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Analyse: Die Oligarchisierung des ukrainischen Energiesektors unter Wiktor Janukowytsch 2010–2012 | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die Oligarchisierung des ukrainischen Energiesektors unter Wiktor Janukowytsch 2010–2012

Katerina Malygina Bremen Von Katerina Malygina

/ 13 Minuten zu lesen

Wiktor Janukowytsch strukturierte den ukrainische Energiesektor gravierend um. So wurde die Privatisierung von Großunternehmen fortgesetzt, die während der Präsidentschaft von Wiktor Juschtschenko weitgehend gestoppt wurde.

Wiktor Janukowytsch (© picture alliance / Photoshot )

Ende Januar 2013 haben sich die Gasbeziehungen zwischen der Ukraine und Russland wieder verschlechtert. Am Tag nach der Unterzeichnung des Production Sharing Agreement (PSA) zwischen der ukrainischen Regierung und dem Energiekonzern Shell zur Erschließung des Gasfelds Jusowka forderte der russische Staatskonzern Gazprom von dem ukrainischen Unternehmen Naftohas 7 Mrd. US-Dollar für im Jahr 2012 nicht abgenommene vertraglich vorgesehene Gaslieferungen. Die Ukraine reagierte darauf gelassen: Naftohas habe alle finanziellen Verpflichtungen gegenüber Gazprom 2012 erfüllt. Jetzt wird in Moskau über eine Lösung des Problems verhandelt. Zwar ist der Ausgang dieser Verhandlungen noch unklar. Dennoch ist diesmal der Handlungsspielraum der Ukraine so groß wie nie zuvor. Noch im Jahr 2011 hoffte die ukrainische Regierung, über die Senkung der Gaspreise mit Russland handelseinig zu werden. Als die Verhandlungen endgültig in die Sackgasse geraten waren, setzte die Regierung im Jahr 2012 alles daran, die Gasimporte aus Russland zu reduzieren. Im Jahr 2012 hat die Ukraine ausländische Investitionen in die heimische Gasproduktion angeworben und die Umsetzung von Programmen zur Reduzierung des Gasverbrauchs eingeleitet. In den vergangenen Jahren hat die Ukraine auch sichtbare Fortschritte im Bereich erneuerbarer Energien gemacht, Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz gestartet und die Umsetzung ihrer Verpflichtungen im Rahmen der Europäischen Energiegemeinschaft begonnen. In Anbetracht des desolaten Zustands des ukrainischen Energiesektors ist diese Politik begrüßenswert. Aber sind alle Veränderungen auf dem Energiemarkt tatsächlich so positiv? Die Analyse zeigt: In erster Linie werden nicht gesellschaftliche Bedürfnisse sondern nur einige Partikularinteressen bedient.

