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Russkij mir Vom kulturellen Konzept zur geopolitischen Ersatzideologie

Oleksandr Zabirko

/ 17 Minuten zu lesen

Russkij mir als geopolitische Konzeption vereint Strömungen des antiwestlichen, antiliberalen und neoimperialen russischen Denkens. In ihrer jüngsten Manifestation bietet die Idee eine Legitimationsgrundlage für die Invasion der Ukraine und beeinflusst das ideologische Klima in der Russischen Föderation.

Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau: Für die historische Entstehung und Propagierung des Konzeptes spielt die Religion eine große Rolle. (© picture-alliance, picture alliance / Zoonar | Bruno Coelho)

Einführung – russkij mir als diffuses Konzept

„Russkij mir“ (dt. Russische Welt) als geopolitische Konzeption vereint eine Reihe verschiedener Strömungen des antiwestlichen, antiliberalen und neoimperialen russischen Denkens. In ihrer jüngsten Manifestation bietet die Idee von russkij mir eine wichtige Legitimationsgrundlage für die russische Invasion der Ukraine und beeinflusst darüber hinaus das ideologische Klima in der Russischen Föderation.

Ursprünglich ist russkij mir jedoch ein Kulturkonzept, das sowohl die soziale Bindungskraft der russischen Sprache, Literatur und der russischen Orthodoxie als auch eine gemeinsame ostslawische Identität betont. Zu den Grundlagen dieser von Moskau geführten „Welt“ gehört weiterhin der nicht hinterfragte sowjetische Mythos vom gemeinsamen „Sieg über den Faschismus“ im „Großen Vaterländischen Krieg“ (Jilge 2014). In seiner ideologisierten Form impliziert das Konzept russkij mir eine autoritäre Identitätszuschreibung und legt die Zugehörigkeit zu einer imaginären, globalen Gemeinschaft fest, die sich zwar außerhalb der russischen Staatsgrenzen befindet, aber sich außenpolitisch und außenwirtschaftlich an Russland orientiert.

Im allgemeinen Sprachgebrauch kann russkij mir sich sowohl auf die Welt russischsprachiger Menschen beziehen als auch auf die Welt all jener, die ein spezifisch „russisches“ Geschichtsbewusstsein teilen. Oft kommt die Zugehörigkeit zur russkij mir schlicht durch die Unterstützung des heutigen russischen Staates und seiner Politik zum Ausdruck.

Zum semantischen Hintergrund des Konzepts

Die Mehrdeutigkeit des Konzepts russkij mir ist bereits sprachlich vorbestimmt und hängt im Wesentlichen mit der Semantik des Wortes „mir“ zusammen. Dieses bedeutet im Russischen nicht nur „Frieden“ oder „Welt“, sondern auch Gemeinschaft, speziell die traditionelle Bauerngemeinschaft. Allerdings kommt die Bedeutung „mir als Gemeinschaft“ im heutigen aktiven Sprachgebrauch eigentlich selten vor, weil das Objekt, das es ursprünglich bezeichnete, nicht mehr existiert. Doch gerade dieser Archaismus wird seit Anfang der 2000er-Jahre in der offiziellen Rhetorik des russischen Staates sehr intensiv verwendet, wie zum Beispiel in der Rede von Präsident Putin vor der Föderalversammlung im Jahre 2007 (Prezident Rossii 2007):

Zitat

Die Grundlage des russischen geistigen Lebens bildet seit jeher die Idee von einem gemeinsamen „mir“, in dem die Menschen verschiedener Nationalitäten und Konfessionen ihren Platz haben.

Hier bedeutet das Wort „mir“ offensichtlich eine Gemeinschaft bzw. ein Kollektiv. Für die nachfolgende Diskussion ist es wichtig festzuhalten, dass der Welt- und der Gemeinschaftsbegriff jene zwei Pole bilden, zwischen denen sich das Konzept des russkij mir entfaltet. Im Kontext des 19. Jahrhunderts, als die Wortverbindung russkij mir zu einem festen Begriff und einem literarischen Topos wurde, markiert das Konzept die diskursive Imperial- und Nationsbildung im damaligen Russland – eine Strategie, die der Nationalismusforscher Benedict Anderson als einen Versuch bezeichnet, „die dünne Haut der Nation über den riesigen Körper des Imperiums zu ziehen“ (Anderson 1991: 86).

