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Griechenland-Türkei: Konfliktpause durch Erdbeben

Christina Pfäffle Chrissi Wilkens

/ 5 Minuten zu lesen

Die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei haben eine lange Geschichte, zuletzt wurden sie verschärft u.a. durch den Streit um Hoheitsrechte im östlichen Mittelmeer, Gasbohrungen und den Umgang mit Geflüchteten. Ein Blick in die griechische Presse.

(© picture-alliance, Zoonar)

In diesem Kontext ist auch die Drohung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan Richtung Griechenland Anfang September 2022 zu verstehen: "Eines Nachts können wir kommen", sagte er an die Griechen gerichtet. Die Drohung wiederholte er vor seiner Balkanreise wenige Wochen später, ohne jedoch zu konkretisieren, was er genau damit meinte. Es wird jedoch allgemein angenommen, dass er sich auf griechische Inseln bezog, die sich teilweise nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste befinden und die nach Ansicht mancher in Ankara zur Türkei gehören sollten.

Angst, alleine da zu stehen

Umfrageergebnisse aus dem Herbst 2022 zeigten dementsprechend, dass die Angst in der griechischen Bevölkerung groß war: 47,2 Prozent der Befragten machten sich Sorgen über die mögliche Provokation eines Kriegs durch die Türkei. Nur 19,8 Prozent der Befragten glaubten, dass andere EU-Länder Griechenland in diesem Fall militärisch beistehen würden.

Auch die griechische Politik teilte diese Sorgen und befürchtete, dass der türkische Präsident kurz vor den Wahlen trotz potentieller Konsequenzen durch die EU und die USA einen militärischen Konflikt provozieren könnte, in der Hoffnung, dass nationalistische Wähler ihn unterstützen würden. So schrieb beispielsweise Kathimerini: „Angesichts der schweren Wirtschaftskrise, die seiner Popularität ernsthaft schadet, wird Erdoğan mit Sicherheit bis zum Schluss die nationalistische Karte ausspielen, wobei Athen sein Hauptziel ist. … In jedem Fall verheißt sein unberechenbarer Charakter nichts Gutes für Griechenland.” Griechenland seinerseits Externer Link: setzte deshalb auf Abschreckung. Die griechische Militärführung erklärte, dass man im Ernstfall auch auf einen Krieg vorbereitet sei, wie To Vima am 12. September berichtet und dazu ausführt: „Die Botschaft an Ankara ist klar und deutlich: Wir bleiben in der Defensive, aber wir sind auf den schlimmsten Fall vorbereitet, und wir sind bereit, in den Ring zu steigen, wohl wissend, dass nicht nur wir, sondern auch unser Gegner ernsthaften Schaden nehmen würde.“

Große Welle der Solidarität

Trotz der angespannten Situation zwischen beiden Ländern: Wenn es um eine Naturkatastrophe wie ein Erdbeben geht, fühlen sich Menschen in Griechenland und der Türkei verbunden. Sie leben in derselben geologischen Zone und sind gleichermaßen durch die Natur bedroht. Von klein auf wird den Kindern in beiden Ländern beigebracht, wie man sich bei einem Beben verhalten soll.

Als am 6. Februar heftige Erdbeben die Türkei und Syrien erschütterten, erklärte der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis binnen kurzer Zeit, dass sein Land unverzüglich Hilfe leisten würde. Dies wurde als Zeichen der Solidarität und Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern empfunden, obwohl auch in Griechenland Wahlkampf ist und die Regierung die Angst vor der wesentlich stärkeren Militärmacht des Erzfeindes Türkei nutzen könnte, um von innenpolitischen Problemen abzulenken und sich mehr Wählerstimmen zu sichern. Ein positives Beispiel dafür, wie politische Differenzen bei humanitären Krisen beigelegt werden können. Die große griechische Tageszeitung Kathimerini bekundete mit dem Titel "Wir sind alle Türken" ihre Unterstützung für diesen Kurs. „Abseits der politischen Rhetorik fühlen sich beide Völker ohnehin viel enger verbunden, als es oft den Anschein hat“, vermutete auch Christiane Schlötzer in der SZ.

Das Webportal In.gr lobte ebenfalls die Solidarität: „In ganz Griechenland mobilisieren sich Bürger mit Blick auf ihre Nachbarn. Lebensmittel, Decken, Medikamente, alles, was in diesen schwierigen Zeiten gebraucht wird, wird gesammelt. … Vereine, Schulen und Gewerkschaften sind aktiv, um das Drama der von den Erdbeben betroffenen Türken so gut wie möglich zu lindern. Wer kann nach diesen Bildern der Menschlichkeit und Solidarität schon wieder von einem Krieg zwischen Griechenland und der Türkei sprechen? Sicherlich nicht die Menschen. Aber die Politiker? Hoffen wir, dass sie etwas gelernt haben.” Die griechische Zeitung Alithia konterte Erdoğans Drohungen mit dem Titel: „Wir kamen ... friedlich und es war ... Tag.”

Nur die Ruhe vor dem Sturm?

Und doch gibt es einen großen Unterschied zwischen humanitären Krisen und politischen Interessen. Für viele in Griechenland bedeuten die Annäherung und Hilfsbereitschaft vor den türkischen Wahlen nur eine Phase der Ruhe vor dem Sturm. Das Webportal Ardin-Rixi schreibt dazu: „Der Sturm droht jederzeit loszubrechen, da die Türkei weder das UN-Seerechtsübereinkommen noch die Republik Zypern anerkennt. Solange die Türkei ihre Ansprüche gegenüber Griechenland aufrechterhält und ihre Fantasien einer Wiedererrichtung eines neo-osmanischen Reiches im 21. Jahrhundert nicht aufgibt, wird der casus belli bestehen bleiben.”

Auch News247 glaubt nicht an eine dauerhafte Entspannung: „Bis September, so scheint es, wird es eine Atempause geben. Aber dann - und unabhängig davon, ob Erdoğan wiedergewählt wird - werden die Stürme, die hitzige Rhetorik und die Drohungen zurückkehren. Und dann, in der neuen politischen Landschaft nach den Wahlen, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Amerikaner mit Unterstützung der Europäer Maßnahmen ergreifen, um unser Land über Den Haag zum Dialog und Kompromiss zu drängen. Die nächste griechische Regierung muss sich vorbereiten, denn die Vorzeichen sind schlecht.”

Regierungswechsel bringt keine Hoffnung

Auch ein möglicher Regierungswechsel in der Türkei hat auf diese Besorgnis keinen Einfluss. Leonidas Koumakis, Kolumnist und Mitglied der International Hellenic Association (IHA) schreibt in HuffPost Greece: „Im Kontext der anhaltenden Raubtierpolitik in der modernen Türkei bleiben die Ausrichtung und die Ziele gegenüber dem Hellenismus unverändert. Unabhängig davon, welche politische Strömung gerade an der Macht ist – seien es Neu-Türken, Islamisten oder die Pan-Türken im Allgemeinen.” Eine Befriedung der Konflikte um die Grenzziehung in der Ägäis, Gasvorkommen im Mittelmeer und den Status von Zypern wird von den meisten Kommentatoren nicht erwartet.

Doch auch wenn sich türkische Präsidenten und griechische Premiers oft gegenseitig provozieren, um sich im eigenen Land in einem besseren Licht zu präsentieren, hat das nicht immer Einfluss auf die Stimmung in der Bevölkerung. Eine aktuelle Umfrage vor der griechischen Wahl am 21. Mai legen nahe, dass die Preissteigerung das Thema ist, das die Wahlentscheidung der Menschen wohl am stärksten prägen wird.

Die Menschen in Griechenland und der Türkei teilen sich also nicht nur die Gefahr von Naturkatastrophen, sondern auch die wirtschaftlichen Probleme. Nicht eventuelle militärische Konflikte, sondern diese Sorgen sind vermutlich entscheidend dafür, wie in Griechenland und der Türkei gewählt wird.

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ist euro|topics-Korrespondentin i.V. für Griechenland und Zypern.

ist euro|topics-Korrespondentin in Griechenland und Zypern. Sie ist Halbgriechin und hat in München Soziologie studiert. Seit 2003 ist sie in Athen journalistisch tätig, unter anderem für die Wochenzeitung "Investor's World", die Zeitschrift "Diplomatia" und andere griechische Medien.