Kohleindustrie


Hohe Gaspreise machen das Kohlegeschäft in der Ukraine wieder profitabler und eröffnen günstigere Aussichten für die Erzeugung von Synthesegas aus Kohle. Im Jahr 2012 begann die Regierung, die Wärmekraftwerke von Gas auf Kohle umzustellen und hat bereits chinesische Darlehen in Höhe von 3,6 Mrd. US-Dollar für Projekte zur Kohlevergasung eingeworben. Die aktualisierte Energiestrategie bis 2030 sieht keine Verringerung der Kohleförderung in der Ukraine vor. Vielmehr wird eine Steigerung angenommen. Kein Wunder also, dass sich momentan die Eigentümerstruktur auf dem ukrainischen Kohlemarkt verändert. In den Jahren 2010–2011 wurden große Teile des Kohlebergbaus durch Pacht- und Konzessionsverträge, sowie nicht vollständig transparente Mechanismen öffentlich-privater Partnerschaften vom Staat in die Kontrolle privater Großkonzerne übertragen. So hat zum Beispiel durch Bergbaukonzessionen mit einer Laufzeit von 49 Jahren für die staatlichen Unternehmen "Sverdlovantrazit", "Rovenkiantrazit" und "Dobropoljeugol" der ukrainische Oligarch Rinat Achmetow in nur zwei Jahren seinen Marktanteil an der Kohleproduktion von 35 % auf 50 % erhöht. Für das Jahr 2013 plant die Regierung eine weitere Privatisierung der Kohleindustrie. Die profitablen staatlichen Bergbaubetriebe werden privatisiert und die unrentablen für einen symbolischen Preis von 1 Hrywnja an denjenigen potentiellen Käufer gegeben, der die höchste künftige Investitionssumme vorschlägt. Heutzutage produzieren die staatlichen Bergbaubetriebe ca. 35–40 Mio. Tonnen Kohle pro Jahr, was einem Anteil von 50 % der Gesamtproduktion entspricht. Dabei sind aber fast 80 % der Betriebe unrentabel. Die Gründe dafür sind nicht nur die veralteten Anlagen, sondern auch die staatliche Regulierung der Kohlepreise. So kauft die staatliche "Wugillja Ukrainy" ("Kohle der Ukraine") die von den staatlichen Bergbaubetrieben produzierte Kohle unterhalb des Einstandspreises und verkauft sie an die Wärmekraftwerke. Im Ergebnis subventioniert der Staat die Branche jährlich mit ca. 10–13 Mrd. Hrywnja (ca. 1–1,3 Mrd €). Dank staatlicher Regulierung des Kohlemarkts ist Oleksandr Janukowytsch, der älteste Sohn des Präsidenten, in den letzten zwei Jahren ein aktiver Marktteilnehmer geworden. Im Jahr 2010 hat er die Kontrolle über fünf staatliche Aufbereitungsanlagen in der Region Donetsk übernommen. Im Jahr 2011 verdiente die Familie Janukowytschs knapp 1 Mrd. Hrywnja über Anreicherung von Kohle und zusätzlich 1,5 Mrd. Hrywnja durch Kohlelieferung an ein staatliches Wärmekraftwerk. Bereits im Jahr 2012 erweiterte Janukowytsch Jr. sein Engagement in der Kohleindustrie erheblich. Im März 2012 bekam Oleksandr Janukowytsch dank einer Gesetzesänderung 70–75 % der oben erwähnten Aufbereitungsanlagen unentgeltlich überschrieben. Im Juni 2012 erwarb er den Hersteller für Bergbauausrüstungen "Vostokuglemasch". Im Jahr 2012 erwirtschafteten die Unternehmen von Janukowytsch Jr. über öffentliche Ausschreibungen in der Kohleindustrie mehr als 5 Mrd. Hrywnja. Nun wird erwartet, dass Oleksandr Janukowytsch sein Geschäft mit Akquisition der staatlichen Bergbaubetriebe im Jahr 2013 noch weiter ausdehnt. Bei so einem Wachstumstempo ist es nicht verwunderlich, dass der Sohn des Präsidenten im Frühjahr 2012 zum ersten Mal ins Ranking der reichsten Ukrainer der ukrainischen Zeitschrift Fokus aufgenommen wurde. Sein Vermögen schätzte man auf 100 Mio. US-Dollar.

