Gescheitertes Abkommen: Ukrainischer Premier rechtfertigt Stopp von EU-Annäherung
Spiegel-Online am 22.11.2013: Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), machte den russischen Staatschef für das Aus des Abkommens verantwortlich. "Putin verfolgt eine Politik des Nullsummenspiels, das heißt, mir nutzt das, was meinen Gegner schwächt. Und was die anderen stark macht, ist für mich eine Schwächung", sagte er am Freitag dem RBB-Inforadio. Die EU solle der Ukraine nun die Tür für eine Annäherung offen halten, allerdings nicht zu jedem Preis: "Wir dürfen die Bedingungen, die jetzt aus Moskau in ein Abkommen zwischen der Ukraine und der EU hineingeschrieben werden sollen, auf keinen Fall annehmen."
Eine Woche vor Vilnius hat die Ukraine aufgegeben
gazeta.ru (Russland) am 22.11.2013 Mykola Asarow hat erklärt, dass die Assoziierung mit der EU ein Verlustgeschäft werden würde: allein für die Umstellung auf europäische technische Standards müsste Kiew zwischen 100 und 160 Milliarden Euro aufbringen. (…) Kiew hat auch Druck aus Moskau erfahren. Moskau rechtfertigte seine Handlungen damit, dass die Freihandelszone zwischen der EU und der Ukraine der russischen Wirtschaft schaden würde. Der Kreml deutete an, dass in diesem Falle Russland dazu gezwungen sei, einen einheitlichen Zolltarif einzuführen und die Zollkontrollen zu verschärfen, um den russischen Markt vor Reexporten aus Europa und der Türkei zu schützen.
Quelle: Externer Link: http://www.gazeta.ru/business/2013/11/21/5764149.shtml
Der Russische Bulldozer und das ukrainische Boot
Mikhail Rotkowskij, mk.ru (Russland), 22.11.2013 Die Ukraine vor die Wahl zwischen Russland und Europa zu stellen ist in etwa dasselbe, wie zu fragen: "Bitte, Liebster, entscheide dich auf der Stelle: welche Hand willst du verlieren, die rechte oder die linke?" Die Ukraine kann weder ausschließlich mit Russland, noch ausschließlich mit der EU assoziiert sein. Sie ist eine Transitzone, eine Brücke zwischen zwei Teilen eines Kontinents. Und aus dieser Perspektive macht Präsident Wiktor Janukowytsch alles richtig. Janukowytsch weist die ihm aufgezwungene Wahl resolut zurück und laviert verzweifelt. Freilich sind weder die EU noch Russland über solch "doppelgesichtiges" Verhalten besonders erfreut. Doch hat Janukowytsch aus meiner Sicht keine Alternative zu diesen ausgewogenen Entscheidungen. (…) Die Ukraine will ihre wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland nicht kappen. Sie will jedoch auch nicht der Zollunion beitreten. Ein solcher Schritt würde die Ukraine von innen zerreißen. Was folgt aus all dem? Nötig sind neue Formen wirtschaftlicher Integration. Formen, die die Interessen Kiews, Moskaus und der EU gleichermaßen berücksichtigen. Die Ukraine hat im Übrigen genau das vorgeschlagen.
Zu Massenprotesten und gewaltsamen Ausschreitungen in Kiew
Witalij Klitschko in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 22.11.2013:
Was waren Ihre Gedanken, als Sie hörten, dass die Ukraine sich nun vielleicht von Europa abwendet? Das ist nicht die Ukraine, die sich abwendet, sondern die Regierung. Wir sind enttäuscht, man hat uns betrogen. Wir hatten Hoffnungen auf Reformen, die unser Land in Europa integrieren würden – im Bereich der Justiz, bei der Polizei, im Kampf gegen Korruption. Die Opposition hat sich getroffen, und jetzt fordern wir die Leute auf, am Sonntag auf die Straße zu gehen. Wir wollen nicht nur zehntausend oder zwanzigtausend Demonstranten mobilisieren, sondern viel mehr: fünfzig-, achtzig-, hunderttausend Menschen. In allen Städten laufen im Augenblick Vorbereitungen für Demonstrationen für die Europäische Union: in Kiew, Charkiw, Donezk und Lemberg. Ist das der Anfang einer neuen Revolution? Ich kann das nicht sagen. Ich weiß nur, dass die Leute enttäuscht sind. Die Regierung verspricht ein besseres Leben, aber die Wahrheit ist, dass die Investoren aus dem Land laufen, dass wir riesige Korruption haben, dass die Wirtschaft schrumpft.
