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Analyse: Nach dem KyivPride: Die LGBT-Community des Landes setzt ihre Hoffnungen auf Europa | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Nach dem KyivPride: Die LGBT-Community des Landes setzt ihre Hoffnungen auf Europa

Conrad Breyer

/ 13 Minuten zu lesen

Im Mai dieses Jahres konnten Aktivist*innen der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Transgender (LGBT)-Szene in der Ukraine erstmals auf die Straße gehen, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Der KyivPride mit seinem "March of Equality" war ein historischer Schritt für die LGBT-Bewegung im Land. Die ukrainische Gesellschaft ist mehrheitlich homophob; seit dem KyivPride besteht jedoch berechtige Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation. Allerdings wird vieles davon abhängen, ob die Regierung im November tatsächlich wie geplant das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen kann.

Religiöse Fanatiker und Nationalisten demonstrieren am 25. März 2013 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gegen Homosexualität. (© picture-alliance/dpa)

Der KyivPride – 350 Meter für gleiche Rechte

Leicht erkämpft war dieser Sieg nicht. Zum Ort des Geschehens kamen die Demonstranten in Polizeibussen; zwischen dem Zaun des Puschkin-Parks auf der einen und den Stoßstange an Stoßstange parkenden Polizeibussen auf der anderen Seite bezogen die etwa 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer Stellung – in Fünferreihen, mit Regenbogenfahnen und Transparenten bewaffnet, eingekesselt von bis zu 1000 Polizisten. Draußen, für die Demonstranten unsichtbar, standen die Gegner, orthodoxe Christen und Nationalisten, etwa 1000 von ihnen. Unsichtbar, aber vernehmbar. Freien Zugang hatte nur die Presse. Die ukrainische Polizei hat ihren Job an diesem Tag gut gemacht. Die 350 Meter Strecke konnten die Demonstranten fast unbehelligt ablaufen. Kleine Zwischenfälle gab es wohl, Homo-Gegner hatten sich als Journalisten eingeschleust, eine Rauchbombe kam von oben. Eine Stunde dauert das Ganze, dann war Schluss. Wie die Hinfahrt hatte die ukrainische Polizei auch den Abtransport perfekt organisiert. Eine einstündige Irrfahrt durch die Stadt schüttelte nach dem "March of Equality" alle potenziellen Gegner ab.

Ein historischer Schritt für die LGBT-Bewegung

Am 25. Mai 2013 hat in der Ukraine, das im Jahre 1991 als erstes postsowjetisches Land Homosexualität (unter Männern) entkriminalisierte, erstmals erfolgreich ein Gay-Pride stattgefunden. Mit dem Gay-Pride feiern Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender einmal im Jahr überall auf der Welt den Tag, an dem sich Homosexuelle in der New Yorker Schwulenbar "Stonewall" zum ersten Mal gegen die Razzien der örtlichen Polizei zur Wehr setzten. Das war 1969. Die Unruhen damals nahmen in der Christopher Street ihren Ausgang, weshalb der Pride in Deutschland Christopher Street Day heißt oder kurz "CSD". Der Kiewer "CSD" dieses Jahres ist als historisch einzustufen. Erstmals konnten Lesben-, Schwulen- und Trans-Aktivistinnen und -Aktivisten aus dem In- und Ausland für ihre Rechte öffentlich und – dank der 60 Pressevertreter*innen – auch einigermaßen sichtbar eintreten. Das Motto lautete "Human Rights are my Pride". Es ging um Gleichstellung, den Schutz vor Diskriminierung und Homophobie, Abbau von Vorurteilen, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Dieser Erfolg ist nicht selbstverständlich in einem Land, in dem Übergriffe gegen Homosexuelle zum Alltag gehören und dessen Parlament – nach russischem Vorbild – über das Verbot so genannter Gay-Propaganda diskutiert – das Gesetz liegt nach der ersten Lesung vom 2. Oktober 2012 zurzeit auf Eis.

Negative Einstellung gegenüber Lesben, Schwulen und Transgender

Ein erster Versuch, einen Gay-Pride zu veranstalten, war im Vorjahr gescheitert. Die Polizei weigerte sich, die etwa 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor den rund 750 Gegnern zu schützen. Gekommen waren Nationalisten, Vertreter*innen der orthodoxen Kirche, Kosaken-Verbände. Drei Aktivisten wurden im Nachgang krankenhausreif geprügelt – einer vor laufender Kamera. Bis heute hat die Polizei die Täter nicht gefasst. Homophobie ist in der Ukraine salonfähig. Nur wenige Menschen "hassen" Lesben und Schwule wirklich; die meisten aber schließen sich still der Mehrheitsmeinung an. Einer Umfrage der LGBT-Organisation Nash Mir aus dem Jahre 2010 zufolge sind 72 Prozent aller Ukrainer*innen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender gegenüber negativ eingestellt. Gegen gleichgeschlechtliche Ehen wenden sich laut einer eine Erhebung des Gorshenin-Instituts 48 Prozent der Bevölkerung. Und nach einer Umfrage der Online-Zeitschrift Objective sind 63 Prozent der Ukrainer*innen durchaus dafür, Propaganda für "Homosexualismus" zu unterbinden. Homosexualität gilt vielen bis heute als Krankheit, Perversion, als westliche Mode. Im Internet versuchen rechtsradikale Gruppierungen (z. B. "Occupy Pedofilyia") schwule Männer umzuerziehen. Homosexualität ist für sie gleichbedeutend mit Pädophilie: Wie in Russland vereinbaren sie über Kontaktbörsen Treffen, bedrohen oder verprügeln ihre Opfer, filmen die Szene und stellen die Videos zur Abschreckung ins Netz. Die ukrainische Polizei nutzt übrigens ähnliche Methoden, um von schwulen Männern Geld zu erpressen. Gefilmt wird freilich nicht. Eine Verfolgung seitens der Behörden findet in den meisten Fällen nicht statt. Eine sexuelle Revolution hat in der Ukraine nie stattgefunden, die Gesellschaft ist patriarchalisch geprägt; Sexualität, erst recht Homosexualität sind Tabuthemen. Dass sexuelle Orientierung und Gender-Identität nichts sind, worüber Menschen frei verfügen können, wissen die meisten nicht. Der Begriff "Homosexualismus" weist darauf hin: In der Wahrnehmung vieler Menschen ist die sexuelle Orientierung ähnlich der politischen Anschauung frei wählbar. Schätzungsweise sind in der Ukraine wie in allen anderen Ländern der Welt zwischen zwei und zehn Prozent der Bevölkerung lesbisch, schwul, bisexuell oder transident. Nash Mir spricht von 800.000 bis 1,2 Millionen Menschen; davon leben 100.000 bis 200.000 in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.

Lesben und Schwule stehen jetzt auf der Agenda

Organisiert hatten den KyivPride mit seinem March of Equality 15 der wichtigsten LGBT-Gruppen im Land – zusammengeschlossen im KyivPride 2013 Organizing Committee – zusammen mit Amnesty International. Vertreter*innen von Human Rights Watch, Freedom House und den EU-Botschaften haben den Demonstrationszug beobachtet, mit Marije Cornelissen nahm eine EU-Parlamentarierin teil. Auch eine Delegation aus Kiews Partnerstadt München war vor Ort, angeführt von Bürgermeister Hep Monatzeder. Möglicherweise ist es der Beteiligung aus dem Ausland zu verdanken, dass sich das ukrainische Innenministerium gezwungen sah, die Polizei nachdrücklich zum Schutz der Veranstaltung zu verpflichten. Gerade die Botschaften der EU-Länder haben Druck gemacht. Ein erneutes Scheitern des KyivPride hätte nicht zu den europäischen Ambitionen der Regierung gepasst. Das Land will im November beim Gipfel der "Östlichen Partnerschaft" in Vilnius das viel beachtete Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Dem Land bringt es unter anderem eine Freihandelszone. Analysten erwarten, dass das jährliche Handelsvolumen zwischen der Ukraine und der EU von derzeit 40 Millionen Euro um mehr als das Doppelte steigen wird. Die EU sagte der Ukraine außerdem Kredite in Höhe von 610 Millionen Euro zu. Der KyivPride 2013 hat vieles verändert – die Berichterstattung ist an erster Stelle zu nennen. Über den March of Equality haben die ukrainischen Medien neutral bis wohlwollend geschrieben; das ist ein Novum. Und so mancher Leser zeigte sich in den Kommentarspalten unter den mehrheitlich im Internet veröffentlichten Artikeln überrascht darüber, wie "normal" Lesben und Schwulen daherkommen. Die Gegner hingegen kamen schlecht weg; zu aggressiv war ihr Auftreten. Auch im Ausland, allen voran in der Europäischen Union, dürften die Berichte aus Kiew verfangen haben. Beweist die ukrainische Regierung damit doch, dass es möglich ist, auf ihrem Terrain für Menschenrechte einzutreten und dass der Staat gewillt ist, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit von Minderheiten zu schützen. Schon in den Wochen davor waren im ganzen Land so genannte Flashmobs gelungen, mit denen LGBT-Aktivist*innen rund um den 17. Mai, dem International Day Against Homophobia (IDAHO), auf die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender aufmerksam gemacht haben. Meist ließen sie regenbogenfarbene Luftballons steigen. Die Polizei hat die Aktionen gesichert – auch hier war die Rede von einem "Deal". Die Polizei schützt – aus politischem Interesse.

Unterstützung auf höchster Ebene

Präsident Wiktor Janukowytsch hat es sich denn auch nicht nehmen lassen, die ukrainische LGBT-Bewegung öffentlich für ihr zivilgesellschaftliches Engagement zu loben. Dieses Statement gleicht einer Sensation, denn zuvor hat sich – so dezidiert positiv – auf staatlicher Ebene noch niemand zum Thema geäußert. Auch Walerija Lutkowska, die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, setzte sich lautstark dafür ein, Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender gesetzlich besser zu schützen. Auch das ist eine erstaunliche Neuerung: Ihre Vorgängerin, Nina Karpachova, hatte noch zu Protokoll gegeben, sie könne die "negative Haltung der ukrainischen Gesellschaft diesen Leuten gegenüber" nicht ignorieren. Ukrainische LGBT-Aktivist*innen nehmen die Veränderungen auf höchster Ebene wohl wahr, bewerten sie aber sehr vorsichtig. Janukowytsch, sagen sie, brauche für seine Wiederwahl 2015 den außenpolitischen Erfolg, weil es im Land so viele Probleme gebe: Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich zunehmend. Das Assoziierungsabkommen mit der EU habe für den Präsidenten deshalb oberste Priorität. Niemand glaubt, dass Janukowytsch über Nacht plötzlich zum Lesben- und Schwulenfreund geworden ist. Er betreibe vielmehr "Pink Washing", auch um vor anderen Menschenrechtsverletzungen im Land abzulenken, allen voran der politisch motivierten Inhaftierung Julia Timoschenkos, Vorsitzende der oppositionellen Vaterlands-Partei (Batkiwshchyna). Es heißt auch, Janukowytsch werde in keinem Falle das Propaganda-Gesetz unterzeichnen, sollte das Parlament es verabschieden.

Keine Fürsprecher im Parlament

Wie glaubwürdig ist Janukowytsch also, wie mächtig oder schwach? Was ist Kalkül, worauf hat der ukrainische Präsident keinen Einfluss? Im Mai haben er und seine Regierung es jedenfalls nicht geschafft, das von der EU geforderte Anti-Diskriminierungsgesetz im Parlament durchzusetzen, obwohl seine Partei der Regionen die Regierungskoalition mit der Kommunistischen Partei anführt: Sie setzte die Debatte über das Gesetz nach Protesten homophober Gruppen vor dem Parlament aus. Anfang September, als die Werchowna Rada nach der Sommerpause wieder zusammentrat, gab es erneut Demonstrationen. Das neue Anti-Diskriminierungsgesetz soll im Arbeitsrecht für eine Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer sorgen, unabhängig von Alter, Behinderung, Familienstand, Nationalität, Rasse, Religion, Geschlecht und auch – sexueller Orientierung. Arbeitgeber, die dagegen verstoßen, müssen Strafe zahlen, gar Gefängnis fürchten. Für die EU ist das Gesetz eine Bedingung für das Assoziierungsabkommen, auch für die VISA-Erleichterung, aber die Parteien der Werchowna Rada stehen nicht dahinter. Heorhiy Smitiukh, Abgeordneter der Partei der Regionen, wetterte erst kürzlich wieder gegen das "skandalöse" Gesetz, das nicht im Einklang stehe mit den "traditionellen Werten" der Ukraine. In der ukrainischen Politik haben Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender selten Fürsprecher*innen. Die Gegner*innen waren dagegen schon immer laut: So haben alle Parteien, ob in Regierungsverantwortung oder in der Opposition, am 2. Oktober vergangenen Jahres für das Gesetz gegen so genannte Gay-Propaganda gestimmt. Der Entwurf verbietet jedwede positive Information über Homosexualität, sei es in der Öffentlichkeit oder in den Medien, und bestraft ein Zuwiderhandeln mit bis zu fünf Jahren Haft. Dem Gesetzesentwurf hat damit in erster Lesung auch die Vaterlands-Partei Timoschenkos zugestimmt, die sich gerne liberal, jedenfalls pro-europäisch gibt – und das obwohl die Menschenrechtsbeauftragte des Parlaments davon abgeraten hatte. Das Gesetz widerspreche nämlich nicht nur der europäischen Menschenrechtskonvention, der sich die Ukraine verpflichtet hat, sondern auch der Verfassung des Landes.

Enttäuschung UDAR

Nach den Wahlen vom 28. Oktober 2012 ist mit UDAR eine weitere Partei in die Volksvertretung eingezogen, die sich "europäischen" Werten verpflichtet fühlt. Ihr Führer, der Box-Weltmeister Witalij Klitschko, äußert sich in der ausländischen Presse gerne pro-LGBT, in der Ukraine hält er sich eher zurück. Klitschko hat die – zugegebenermaßen hohen – Erwartungen seiner lesbischen Wählerinnen und schwulen Wähler enttäuscht, zumal er mit Swoboda ("Freiheit") kooperiert, einer nationalistischen und dezidiert homophoben Partei, deren Schlägertrupps gezielt Demonstrationen von LGBT-Aktivist*innen sprengen, Teilnehmer*innen angreifen und sich öffentlich dazu bekennen. Auch Swoboda sitzt seit dem 28. Oktober neu im Parlament (zu Swoboda s. Ukraine-Analyse Nr. 117). Umso bemerkenswerter ist es vor diesem Hintergrund, dass gleich zwei Parlamentsausschüsse ihre Stimme gegen das geplante Anti-Gay-Propaganda-Gesetz erhoben haben. Der Gesundheits-Ausschuss hatte sich zuvor von HIV/AIDS-Experten aus dem Ausland und ukrainischen LGBT-Organisationen beraten lassen, die Projekte zur HIV-Prävention im Land betreuen. Der Ausschuss für Meinungs- und Informationsfreiheit beklagte mehrheitlich die Einschränkung eben der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die ein solches Gesetz zur Folge hätte.

Russland gibt ein schlechtes Beispiel

Im Moment halten sich die meisten Abgeordneten mit Statements zum Thema zurück. Sie wollen mit LGBT-freundlichen Äußerungen ihre Wähler nicht verprellen, in der EU mit gegenteiligen Aussagen aber auch nicht als homophob auffallen. Das gilt vor allem für die Partei der Regionen, aber auch die Oppositionspartei Batkiwschtschyna. UDAR fordert vorsichtig westliche Standards. In ihrer homophoben Position einig sind sich Swoboda und die Kommunisten, deren Vorbild in Sachen Homosexuellen-Gesetzgebung Russland ist. Beobachter gehen davon aus, dass die Parlamentarier das von der EU geforderte Anti-Diskriminierungsgesetz im Herbst möglichst diskret verabschieden, zumindest aber das Gesetz gegen Gay-Propaganda nicht weiterverfolgen. Dass Russland mit schlechtem Beispiel vorangeht, ist dafür übrigens von Vorteil. Die homophobe Gesetzgebung des Landes – die Staatsduma hatte im Juni nach dritter Lesung landesweit Werbung für Homosexualität verboten – führte zu internationalen Protesten und Boykottaufrufen, vor allem in Hinblick auf die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi. Der Handelskrieg, den Russland im August gegen die Ukraine angezettelt hat, um sie doch noch in die russisch dominierte Zollunion mit Weißrussland und Kasachstan zu zwingen, machte den Nachbarn in der Bevölkerung noch weniger zum Vorbild. Das ging soweit, dass der ehemalige Innenminister des Landes, Jurij Lutsenko, sagte, man wolle lieber jedes Jahr einen Gay-Pride veranstalten als täglich Panzer aus Moskau fürchten. Lutsenko war unter Timoschenko Innenminister und bis zu seiner Begnadigung durch Präsident Janukowytsch im Frühjahr dieses Jahres ebenfalls aus politischen Gründen inhaftiert. Ob es wirklich gelingt, das Parlament zu einem LGBT-freundlichen Kurs zu bewegen, lässt sich ob der vielen Widersprüche in der ukrainischen Politik, die auf der anderen Seite viele Spielräume lassen, nicht sicher sagen. Groß ist der Druck nationalistischer Gruppen und der orthodoxen Kirche, die sich auf eine latent homophobe Gesellschaft stützen. Letztlich hat aber der Erfolg des KyivPride gezeigt, dass mit politischem Willen vieles zu erreichen ist. Weder die Kirche noch die Nationalisten waren einflussreich genug, den "March of Equality" zu verhindern. Die Störer der Swoboda haben den Demonstrationszug nicht einmal gefunden, irrten eine Stunde durch die Stadt, bewarfen die Teilnehmer*innen eines Radrenn-Parcours in der Innenstadt mit Eiern, weil sie die Radler*innen fälschlicherweise für Teilnehmer*innen des Gay-Pride hielten. Der kuriose Fall zeigt ganz klar: Swoboda sollte den Ort nicht finden, an dem der "March of Equality" stattfand.