Energiewirtschaft


Im Jahr 2011 hat die Regierung grünes Licht für die Privatisierung der Elektrizitätswirtschaft signalisiert. Seitdem ist es Rinat Achmetow gelungen, seine Aktienanteile an vier der insgesamt sechs Wärmekraftwerksbetreibern in der Ukraine aufzustocken – Vostokenergo (100 %), Dniproenergo (47,5 %), Kyivenergo (40 %) und Zachidenergo (25 %). Nach der Privatisierungswelle in den Jahren 2011–2012 hat der Oligarch seinen Anteil an diesen Vermögenswerten auf 70–73 % erhöht und damit die volle Kontrolle übernommen. Dabei wurden die Regeln des Privatisierungswettbewerbs so bestimmt, dass nur der Energiekonzern DTEK, Tochter der Holding SCM des Oligarchen Rinat Achmetow, Anspruch auf die Vermögenswerte haben konnte. So sollte der Aktienkäufer die gekauften Stromerzeuger mit Kohle versorgen, die bis zu 70 % ukrainischer Herkunft sei. Im gleichen Zeitraum hat Achmetow seine Anteile auch an den regionalen Stromversorgern Donetskoblenergo (von 30,6 % auf 71,3 %), Krymenergo (von 12,5 % auf 57,5 %) und Dneproblenergo (von 1,5 % auf 51,5 %) erhöht. Bei der Stromversorgung hat der Oligarch jedoch noch viele Konkurrenten wie Igor Kolomojskyj (Pryvat-Gruppe), Grigori und Igor Surkis (Ukrenergokonsalting), die Russen Konstantin Grigorishin (Energy Standard) und Alexander Babakov (VS Energy). Anfang 2012 erwarben die russischen Oligarchen staatliche Anteile an drei regionalen Stromversorgern, während die Surkis-Brüder, die Ende der 1990er Jahre die Wiederwahl des Präsidenten Leonid Kutschma unterstützt hatten, hingegen nicht zur Privatisierung zugelassen wurden. Für alle oben genannten Vermögenswerte in der Stromerzeugung und Versorgung hat Achmetow etwa 618 Mio. US-Dollar bezahlt. Nach Meinung von Experten liegt die Summe bis zu 50 % unter dem tatsächlichen Marktwert. Als Ergebnis ist DTEK zu einer vertikal integrierten Holding umgewandelt worden, die 47 % der Kohle in der Ukraine produziert, sie an eigene Stromerzeuger liefert – deren Anteil bei der gesamten Stromerzeugung bei 29 % liegt – und schließlich den selbst erzeugten Strom an die Endverbraucher durch eigene Stromversorger verkauft. Ein unbestrittenes Monopol hat das Unternehmen seit einigen Jahren beim Stromexport. Bis zum Jahr 2010 war das staatliche Unternehmen "Ukrinterenergo" der offizielle Stromexporteur in der Ukraine. Allerdings hat die Partei der Regionen im Mai 2009 mithilfe der Partei Block Julia Timoschenko eine Stromgesetz-Änderung beschlossen, wodurch der Zugang zu den zwischenstaatlichen Stromleitungen über Auktionen bestimmt werden sollte. Die erste solche Auktion fand im Herbst 2009 in einem wettbewerbsintensiven Umfeld statt: fünf Unternehmen waren daran beteiligt. In den folgenden Jahren nahm aber nur noch DTEK teil. Das Stromexportgeschäft war am Anfang unrentabel: im Jahr 2010 war der ukrainische Strom wegen der Quersubventionierung des Stromverbrauchs der Bevölkerung noch teurer als auf den Märkten in Europa, wo die Preise aufgrund der Finanzkrise fielen. Im März 2012 hat das Parlament jedoch die Quersubventionen für den Stromexport nach Europa aufgehoben. Als Ergebnis exportierte die Ukraine im Jahr 2012 Strom im Wert von 574,8 Mio. US-Dollar, fast dreimal mehr als im Jahr 2010. Bald könnten sich die Bedingungen auf dem Strommarkt wieder zugunsten Achmetows ändern. Im Rahmen der Strommarktreform hat das Parlament im November 2012 ein Gesetz in erster Lesung verabschiedet, das die Einrichtung eines speziellen Fonds für Subventionierung erneuerbarer Energien vorsieht. Im Falle der endgültigen Verabschiedung dieses Gesetzes werden "grüne" Tarife nur durch Kernenergie und Wasserkraft finanziert und nicht durch alle Marktteilnehmer, einschließlich der Wärmekraftwerke Achmetows, wie es heute der Fall ist.

