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Analyse: Chinas wachsendes Engagement in Europa birgt Chancen für die Ukraine | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. 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Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Analyse: Chinas wachsendes Engagement in Europa birgt Chancen für die Ukraine

Richard Rousseau

/ 11 Minuten zu lesen

In den vergangenen zwei Jahrzehnten zielte die Außenpolitik der Ukraine darauf ab, neben den Beziehungen zu Russland, von dem das Land stark abhängig ist, auch die Beziehungen zu vielen neuen geopolitischen Akteuren zu verbessern. Die Ukraine richtet den Blick nun nach China, das sie als potentiell wichtigen und starken Partner im ökonomischen, militärischen und agrarischen Bereich betrachtet.

Einleitung

Obwohl internationale Beobachter auf die vielfältigen Probleme hingewiesen haben, vor denen das Land insbesondere seit der Orangen Revolution steht, ist die Ukraine in den letzten Jahren zu einem wichtigen Akteur in Osteuropa sowie in den regionalen Beziehungen Eurasiens geworden. Die Ukraine ist eine der größten Volkswirtschaften Osteuropas, seit der Unabhängigkeit 1991 verzeichnete sie jedoch im Durchschnitt nur wenig beeindruckende Wachstumsraten. Das Land hat sich noch immer nicht von der Weltwirtschaftskrise von 2008/2009 erholt. Als eine junge Demokratie mit noch unvollendeten Reformen und einer unzureichend diversifizierten Wirtschaft kämpft die Ukraine nach wie vor mit ernsten infrastrukturellen Problemen. Allen relevanten Akteuren ist klar, dass es hier noch viele Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Das Land ist in zahlreichen Wirtschaftssektoren noch immer stark von seinen Nachbarn abhängig und sucht fortwährend Gelegenheiten, sein Wachstum durch regionale und globale ökonomische Kooperation zu fördern. In diesem Sinne sind die chinesisch-ukrainischen Beziehungen im Hinblick auf Warenumsatz und Austauschmöglichkeiten für Spitzentechnologie besonders wichtig. Mit Devisenreserven von ungefähr drei Billionen Dollar, von denen 70 % in US-Dollar gehalten werden, ist es für die chinesische Regierung heute unerlässlich, ihre Währungsbestände zu diversifizieren, wenn sie die »Dollar-Falle« umgehen will. Dieses Volumen an Devisenreserven ist das 15-fache des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts. Das Staatliche Chinesische Devisenamt (SAFE) und die China Investment Corporation (CIC), die einen Staatsfonds im Wert von 482,2 Mrd. US-Dollar und damit einen der weltweit größten staatlichen Fonds verwaltet, sind gemeinsam für einen wesentlichen Teil der chinesischen Währungsreserven verantwortlich. Im Mai 2011 bestätigte die schuldenbeladene spanische Regierung, dass China nun 32 Mrd. US-Dollar der spanischen Schulden halte – erworben im Rahmen seiner Diversifizierungspolitik der Währungsreserven. Im Januar 2011 kaufte China in einem vielbeachteten Geschäft einen beträchtlichen Anteil der 772 Mio. US-Dollar von Portugals Staatsanleihen. Diese Manöver sind ein Anzeichen dafür, dass China strategisch in den Euro investiert – zu Lasten des Dollar.

