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Das Parteiensystem der Türkei

Dr. Yaşar Aydın

/ 3 Minuten zu lesen

Die Türkei besitzt ein lebendiges Mehrparteiensystem mit gut organisierten Massenparteien. Hier auch ein Blick auf ihre Hauptkonfliktlinien, parteiinterne Strukturen und Lagerbildungen.

Die Große Nationalversammlung der Türkei. (© picture-alliance)

Struktureller Autoritarismus ist zentrales Organisationscharakteristikum türkischer Parteien: der Parteichef leitet nicht nur den Vorstand der Partei (Zentrales Exekutivkomitee), sondern zumeist auch die Fraktion im Parlament, und verfügt über nahezu absolute Kontrolle der Parteiorganisation sowie über die Befugnis, bei Parlaments- und Kommunalwahlen die Kandidaten zu nominieren.

Eine weitere zentrale Besonderheit des aktuellen türkischen Parteiensystems liegt in der Lagerbildung Rechts versus Links, bei der nicht sozio-ökonomische Fragen für Kontroversen sorgen, sondern vielmehr kulturell-religiöse Differenzen im Vordergrund stehen:

  1. Laizismus vs. religiöser Konservatismus

  2. türkischer Nationalismus vs. Ethnische, vor allem kurdische Identität

  3. militärisch-bürokratische Staatsführung vs. Partizipation des Volkes bzw. der Zivilgesellschaft

Darüber hinaus waren und sind drei zentrale Probleme bestimmend für das türkische Parteiensystem:

Erstens die enorme Zersplitterung der Parteienlandschaft, die bis in die 1990er-Jahre anhielt. Bei den Parlamentswahlen 1995 und 1999 schafften jeweils fünf Parteien den Einzug ins Parlament, deren Stimmenanteile zwischen 10,71 und 21,38 Prozent bzw. zwischen 12,01 und 22,19 Prozent variierten. Viele Parteien scheiterten beim Einzug ins Parlament an der im internationalen Vergleich hohen Sperrklausel von 10 Prozent: So blieb beispielsweise 1995 der nationalistischen Interner Link: Milliyetçi Hareket Partisi (MHP, Partei der Nationalistischen Bewegung) und 1999 der säkular-linken Interner Link: Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, Republikanische Volkspartei) der Einzug in die Türkische Nationalversammlung versperrt.

In den 2000er Jahren war allerdings zunächst ein Prozess der Vereinheitlichung zu beobachten: Konstant sind seitdem nur die Interner Link: Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP, Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) und die CHP im Parlament vertreten, seit 2007 zudem konstant die MHP und seit 2015 die Interner Link: Halkların Demokratik Partisi (HDP, Demokratische Partei der Völker).

Ab 2015 ist erneut eine Fragmentierung zu beobachten. Im Oktober 2017 ist mit der Interner Link: İyi Parti (İP, Gute Partei) durch Übertritte von der MHP eine weitere Partei hinzugekommen, die allerdings keine Fraktion bilden konnte. 2019 und 2020 zwei weitere Parteien aus der Spaltung der AKP entstanden: Die Gelecek Partisi (GP, Zukunftspartei) und Demokrasi ve Atılım Partisi (DEVA, Partei für Demokratie und Fortschritt). Aufgrund der Zulassung von Allianzbildungen ab der Parlamentswahl 2018 hat sich die Zahl der in der Nationalversammlung vertretenen Parteien zugenommen. Durch die Möglichkeit einer Kandidatur über die Listen von Wahlbündnissen gelingt es vielen Splitterparteien, die Sperrklausel zu überwinden. 2022 wurde mit der Wahlgesetzgebung Nr. 7393 die 10-Prozent-Sperrklausel zum Einzug ins Parlament auf 7-Prozent heruntergesetzt.

Zweitens ist im Vergleich zu anderen Demokratien eine starke Schwankung zwischen den Zustimmungswerten der Parteien zu beobachten. Wegen dieser relativ hohen Anzahl an Wechselwählern variierten die Stimmenanteile der Parteien von Wahl zu Wahl enorm.

Drittens war und ist die türkische Parteienlandschaft geprägt durch eine starke Polarisierung zwischen den konkurrierenden Parteien. In den 1950er-Jahren war es der Dualismus zwischen der Interner Link: Demokrat Parti (DP, Demokratische Partei) und der CHP - obwohl die ideologischen Differenzen zwischen ihnen nahezu unbedeutend waren - in den 1970er-Jahren zwischen der CHP und der Interner Link: Adalet Partisi (AP, Gerechtigkeitspartei) in den 1980er-Jahren zwischen Interner Link: Sosyaldemokrat Halkçı Parti (SHP, Sozialdemokratische Populistische Partei) und Interner Link: Anavatan Partisi (ANAP, Mutterlandspartei) und in den 1990er-Jahren zwischen der islamistischen Interner Link: Refah Partisi (RP, Wohlfahrtspartei) und laizistisch orientierten Parteien.

Seit der Regierungsbildung der AKP im Jahr 2002 besteht eine Polarisierung zwischen der AKP und den anderen im Parlament vertretenen Parteien: der CHP, der HDP, bzw. ihren Vorgängerorganisationen und bis 2016 auch zwischen AKP und MHP. Gesellschaftlich sind rechtsstehende Parteien zumeist bei traditionskonservativen, religiösen Menschen und in Teilen auch bei Islamisten beheimatet. Linke verschiedener Richtungen, Kurden und Aleviten wählten hingegen zuletzt eher die linkssäkulare CHP, die prokurdisch linke HDP und weitere linke Splitterparteien.

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ist seit April 2013 Mercator-IPC-Fellow an der Stiftung Wissenschaft und Forschung und Mitarbeiter in der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen. Forschungsgebiete: Migrationsforschung und Zuwanderungspolitik; Türkeiforschung; Nationalismusforschung (Nationalismus, ethnische Konflikte, Fremdheitsproblematik, kollektive Identität); Soziale Philosophie und Politische Theorie (Theorien der Moderne/Modernisierung)