Der Markt für erneuerbare Energien


Seit einigen Jahren subventioniert der Staat erneubare Energien. Die Einspeisetarife, die in der Ukraine als "grüne" Tarife bezeichnet werden, gehören zu den höchsten in Europa. Der Ausbau erneuerbarer Energien wird auch über spezielle steuerliche Anreize gefördert. Aufgrund der hohen Rentabilitätserwartungen und des großen Potenzials zog der neue Markt sofort in- und ausländische Investoren an. Doch in naher Zukunft könnten erneubare Energien das gleiche Schicksal erleiden wie die anderen Energiemärkte der Ukraine. In den vergangenen zwei Jahren haben sich einige Marktteilnehmer eine Vorzugsbehandlung gesichert und bekommen so die "grünen" Tarife zu den günstigsten Bedingungen. Den realisierten Projekten nach zu urteilen waren in der Ukraine die Unternehmen "Wind Power" und "Wind Parks der Ukraine" Anfang 2013 die wichtigsten Investoren in Windkraftanlagen. Das Unternehmen "Activ Solar" nahm in der Solarenergie die Spitzenposition ein. Während das erste Unternehmen als Tochtergesellschaft zu Rinat Achmetows Energiekonzern DTEK gehört, werden die letzten beiden Firmen in den ukrainischen Medien jeweils mit dem ehemaligen Minister für regionale Entwicklung, Bau- und Wohnungswesen, Anatoly Bliznyuk, und dem ehemaligen ersten Vize-Premierminister Andrij Kljuev assoziiert. Die beiden sind seit den Zeiten seiner Arbeit als Gouverneur von Donezk in den Jahren 1997–2002 Freunde von Präsident Viktor Janukowytsch. Nach Berechnungen der Autorin haben die Unternehmen von Achmetow und Bliznyuk in den vergangenen zwei Jahren Windkraftanlagen mit der Gesamtleistung von rund 150 Megawatt (MW) aufgestellt, während noch Ende 2010 die Gesamtkapazität aller Windkraftanlagen in der Ukraine, die noch weitgehend in den 1990er Jahren gebaut worden waren, nur 87,5 MW betrug. Auch wenn momentan die Projekte anderer Investoren durchgeführt werden, werden die Windkraftanlagen Bliznyuks und Achmetows in Rekordzeit gebaut. Anders ist es auf dem Solarenergiemarkt. Hier ist das Unternehmen "Activ Solar" heute unangefochtener Marktführer: ihm gehören 60 % der Kapazität aller Solarkraftwerke, die Anfang 2013 in Betrieb waren (227 MW von 370 MW). Darüber hinaus besitzt "Activ Solar" ein Halbleiterwerk in der Region Saporischschja, das für die Solarenergie wichtiges Polysilizium produziert. Im Jahr 2012 trat die sog. Local Content Regelung in Kraft. Die noch aus dem Jahr 2009 stammende Regelung sah ursprünglich vor, dass die "grünen" Tarife nur dann beansprucht werden dürfen, wenn der Anteil von "Local Content" (d. h. Material, Arbeit, Dienstleistungen ukrainischer Herkunft) bei der Stromerzeugung nicht weniger als 30 % ab dem Jahr 2012 und 50 % ab dem Jahr 2014 ausmacht. Interessanterweise wurde die Local Content Regelung in den Jahren 2011–2012 vielfach zugunsten der Marktführer geändert. Im November 2011 nahm das Parlament die Projekte, die bis zum 1. Januar 2012 eine Baugenehmigung bekommen haben, von der "Local Content" Regelung komplett aus. Ein Jahr später, im November 2012, regelte das Parlament den Rechtsrahmen für den Markt der erneubaren Energien wieder neu. Trotz vieler positiver Neuerungen (wie etwa Einführung des grünen Tarifs für Strom aus Biogas, Tarifdifferenzierung für Wasserkraftanlagen, Anreize für Montage von Solarkollektoren in Privathaushalten) schützt das neue Gesetz, nach Einschätzung von Experten, die alten Marktteilnehmer. Insbesondere hat das Gesetz das Inkrafttreten der ursprünglichen "Local Content"-Regelung um ein Jahr verschoben (d. h. die 30 %-Regelung beginnt erst 2013 statt 2012 und die 50 %-Regelung – 2015 statt 2014), während sich der Anteil des "Local Content" für die im Jahr 2012 in Betrieb genommenen Anlagen von 30 % auf 15 % reduziert. Nachdem die Marktführer die Baugenehmigungen erhalten und einen Teil ihrer Projekte in Betrieb genommen haben, könnte die Regierung nun die "Local Content"-Regelung in vollem Umfang umsetzen, um den Status Quo auf den Markt aufrecht zu erhalten. So verwundert es nicht, dass die nationale Regulierungsbehörde im Oktober 2012 das Verfahren zur Berechnung von "Local Content" schließlich verabschiedete – vier Jahre nach der Ersteinführung der "Local Content"-Regelung.