Politik mit brutalem Druck
The Economist, 22.11.2013 Einfache Ukrainer sind auf den Maidan gekommen – Kiews zentralen Platz, die Bühne der Orangen Revolution von 2004 –, um gegen Janukowytschs Entscheidung zu protestieren. Die Tatsache, dass dies unmittelbar vor dem neunten Jahrestag der Orangen Revolution geschieht, macht es nur noch ergreifender. Vor fünf Jahren spülte die Orange Revolution Julija Tymoschenko und Wiktor Juschtschenko an die Macht. Damals wurde das als Ausbruch aus der russischen Einflusssphäre und als wichtiger Schritt in Richtung Europa interpretiert. Jubelnde Mengen schwenkten EU-Flaggen zusammen mit ukrainischen. Das Versprechen der Revolution wurde von Juschtschenko, der nun Janukowytsch dazu rät, Julija Tymoschenko hinter Gittern zu lassen, und auch von Tymoschenko selbst spektakulär verspielt. Die orangen Flaggen sind verschwunden, doch die europäische weht wieder neben der ukrainischen. Der Maidan ist bereits in EuroMaidan umbenannt worden. Janukowytschs Wende in Richtung Russland scheint die Ukraine von Europa zu entfernen, aber sie könnte auch das Gegenteil bewirken.
Quelle: Externer Link: http://www.economist.com/blogs/easternapproaches/2013/11/ukraine-and-eu-0
Stellungnahme der Hohen Repräsentantin Catherine Ashton und EU-Erweiterungskommissar Štefan Füle zu den nächtlichen Ereignissen in der Ukraine am 30.11.2013
Die Europäische Union verurteilt die exzessive Gewaltanwendung der Polizei in Kiew in der letzten Nacht mit dem Ziel, friedliche Proteste aufzulösen, scharf. Die Protestierenden haben in den vergangenen Tagen in beispielloser Weise ihre Unterstützung für die politische Assoziierung und wirtschaftliche Integration mit der EU ausgedrückt. Diese Unterstützung wurde gestern von den Teilnehmern des Gipfels der Östlichen Partnerschaft in Vilnius gewürdigt. Die ungerechtfertigte Anwendung von Gewalt verletzt die Prinzipien, deren Anerkennung alle Teilnehmer des Gipfels von Vilnius, einschließlich des Präsidenten der Ukraine, gestern bestätigt haben. Wir rufen die Ukraine auf, auch als Vorsitzender Staat der OSZE, der seine Ministerkonferenz am 5. und 6. Dezember in Kiew ausrichten wird, all ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu achten. Wir rufen den Präsidenten und die ukrainischen Behörden auf, Untersuchungen zu den gestrigen Vorfällen einzuleiten und die Verantwortlichen, die die Grundrechte auf Meinung und Versammlung verletzt haben, zur Rechenschaft zu ziehen.
Quelle: Externer Link: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-13-1077_en.htm
Die Ukrainer fordern bei Protesten gegen die EU-Kehrtwende Rücktritt von Janukowytsch
Oksana Gryzenko und Shaun Walker, The Guardian, 2.12.2013 Der nationalistische Rechtsaußen-Politiker Oleh Tjahnybok bemühte sich derweil um Unterstützung durch die Arbeiter. "Von heute an streiken wir", erklärte er. Sollte die Idee eines landesweiten Generalstreiks Unterstützung finden, wäre das ein sicheres Zeichen dafür, dass die Proteste mehr sind als ein Strohfeuer. Alle Oppositionsführer leugneten jede Art der Verstrickung in die Gewaltausbrüche und warfen der Obrigkeit vor, Provokateure engagiert zu haben. Am Sonntagabend schien die Ordnung vorerst wiederhergestellt (…) Der nächste Schritt von Janukowytsch wird entscheidend sein. Am Wochenende verurteilte er die Gewalt und bestand darauf, dass das Land sich noch immer auf dem Weg zur Europäischen Integration befinde. Gerüchten zufolge traf er seine Berater auf seiner Residenz außerhalb der Stadt. Seine Referenten erklärten, er halte an seinem für Mittwoch geplanten China-Besuch fest; danach muss er nach Moskau.