Politische Annäherung

Seit dem Amtsantritt von Leonid Kutschma im Jahr 1994 bestehen freundschaftliche Beziehungen zwischen der Ukraine und China. Kutschma gelang es, zum ehemaligen chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin und zum aktuellen Präsidenten Hu Jintao ein gutes persönliches Verhältnis aufzubauen. Für die ukrainisch-chinesischen Beziehungen ist mit der Wahl Wiktor Janukowytschs in das höchste Amt des Staates eine neue Zeit angebrochen. Seit 2009 treffen sich chinesische und ukrainische Offizielle regelmäßig, um bilaterale Fragen zu diskutieren. »Da für China und die Ukraine hervorragende Aussichten für Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit bestehen, sollten die beiden Länder gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um diese Kooperation in eine neue Ära zu befördern«, so der Stellvertretende Ministerpräsident Chinas Zhang Dejiang. Beide Staaten sind Mitglieder regionaler und sub-regionaler Gruppen zur Förderung politischer Kooperation, ökonomischer Entwicklung und Sicherheit. Kiew erachtet eine starke gegenseitige Unterstützung als wesentlich, damit beide Länder einige ihrer wichtigsten ökonomischen und außenpolitischen Ziele erreichen können. Beispielsweise versicherte Janukowytsch dem Präsidenten Hu Jintao bei einem Staatsbesuch in China im frühen September 2011, dass die Ukraine unter seiner Präsidentschaft die »Ein-China-Politik« unterstütze, welche die Unabhängigkeit Taiwans leugnet – in China ein hochsensibles Thema. Er versprach außerdem, dass seine Regierung niemals die Wahl Taiwans zum Mitglied einer internationalen Organisation befürworten und ebenso niemals offiziellen Kontakt zur Insel aufnehmen werde. Die chinesische Seite schätzt die Ukraine für ihre unterstützende Haltung zu Taiwan, Tibet und zu Menschenrechtsfragen. Die chinesisch-ukrainischen Handelsbeziehungen haben sich seit Oktober 2009 intensiviert. In jenem Jahr begann die damalige Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko, Verbindungen zu chinesischen Führungspersonen aufzubauen und traf namentlich den Stellvertretenden Ministerpräsidenten Zhang Dejiang in Kiew. Zhang Dejiang reiste im April 2011 abermals in die Ukraine, um die entstehende Kooperation auszubauen. Während dieses Besuchs vereinbarten beide Seiten die Bildung einer Kommission zur Regierungszusammenarbeit. Im Juni 2012, als Hu Jintao Kiew besuchte, verlieh China den Beziehungen zur Ukraine »strategischen Status«.

Gemeinsame Projekte

Der wichtigste Antrieb hinter dem kontinuierlichen Anstieg der Handelsbeziehungen war und ist Chinas Interesse und seine Fähigkeit, in der Ukraine zu investieren. Beispielsweise unterschrieben das ukrainische Agrarministerium und die chinesische Export-Import-Bank am 28. Juni 2012 ein Kooperationsmemorandum, das der Ukraine Kredite über drei Mrd. US-Dollar für die Implementierung verschiedener Agrarprojekte verschafft. Die Größenverhältnisse illustriert der Blick auf einen weiteren wichtigen Exporteur agrarischer Erzeugnisse, auf Kanada: Dort werden im Zeitraum 2012–2013 geschätzte 2,6 Mrd. US-Dollar für landwirtschaftliche Projekte ausgegeben. Fünfzehn Tage nach der Unterzeichnung einigten sich das Ministerium für Energie und Kohleindustrie und die China Development Bank auf einen Kreditrahmen von 3,7 Mrd. US-Dollar, um das Land bei der Umrüstung seiner Kraftwerke von Gas auf Kohle zu unterstützen. Das Abkommen sieht vor, dass China für die Durchführung des Projekts seine technologische Expertise bereitstellt. Im Rahmen eines Programms zur Versorgung der Kraftwerke mit Kohle hatte die China Development Bank im Juni 2011 bereits einem Kredit über 85 Mio. US-Dollar zugestimmt, um die Melnikow-Mine des staatlichen Kohleproduzenten Lisichansk­ugol zu modernisieren. Laut einer Aussage des Ministeriums für Energie und Kohleindustrie wurde der erste Teilbetrag von 16 Mio. US-Dollar im Juni 2012 ausgezahlt. All diese Geschäfte wurden bereits von der ukrainischen Gesetzgebung abgesichert, die staatliche Garantien für chinesische Kredite beschlossen hat. In Anbetracht der Blockade in den seit zwei Jahren andauernden Gesprächen mit dem russischen Gasproduzenten und -exporteur Gazprom suchte die Ukraine nach Wegen, ihre Abhängigkeit vom russischen Gas, das sie für ungerechtfertigt teuer hält, zu verringern. Entsprechend entschied Kiew unlängst, russische Gasimporte von ca. 40 Mrd. Kubikmetern im Jahr 2011 auf 27 Mrd. Kubikmeter im Jahr 2012 zu reduzieren. Schließlich haben die beiden Länder im Juli 2012 den Startschuss für die Montage von Schienen für einen Hochgeschwindigkeitszug gegeben, der die Kiewer Innenstadt mit dem Flughafen Boryspil verbinden wird. Die China National Machinery Industry Corp (Sinomach), der größte Maschinenproduzent Chinas, wird für das Projekt unter dem Namen »Air Express« verantwortlich sein. Der Bau des Hochgeschwindigkeitszuges begann im Oktober, für eine gewerbliche Nutzung wird der Zug ab 2014 zur Verfügung stehen. Das Projekt wird 372 Mio. US-Dollar kosten, die der chinesischen Export-Import-Bank 15 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bank und der Staatlichen Agentur für Investitionen und nationale Projekte (Gosinvestproekt) am 20. Juni 2011 zurückgezahlt werden müssen. Der Bau soll innerhalb von 18 Monaten abgeschlossen sein und die ukrainische Regierung erwartet, dass der Hochgeschwindigkeitszug sich in acht bis zehn Jahren rentiert haben wird. China setzte seine Unterschrift erst unter den Vertrag, als die Ukrainer den Großteil der Forderungen aus Peking erfüllt hatten – darunter Steuerfreiheit, Regierungsgarantien, Teilhabe chinesischer Firmen am Bau sowie die Verwendung aus China importierter Materialien. Der Hochgeschwindigkeitszug soll nicht nur für den Personenverkehr genutzt werden. Das Projekt ist konzipiert, um grundsätzlich die Relevanz verlässlicher Transportverbindungen mit Eurasien zu betonen und damit zur regionalen und internationalen Kooperation im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beizutragen. Chinas Ziel dabei scheint banal: ein Transportkorridor, der die eigenen Exporte nach Russland und in die EU ankurbelt. Im Energiesektor umfassen Chinas Investitionen auch die Aufwertung der Melnikow-Mine. Das 85-Millionen-Dollar-Projekt kontrollieren die Lisichansk Kohle AG und die Tiandi Science & Technology Corporation, welche Bergbautechnologie, Kontrollsysteme und Anlagen zur Kohleaufbereitung herstellt. In der Chemiebranche arbeitet der Konzern Wuhan Engineering Co., Ltd. an einem Projekt zur Modernisierung der Pestizide- und Düngemittelfabrik in Kalusch in der Region Iwano-Frankiwsk – im Austausch für einen garantierten Zugang zur landwirtschaftlichen Produktion des Landes. Weitere gemeinsame Projekte von nationaler Bedeutung sind in Planung: von der Entwicklung der Steppenregionen der Krim über Landgewinnung und Erschließung alternativer Energieressourcen bis hin zu Wohnanlagen und der Ausstattung von Schulen mit Computern.