Der Gasmarkt


Im Vergleich zu allen anderen Energiemärkten in der Ukraine war der ukrainische Gasmarkt immer am meisten politisiert. Unter der Präsidentschaft von Wiktor Juschtschenko scheiterten alle Versuche, den Einfluss des Staates auf den Markt zu reduzieren. Dennoch vollzieht sich die "kontrollierte" Liberalisierung heutzutage auch auf dem Gasmarkt. Anstelle des staatlichen vertikal integrierten Energiekonzerns "Naftohas Ukrainy" entsteht derzeit ein neues privates Monopol von Dmytro Firtasch. Nach dem Machtwechsel in der Ukraine im Februar 2010 kehrte der Oligarch nicht nur ins Gasgeschäft zurück, sondern konnte seine Präsenz auf dem einheimischen Gasmarkt sogar noch ausbauen. Im Jahr 2010 gewann sein Unternehmen "RosUkrEnergo" beim Stockholmer Schiedsgericht gegen Naftohas und bekam auf richterlichen Beschluss 12,1 Mrd. m3 Gas zurück, die im Frühjahr 2009 von der Regierung Julija Tymoschenkos beschlagnahmt worden waren. Im April 2011 hat das ukrainische Parlament das Monopolrecht von Naftohas auf die Verzollung von importiertem Erdgas in der Ukraine aufgehoben, das die Regierung Tymoschenko dem Unternehmen im März 2008 verliehen hatte. Infolgedessen importierte das Unternehmen "Ostchem Holding Limited" von Dmytro Firtasch 4,8 Mrd. m3 Gas im Jahr 2011 aus Zentralasien und 8,1 Mrd. m3 Gas im Jahr 2012 aus Russland. Für sein Gas hat Dmytro Firtasch einen eigenen Absatzmarkt. Seit 2010 gehören Firtasch vier der sechs Düngemittelunternehmen des Landes, für die Gas der wichtigste Rohstoff ist. Darüber hinaus besitzt der Oligarch auch andere Unternehmen in der chemischen Industrie wie die Sodafabrik "Krymskyj sodovyj zavod" und die Titan-Fabriken "Krymskyj Tytan" und das "Saporischschja Titan-Magnesiumkombinat". Noch unter Julija Tymoschenko war es dem Geschäftsmann gelungen, die Mehrheit der regionalen Gasversorger unter seine Kontrolle zu bringen. Unter Janukowytsch festigte Firtasch allmählich seine Position in der Branche. Im Mai 2011 schrieb das Parlament Schulden von Unternehmen des Brennstoff- und Energiebereichs gegenüber dem Staatshaushalt in Höhe von mehr als 24 Mrd. Hrywnja ab, wovon 7,4 Mrd. auf die regionalen Gasversorger entfielen. Im November 2011 wurde der größte Gasversorger "Gas Ukrainy", die Tochtergesellschaft von "Naftohas Ukrainy", aufgelöst. Im August 2012 beschloss