Die Rolle Religion und Kirche bei russkij mir

Ein wichtiges Spezifikum des russkij mir, das es von den letzteren postimperialen Konstrukten unterscheidet, ist die historische Rolle der Kirche und der Religion bei der Entstehung und Propagierung dieses Konzeptes. Der russische Raum bzw. der Raum des russkij mir ist in vielen seiner Manifestationen ein sakraler, christlicher Raum oder im engeren Sinne ein Raum Interner Link: russischer Orthodoxie. Der sakrale Charakter dieses Raums erschwert indes seine klare topographische Verortung; das Verständnis vom entgrenzten, transzendenten, heiligen Russland machte das Verhältnis zu realen politischen Projekten und zu den jeweiligen Staatsgrenzen oft problematisch.

Die Vorgeschichte von russkij mir

Die Eigenschaft des konkreten Raums und seine Zugehörigkeit zu Russland werden im 19. Jahrhundert auf unterschiedliche Weise artikuliert. Während die Kolonisierung Sibiriens und des Fernen Ostens in der Regel mit denselben Argumenten gerechtfertigt wurde wie in der Zeit der Aufklärung (nämlich als zivilisatorisches Unterfangen, als Sieg der Zivilisation über die Wildnis), erforderte die Lage im westlichen Teil des Imperiums, vor allem in den Gebieten der heutigen Ukraine und Belarus, eine qualitativ andere Rhetorik (vgl. Lecke 2015: 25-30).

Der Grund dafür lag vor allem darin, dass dieselben Gebiete von einem anderen starken Nationalprojekt beansprucht wurden, nämlich dem polnischen. Mitte des 19. Jahrhunderts avanciert das Motiv der polnischen „Ostmarken“ (pl. kresy), als einer verlorenen Heimat, zu den Eckpunkten des modernen polnischen Nationalbewusstseins. Die russische Antwort manifestiert sich letztendlich in der Konzeption eines „dreieinigen russischen Volkes“ – der Russen, Ukrainer und Belarussen, die durch eine gemeinsame Geschichte und die gemeinsame Konfession vereint wurden.

Gerade im Kontext dieser intellektuellen Tradition zirkulierte der Begriff der „Russischen Welt“ (russkij mir) in Form einer politischen Metapher oder eines Slogans (z.B. im Titel einer konservativen Zeitung, „Russkij Mir“, die zwischen 1871 und 1880 in Petersburg erschien).

Der Fall der Monarchie und die Bewegung des Eurasismus

Der Fall der Monarchie und der nachfolgende Machtantritt der bolschewistischen Partei 1917 bedeuteten zunächst einen radikalen Bruch mit der bestehenden Tradition der imperialen Gemeinschafts- und Raumwahrnehmungen. Doch wurden bereits in den 1930er-Jahren die alten Paradigmen wieder aufgegriffen und radikal umgedeutet. Die UdSSR verstand sich zunehmend nicht nur als Träger der Revolutionsidee, sondern auch als Weltmacht und entwickelte deshalb einen wahrlich globalen „Welt“-Begriff.

Ein grundsätzlich anderes Verständnis von „russischer Welt“ entwickelte sich im Rahmen der „eurasischen Ideologie“. Von russischen Exilautoren Anfang der 1920er-Jahre erstmals formuliert, avancierte der Eurasismus in der Zwischenkriegszeit schnell zur wichtigsten Denkströmung in der russischen Diaspora. Die Eurasier schufen in der russischen Kulturphilosophie Begriffe wie „slawische Welt“ oder „romano-germanische Welt“, in der „Welt“ zumeist mit „Kultur“ oder „Zivilisation“ gleichgesetzt wird. Bereits in den frühen Schriften der Eurasier erfolgte eine Konzeptualisierung von Russland-Eurasien als „besondere Welt“ (Frank 2013: 202). Die Eurasierbewegung zog bis Mitte der 1930er-Jahre viele renommierte russische Denker (u.a. den Historiker Georgij Vernadskij, den Geographen Petr Savickij, den Theologen Lev Karsavin) in ihren Bann.