Chinas Handel mit der Ukraine floriert

Kiew begrüßt den wachsenden chinesischen Einfluss, da er zu einer Diversifizierung der Wirtschaft des Landes beiträgt und das geringe Investitionsniveau europäischer Staaten in der Ukraine kompensiert. Die wechselseitigen Handelsbeziehungen konzentrierten sich für viele Jahre auf ukrainische Eisenerz-, Öl- und Gasexporte nach China. Beide Länder haben nun jedoch einen Diversifizierungsprozess begonnen und versprechen sich positive Resultate von tieferer ökonomischer Integration. Chinesische Funktionäre haben in jüngster Zeit mehrfach ihre Zufriedenheit mit der Entwicklung der bilateralen Handelsbeziehungen zum Ausdruck gebracht. Ukrainische und chinesische Politiker haben allen Grund, mit dem Handelsvolumen zwischen beiden Ländern zufrieden zu sein. Der bilaterale Handel beläuft sich gegenwärtig auf neun Mrd. US-Dollar pro Jahr, Expertenschätzungen zufolge wird diese Zahl 2012 auf zehn Mrd. und in den darauffolgenden Jahren auf 15 Mrd. US-Dollar ansteigen. Für einen Eindruck von der Bedeutsamkeit der chinesischen Präsenz in der Ukraine sollten wir anmerken, dass das ukrainische BIP im Jahr 2009 – nach den Daten des CIA World Factbook – 295 Mrd. US-Dollar betrug und dass dabei der Handel mit China 3 % des BIP der Ukraine ausmachte. Trotz allem gibt die Handelsstruktur der Ukraine auch Anlass zur Sorge, da das Land langsam aber sicher zu einem Rohstofflieferanten Chinas und zum Importeur chinesischer Produkte wird.

