft im Parlament zugunsten des Präsidenten verändern. Insbesondere im Falle einer erfolgreichen Implementierung des Friedensplans hat sein Koalitionspartner, die UDAR-Partei, gute Chancen, seine Präsenz im Parlament zu stärken. Weiterhin könnte Poroschenko bei den Parlamentswahlen eine eigene politische Kraft aufstellen. Die ukrainischen Journalisten Mustafa Nayem und Serhiy Leschchenko berichteten bereits über Vorbereitungen, auf Basis der alten "Solidarnist"-Partei eine neue Partei Poroschenkos zu gründen. Diese dürfte bei vorgezogenen Wahlen von der Popularität des Präsidenten und seinen eventuellen Erfolgen bei der Friedenssicherung profitieren. Über vorgezogene Parlamentswahlen ist jedoch noch nicht entschieden. Die Zusammensetzung des Parlaments entspricht nicht der politischen Lage nach dem Euromaidan.

Weiterhin ist die Legitimation des jetzigen Parlaments durch die Rückkehr zur Verfassung von 2004 in Frage gestellt. Es verfügt nun über mehr Befugnisse, als ihm bei den Wahlen 2012 zustanden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die legalen Hebel, über die der Präsident laut Verfassung verfügt, bei der jetzigen Parteienlandschaft zu einer Parlamentsauflösung führen. Am wahrscheinlichsten durchsetzbar ist eine Neuwahl des Parlaments, wenn der Präsident diese nach Auflösung der bestehenden und Nichtbildung einer neuen Koalition innerhalb von 30 Tagen ausruft – was er unter diesen Bedingungen kann. Dafür müsste die jetzige Koalition aufgelöst werden, z. B. durch einen Austritt der UDAR-Partei. Es ist jedoch nicht sicher, ob im Parlament nicht auch ohne UDAR eine neue Koalition gebildet werden könnte. Nach dem Austritt von über der Hälfte der Abgeordneten aus der Fraktion der Partei der Regionen gibt es eine kritische Masse von fraktionslosen Abgeordneten, die kein Interesse an vorgezogenen Parlamentswahlen haben und zur Koalitionsbildung bereit sind. Auch die Partei Vaterland, die nach der Niederlage von Julia Tymoschenko mit Verlusten bei vorgezogenen Parlamentswahlen rechnen müsste, setzt sich gegen solche und für den Bestand der jetzigen Koalition ein.

Es gibt außerdem ein paar weitere Gründe, die für die Verschiebung der Parlamentswahlen sprechen. Es steht eine Verfassungsreform an, die eine Dezentralisierung und eine klare Aufteilung der Befugnisse zwischen Exekutive und Legislative mit sich bringen soll. Auch das Wahlsystem, das der ehemalige Präsident Januko­wytsch zugunsten seiner Partei der Regionen ändern ließ, soll reformiert werden. Parlamentswahlen wären stärker legitimiert, wenn sie nach solchen neuen Spielregeln stattfinden würden. Die Verfassungs- und die Wahlsystemreform sind jedoch noch in der Ausarbeitungsphase. Das legale Prozedere ihrer Umsetzung abzuwarten, ließe die Parlamentswahlen in weite Ferne rücken. Angesichts der ineffektiven legalen Mittel der Einflussnahme auf das Parlament muss Poroschenko sich daher auf situationsbezogene Abmachungen und Kompromisse mit den anderen Fraktionen, den neu gegründeten Abgeordnetengruppen sowie mit einzelnen Abgeordneten einlassen. Die Abstimmungen zur Berufung des Außenministers, der Chefin der Nationalbank und des Generalstaatsanwalts zeigten eine Kooperationsbereitschaft gegenüber Poroschenko vor allem derjenigen politischen Kräfte (z. B. die Abgeordneten der Partei der Regionen), deren Chancen gering sind, bei vorgezogenen Wahlen wieder ins Parlament zu kommen. Solche situationsbezogenen Kompromisse könnten die Reformen jedoch bremsen.

