Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Analyse: Politische Beteiligung und Positionierung ukrainischer Jugendlicher: Die Orange Revolution und darüber hinaus | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? Analyse: Die hohen Kosten des Krieges: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die Armut verschärft Chronik: 22. Februar bis 7. März 2023 Besatzungsregime / Wiedereingliederung des Donbas (27.03.2023) Analyse: Etablierungsformen russischer Herrschaft in den besetzten Gebieten der Ukraine: Wege und Gesichter der Okkupation Karte: Besetzte Gebiete Dokumentation: Human Rights Watch: Torture, Disappearances in Occupied South. Apparent War Crimes by Russian Forces in Kherson, Zaporizhzhia Regions (Ausschnitt) Dokumentation: War and Annexation. The "People’s Republics" of eastern Ukraine in 2022. Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. März, Feminismus und Krieg in der Ukraine: Neue Herausforderungen, neue Möglichkeiten Umfragen: Umfragen zum Internationalen Frauentag Interview: "Der Wiederaufbau braucht einen geschlechtersensiblen Ansatz" Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Korruptionsbekämpfung (08.03.2023) Analyse: Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine Dokumentation: Statistiken und Umfragen zu Korruption Analyse: Reformen, Korruption und gesellschaftliches Engagement Chronik: 1. bis 10. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Analyse: Politische Beteiligung und Positionierung ukrainischer Jugendlicher: Die Orange Revolution und darüber hinaus

Antonina Tereshchenko Porto Von Antonina Tereshchenko

/ 10 Minuten zu lesen

Eine qualitativen Studie, die in ländlichen Gemeinden in der Ukraine durchgeführt worden ist, beschäftigt sich mit der bürgerschaftliche Identität von ukrainischen Jugendlichen. Im Fokus steht hierbei die Beteiligung an der Zivilgesellschaft. Hat die ukrainische Jugend mit Blick auf die Orange Revolution einen demokratischen Wandel durchlaufen? Wie wird die generelle Auffassung von zivilgesellschaftlichem Engagement bei den Jugendlichen betrachtet?

Politische Beteiligung ukrainischer Jugendlicher während der Orangen Revolution.

Dilemma des bürgerschaftlichen Engagements bei Jugendlichen

Die politische Apathie von Jugendlichen wird in postkommunistischen Ländern als auch in den seit längerer Zeit etablierten Demokratien als Problem angesehen. Die Jugendforschung allerdings hat alternative Parameter zur Untersuchung der wahrgenommenen Depolitisierung bei Jugendlichen vorgelegt. Es wurde z. B. nahegelegt, dass Zynismus unter jungen Leuten nicht unbedingt Apathie oder mangelndes Interesse an politischen Themen bedeute. Diese Haltung könnte genauso gut als Form des Widerstands und als politischer Protest von Jugendlichen als einer marginalisierten und ausgegrenzten Gruppe interpretiert werden. Junge Leute beteiligen sich durchaus an Politik, aber eher an unkonventioneller Politik, die eng mit der spät- und post-modernen Realität verknüpft ist, d. h. mit Formen der Individualisierung und Hinwendung zu post-materialistischen Werten. Jugendliche stehen häufig an der vordersten Front sozialer Bewegungen, wie z. B. bei den Anti-Globalisierungs-Protesten, bei Protesten gegen den Krieg im Irak, beim Thema Umwelt und Abtreibungsrecht, Tierschutz, Anerkennung der Gleichstellung von Homosexuellen, Frauenfragen und Ähnlichem. Ihr themenorientiertes Engagement kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie sich eher NGOs als herkömmlichen politischen Parteien anschließen. Der Blick auf das Thema Jugendliche und zivilgesellschaftliches Engagement legt des Weiteren nahe, dass bürgerschaftliches Engagement in der außerschulischen Praxis erlernt werden kann. In der Ukraine geht die öffentliche Diskussion um Bürgerschaftlichkeit nicht nur mit der Vorstellung von einem aktiven politischen Leben in einer demokratischen Gesellschaft einher, sondern spiegelt auch Probleme der nationalen Identität und Zugehörigkeit wider. Ein Aspekt in diesem Diskurs ist das wahrgenommene Bedürfnis, Zugehörigkeit zur und Loyalität gegenüber der Nation unter den Jugendlichen als Voraussetzung für die aktive Beteiligung am gesellschaftlichen Geschehen zu schaffen. Der Prozess der Bildung einer gemeinsamen nationalen Identität wird in der Ukraine durch die regionale Polarisierung entlang der Ost-West-Achse verkompliziert. Das Maß der emotionalen Zugehörigkeit und der Bürgerbeteiligung hängen insofern miteinander zusammen als sich eine Person aktiv in der Zivilgesellschaft engagieren kann, wenn sie sich auch dazugehörig fühlt. Jugendliche allerdings, die sich nicht zur Gesellschaft dazugehörig fühlen, werden unzufrieden und stehen einer aktiven Teilnahme an dieser Gesellschaft gleichgültig gegenüber. Im Folgenden werden zunächst die Unterschiede bei der Identifikation junger Leute mit der Orangen Revolution in zwei verschiedenen Regionen der Ukraine (Region Lwiw und Luhansk) dargestellt (siehe Anmerkung am Ende des Textes). Im Weiteren wird argumentiert, dass die Jugendlichen trotz der regionalen Differenzen, die sich durch ihre Ansichten und Positionen ziehen, eine ähnliche zivilgesellschaftliche Handlungsfähigkeit, ähnliche Erfahrungen und einen ähnlich großen Willen zu politischem Engagement haben.

Orange Revolution und Engagement der Jugendlichen

Eine Möglichkeit, die Frage der Beteiligung der ukrainischen Jugend zu beleuchten, ist es, ihre Erfahrungen während der Orangen Revolution von Ende 2004 zu untersuchen. Zu dieser Zeit waren die Teilnehmer der Studie zwischen 14 und 16 Jahren alt. Die unten folgende Tabelle fasst die Gefühle der jungen Leute bei diesen Ereignissen in beiden Regionen zusammen. Während die negative (aber vorwiegend aktive) Positionierung gegenüber der Orangen Revolution kennzeichnend für die Mehrheit der ostukrainischen Jugend war und für diejenigen, die in Lwiw eine russische Schule besuchten, war sich die westukrainische Jugend im Prinzip einig in ihrer pro-Orangen politischen Positionierung. Wir argumentieren hier, dass die Ablehnung und negative Auslegung der Orangen Revolution durch die Teilnehmer ein selbstbewusster Weg des Umgangs mit den regionalisierenden, ausschließenden Diskursen sein konnte, die diese Ereignisse stimuliert hatten. Angesichts des Gefühls des Identitätsverlustes und des Ausschlusses vom nationalen “Projekt“, könnten die Jugendlichen die Revolutionsereignisse als weiteren Versuch der nationalen Aktivisten aufgefasst haben, aus (Russisch sprechenden) Ostukrainern “wahre“ Ukrainer zu machen. Wenn Schüler aus der Ostukraine gefragt wurden, ob sie an irgendwelchen Aktionen auf einer Seite des politischen Spektrums teilgenommen hätten, rechtfertigten sie ihre Nicht-Beteiligung damit, dass es für junge Leute unter 18 verboten sei sich an politischen Kampagnen zu beteiligen. Eltern in der Ostukraine erlaubten ihren Kindern häufig nicht zu Demonstrationen zu gehen und die Schulen hielten die Schüler davon ab, die Ereignisse überhaupt zu diskutieren. Die westukrainische Jugend, im Gegensatz dazu, erinnerte sich daran, häufig auf Demonstrationen gewesen zu sein. (s. Tabelle 2). Einige Forscher würden argumentieren, dass die generelle Nicht-Beteiligung an den Orangen Revolutionsprotesten im Osten bestätigt, dass die Zivilgesellschaft in dieser Region weniger entwickelt ist als in anderen Teilen der Ukraine und dass hier noch immer eine sowjetische autoritäre Mentalität vorherrsche. Jedoch, weit davon entfernt unbeteiligt zu sein, nahmen die jungen Leute indirekt teil, indem sie Accessoires wie z. B. blaue Bänder an ihre Taschen hängten oder sich diese um ihre Knie oder Oberschenkel banden. Sie beteiligten sich, indem sie permanent die politischen Ereignisse erörterten und diskutierten und damit Auseinandersetzungen provozierten. “Wir konnten auf keinen gemeinsamen Nenner kommen und wir konnten in der Klasse lange keinen Frieden schließen, und sogar jetzt streiten wir noch manchmal.“ (Kira) In den Klassen habe es hitzige Debatten gegeben, weil z. B. der Lehrer für Juschtschenko, die Klasse aber für Janukowytsch gewesen sei. Die Orange Revolution war ein entscheidender Moment im politischen Leben der ersten post-sowjetischen Generation (während sich die regionalen Differenzen verstärkten und die nationale Einheit infrage gestellt wurde) und hat sie dazu gebracht, wahrscheinlich sogar erstmals, über ihre politische Loyalität und Neigung nachzudenken. Schon das allein zeigt eine Form von zivilgesellschaftlichem Engagement, das durch vielfältige kleine Aktionen offenkundig wurde. Die jungen Leute entwickelten ein politisches Bewusstsein, indem sie etwas über Macht lernten, mit den Medien zu tun hatte und mit Eltern, Lehrern und Gleichaltrigen neue Ideen entwickelten. Der kritische Dialog war in diesem Fall eine Form der politischen und sozialen Transformation. Während jugendliches Engagement in beiden Regionen identifiziert werden konnte, hatten die regionalen Unterschiede starken Einfluss auf die Position der Jugendlichen zur Orangen Revolution. Wenn wir aber über die politischen Grabenkämpfe hinausgehen und das generelle zivilgesellschaftliche Engagement der jungen Leute und deren Umsetzung von Bürgerschaft betrachten wollen, sehen wir, dass die regionalen Unterschiede zwischen den Jugendlichen nicht sehr groß waren. Im nächsten Abschnitt soll es nicht mehr darum gehen, warum die Jugendlichen an den Protesten der Orangen Revolution teilgenommen haben oder auch nicht, sondern darum, ob sie bereit dazu waren, sich an einem demokratischen Modell von Bürgerschaft im Rahmen der Zivilgesellschaft zu beteiligen.

Positionen: “zynisch“, “aktiv“, “privat“, “auf die Gesellschaft fokussiert“

Trotz ihrer Unterstützung für und ihre “Beteiligung“ an der Orangen Revolution war die grundsätzliche politische Position der Jugendlichen aus der Westukraine die gleiche wie die der eher “passiven“ Jugendlichen im Osten. Alle jungen Leute waren anscheinend davon ausgegangen, dass sie mit Politik nie etwas zu tun haben würden. Sie sahen Politiker als “nervig“ an und politische Parteien als Organisationen, “die sich nur kurz vor den Wahlen für uns interessieren“. Die Mehrheit der jungen Leute in beiden Regionen war der Ansicht, dass die Möglichkeiten der politischen Beteiligung häufig auf das Wählengehen beschränkt sind (einen “Präsidenten zu wählen“ und bei “bei den Parlamentswahlen abzustimmen“ sind in ihren Augen die offensichtlichsten politischen Aktivitäten), dass Politik eine Sache des weit in der Zukunft liegenden Erwachsenenlebens ist, und dass es noch “zu früh für uns ist über politische Beteiligung nachzudenken“. Was aber als Mangel an politischem Engagement oder als Passivität gedeutet werden könnte, entsprach eigentlich einem ganz anderen politischen Ansatz. Wenngleich nicht politisch aktiv, waren die ukrainischen Jugendlichen dieser Studie doch an Politik interessiert und einige diskutierten die Gründe dafür auch eifrig. Ihrer Meinung nach waren alle Politiker “Söldner“, “eigennützig“ und “unehrlich“; Politik wurde mit einem “schmutzigen Geschäft“ gleichgesetzt, mit “Raub“ und “Geld verdienen“. Trotz Zynismus in Bezug auf Politik gab es Anzeichen für Engagement unter den Schülern. Ihre “civic agency“ wurde in dem Verlangen nach aktiver Teilnahme an öffentlichen Protesten mit dem Ziel, der Ungerechtigkeit und der Verletzung ihrer politischen und Menschenrechte entgegenzuwirken, offensichtlich. Angesprochen auf Aktivitäten wie Freiwilligenarbeit, Teilnahme an Umweltbewegungen, Beschäftigung mit Frauenfragen, Tierschutz und Hilfe für alte und behinderte Menschen sowie Kinder, gaben die Befragten an, dass sie sich vorstellen könnten, sich für solche sozialen Fragen zu engagieren, oder dies bereits täten. Es schien, dass sich die Jugendlichen zwar mit gesellschaftlichen Themen beschäftigten, freiwillige Arbeit oder kleinere Aktivitäten auf lokaler Ebene jedoch nicht explizit mit Bürgerschaft oder politischer Beteiligung gleichsetzten oder diese nicht als solche anerkannten. “Das ist keine politische, das ist soziale Arbeit“, argumentierte ein Schüler. Wenn die Jugendlichen allerdings nach akuten politischen Problemen gefragt wurden, sprachen sie als erstes von den Wahlen oder der Außenpolitik (z. B. “Wer wird die kommenden Wahlen gewinnen und werden wir je in die Europäische Union eintreten “, “Nicht Richtung EU gehen, sondern die Integration mit Russland vorantreiben“). Überall im Land nannten sie im Weiteren aber auch unmittelbare politische Probleme wie z. B. die Wirtschaftslage, soziale Absicherung und Wohlstand, Arbeitsplätze, Jugendpolitik – Themen also, die eher ihre persönlichen und gemeinschaftlichen Erfahrungen betreffen. Viele wünschten “weniger Langeweile“, mehr Freizeiteinrichtungen für junge Leute (Sportausstattung, Sportzentren, gute Sport- und Spielplätze) und Orte, an denen man zu erschwingliche Preisen zusammenkommen kann (Diskos, Kinos, Cafés). Als besorgte Bürger forderten sie mehr Aktivitäten und Veranstaltungen für ihre kulturell und sozial vernachlässigten Gegenden, die Kindern und jungen Leuten zugutekommen sollen. Gerade von Kindern und Jugendlichen sagten sie oft, diese würden “einfach nur rumhängen und nichts zu tun haben“. Die jungen Leute brachten ihre Sorge über die Verbreitung von “Clubs mit Glücksspielautomaten“ zum Ausdruck, “die das Leben einiger Eltern ruinieren“ und “einfach Geldverschwendung“ seien. Darüber hinaus sagten die Jugendlichen überall in der Ukraine, wenn sie nach ihrem direkten Umfeld gefragt wurden, dass sie sich um das Wohl ihrer Städte und Dörfer sorgten. Außerdem hatten sie Kenntnisse von der Geschichte ihrer Ortschaften, wussten von aktuellen Problemen und machten sich Gedanken über die Zukunft. Viele beschäftigten sich mit den sozialen Problemen vor Ort, indem sie kritisch beobachteten, reflektierten und Probleme wie “Vermüllung“, “Verschmutzung“, “Verfall von historischen Gebäuden“, “schlechte Straßen“, “dunkle Straßen“, “Mangel an Orten für Jugendliche“ und vieles mehr beanstandeten. Sie fühlten sich grundsätzlich verpflichtet, die Umwelt zu schützen und waren sich im Klaren darüber, wie ihr Ort verbessert werden könnte. Insgesamt scheint es, dass die Jugendlichen eine aktive Kritikkompetenz entwickelt haben (auch ihre zynische Sicht auf die Politik ist eher Kritik als Desinteresse oder komplette Ablehnung) und dass sie die Feststellung von den apathischen Jugendlichen infrage stellen, indem sie sich die konventionelle politische Partizipation (wie z. B. Wählengehen) als auch das unmittelbare lokale Engagement angeeignet haben. Die befragten Jugendlichen verbanden das Politische sehr stark mit dem Persönlichen. Allerdings tat sich für sie ein Mangel an Möglichkeiten auf, sich Gehör zu verschaffen oder sinnvoll zu partizipieren. Ein Fakt, der die Aufmerksamkeit auf die Schulen als Ort für das Erlernen und Praktizieren von Bürgerschaft richtet. Jugendliche, die tatsächlich an Geschichte und aktuellen gesellschaftlichen Fragen interessiert waren, kritisierten den fehlenden Bezug zu solchen Themen sowohl in ihrem Sozialkundeunterricht als auch in der größtenteils lehrerzentrierten Unterrichtspraxis insgesamt. Während alle interviewten Lehrer der Aussage zustimmten, dass die Bürgerschaftsausbildung dazu diene, aktive Bürger auszubilden, zeigte ihre Unterrichtspraxis keinen aktiven pädagogischen Ansatz. Die Jugendlichen (und das entsprach auch unseren Beobachtungen) stellten einen Mangel an offenen Diskussionen, Debatten und Aktivitäten fest, die es ihnen ermöglichen würden, ihre Meinung in einem geschützten Rahmen zu äußern. Die Lehrer stellten sich als ängstlich gegenüber einer Ausweitung der schulischen Demokratie und Mitsprache heraus und betonten eher die Verpflichtungen der Schüler als deren Rechte. Es war nicht unüblich zu hören, dass Lehrer idealisierend und sentimental über die Schulabgänger sprachen, als “reine, gute und normale Kinder“, und zudem anmerkten, dass diese zu jung seien, um eine Meinung zur politischen Situation zu haben oder um über politische Beteiligung nachzudenken. Letztendlich nimmt die Bürgerschaftliche Erziehung in der Ukraine eine Randposition ein. Kein Wunder, dass einige junge Leute nach dem Durchlaufen eines Schulsystems, das durch die Betonung traditioneller Lernstoffe und Methoden “wissende Bürger schaffen“ will, eine utilitaristische Einstellung gegenüber Wissen allgemein und dessen Anwendbarkeit bei Prüfungen eingenommen haben: “Warum soll ich für Kunst oder Bürgerschaftliche Bildung lernen, wenn ich an der Uni Aufnahmeprüfungen in Mathe habe?“

Fazit

Die Hauptargumente, die relevant für die Beteiligungsdimension im Sinne der Bürgerschaft scheinen, können in folgender Weise zusammengefasst werden. Erstens: Während die Jugend in allen europäischen Ländern und insbesondere in der Ukraine generell als passiv und zynisch angesehen wird, in Schulen genauso wie in vielen akademischen und politischen Diskursen, hat diese Studie gezeigt, dass die Jugendlichen kritisch sind und ganz offensichtlich nicht unbeteiligt. Insbesondere während der Orangen Revolution hat sich die Jugend, die keine anderen Möglichkeiten der Partizipation hatte, in einer Vielzahl von unkonventionellen Weisen bürgerschaftlich engagiert, indem sie die Ressourcen nutzten, die ihrer Altersgruppe zur Verfügung standen. Zweitens zeigten die jungen Ukrainer die Fähigkeit, überlegte Urteile über verschiedene Aspekte des sozialen und politischen Lebens zu fällen, ihre eigene Ausbildung kritisch einzuschätzen und praktische demokratiefördernde Verbesserungsvorschläge zu machen. Ablehnung und Misstrauen seitens der Jugendlichen gegenüber der konventionellen Politik sprechen eher für einen Mangel an Kontrolle, den sie dieser gegenüber empfinden, als für politische Apathie. Das tiefgehende und kritische Verständnis der Mehrheit der Jugendlichen legt nahe, dass die Lehrer von der Einbeziehung der Jugendlichen in Entscheidungsfindungsprozesse zu den Inhalten des Unterrichts in Bürgerschaftlicher Bildung profitieren würden sowie von mehr Möglichkeiten für einen stärker demokratisch geprägten Dialog und für informelle Interaktion zwischen Lehrern und Schülern. Der Text basiert auf den Ergebnissen einer qualitativen Studie, die im Jahr 2006 im Laufe von acht Monaten, in Städten und in ländlichen Gemeinden im Osten (Gebiet Luhansk) und im Westen (Gebiet Lwiw) durchgeführt wurde. Insgesamt nahmen 190 junge Menschen zwischen 15 und 18 Jahren aus 10 Oberschulen an 56 Gruppendiskussionen teil. Übersetzung aus dem Englischen von Judith Janiszewski

Lesetipps:

  • Tereshchenko, A.: Ukrainian youth and civic engagement. Unconventional participation in local spaces, in: Journal of Youth Studies, 2010, 13(5), S. 597–613.

  • Tereshchenko, A.: Learning citizenship education in Ukraine. High-school pupils’ experiences and subject relevancy, in: Naukovi Zapysky NaUKMA, 2010, 110, S. 12–19 [Ukrainian].

Fussnoten

Antonina Tereshchenko erwarb ihren PhD im Jahr 2009 an der Universität Cambridge (UK) und ist derzeit als Postdoc im Bereich Kindheit, Migration und Bildung an der Universität Porto beschäftigt (Portugal).