Eine ungleiche Bilanz

Der Export von Bodenschätzen dominiert gegenwärtig die ukrainisch-chinesischen Handelsbeziehungen. Eisenerz macht über 76 % der ukrainischen Exporte nach China aus, während 47,6 % der chinesischen Exporte in die Ukraine auf technische und elektrische Ausstattung entfallen. Darüber hinaus exportiert das Land große Mengen an Chemie-, Textil- und Stahlerzeugnissen nach China. Die Ukraine erlebte im letzten Jahrzehnt eine drastische Verschlechterung ihrer Leistungsbilanz. Im Jahr 2000 betrug der Wert ihrer Exporte nach China 63 Mio. US-Dollar und überstieg damit den Wert chinesischer Exporte um das Fünffache. Im Jahr 2011 hat sich die Balance dramatisch verändert: Der chinesische Export belief sich auf 6,27 Mrd. US-Dollar, während der ukrainische Export bei 2,18 Mrd. US-Dollar lag – ein Drittel der chinesischen Exporte. Zwischen 2005 und 2011 exportierte China Güter im Wert von 26,8 Mrd. US-Dollar in die Ukraine und importierte Güter im Wert von 7,2 Mrd. US-Dollar mit einem Gewinn von 19,6 Mrd. US-Dollar. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte das Ungleichgewicht zu Chinas Gunsten im Jahr 2015 bereits 25 bis 30 Mrd. US-Dollar erreichen.

Militärisch-technische Zusammenarbeit

Ein weiteres wichtiges Merkmal der chinesisch-ukrainischen Beziehungen ist die intensivierte Zusammenarbeit im militärtechnischen Sektor. Sie führte zu der Einrichtung der Ukrainisch-Chinesischen Intergouvernementalen Kommission zur Koordinierung der Militärisch-Technischen Kooperation. In Fragen der Militärtechnologie arbeiten beide Länder bereits seit langem zusammen: Sie kollaborierten unter anderem im Bereich der Luftfahrt, testeten gemeinsam schwere Transportflugzeuge und modernisierten die Transportmaschine Y8. China ist ein Hauptabnehmer für ukrainische Militärexporte. Die Ukraine versorgt Chinas Waffenindustrie mit Panzern, Raketen, Flugzeugen und Helikoptern, außerdem führt sie Kampfübungen für das chinesische Militär durch. Das bemerkenswerteste Beispiel für militärischen Handel zwischen diesen Ländern bildet der Verkauf eines nicht fertiggestellten sowjetischen Warjag-Mehrzweckflugzeugträgers im Jahr 1998, der seitdem von der Marine der Volksbefreiungsarmee für »wissenschaftliche Forschung, Tests und Training« ausgerüstet wurde. Der Fall Warjag hat in der östlichen Hemisphäre buchstäblich Wellen geschlagen. Amerikaner und Russen spekulierten, ob China mit dem Kauf des Warjag die Entwicklung einer ausgewachsenen Flugzeugträgerflotte anstrebt. Der Flugzeugträger sowjetischen Typs wurde im September 2012 feierlich eingeweiht. Es ist kein Geheimnis, dass die Ukraine für China in den letzten 15 Jahren eine Quelle für Raketentechnologien, moderne Triebwerke für Flüssigkeitsraketen, für Luft-Luft-Raketen und vieles mehr war. In Anbetracht der erwarteten Exporte militärischer Ausrüstung im Wert von über 1,2 Mrd. US-Dollar in den nächsten drei Jahren könnte die Ukraine in naher Zukunft zu Chinas Hauptwaffenlieferant werden. Beunruhigt durch den Wettbewerb mit chinesischen, aus gestohlenen sowjetischen Technologien entwickelten Produkten, hat der Kreml begonnen, die militärische Kooperation mit seinem riesigen Nachbarn zu reduzieren, hat die Tür jedoch noch nicht ganz geschlossen. Angesichts Russlands ambitionierter Beziehungen zu China und der Schlüsselrolle, die die Ukraine in Russlands geopolitischem Schachspiel einnimmt, verfolgten die russischen Medien aufmerksam die Ereignisse rund um den Ukraine-Besuch der stellvertretenden Vorsitzenden des ständigen Komitees des Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China, Chen Zhili, im September 2012. Indem sie die lange Liste von Chinas Verletzungen geistiger Eigentumsrechte des sowjetischen/russischen Militärs in Erinnerung riefen, unterstrichen russische Medien die Gefahr, die ein Transfer von Militärtechnologie an China für Russland und die Welt bedeuten könnte und warnten die Ukraine vor einem solchen Handelsansatz mit China. Der Erwerb von vier Hochleistungs-Luftkissenbooten (Hovercrafts) der sowjetischen Subr-Klasse bei der Ukraine ist ein entscheidender Deal, der den Abschluss ähnlicher Verträge mit russischen Unternehmen verhinderte. Im Zeitraum von 2010 bis 2012 beliefen sich die ukrainischen Waffenexporte nach China auf 1,5 Mrd. US-Dollar – ein rapider Anstieg, wenn man bedenkt, dass China in der Zeit von 2002 bis 2009 Ausrüstung im Wert von insgesamt nur 1,9 Mrd. US-Dollar in der Ukraine erworben hat. Russische Experten gehen davon aus, dass China den Ankauf ukrainischer Waffen einstellen wird, sobald es die Technologien übernommen und umgesetzt hat. Sergej Wosnesenskij, ein russischer Experte für Militärfragen, warnte die Ukraine, China würde »mit dem Ziel der Technologiebeschaffung große Mengen an Waffen einkaufen, dann die heimische Produktion in Gang setzen, schließlich auf den Weltmarkt exportieren und dabei sowohl Russland als auch die Ukraine hinter sich lassen.«

Die Ukraine im Dilemma

Die beiden Hauptprobleme der ukrainischen Wirtschaft sind die unzureichende Diversifizierung und die Abhängigkeit von Bodenschätzen und agrarischen Exporten. Chinas Investitionen im sekundären und tertiären Wirtschaftssektor könnten sich als die richtigen Mittel erweisen, um diese Hindernisse zu überwinden und die ukrainische Wirtschaft in Richtung wertschöpfender Güterherstellung zu steuern. Engere Handelsbeziehungen zu China sind für die Ukraine jedoch auch mit Risiken verbunden. Es ist zu erwarten, dass die ukrainische Wirtschaft stärker auf Chinas Investitionen, Waren und Energieimporte und damit auf das ökonomische Glück und Unglück dieses mächtigen Partners angewiesen sein wird.. Zugespitzt würde dies bedeuten, die Abhängigkeit von Russland und der EU durch die Abhängigkeit von einem einzelnen Handelspartner zu ersetzen. Möglicherweise stehen die politischen Entscheidungsträger in der Ukraine bald vor einer bedeutsamen Entscheidung. Sie müssen entweder das Land vollständig für Chinas ökonomische Projekte öffnen und zunehmend von der wirtschaftlichen Leistung eines kraftvollen Partners mit einem bald 50 Mal größeren BIP abhängig werden – oder sie müssen juristische und ökonomische Schutzwälle gegen Pekings außenpolitische Manöver errichten und sich mit einem geringeren Teil der potentiellen Einnahmen begnügen, die engere bilaterale Beziehungen mit sich bringen würden.

Wem nützt die Diversifizierung?

Seit der Unabhängigkeit betonten die ukrainischen Präsidenten unnachgiebig die Notwendigkeit, die Wirtschaft der Ukraine zu diversifizieren – weg vom Export von Rohstoffen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Ein sich so rasant entwickelnder Partner wie China würde Präsident Janukowytsch sicher dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass chinesische Investitionen tatsächlich ökonomische Diversifizierung bewirken würden. Die ukrainische Elite, von welcher der Diversifizierungsprozess in hohem Maße abhängig ist, hat möglicherweise kein ausreichend großes Interesse an einer Veränderung der gegenwärtigen Wirtschaftsstruktur. Die historische Erfahrung der Ukraine hat gezeigt, dass schwach diversifizierte Volkswirtschaften, deren Einnahmen stark von natürlichen Ressourcen abhängen, für politische und ökonomische Eliten die besten Modelle für kleptokratische Ambitionen bereitstellen. Es bleibt abzuwarten, ob die ukrainisch-chinesische Wirtschaftspartnerschaft den Interessen der ukrainischen Bevölkerung oder bloß den Mitgliedern der Präsidentenentourage dient. Übersetzt aus dem Englischen von Jan Matti Dollbaum

Lesetipps:

  • Sean Pratt: China invests in Ukraine agriculture, in: The Western Producer, 22. Juni 2012, http://www.producer.com/2012/06/china-invests-in-ukraine-agriculture%E2%80%A9/

  • Tai Adelaja: Tensions push Ukraine to look to Beijing, in: The Moscow News, 16. Juli 2012, http://themoscownews.pressdisplay.com/epaper/viewer.aspx

  • Daryna Krasnolutska: Cash to Duck Vote-Damaging Deal Terms, in: Businessweek, 31. August 2012, http://www.businessweek.com/news/2012-08-30/ukraine-turns-to-ch

  • Richard Rousseau: China’s Growing Economic Presence in Ukraine and Belarus, in: Strategic Analysis (Routledge Taylor & Francis), Jg. 36 (Januar 2012), Nr. 1, p. 18–22.

Fussnoten

ist Außerordentlicher Professor und Vorsitzender der Abteilung für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Khazar-Universität in Baku, Aserbaidschan. Er lehrt zu den Themenfeldern russische Politik, eurasische Geopolitik, internationale politische Ökonomie und Globalisierung.