Von den gemeinsamen Exilerfahrungen ausgehend versuchten die russischen Emigranten die Katastrophe der Revolutionen von 1917 neu zu deuten und produktiv zu verarbeiten. Das Herzstück der Ideologie der Eurasier war die Bewahrung der Einheit eines nicht selten metaphysisch bzw. ideell verstandenen Russischen Staates. Dieser Staat, so die Eurasier, könne unterschiedliche politische und ideologische Ausdrucksformen annehmen und somit etwa in Gestalt des Russischen Zarenreiches, der UdSSR oder eines utopischen Eurasischen Völkerbundes realisiert werden. Unabhängig von der konkreten politischen Ausprägung spielt die Idee der staatlichen Einheit sowie des politischen Zusammenhalts des riesigen „eurasischen“ Raums in allen Konzeptionen die zentrale Rolle. Nicht zuletzt wegen unterschiedlicher Haltungen zur Entwicklung in Sowjetrussland zerfiel die eurasische Bewegung bereits in den 1930er-Jahren, die Periodika und wissenschaftlichen Publikationen verschwanden allmählich. Die Versöhnung zwischen dem „roten“ (sowjetischen) und dem „weißen“ (traditionalistisch-religiösen) Russland fand erst in den 1990er-Jahren statt (Zabirko 2021: 39-51).

Zwischen der Sonderweg-Ideologie und den Zwängen der Globalisierung: russkij mir im postsowjetischen Russland

Der Zeitpunkt, an dem die Eurasier-Ideologie wieder im geistigen Leben Russlands auftauchte, ist nicht zufällig. Der Übergang Russlands zu einer neuen politischen Ordnung wurde in den Jahren 1991/1992 von einem schnellen Verlust der Hauptfunktion der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) begleitet: Russland hörte auf, Kern der Sowjetunion und somit des alten Imperiums zu sein. Motive wie Verlust der Größe, Verlust der geistigen Mission und der weltumspannenden Aufgaben waren nicht nur für konservative Literaten (z.B. Belov, Rasputin, u.a.) charakteristisch, sondern auch für viele frühere Dissidenten (Gussejnov 1994: 3-11).

Besonders stark hat sich in dieser Hinsicht Aleksandr Solženicyn hervorgetan: Der Literaturnobelpreisträger reklamierte bereits 1990 in seiner programmatischen Schrift „Kak nam obustroit’ Rossiju?“ (dt. Wie sollen wir Russland gestalten?) den nördlichen Teil Kasachstans, Belarus und die Ukraine für die von ihm erwünschte Schaffung einer neuen „Russischen Union“. Um diesem „russischen Siedlungsraum“ geographische wie historische Konturen zu geben, führt Solženicyn unter anderem den Begriff Novorossija (dt. Neurussland) ein, der neben der Krim auch den Donbass als nicht-ukrainische Gebiete bezeichnet (Solženicyn 1995: 545).

In Kreisen der intellektuellen „Neuen Rechten” wurden diese Ideen zielstrebig den neuen politischen Bedingungen angepasst und zu einer konservativen und zugleich imperialistischen Ideologie weiterentwickelt, die das Legitimitätsvakuum nach dem Verlust der kommunistischen Ideologie ausfüllen sollte. So ist der „Eurasismus“ (in seiner modernen Variante) zu einer ideologischen Antriebskraft geworden, die nationalistische und kommunistische Gruppierungen gleichermaßen stimuliert und vereint. Ort und Symbol dieser Vereinigung war und bleibt bis heute die Zeitung „Zavtra“ von Aleksandr Prochanov. Der Diskurs, der um die Begriffe russische Idee und später russkij mir entstand, war eine direkte Antwort auf die Diskurse der späten Interner Link: Perestroika. So war zum Beispiel 1988 im Verlag „Progress“ ein Sammelband mit Beiträgen einiger bedeutender sowjetischer Dissidenten und Bürgerrechtler erschienen, der einen schwer übersetzbaren, aber vielsagenden Titel trug: „Inogo ne dano“ (dt. etwa: „Einen anderen Weg gibt es nicht“); dort wurde die Hinwendung Russlands zu den liberalen, „gesamtmenschlichen“ Werten propagiert. Als eine direkte Antwort auf diesen Text publizierten Sergej Černyšev und Gleb Pavlovskij zwischen 1992 und 1995 eine Reihe unter dem Titel „Inoe“ (hier etwa: „Der andere Weg“), in der erstmals jene Autoren zu Wort kamen, die dann die verschiedenen Ausprägungen des russischen Sonderwegs konzeptualisierten. Den Anfang dieser weitreichenden und fruchtbaren Diskussion markiert die Publikation eines Textes des Soziologen Michail Gefter unter dem Titel „Die Welt der Welten: Der russische Beginn“ (russ. „Mir mirov: rossijskij začin“). Der Autor bietet hier eine metaphorische Beschreibung der großen „Kulturwelten“, darunter der arabischen, angelsächsischen, französischen usw., und stellt die These auf, dass sie gemeinsam eine holistische „Welt der Welten“ bildeten.

Die Konzeption Ščedrovickijs – russkij mir als postgeopolitische Realität

Eine Konzeption, die auch im Titel die Wortbildung russkij mir enthält, wurde erstmals von Petr Ščedrovickij, einem „Polittechnologen“ und Mitarbeiter verschiedener kremlnaher Think-Tanks im Jahre 2000 formuliert. In seiner Publikation „Die russische Welt und das transnationale Russische“ (russ. „Russkij mir i Transnaсional’noe russkoe“) definiert er russkij mir als ein Netzwerk größerer und kleinerer Gemeinschaften, deren konstitutives Element die russische Sprache ist. In dieser Konstellation verliert die Idee von russkij mir ihre Bindung an die Grenzen der Russischen Föderation und an die russische Ethnie. Sie bezeichnet vielmehr eine hypothetische Strategie, die dem russischen Staat über die Einbindung der russischsprachigen Diaspora den Zugang zu den globalen ökonomischen und finanziellen Ressourcen ermöglichen soll. Neben dieser rein pragmatischen Aufgabe trägt die Theorie von Ščedrovickij auch zahlreiche futuristische Züge, so auch in der Hypothese von einem allmählichen Absterben staatlicher Strukturen und der verstärkten Rolle translokaler Gemeinschaften (Ščedrovickij 2000: 374-388).

Die Idee von russkij mir repräsentiert in diesem Kontext einen ontologischen Rahmen bzw. ein Instrument für das Einschreiben Russlands in eine neue transnationale und postgeopolitische Realität der späten 1990er-Jahre. Diese Realität, so schien es, war nicht länger an nationale Grenzen gebunden, sondern sollte in aufstrebenden globalen Metropolen aufgespürt werden. Diese Zentren des ökonomischen Wachstums und der technischen Innovation sollten, so Ščedrovickij, eine Infrastruktur sowohl für wirtschaftliche Aktivitäten als auch für die Kulturproduktion in russischer Sprache bieten. Die Kriterien für die Zugehörigkeit zu einem solchen russkij mir blieben dabei rein voluntaristisch: Jede Person, die sich selbst als russisch oder russischsprachig versteht, konnte ein Teil dieses Netzwerks werden. Die Herkunft und die Staatsbürgerschaft sollten in einer solchen „Welt“ keine Rolle mehr spielen. Die genauen Beziehungen zwischen dieser translokalen, netzwerkartigen „russischen Welt“ und dem bestehenden russischen Staat hat Ščedrovickij jedoch nirgends erläutert. Der Widerspruch zwischen der globalen wirtschaftlichen Deterritorialisierung und dem starren, an seine Grenzen gebundenen Staat wurde im Rahmen seiner Konzeption nie gelöst.

Die Verstaatlichung: Putins russkij mir und der Krieg gegen die Ukraine

Diese konzeptuelle Schwäche wurde aber erst dann deutlich, als Putins Administration die Idee von russkij mir für sich entdeckt und in eine Art Ersatz-Ideologie umgedeutet hat. Ab Mitte der 2000er-Jahre wurde der Diskurs um russkij mir tatsächlich immer stärker „verstaatlicht“ und verteilte sich unter anderem auf den Bereich der Präsidialverwaltung, des Moskauer Patriarchats und der 2007 gegründeten Stiftung „Russkij Mir“, die sich vor allem mit Kultur- und Sprachförderung beschäftigt.

Vladimir Putin erwähnte russkij mir zum ersten Mal 2001 in seiner Rede zur Eröffnung des „Kongresses der Russischen Landsleute im Ausland“ (Prezident Rossii 2001). Zwar war diese erste Erwähnung eher beiläufig, aber die Wahl der Bühne und des Adressaten lieferte wiederum ein klares Signal für die neue politische Programmatik rund um den Begriff russkij mir. Dieser sollte nach dem Zerfall der UdSSR als wichtiges politisches Instrument fungieren, um die Soft Power Russlands zu stärken und aus allen Russischsprachigen der Welt eine Gemeinschaft machen (Laruelle 2015).

Das bis dahin transnationale und translokale Konzept russkij mir erhielt unter Putin eine territoriale Dimension und wurde Teil der politischen Sprache. Die „Russische Welt“ war in dieser neuen Lesart fest mit den geographischen Grenzen der ehemaligen Sowjetunion verbunden. Zwar blieb die semantische Ausrichtung von russkij mir dank dem inhärenten Weltbegriff nach wie vor global, aber als geopolitisches Instrument sollte er vor allem in Russlands „nahem Ausland“ (d.h. in den übrigen ehemaligen Sowjetrepubliken) zum Einsatz kommen.

Mit der Umdeutung von russkij mir ging auch die Idee einher, dass Russland eine Fürsorge- und Schutzpflicht für russischsprachige Menschen überall in der Welt, insbesondere aber im „nahen Ausland“ hat. Dies führte zur gezielten Instrumentalisierung der R2P-Doktrin (Responsibility to Protect), welche Interventionen zum Schutz der russischsprachigen Bevölkerung legitimiert, da die „Wahrung von Menschenrechten“ Vorrang vor territorialer Souveränität habe. Insbesondere in Bezug auf die beiden anderen ostslawischen Länder – die Ukraine und Belarus – implizierte diese Neuauflage der russkij mir einen territorialen Anspruch, der (von der kulturellen Rhetorik ausgehend) die beiden Staaten fest in der russischen geopolitischen Einflusssphäre verankern sollte. Seit 2014 versucht Russland diesen impliziten Anspruch mit militärischer Gewalt durchzusetzen: Die Annexion der Halbinsel Krim und Interner Link: der verdeckte russische Einmarsch in die Ostukraine wurden von der Rhetorik über den Schutz der dortigen russischsprachigen Bewohner begleitet.

Russkij mir als Instrumentalisierung und imperiales Konzept

Der neue russische Irredentismus manifestiert indes die Krise der russischen Selbstwahrnehmung. Denn anders als in vielen anderen postimperialen Staaten, in denen es üblich ist, Plural-Wörter wie English-speaking countries oder deutschsprachige Länder zu verwenden, konnte sich in Russland ein in dieser Weise post-imperiales Verständnis der russischen Sprache und Kultur nur sehr begrenzt entwickeln. In den offiziellen Dokumenten der Russischen Föderation wird die russischsprachige Bevölkerung in anderen Staaten unter dem oben bereits erwähnten Begriff „Landsleute im Ausland“ zusammengefasst, ungeachtet der Tatsache, dass diese „Landsleute“ andere Staatsbürgerschaften haben. Der Begriff „Landsleute“ wird dabei gesetzlich weit definiert: Es kann sich um ethnische Russen, Russischsprachige oder solche Personen handeln, die geistig und kulturell mit der Russischen Föderation verbunden sind (siehe Rossijskaja gazeta 2010).

Die Bedeutung des „transnationalen oder globalen Russischen“ wird in ebendieser Rhetorik um russkij mir bewusst heruntergespielt, während die „Landsleute im nahen Ausland“ als integraler Bestandteil Russlands betrachtet werden. Das Russische und seine Sprecher haben als Erbe der sowjetischen Kulturpolitik und der postsowjetischen Migration seinen Ort oft außerhalb der russischen Staatsgrenzen, doch im Konzept der russkij mir werden diese Gemeinschaften nun als eine bedrohte Kulturnation romantisiert und politisch instrumentalisiert.

Die Annexion der Krim und der Krieg in der Ukraine markierten für die Idee der russkij mir den endgültigen Übergang von einer diskursiven Imperiums- und Nationsbildung in den Bereich politischer Programmatik. In seiner Rede vom 18. März 2014 bezeichnete Präsident Putin die Russen als ein „geteiltes Volk“ und öffnete damit die Pandora-Büchse des ethnischen Irredentismus: Das geteilte Volk muss zusammengeführt werden (siehe Prezident Rossii 2014). In seiner Rede wendet sich Putin explizit an Deutschland und spricht die Hoffnung aus, dass Deutschland als ehemals geteiltes Land das „Streben der russischen Welt und des historischen Russlands nach Wiederherstellung der Einheit" verstehen und unterstützen werde.

Zugleich führt Putin den geohistorischen Begriff Novorossija [dt. Neurussland] ein, der einige Regionen der Ukraine zur historisch angestammten Provinz Russlands macht (zit. nach Prezident Rossii 2014). Novorossija ist eigentlich eine historische russische Bezeichnung für die Steppengebiete nördlich des Schwarzen und des Asowschen Meeres, die in der Mitte bzw. am Ende des 18. Jahrhunderts dem Russischen Reich eingeordnet wurden. Doch jenseits des scheinbar harmlosen geographischen brandings wird dieser Begriff spätestens seit 2014 zur Parole eines Kampfes um neue politische Realitäten und dient zur militärischen Ermächtigung.

Insbesondere im Kontext des sog. „hybriden Krieges“ in der Ostukraine erfreute sich der Begriff russkij mir einer hohen Konjunktur. Als Dachbegriff für verschiedene religiös und nationalistisch verbrämte großrussische Ideale lieferte das Konzept der russkij mir den (pro)russischen Kämpfern im ostukrainischen Donbass eine wichtige Legitimationsgrundlage. Die Leugnung des Existenzrechts einer unabhängigen Ukraine und der Kampf um die Wiederherstellung des metaphysisch verstandenen Imperiums vereinte eine ganze Reihe antiliberaler Organisationen. Über die Idee der russkij mir versuchen diese Gruppen nun sowohl an das geistige Erbe der russischen Literaturklassik als auch an die Tradition des konservativen russischen Denkens anzuknüpfen, um sich aus der bisherigen Marginalität zu befreien (siehe dazu Mitrokhin 2014, 2019).

Unterschiedliche Ebenen des russisch-imperialen Sendungsbewusstseins

Schließlich wurden die Begriffe wie heilige Rus’, russkij mir, Novorossija und nicht zuletzt auch der postsowjetische Neo-Eurasismus gegen die geopolitischen Gegebenheiten nach dem Zerfall der UdSSR sowie gegen Russlands demokratische Verfassungsordnung in Stellung gebracht. Zugleich aber verkörpern sie die unterschiedlichen räumlichen Ebenen des russisch-imperialen, autokratischen Sendungsbewusstseins: lokal (Novorossija), regional (Eurasismus), global (russkij mir) und transzendent (heilige Rus’).

Dazu muss erwähnt werden, dass in der Rhetorik des russischen Staates nach 2014 die Diskurse des Eurasismus und der russkij mir immer klarer voneinander abgegrenzt wurden. Während russkij mir sich allmählich zu einer ethnischen Doktrin entwickelte, die auf den Schutz der imaginären, transterritorialen Gemeinschaft der Russischsprechenden zielt, wurde Eurasismus zunehmend mit der Schaffung der sogenannten Eurasischen Union durch Russland, Belarus und Kasachstan in Verbindung gebracht und zielt eher auf Fragen der Wirtschaft und der Territorialverwaltung als auf Identitätsdiskurse ab (vgl. Gasimov 2012; Suslov 2017; Klyueva, Mikhaylova 2017).

Viel schwieriger ist die Abgrenzung zwischen den Konzepten der russkij mir und der heiligen Rus, die vor allem von dem Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, propagiert werden. Kirill definiert russkij mir als eine „besondere Zivilisation“ (Svjatejšij Patriarh Kirill 2014), die auf konservativen, „traditionellen“ Werten beruht – beispielsweise wird dabei die moralische Übereinkunft mit konservativen (sexual)moralischen Interpretationen des Islams hervorgehoben (Bremer 2016: 8–9). Das Rückgrat dieses „Wertesystems“ bildet wiederum die heilige Rus’ als historisch entstandene Einheit der orthodoxen ostslawischen Völker (der Russen, Belarussen und Ukrainer). Während die geographische Dimension dieser heiligen Rus’ im Wesentlichen mit den kanonischen Territorien des Moskauer Patriarchats übereinstimmt, hat die „russische Zivilisation“ als solche keine klaren Grenzen. Sie wird aber eindeutig in eine adversative Position zu den liberalen, „westlichen“ Werten gestellt und bildet den Gegenpol zu einer, ebenfalls unklar definierten, „westlichen Zivilisation“. Aus der Idee von russkij mir wurden daher gleichermaßen territoriale Ansprüche des russischen Staates und der Geltungsbereich der Russisch-Orthodoxen Kirche abgeleitet (Stoeckl 2020: 313). Gerade die Verbindung zwischen der Imagination einer Russischen Welt und den kirchlich-juristischen Machtansprüchen des Moskauer Patriarchats wurde spätestens seit 2022 zur Zielscheibe einer theologisch untermauerten Kritik. In einer „Externer Link: Erklärung zur Lehre von der Russischen Welt (Russkii Mir)“ hat eine Gruppe orthodoxer Theologen und Theologinnen diese Doktrin als Häresie des Ethnophyletismus verurteilt und öffentlich verworfen. Bis heute hat das Dokument mehr als tausend Unterschriften erlangt.

Ausblick

Einst als Alternative zu jeglicher Form von Nationalismus und Irredentismus geschaffen, wird russkij mir heute zu einem Sammelbecken für diverse nationalistische und imperialistische Ideen und Projekte. Es wäre allerdings falsch, russkij mir als eine kohärente Doktrin oder Staatsideologie zu bezeichnen, denn die inhaltliche Füllung des Konzepts bleibt diffus und eklektisch. Dieser Umstand muss aber nicht unbedingt als Schwäche interpretiert werden. Im Gegenteil appelliert russkij mir gerade dank seiner Ambivalenz an ein breites Publikum im In- und Ausland und bietet jedem, der auf irgendeine Weise mit der russischen Kultur oder dem russischen Staat verbunden ist, eine breite Palette identitätsstiftender Symbole an. Eine Ideologie der Versatzstücke, die mit emotional aufgeladenen Symbolen operiert, vermag selbst die größten Widersprüche zu tolerieren und eine willkürliche, gar paradoxe Verbindung einzelner Symbole herzustellen: Die Stalinporträts und die Bilder des Zaren, die Banner der Sowjetunion und die orthodoxen Kruzifixe – sie alle finden ihren „würdigen Platz“ im Rahmen dieser revanchistischen Ersatzideologie. Gerade der geopolitische Revanchismus hat sich im Zuge der sukzessiven Verstaatlichung der russkij mir zu einem der zentralen Elemente dieser Konzeption avanciert, denn hinter den wortreichen Ausführungen über die „Werte der russischen Zivilisation“ verbirgt sich in der Regel die Verneinung der staatlichen Souveränität, gar des Existenzrechts, anderer postsowjetischer Republiken. Vor allem der Ukraine wurde oft jegliche Eigenständigkeit abgesprochen: Bereits im Jahre 2016 bezeichnete Vjačeslav Nikonov, der Leiter der Stiftung „Russkij Mir“, die Ukraine als einen „failed state“, der über „keine Regierung, keine Armee, keine Wirtschaft, keine innere Einheit, keine Demokratie und keine Ideologie“ verfüge“ (Nikonov 2014).

Die russische Großinvasion der Ukraine, die im Februar 2022 begann, hat die inhaltliche Ausrichtung von russkij mir zwar nicht wesentlich verändert, dafür aber die Rahmenbedingung für ihren Gebrauch als Instrument der Soft Power weitgehend zerstört. Im Lichte der zunehmenden diplomatischen (Selbst-)Isolation Russlands, schrumpft der imaginäre Raum der russkij mir bis auf die Staatsgrenzen der Russischen Föderation bzw. auf die Territorien die von Russland direkt (und mit militärischer Gewalt) unter Kontrolle gehalten werden.

Nach einer Periode überaktiver Zirkulation (unmittelbar nach der Krim-Annexion) scheinen die Begriffe wie russkij mir oder Novorossija (Neurussland) im heutigen politischen Diskurs der Russischen Föderation bestenfalls eine zweitrangige Rolle zu spielen. In den offiziellen Ansprachen Putins anlässlich der Ukraine-Invasion und der Annexion weiterer ukrainischen Territorien im Jahr 2022 wurde russkij mir nicht erwähnt. Schließlich sollen diese von Russlands besetzten Gebiete nicht in ein utopisches, globales Gebilde, sondern in einen real existierenden russischen Staat eingegliedert werden. Es wäre jedoch verfrüht bzw. zu optimistisch, die Idee von russkij mir für endgültig gescheitert oder unrealisierbar zu erklären. Denn unabhängig von der gegenwärtigen politischen Konjunktur hat sich dieses Raum- bzw. Ordnungsmodell bereits „institutionalisiert“ und wirkt in den literarischen, publizistischen und analytischen Texten als dauerhaft gültiger Referenzpunkt fort; als solche kann russkij mir Identitätsbildung und geopolitische Selbstverortung Russlands und anderer Nachfolgestaaten der Sowjetunion weiterhin beeinflussen.

Quellen / Literatur

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  • Suslov, Mikhail (2014): “Holy Rus”: The Geopolitical Imagination in the Contemporary Russian Orthodox Church. In Russian Politics and Law, 52, no. 3 (2014), p. 67-86.

  • Suslov, Mikhail (2017): „Russian World“: Russia’s Policy towards its Diaspora. In Russie.‌Nei.‌Visions, No. 103, Ifri, July 2017.

  • Zabirko, Oleksandr (2021): Literarische Formen der Geopolitik: Raum- und Ordnungsmodellierung in der russischen und ukrainischen Gegenwartsliteratur. Münster: ULB.

  • Zabirko, Oleksandr (2022): Externer Link: “The Concept of Holy Rus' in Russian Literary and Cultural Tradition: Between the Third Rome and the City of Kitezh”, In Entangled Religions, Vol. 13, No. 8, [„Whose Presence, Whose Absences? Decolonising Russian National Culture and History: Observations through the Prism of Religious Contact“, ed. by Jesko Schmoller and Knut-Martin Stünkel], abgerufen am 24.05.2023.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Übersetzungen stammen, wenn nicht anders angegeben, vom Autor.

  2. Diese Strategie ist jedoch nicht etwas spezifisch Russisches, sondern auch für andere imperiale und post-imperiale Projekte charakteristisch: Man denkt hier an die historischen Friedensordnungen wie Pax Romana und Pax Americana oder an Begriffe wie „Frankophonie“, oder „British Commonwealth of Nations“, die zwar keinen Weltbegriff in sich tragen, aber von einem konkreten geographischen Raum ausgehend, durch eine implizierte universale Idee und die inhärente Transnationalität, einen globalen Horizont und Anspruch zum Ausdruck bringen.

  3. Eine besondere Dimension dieser Raumwahrnehmung stellt die Idee der „kanonischen Territorien“ der orthodoxen Kirchen dar, in der die Kategorien der Ethnizität und Territorialität eng verflochten sind (mehr dazu in Döpmann 2003; siehe auch Suslov 2014: 69-70). Das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, favorisiert jedoch in seiner geopolitischen Rhetorik das Konzept der „heiligen Rus’“ (russ. svjataja Rus’), das mit dem russkij mir zwar eng verflochten, aber dennoch nicht deckungsgleich ist (Suslov 2014, Zabirko 2022).

  4. Man denke hier nur an den Globus auf dem Wappen der Sowjetunion, während die erste Strophe der sowjetischen Hymne einen Bezug zur Rus‘ enthält: „Die Große Rus‘ hat auf ewig die unzerbrechliche Union der freien Republiken vereint.“

  5. Die Bewegung wurde initiiert durch die Publikation eines 1921 von dem Sprachwissenschaftler Nikolaj Trubeckoj erstellten Sammelbandes unter dem Titel „Ausweg nach Osten“ (russ. „Ischod k vostoku“).

  6. Die Politik eines Staates, einer Partei oder einer politischen Bewegung, die darauf abzielt, ein Volk, eine Nation oder eine ethnische Gruppe in einem einzigen Staat mit festen Territorialgrenzen zu vereinen.

  7. russ. sootečestvenniki za rubežom

  8. Unter dem Begriff „Revanchismus“ versteht man in der Regel den Wunsch von Staaten, Parteien oder gesellschaftlichen Gruppen, die Ergebnisse ihrer (realen oder empfundenen) militärischen und politischen Niederlagen zu revidieren. Der heutige russische Revanchismus manifestiert sich im Wiederaufleben einer aggressiven Politik der russischen Regierung mit dem Ziel, die Territorien zu kontrollieren, die einst Teil der Sowjetunion oder des Russischen Zarenreiches waren. Er zeichnet sich durch einen revisionistischen Ansatz in den internationalen Beziehungen aus, der die Souveränität der postsowjetischen Staaten in Frage stellt und versucht, Russlands Vorherrschaft in seinem vermeintlichen Einflussbereich zu behaupten. Dieser russische Revanchismus hat zwar nicht den Status einer offiziellen Ideologie oder Doktrin erlangt, er ist aber ein wesentlicher Bestandteil der innen- und außenpolitischen Rhetorik des Kremls geworden.

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Weitere Inhalte

Oleksandr Zabirko ist Akademischer Rat am Institut für Slavistik der Universität Regensburg. Er promovierte an der WWU Münster mit der Arbeit zu literarischen Formen der Geopolitik in Gegenwartsliteraturen Russlands und der Ukraine. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören literarische Raum- und Ordnungsmodelle, Literaturgeschichte der slavischen Länder sowie politische Kultur im postsowjetischen Raum.