Die LGBT-Community wächst zusammen

Auf einer Gay-Pride-Parade in der ukrainischen Hauptstadt Kiew demonstrieren am 25. März 2013 Vertreter der LGBT-Bewegung sowie deren Unterstützer gegen Homophobie und für mehr Rechte. (© picture-alliance/dpa)

Verlassen können sich die LGBT-Aktivist*innen im Land auf den guten Willen seitens der Politik natürlich nicht. Weiterhin ist es unabdingbar, sichtbar und bestimmt für die Rechte (nicht nur) der sexuellen Minderheiten einzutreten – mit Demonstrationen, aber auch Konferenzen, Workshops, kulturellen Veranstaltungen. Dafür muss die Szene noch zusammenwachsen – nicht nur auf Aktivist*innen-Ebene. Eine Handvoll großer LGBT-Organisationen gibt es in der Ukraine – auf nationaler wie regionaler Ebene. Sie heißen Avante (Lviv), Donbass Soz Projekt (Donetsk), Fulcrum (Kiew), Gay Alliance (Kiew), Gay Alliance Ukraine (Kiew), Gay Forum Ukraine (Kiew), Gender Z (Zaporozhye), Insight (Kiew), Liga (Nikolaev), Nash Mir (Kiew), New Wave (Kherson), Partner (Odessa), um nur die wichtigsten zu nennen. Viele Kiewer Gruppen haben zudem Dependancen in den Regionen. Die Organisationen ergänzen sich in ihren Aufgaben, stehen aber häufig auch in Konkurrenz zueinander. Es ist ein Wettbewerb um die besten Ideen, der für den Kampf um Gleichberechtigung indes hinderlich sein kann. Die Vereinigung in der landesweiten Dachorganisation, dem Council of LGBT Organizations of Ukraine, einer Art LGBT-Rada, ist ein sinnvoller Schritt. Gleichzeitig müssen die Aktivistinnen und Aktivisten all diejenigen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender hinter sich bringen, die nicht politisch engagiert sind. Das ist nicht leicht, denn die meisten leben versteckt und unerkannt, manche sind zum Schein verheiratet oder teilen mit ihren Partnern eine "Wohngemeinschaft".

Der KyivPride – ein Import aus dem Westen

Die Tatsache, dass der "March of Equality" am 25. Mai dieses Jahres – aus Sicherheitsgründen – nur für registrierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Reihen der Aktivist*innen offen war, hat den Veranstaltenden viel Kritik aus der LGBT-Community eingebracht. 2014 soll der Gay-Pride deutlich größer werden, offen für alle und das mitten in der Innenstadt. Nach dem Erfolg 2013 dürften sich viele "unorganisierte" Lesben, Schwulen und Transgender ermutigt fühlen mitzulaufen. Die Mobilisierung der Community wird die wichtigste Aufgabe, obwohl die Organisator*innen mit der Pride-Week eine Woche vor dem eigentlichen Pride schon in diesem Jahr einiges dafür getan haben. Mit Empfängen, Ausstellungen, einer Podiumsdiskussion, einem Filmfestival und Partys lockten sie die breite Community an. Ob die Stadt Kiew 2014 einen so offenen Gay-Pride mitträgt, ist unklar. In diesem Jahr hat sie die Parade – per Gerichtsbeschluss – aus der Innenstadt verbannt. Stattfinden aber wird der KyivPride 2014, davon gehen alle Beobachter aus. Hinter das Erreichte könne keiner der Beteiligten mehr zurück. Ohne Unterstützung aus dem Ausland geht es dabei nicht – auch dafür müssen sich die Pride-Macher*innen allerdings immer wieder kritisieren lassen. Homo-Gegner werten dies gemeinhin so, als sei Homosexualität ein Import aus dem Westen. Selbst in der Lesben-, Schwulen- und Trans-Szene sind vereinzelt Stimmen zu hören, den Pride-Organisator*innen gehe es nur ums Geldverdienen und gute Eigen-PR. Der Sache sind Ignoranz und Neid-Debatten nicht dienlich: Ohne die finanzielle Hilfe der schwedischen und norwegischen EU-Botschaften hätte der KyivPride in diesem Jahr nicht stattfinden können. Ukrainische Unternehmen und staatliche Institutionen stehen LGBT-Veranstaltungen nach wie vor skeptisch gegenüber. Die Veranstalter*innen des KyivPride haben sich deshalb gar nicht erst um deren finanzielle Beteiligung bemüht. Die Zusammenarbeit mit Partnern aus dem Ausland ist für die LGBT-Community in der Ukraine zur Zeit noch immens wichtig. Von deutscher Seite aus zum Beispiel unterstützen in Kiew die Deutsche Botschaft, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ und die Heinrich-Böll-Stiftung mit Expertise und Fördermitteln kulturelle Aktionen, Beratungsprojekte und Aufklärungskampagnen der Szene in der Ukraine. Speziell für Kiew ist die Partnerstadt München und deren LGBT-Community eine Kooperation mit der Szene vor Ort eingegangen.

Hoffnung Europa

Seit Jahren verschlechtert sich die Einstellung der Ukrainerinnen und Ukrainer gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender, möglicherweise verstärkt durch Wirtschaftskrise und politische Instabilität. Nach dem Erfolg des KyivPride 2013 ist eine Veränderung im positiven Sinne nun zum ersten Mal greifbar. Für eine Verbesserung der Situation sind viele Faktoren wichtig: Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender müssen sich ihre Rechte selbstbewusst erkämpfen, dafür müssen sie noch besser zusammenarbeiten und die Community mobilisieren. Die Unterstützung aus dem Ausland darf nicht abreißen: Es geht um Fördermittel, Austausch von Expertise, Solidarität. Das allein aber reicht nicht: Vieles hängt jetzt vom Europäisierungskurs der Ukraine ab. Unterzeichnen die Ukraine und die EU in November in Vilnius das Assoziierungsabkommen, wird sich nach Meinung vieler Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten ein Wertediskurs anschließen. Die Ukraine wird sich an ihrer Zugehörigkeit zur europäischen Wertegemeinschaft immer wieder messen lassen müssen; für die Minderheiten im Land kann das nur von Vorteil sein. Intensiviert die Ukraine jedoch die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen der eurasischen Zollunion, wird sich die Situation für Lesben, Schwule und Transgender nur schwer erleichtern lassen.

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Conrad Breyer koordiniert von München aus für die CSD München GmbH die Partnerschaft zwischen KyivPride und dem CSD München. Er ist außerdem Mitglied der Kontaktgruppe Munich Kiev Queer, die die Zusammenarbeit zwischen den LGBT-Communitys in Kiew und München koordiniert, und Pressereferent des Münchner Schwulenzentrums Sub. Hauptberuflich arbeitet Conrad Breyer als Redakteur und freier Journalist.

Lesetipps

LGBT Vector of Ukraine. The Situation of LGBT in Ukraine (November 2011 – 2012). Council of LGBT Organisations of Ukraine/Nash Mir (Our World) Gay & Lesbian Centre, Kyiv, 2013.

Cathrin Kahlweit, Süddeutsche Zeitung: "Gefährliche Küsse". http://www.sueddeutsche.de/leben/homosexualitaet-in -der-ukraine-gefaehrliche-kuesse-1.1658092

Silke Lode, Süddeutsche Zeitung: "Zwanzig Minuten Anerkennung" Externer Link: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/christopher-street-day-parade-in-kiew-zwanzig-minuten-anerkennung-1.1682814

Christopher J. Miller, KyivPost: "LGBTI community, human rights activists look to EU-Ukraine deal for hope" Externer Link: http://www.kyivpost.com/guide/all/lgbti-community-human-rights-activists-look-to-eu-ukraine-deal-for-hope-328653.html

Fussnoten