Opposition besetzt Regierungsviertel in Kiew
Konrad Schuller, FAZ, 08.12.2013 Neue Unterstützung winkt der pro-europäischen Opposition derweil von anderer Seite. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Gruppe der konservativen Parteien in der EU (EVP) wollen Klitschko laut Informationen des Magazins "Der Spiegel" durch gemeinsame Auftritte stärken. Geplant sei, den Boxer zum Oppositionsführer und Gegenkandidaten von Präsident Janukowitsch aufzubauen, hieß es. Parallel dazu würden EVP und die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung Politiker von Klitschkos Udar-Partei logistisch unterstützen und schulen. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. (…) Der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwaśniewski warf unterdessen der EU Naivität im Umgang mit der Ukraine vor. Bereits seit Sommer sei klar gewesen, dass Russland das Assoziierungsabkommen zwischen Brüssel und Kiew torpedieren werde, sagte Kwaśniewski dem "Spiegel". Der Westen habe die Entschlossenheit von Kremlchef Putin unterschätzt – er habe aber auch das unterschätzt, was sich in Kiew abspiele. Die Führung um Präsident Janukowitsch habe keine Strategie und wolle nur überleben.
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/regierungsviertel-in-kiew-besetzt-demonstranten-stuerzen-lenin-sta tue-12700582.html
Bis Europa reicht die Sprache nicht
Evgenij Schestakow, Rossijskaja Gaseta, 09.12.2013 Nicht die ukrainische Opposition bringt heute die Menschen auf die Straßen Kiews und blockiert staatliche Einrichtungen. Der Hauptakteur hinter den Kulissen der Protestaktionen ist die EU und ihre Institutionen, die mit den Gegnern der jetzigen Machthaber eng verbunden sind. Schon vor Ende des Ministertreffens der OSZE in Kiew liefen die westlichen Teilnehmer – von der stellvertretenden Außenministerin der USA, Victoria Nuland, bis hin zu Repräsentanten aus Osteuropa – auf den Maidan, um den ukrainischen Oppositionellen ihre "heiligen Gesichter" zu zeigen. Und gleichzeitig vor den Kameras als Agitatoren im Dienste europäischer Werte zu posieren. Nuland hatte übrigens zuvor erklärt, dass das Weiße Haus im Jahr 2013 100 Millionen Dollar zur Unterstützung der ukrainischen Demokratie bereitgestellt habe und hatte den Anhängern der Europäischen Integration auch für das kommende Jahr nicht weniger versprochen. Auf dem Maidan trat auch der pensionierte Präsident Georgiens, Mikhail Saakashvili, auf. Man begrüßte ihn freundlich, doch hätte man ihn eigentlich mit Schande davonjagen müssen. Die ukrainischen Oppositionellen hatten offenbar die Demonstration vergessen, die vor einigen Jahren in Tiflis stattfand. Damals waren hunderte Menschen auf einer friedlichen Demonstration bei einer Aktion von Spezialeinheiten der Polizei unter direktem Kommando Saakashvilis verletzt worden. Doch die dem Recht und der Freiheit verpflichteten EU-Kommissare hatten den georgischen Oppositionellen Rechtsbruch vorgeworfen und zusammen mit dem offiziellen Tiflis in den Protesten die "Hand Moskaus" ausgemacht.
Quelle: Externer Link: http://www.rg.ru/2013/12/08/kiev-site.html
Zusammengestellt von Katerina Malygina und Jan Matti Dollbaum Übersetzt von Jan Matti Dollbaum