die Regierung, dass die Gasleitungsnetze von den regionalen Gasversorgern nicht getrennt werden dürfen. Auf diese Weise wurde es Firtasch garantiert, dass sich die Ereignisse vom Jahr 2009 nicht wiederholen. Damals versuchte die Premierministerin Julija Tymoschenko, die Gasleitungsnetze durch eine Tochtergesellschaft von Naftohas wieder unter staatliche Kontrolle zu stellen. Des Weiteren erwarb das Unternehmen "Gruppe DF" von Dmytro Firtasch im Jahr 2012 die Beteiligungen an 13 regionalen Gasversorgern für 326 Mio. Hrywnja. Momentan besitzt der Oligarch etwa 60 % der regionalen Gasunternehmen; 20 % gehören dem russischen Geschäftsmann Wiktor Wekselberg ("Gazeks") und weitere 20 % – anderen Unternehmen, die in der Regel Abgeordneten aus der Partei der Regionen nahestehen. In naher Zukunft ist eine weitere Reduzierung der staatlichen Kontrolle über die Erdgaswirtschaft zu erwarten. Im April 2012 beschloss das Parlament die Änderung von Artikel 7 des Gesetzes "Über den Rohrleitungstransport", das die Veräußerung von Fonds und Aktien der Nationalen Aktiengesellschaft Naftohas Ukrainy und ihrer Tochterunternehmen verbietet. Nun hat das Parlament die Restrukturierung von Naftogas erlaubt, gleichzeitig aber seine Privatisierung verboten. Über viele Jahre hinweg war der 7. Artikel ein großes politisches Streitthema. Heute verläuft die Restrukturierung von Naftohas aber ohne jegliche Proteste. Ende Dezember 2012 transformierte die Regierung die Tochtergesellschaften von Naftohas, Ukrtransgas (Pipelinebetreiber) und Ukrgaswydobuwannja (Gasförderer), in eine Aktiengesellschaft. Als Nächstes könnte es zu einer Situation kommen, in der der Staat die Mehrheitsbeteiligung an den neuentstandenen Unternehmen rein formal beibehält, die Kontrolle über die Unternehmen jedoch an Aktionäre mit Vetorechten übergeht. Genau in dieser Situation befindet sich heute der größte Ölproduzent in der Ukraine "Ukrnafta", der zwar mehrheitlich dem Staat gehört, seit 2003 aber von der "Privat"-Gruppe kontrolliert wird. Darüber hinaus öffnet die Umwandlung von Ukrtransgas in eine Aktiengesellschaft den Weg für die Einrichtung des Gastransitkonsortiums. Dementsprechend ist es möglich, dass diese Frage bald wieder auf die Tagesordnung kommt.

Die neuen Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft und ihre Implikationen