Einen hilfreichen Hebel für das Reformprogramm des Präsidenten bieten Akteure jenseits des politischen Systems an. So beteiligt sich etwa die Initiative "Reanimation Package of Reforms" nicht nur aktiv an Gesetzvorschlägen und deren Verabschiedungsprozessen im Parlament. Sie informiert die ukrainische und die internationale Öffentlichkeit auch über diese Prozesse und insbesondere über Missstände und setzt damit die Abgeordneten unter zusätzlichen Reformdruck. Weiterhin könnte die Ankopplung des Reformprogramms an das Assoziierungsabkommen (AA) mit der EU zusätzliche externe Anreize und Kontrollmechanismen sichern. Dafür müsste zum einen die Koordinierung des Präsidenten mit den zivilgesellschaftlichen Initiativen institutionalisiert werden (zum jetzigen Zeitpunkt gibt es Gespräche über die Gründung eines Koordinationsrates, der aus Repräsentanten der zivilgesellschaftlichen Initiativen, des Parlaments und der präsidentiellen Administration bei persönlicher und regelmäßiger Beteiligung des Präsidenten gebildet wird). Zum anderen könnte der Präsident bei der AA-Implementierung die Initiative ergreifen und eine neue koordinierende Struktur unter seiner Führung schaffen. Eine solche würde jedoch Konfliktpotential mit der Regierung um die Frage der Federführung im AA-Prozess bergen.

Ausblick

Die Einstellungen der Bevölkerung zum Präsidenten und ihre Erwartungen an ihn, die sich von Region zu Region jeweils unterscheiden und sogar konträr sind, die Herausforderungen eines Militäreinsatzes mittels der geschwächten Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen, die Schwierigkeiten des Dialogs mit den bewaffneten und gewalttätigen pro-russischen Separatisten sowie seine bescheidenen Befugnisse und die machtpolitischen Kämpfe im Parlament machen es dem Präsidenten Poroschenko nicht leicht, seine Friedens- und Reformpläne zu implementieren. Außerdem müssen die von ihm vorgeschlagenen Reformen nicht unbedingt die erwünschten Auswirkungen haben. So werden die Dezentralisierungsreformen, die die vom Präsidenten eingesetzten Exekutiven abschaffen und die regionalen gewählten Legislativen stärken sollen, bereits seit der frühen 2000er Jahren diskutiert. Zwar sollen diese idealerweise die Effektivität der regionalen Selbstverwaltung stärken, sie könnten jedoch auch zu einem weiteren Staatszerfall beitragen. Die regionalen Wahlen im Osten, die von Poroschenko vorgeschlagen wurden, könnten von den Oligarchen instrumentalisiert werden, um die Durchsetzung der Reformen in den Regionen zu blockieren. Die Bewältigung der Aufgaben ist nicht nur von den persönlichen Fähigkeiten Poroschenkos und von internen Faktoren abhängig, sie wird auch maßgeblich von den Positionen Russlands und der EU beeinflusst.

Präsident Putin hat geopolitische und wirtschaftliche Kosten der Aggression gegenüber der Ukraine bislang nicht gescheut. Der persönliche Machterhalt des Putin-Systems scheint über Geopolitik und Wirtschaftsinteressen zu stehen. Putins Zugeständnisse im Konflikt mit der Ukraine bleiben von kosmetischer und symbolischer Natur. So wurde die Sondererlaubnis des Föderationsrates, in die Ukraine einzumarschieren, zwar zurückgenommen, der Präsident verfügt aber nach wie vor über die Ermächtigung aus dem Jahr 2009 zum "unbefristeten Recht auf den operativen Einsatz von Streitkräften im Ausland". Darüber hinaus nutzt Russland eine ganze Palette von Instrumenten – wie Waffenlieferungen an Separatisten, umfassende Propaganda durch russische Medien oder auch den Einsatz der "Gas-Waffe" – die die Grenze zum offenen Krieg zwar nicht überschreiten, sich jedoch weiterhin destabilisierend auf die Ukraine auswirken können. Die EU kann Poroschenkos Erfolgschancen bei den Friedens- und Reformplänen erhöhen. Dafür müsste sie sich beim Konflikt mit Russland entschieden auf die Seite der ukrainischen Regierung stellen und ihre wirtschaftlichen Verflechtungen als Druckmittel gegenüber Russland nutzen. Die Sanktionen der EU haben zwar keine sofortige Konfliktlösung bewirkt. Dafür waren sie nicht präzis und umfassend genug. Sie haben Putin jedoch zum Dialog und zur Änderung seiner Taktik bewegt. Eine Etablierung der EU-Monitoring- und -Kontrollmechanismen sowie EU-Anreize würden Poroschenkos Reformagenda weiter stützen und hätten das Potential, den konkurrierenden politischen Kräften eine Basis des Zusammenhalts zu bieten.

Fussnoten

Inna Melnykovska promoviert am Otto Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen.