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Analyse: Wie weiter? Das Assoziierungsabkommen der EU im Spannungsfeld von Wirtschaft und Menschenrechten | Ukraine-Analysen | bpb.de

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März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? 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Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. 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Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Analyse: Wie weiter? Das Assoziierungsabkommen der EU im Spannungsfeld von Wirtschaft und Menschenrechten

Thomas Vogel M.A Brüssel Von Thomas Vogel

/ 12 Minuten zu lesen

Das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine spaltet die EU. Die Befürworter sehen das Abkommen als Instrument, um ernsthafte Reformen voranzutreiben. Skeptiker hingegen fordern substantielle Fortschritte bevor es weitere Zugeständnisse geben soll.

Die EU macht die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine von politischen Fortschritten des Landes abhängig. (© picture-alliance/AP)

Einleitung

Die Ukraine ist das bedeutendste Land innerhalb der Östlichen Partnerschaft. In diesem regionalen Programm der EU-Nachbarschaftspolitik sollen insgesamt sechs Partnerländer (Belarus, Ukraine, die Republik Moldau, Georgien, Aserbaidschan, Armenien) näher an die Standards und Werte der EU herangeführt werden. Die Östliche Partnerschaft umfasst eine bilaterale und eine multilaterale Dimension, letztere als gemeinsames Forum aller Mitglieder. Bestandteil der für alle Partnerländer wichtigeren bilateralen Ebene ist das Assoziierungsabkommen, das in Verbindung mit einer vertieften Freihandelszone abgeschlossen werden soll. Zudem steht für die Partnerländer die Abschaffung der Visapflicht ganz oben auf dem Wunschzettel.

Das Assoziierungsabkommen

Das Assoziierungsabkommen stellt eine neue Generation von Abkommen der EU mit Drittländern dar. Vorgänger waren die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, die in den 1990er Jahren mit zehn Ländern Osteuropas und Zentralasiens abgeschlossen wurden (1998 mit der Ukraine). Noch nie hat die EU einem Nicht-Beitrittsland außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums eine derart weitreichende vertragliche Anbindung in Aussicht gestellt wie mit dem avisierten Assoziierungsabkommen. Dieses beinhaltet folgende Kapitel:

  • Politischer Dialog und Reformen sowie Sicherheits- und Außenpolitik bspw. beim Krisenmanagement, bei Konfliktprävention, militärischer Kooperation

  • Justiz, bürgerliche Freiheiten, innere Sicherheit bspw. Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Korruption, Datenschutz, Asyl, Terrorismus, organisierte Kriminalität, Kooperation im Bereich Migration und "Movement of Person"

  • eine Freihandelszone (Deep and Comprehensive Free Trade Area, kurz DCFTA)

  • Sektorale Zusammenarbeit in über 30 Bereichen wie zum Beispiel Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Umwelt- oder Gesundheitspolitik

  • Zusammenarbeit bei der Bereitstellung von Fördergeldern und Finanzinstrumenten

Herausragender Bestandteil des Abkommens ist die Freihandelszone, die unter anderem eine schrittweise gegenseitige Öffnung der Märkte der EU und der Ukraine beinhaltet. Einfuhrzölle und weitere Handelsbarrieren werden damit größtenteils abgeschafft oder vor allem im landwirtschaftlichen Bereich durch Quoten stark reduziert. Außerdem wird die Ukraine verpflichtet technische Standards und Regularien der EU weitestgehend zu übernehmen, etwa im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe, bei der Hygiene, bei Herkunftsbezeichnungen oder beim Schutz des geistigen Eigentums. Die Öffnung der Märkte ist vor allem für die exportstarken EU-Länder lukrativ, aber auch die ukrainischen Großunternehmen der Schwer- und Rohstoffindustrie sowie die Landwirtschaft hoffen auf einen großen Absatzmarkt in der EU. Im März 2007 wurden die Verhandlungen offiziell begonnen, nach fast vier Jahren wurde beim EU-Ukraine Gipfel im Dezember 2011 der Abschluss der Konsultationen bekanntgegeben. Die teilweise sehr schwierigen Verhandlungen hatten sich am Ende noch einmal verkompliziert, weil die Ukraine im politischen Teil des Abkommens auf der Festlegung einer EU-Beitrittsperspektive bestand. Die EU-Mitgliedstaaten konnten sich hingegen nicht auf eine gemeinsame Position einigen, sodass jede Bezugnahme auf einen möglichen EU-Beitritt schließlich gestrichen wurde. Gleichwohl wird die zukünftige Entwicklung der bilateralen Beziehungen bewusst offen gehalten, da das Abkommen mit dem Motto der politischen Assoziierung und wirtschaftlichen Integration ein wichtiger Schritt hin zur Annäherung an die EU darstellt und letztendlich auch ein Beitritt prinzipiell nicht ausgeschlossen ist.

Die politische Situation in der Ukraine

Am Beginn der Verhandlungen, noch unter den Gewinnern der Orangen Revolution – Präsident Wiktor Juschtschenko und Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko –, gab es eine optimistische, extrem EU-freundliche Stimmung in der Bevölkerung, aber auch innerhalb der Elite bestand die Bereitschaft, sich den Demokratiestandards der EU anzupassen. Seitdem haben sich die demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen verändert. Präsident Wiktor Janukowytsch hat es verstanden die Machtvertikale in den vergangenen zwei Jahren stark auf seine eigene Person sowie auf seine Familie und engsten Freunde auszurichten und gleichzeitig das Parlament zu schwächen. Schwerer wiegt noch, dass politische Gegner und ehemalige Amtsträger systematisch verfolgt, verhaftet und teilweise bereits zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Prominentestes und aktuellstes Beispiel ist Ex-Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko, aber auch Ex-Innenminister Jurij Luzenko, Ex-Verteidigungsminister Walerij Iwaschtschenko oder Ex-Umweltminister Heorhij Filiptschuk zählen zu diesem Kreis. Die EU und internationale Organisationen bewerten die Prozesse gegen die Opposition und insbesondere deren Durchführung als politisch motiviert. Gleichzeitig wird die Zivilgesellschaft immer weiter drangsaliert, die Medien immer stärker der Kontrolle des Staates unterworfen. Die Macht der Judikative ist ausgehöhlt. Im Oktober dieses Jahres finden in der Ukraine Parlamentswahlen statt. Wenn aber die wichtigste Oppositionsführerin und einige ihrer engsten Gefolgsleute nicht daran teilnehmen können, weil sie im Gefängnis oder im Exil sitzen, kann nicht von fairen und freien Wahlen gesprochen werden. Diesen gewichtigen Rückschritt im Vergleich zu vorigen Wahlen darf die EU nicht ignorieren. Die Freilassung oder gar politische Rehabilitierung der Ex-Ministerpräsidentin noch rechtzeitig vor den Wahlen ist äußerst unwahrscheinlich. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft hat mehrmals und öffentlich bekräftigt, dass neben dem abgeschlossenen Prozess und der Verurteilung weitere Verfahren auf Tymoschenko warten. Bis zu zehn weitere Untersuchungen laufen derzeit gegen sie. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass Präsident Janukowytsch eine Freilassung Tymoschenkos in Betracht zieht, zumal es sich allem Anschein nach auch um einen persönlichen Rachefeldzug gegen die Orangen Gegner von einst handelt. Eine gezielte Änderung der umstrittenen Paragraphen 364/365 des ukrainischen Strafgesetzbuches, in denen es um Amtsmissbrauch und Korruption geht, lehnt seine Fraktion der Partei der Regionen im Parlament strikt ab, auch mit dem Argument, dass die Abschaffung dieser Paragraphen die Freilassung von Tausenden anderen Strafverfolgten nach sich ziehen würde. Tymoschenko muss also damit rechnen, das Schicksal des russischen Oligarchen Michail Chodorkowskij zu teilen.

Die EU im Dilemma – Anreize oder Druck

Die veränderte politische Lage stellt die EU vor ein Dilemma: Soll sie die geplante Prozedur zum Abschluss des Assoziierungsabkommens fortsetzen, das heißt zunächst einmal die Unterzeichnung vorbereiten? Die EU ist gespalten in eine Gruppe von Befürwortern, die das neue Abkommen prinzipiell als Instrument für die Re-Demokratisierung und neue politische Reformen sehen (etwa die Baltischen Staaten, Polen, Tschechien, Großbritannien, Irland). Auf der anderen Seite stehen viele Staaten der regierenden Elite der Ukraine derart skeptisch gegenüber, dass sie erst substantielle Fortschritte fordern, bevor es weitere Zugeständnisse geben soll (besonders Deutschland, Niederlande, Frankreich). Diese Spaltung ist auch im Europäischen Parlament und selbst innerhalb der politischen Fraktionen erkennbar. Gute Argumente gibt es auf beiden Seiten. Befürworter einer schnellen Unterzeichnung sehen die Ukraine erst durch die Verbindlichkeit des Abkommens verpflichtet, politische Reformen anzugehen und mehr rechtsstaatliche Prinzipien umzusetzen. Für sie ist die Umsetzung des Abkommens der Lackmustest, an dem sich der politische Wille der regierenden Elite zeigen wird. Die Skeptiker dagegen bewerten die Unterzeichnung zum jetzigen Zeitpunkt als politisches Geschenk an Janukowytsch, das dessen repressive Politik nur legitimieren würde. Mit dem Hinauszögern des Abkommens hingegen könne man weiter für die Freilassung der politischen Opposition eintreten und mit hinreichend großem Druck freie und faire Parlamentswahlen im Oktober fordern. Eine Position, die auch die EU-Kommission vertritt. Besonders heikel ist, dass sich die politische Opposition in der Ukraine, selbst Julija Tymoschenko, sowie die Mehrheit der ukrainischen NGOs für die schnelle Unterzeichnung ausgesprochen haben. Die Unterzeichnung würde auch die Veröffentlichung des Abkommens ermöglichen. Das wiederum wäre eine wichtige Referenz für die demokratischen Kräfte im Land und die zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich damit auf die Grundsätze und Inhalte berufen könnten. Ein Argument der Gegner einer schnellen Unterzeichnung ist, dass sich die EU selbst eine weitere Hürde gesetzt hat: Mit der Überarbeitung der Nachbarschaftspolitik im Mai 2011 wurde das Prinzip more for more eingeführt. In ihrer Mitteilung zu einer "Nachbarschaft im Wandel" stellen der zuständige EU-Kommissar Stefan Füle und die hohe Repräsentantin für die EU-Außenpolitik, Catherine Ashton, die Förderung von Demokratie (deep democracy), Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit als oberste Priorität dar, an der sich die neue Politik ausrichten müsse. Das more for more Prinzip besagt, dass nur derjenige Partner weitere Integrationsschritte und Vergünstigungen von EU-Seite erwarten kann, der in diesen Bereichen auch Reformen umsetzt. Nach diesem fundamentalen Grundsatz aber müsste die Prozedur um das neue Abkommen nun auf Eis gelegt werden, denn die Ukraine hat weder nachhaltige Reformbereitschaft im Sinne europäischer Standards bspw. im Bereich Justiz, Wahlgesetzgebung oder Verfassung gezeigt noch sind derzeit Anzeichen für eine Stärkung der Demokratie zu beobachten. Ist die wertorientierte Vertragspolitik der EU wirklich durchführbar oder sollte sie nicht zugunsten einer pragmatischeren Herangehensweise, die die politischen Gegebenheiten des Landes akzeptiert, aufgeben werden?

Die geopolitische Lage und die Rolle Russlands

Trotz aller scheinbaren Gegensätze und scharfer Rhetorik gegenüber Kiew weiß die Europäische Union um die wichtige Rolle der Ukraine, nicht nur für die Östliche Partnerschaft, sondern für das geostrategische Verhältnis zwischen der EU und Russland. Wenn es der EU nicht gelingt, die Ukraine stärker politisch und wirtschaftlich an sich zu binden, wird sie sich unweigerlich mehr auf Moskau zubewegen, lautet eines der schwerwiegendsten Argumente für eine schnelle Assoziierung. Grund für diese Annahme ist der enorme Druck von russischer Seite. Moskau hat der Ukraine wiederholt einen Beitritt zur Zollunion (mit Russland, Kasachstan und Belarus) nahegelegt. Ein Freihandelsabkommen mit der GUS ist bereits unterschrieben. Als Gegenleistung für eine Mitgliedschaft in der von Putin angedachten Eurasischen Union (als Nachfolger der Zollunion) wäre dann eine signifikante Reduzierung des Gaspreises möglich, ähnlich wie bei Belarus, das im Vergleich zur Ukraine fast nur die Hälfte bezahlt. Moskau drängt aber ebenso auf eine Übernahme des Gastransportsystems wie es in Belarus bereits geschehen ist. Das würde die Abhängigkeit der Ukraine von Russland enorm verstärken und wird deshalb auch von Janukowytsch abgelehnt. Es würde außerdem den ukrainischen Oligarchen der Stahl- und Rohstoffindustrie weniger lukrative Gewinne bringen als die freien Märkte im Westen. Ein Beitritt zur Zollunion/Eurasischen Union wäre mit der geplanten Freihandelszone der EU jedoch auch aus rechtlichen und technischen Gründen nicht vereinbar. Brüssel weiß, dass es der ukrainischen Regierung und den einflussreichen Oligarchen wirtschaftliche Anreize bieten und dass es das Land andererseits auch in den Verhandlungen mit Russland unterstützen muss. Eine schnelle Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens wäre aus dieser Sicht zu befürworten. Sollte die EU also Menschrechte und Demokratiestandards hinten anstellen und lieber auf eine langfristige Bindung und langsame Verbesserung der inneren Verhältnisse in dem 46 Millionen Einwohner zählendem Land setzen?

Paraphierung trotz politischer Unzulänglichkeiten

Ende März fand die Paraphierung des Abkommens in Brüssel statt. Mit diesem rein technischen Verfahren wird der Text des Assoziierungsabkommens durch die Abzeichnung jeder einzelnen der 160 Seiten insgesamt festgesetzt. Der 1100 Seiten starke DCFTA-Teil wurde allerdings nur provisorisch paraphiert, durch eine Abzeichnung der ersten und letzten Seite, da die juristische und linguistische Prüfung noch einige Monate beansprucht. Sinn der Prozedur ist es vor allem den ausgehandelten Text zu fixieren und somit spätere Änderungen oder Verhandlungen darüber möglichst auszuschließen. Was als öffentliche Zeremonie vor allem von EU-Kommissar Füle geplant war und auch politisch genutzt werden sollte, um weitere Fortschritte zu signalisieren, endete als bürokratischer Akt der verhandlungsführenden Beamten in den Hinterzimmern des diplomatischen Dienstes der EU in Brüssel. Die Mitgliedstaaten hatten massiv darauf gedrängt, der ukrainischen Seite keinen Anlass zu scheinbaren Erfolgsmeldungen zu geben. Trotzdem nutzten ukrainische Offizielle und Abgeordnete den Schritt um die guten Beziehungen beider Seiten hervorzuheben. Mit der Paraphierung zu diesem Zeitpunkt wollte die EU jedoch ein positives Signal an die Zivilgesellschaft senden und zeigen, dass die Tür für die Ukraine weiterhin offen steht. Der Zeitpunkt war aber auch auf Drängen der ukrainischen Seite gewählt worden, die sich damit von Russlands Plänen einer Zollunion und dem neuen Präsidenten Wladimir Putin distanzieren wollte.

Wie weiter? Die nächsten Schritte der EU

Technische Prozeduren wie die Übersetzung des Textes und die abschließende juristische Prüfung werden weitere Monate beanspruchen. Ende des Jahres könnte das Abkommen unterschriftsreif sein. Alle Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, die EU-Kommission sowie die ukrainische Regierung müssten dann bei einem offiziellen Treffen mit ihrer Unterschrift ihre endgültige Zustimmung zu dem Vertragswerk geben. Das könnte beim nächsten EU-Ukraine-Gipfel im Dezember in Brüssel geschehen. Danach würde sich der Ratifizierungsprozess durch die 27 Mitgliedstaaten, zumeist durch deren nationale Parlamente, und durch das Europaparlament anschließen. Das Parlament muss unmittelbar nach der Unterzeichnung das Gesamtwerk ratifizieren, damit es seine Gültigkeit erhält. Die Unterzeichung bedeutet vor allem die politische Zustimmung der Vertragsparteien zum Abkommen, während die Ratifizierung auch die rechtliche Verbindlichkeit und die demokratische Legitimation herstellt. Besonderes Gewicht bekommt die Unterzeichnung zusätzlich dadurch, dass damit wahrscheinlich eine Klausel zur vorläufigen Anwendung bestimmter Bereiche des Abkommens wirksam würde (provisional application). Das betrifft alle Angelegenheiten, die nicht in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegen, sondern bereits heute europäisches Gemeinschaftsrecht sind. Das könnte unter anderem das sofortige Inkrafttreten des gesamten Handelsteils und der Freihandelszone bedeuten. Ein vor allem für die Oligarchen und die wirtschaftliche Elite der Ukraine lohnendes Ziel, wie unlängst auch der ukrainische Integrationsministier Jewhen Peschkin unterstrich. Sie drängen auf die schnelle Vorbereitung der vorläufigen Anwendbarkeit. Sollte der gesamte Assoziierungsteil, in dem es auch um Werte, Demokratiestandards und Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Zivilgesellschaft geht, von der vorläufigen Anwendbarkeit ausgeschlossen werden, müsste dieser den langwierigen Ratifizierungsprozess durch die Parlamente gehen. Eine Prozedur, die zwei Jahre dauern könnte und deren Ausgang völlig ungewiss ist, da jedes einzelne Parlament den Abschluss durch Nicht-Ratifizierung verzögern und letztendlich sogar ganz blockieren könnte. Die politische Diskussion der Mitgliedstaaten im Europäischen Rat dazu hat erst begonnen. Noch ist unklar, wie sich Befürworter und Gegner einer bedingungslosen Unterzeichnung dazu stellen werden. Da die Freihandelszone eigentlich im Sinne beider Vertragspartner ist, wäre es sinnvoll, sie so schnell wie möglich provisorisch in Kraft treten zu lassen. Ein Vorgehen, das bei den Vorgängerabkommen mit Westbalkanstaaten Usus war. Andererseits vergibt man damit ein wichtiges Druckmittel für politische Reformen. Auch wäre es für die EU-Regierungen sicherlich der einfachere Weg, die öffentliche politische Debatte erst dort beginnen zu lassen, wo sie eigentlich stattfinden soll, nämlich in den nationalen Parlamenten beim Ratifizierungsprozess. Eine mögliche Alternative, die derzeit diskutiert wird, wäre die vertragliche Verknüpfung des Handels-Teils mit einigen ausgewählten weiteren Artikeln bzw. Kapiteln aus dem restlichen Abkommen bspw. zu Rechtsstaat und Demokratie, so dass das DCFTA gemeinsam mit Werte-basierten Teilen des Abkommens vorläufige Anwendbarkeit findet. Das würde den Reformzwang der Ukraine zu einem früheren Zeitpunkt erhöhen. Offen ist jedoch, ob dann auch das Europäische Parlament schon vor der Unterzeichnung erneut konsultiert werden müsste. Die EU wählt derzeit die Taktik der kleinen Schritte. Die technischen Prozeduren um das Abkommen und Treffen der Unterhändler gehen weiter, aber die Rhetorik von EU-Politikern gegenüber Janukowytsch hat sich in den letzten Wochen deutlich verschärft und wird mit der heranrückenden Fußballeuropameisterschaft nachdrücklicher. Viele Mitgliedstaaten, unter anderem Deutschland, lehnen eine bedingungslose Unterzeichnung derzeit ab. Auf keinen Fall will man dem autokratischen Präsidenten das Assoziierungsabkommen ohne Zugeständnisse geben. Die Lösung des Falls Tymoschenko wäre zumindest ein symbolischer Erfolg, wenn auch kein Fortschritt, solange die Verfahren und Repressionen weitergehen. Andererseits nimmt vor allem die Begeisterung der ukrainischen Bevölkerung für und das Vertrauen in die EU Schaden. Russland seinerseits wird den Druck auf die Ukraine unter seinem neuen Präsidenten weiter erhöhen. Die Beurteilung der Oktoberwahlen wird den Ausschlag geben, unter welchen Bedingungen und wie schnell es mit dem Assoziierungsabkommen weiter geht. Keines der EU-Mitglieder wird bereit sein, sich vorher zu positionieren. Im Fall eines Triumphes der Opposition und spürbarer Verbesserungen könnte allerdings alles schnell gehen und das Abkommen ohne weitere Bedingungen unterzeichnet werden, selbst wenn Tymoschenko hinter Gittern bleibt. Bei einer weiteren Verschlechterung der Verhältnisse und Konsolidierung der Machtvertikale Janukowytschs hingegen muss die EU ihre Strategie völlig überdenken, wenn Sie das Abkommen nicht jahrelang auf Eis legen und der ukrainischen Bevölkerung jegliche Vorteile vorenthalten will. Statt Musterbeispiel einer neuen Nachbarschaftspolitik der EU zu sein, könnte die Ukraine zum abschreckenden Beispiel werden. Scheitert das Abkommen oder wird eingefroren, steht die Idee der Östlichen Partnerschaft prinzipiell auf dem Spiel. Wird das Abkommen trotz starker Defizite unterzeichnet, ist die werteorientierte Neuausrichtung der Außenpolitik der EU für ihre Nachbarn unglaubwürdig. Ein Ausweg aus dem Dilemma könnte nur die Ukraine selbst liefern. Doch darauf will sich in Brüssel derzeit niemand verlassen.

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Beiträge

Fussnoten

Thomas Vogel M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und parlamentarischer Assistent von Werner Schulz MdEP u. a. im Auswärtigen Ausschuss, im Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU-Ukraine sowie der parlamentarischen Versammlung EURONEST.