Unter Präsidentschaft von Wiktor Janukowytsch wird der ukrainische Energiesektor gravierend umstrukturiert. So wird die Privatisierung von Großunternehmen fortgesetzt, die in der Ukraine in den frühen 2000er Jahren begann und während der Präsidentschaft von Wiktor Juschtschenko zum größten Teil gestoppt wurde. Die Privatisierung findet erneut zu Konditionen unterhalb der Marktpreise und zugunsten vorab bestimmter Personen statt. Nach Einschätzungen von Experten hätte der ukrainische Staatshaushalt im Jahr 2012 anstelle von 6,8 Mrd. Hrywnja insgesamt 16–18 Mrd. Hrywnja durch die Privatisierung eingenommen, wenn alle Objekte zu tatsächlichen Marktpreisen privatisiert worden wären. Außerdem werden die ukrainische Energiemärkte unter Janukowytsch nicht nur umstrukturiert, sondern auch von einigen wenigen Marktteilnehmern monopolisiert. Doch weder Rinat Achmetow noch Dmytro Firtasch werden vom ukrainischen Antimonopolkomitee als Monopolisten in ihren Branchen bezeichnet. Die neue Privatisierungswelle trifft nicht der geringste Widerstand seitens der Opposition. So hat die Opposition im vergangenen Jahr lediglich sehr heftig auf die Verabschiedung des Gesetzes über die russische Sprache reagiert. Jedoch nicht nur durch die Privatisierung werden die Positionen der Oligarchen gestärkt. Eine aktive Rolle in diesem Prozess spielt das Parlament, das von Interessengruppen beeinflusste Gesetzentwürfe fast ohne Debatten verabschiedet. Unter solchen Umständen könnten auch die neuen Märkte, wie etwa der Markt für erneubare Energien, leicht monopolisiert werden. Die neuen Beziehungen zwischen dem Staat und den Oligarchen widerspiegeln sich schon in der Energiepolitik der Ukraine. Im Jahr 2012 hat die Ukraine ihre nationale "Energiestrategie bis 2030" aktualisiert. Das entstandene Dokument ist jedoch nicht ganz strategisch, und nicht einmal national. Strategisch ist es nicht, weil es – ebenso wie die frühere Version der Energiestrategie – auf unbegründeten Prognosen des BIP-Wachstums und des Energieverbrauchs basiert, den Einfluss externer Faktoren nicht berücksichtigt, den anderen strategischen Dokumenten widerspricht und keine konkreten Maßnahmen zur Umsetzung der Strategie bietet. National ist die aktualisierte Energiestrategie auch nicht, weil sie von einem privaten Institut, das von Rinat Achmetow finanziert wird, erarbeitet wurde. Als Ergebnis entspricht die aktualisierte Energiestrategie den Interessen des Oligarchen völlig: Sie sieht nun die Liberalisierung von Kohle- und Strommärkten vor, einschließlich des Übergangs zu kostendeckenden Energietarifen und eine vollständige Privatisierung. Für die Entwicklung dieser beiden Sektoren sind ca. 50 Mrd. US-Dollar oder fast 50 % der in der Energiestrategie vorgesehenen Investitionen erforderlich. Die Privatisierung im Energiesektor ist noch nicht abgeschlossen. Im Jahr 2013 plant die Regierung, alle Wärmekraftwerke und regionale Strom- und Gasversorger zu privatisieren. Der Staat wird nur eine Sperrminorität behalten. In Staatsbesitz bleiben auch die Kern-und Wasserkraftwerke, die den billigsten Strom produzieren. Die Regierung rechtfertigt die Privatisierung damit, dass der Energiesektor dringend Modernisierung und Großinvestitionen benötigt, die sie heute nicht leisten kann. Das alles wäre sinnvoll, aber nur wenn zur gleichen Zeit auch ein wettbewerbsfähiges Umfeld geschaffen würde. Die Maßnahmen der Regierung stehen jedoch momentan im Widerspruch zu den Verpflichtungen der Ukraine in der Europäischen Energiegemeinschaft: anstelle einer echten Liberalisierung der ukrainischen Energiemärkte findet ihre schnelle Monopolisierung statt, wodurch die Risiken für die ukrainische Wirtschaft nur weiter anwachsen.


Lesetipps:


Malygina, Katerina: "Die neue Eiszeit in den Gasbeziehungen zwischen Russland und der Ukraine", in: Ukraine-Analysen 94/2011, S. 18–22.

International Energy Agency: "Ukraine 2012 – Energy Policies Beyond IEA Countries Series", ISBN 978-92-64-17151-0 (kostenpflichtig, pdf 60 €), http://www.iea.org/w/bookshop/b.aspx?new=10

Fussnoten

ist Doktorandin an der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und schreibt ihre Doktorarbeit über den ukrainischen Gasmarkt und die ukrainisch-russischen Gasbeziehungen. Die Promotion wird durch ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt.