Die Religiosität hat in Russland in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen: Kirchen wurden gebaut, viele Menschen bezeichnen sich selbst als gläubig, Religion hat ein relativ hohes gesellschaftliches Ansehen. Während vor allem in Westeuropa die Bedeutung von Religion stetig zurückgegangen ist, ist vom staatlich verordneten Atheismus, der weite Teile des 20. Jahrhunderts in Russland geprägt hat, kaum noch etwas übriggeblieben. Das betrifft sowohl die Mehrheitsreligion, die Orthodoxie, als auch vor allem den Islam und die kleineren Religionsgemeinschaften. Im Jahr 1997 trat in Russland ein Religionsgesetz in Kraft, das in seiner Präambel vier Religionsgemeinschaften ausdrücklich als für Russland traditionell nennt: Die Orthodoxie, den Islam, das Judentum und den Buddhismus. Tatsächlich ist die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) mit Abstand die größte Glaubensgemeinschaft im Land. Etwa 75 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als orthodox; es gibt keine offiziellen (kirchlichen oder staatlichen) Mitgliedsverzeichnisse. Der Islam, der vor allem unter einigen Nationen wie Tataren oder Tschetschenen verbreitet ist, umfasst ungefähr 8 Prozent der Einwohnerschaft Russlands. Die beiden anderen genannten Gruppen sind nur sehr klein, jeweils unter einem Prozent der Bevölkerung. Buddhisten (etwa 0,5 Prozent) sind vor allem Kalmücken und Burjaten. 0,1 Prozent der Bewohner Russlands sind Juden - nicht alle davon sind jedoch religiös. Über die Zahl der Mitglieder anderer christlicher Kirchen (Katholiken, Protestanten) lassen sich keine zuverlässigen Aussagen treffen. Sie machen jeweils weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus und spielen auch in der öffentlichen Wahrnehmung keine besondere Rolle.
Allgemeine Angaben
Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist eine von etwa 15 (die Zählung ist umstritten) autokephalen, d.h. unabhängigen orthodoxen Kirchen, die miteinander die Gesamtorthodoxie bilden. Sie ist nach der Zahl der Gläubigen die größte von ihnen, nimmt aber in der Rangfolge, die sich historisch gebildet hat, den fünften Platz ein. Die ROK beansprucht die kirchliche Zuständigkeit über ein Territorium, das sich auf die ehemalige Sowjetunion (mit Ausnahme Georgiens, das eine eigene orthodoxe Kirche hat) sowie auf einige asiatische Länder (etwa China, Korea oder Japan) erstreckt. In manchen Staaten, vor allem in der Ukraine, wird dieser Anspruch bestritten und es gibt eine eigene, konkurrierende Kirchenorganisation. An der Spitze der ROK steht der Patriarch von Moskau, seit 2009 Patriarch Kirill, der auf Lebenszeit gewählt wird. Bei der Leitung der Kirche wird er von einem „Synod“ unterstützt, einer Gruppe von vierzehn Bischöfen unter seiner Leitung, die einige Male jährlich zusammentritt und wichtige Entscheidungen für die Kirche trifft. Die Kirche ist in Bistümer gegliedert, an deren Spitze je ein Bischof steht. Ihm unterstehen die Gemeinden (Pfarreien), die von einem Priester geleitet werden.
Wer ist Patriarch Kirill?
Patriarch Kirill, das Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche (bürgerlicher Name: Vladimir Gundjaev), wurde 1946 in Leningrad geboren; sein Vater und Großvater waren Priester, ebenso sein Bruder. Mit 18 Jahren trat er ins Priesterseminar ein, mit 22 Jahren wurde er Mönch. Es folgte eine rasche kirchliche Karriere – 1970, im Alter von 23 Jahren, wurde er zum Archimandriten ernannt, der höchsten Mönchstufe vor dem Bischofsamt, und als Vertreter der ROK zum Weltkirchenrat nach Genf entsandt. Drei Jahre später kehrte er nach Leningrad zurück und wurde Rektor der Theologischen Akademie; noch vor seinem 30. Geburtstag wurde er zum Bischof geweiht und 1977 zum Erzbischof erhoben. Seit 1989 leitete er das Außenamt der ROK, seit 1991 war er Metropolit. Seit dieser Zeit galt er als zweiter Mann in seiner Kirche. Nach dem Tod von Patriarch Aleksij II. wurde Kirill 2009 erwartungsgemäß zu dessen Nachfolger gewählt. Oft wird darüber spekuliert, ob Kirill während der Sowjetzeit Mitarbeiter des KGB gewesen ist. Darüber lässt sich keine eindeutige Aussage machen. Klar ist allerdings, dass ein junger Mann, der mit einem Auslandsposten betreut wurde, in engem Austausch mit den sowjetischen Behörden stehen musste. Seit seiner Wahl hat Kirill die ROK neu organisiert. Er hat die Zahl der Bistümer erheblich vergrößert und Metropolien als Zwischeninstanz zwischen den Bistümern und dem Patriarchat eingeführt. Die kirchliche Zentralverwaltung in Moskau wurde gestärkt. Formal ist der Patriarch zwar nur der Vorsitzende kirchlicher (synodaler) Entscheidungsgremien, doch faktisch liegt die Macht in seiner Hand. In kirchenpolitischer Hinsicht verfolgt Kirill nach innen ein Programm der Rückkehr zu traditionellen Verhältnissen in Russland. Dafür steht neben dem Engagement für eine entsprechende Gesetzgebung auch ein ehrgeiziges Kirchenbauprogramm für die Stadt Moskau. Nach außen strebt er für die ROK eine führende Rolle innerhalb der Orthodoxie an. Durch den
Die ROK hat in Russland knapp 200 Bistümer, dazu kommen etwa 40 in anderen Nachfolgestaaten der UdSSR und 25 im weiteren Ausland. Die ungefähr 65 Bistümer der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) haben sich im Mai 2022 angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine von der ROK losgesagt. Dieser Schritt ist von der ROK nicht anerkannt worden. Einige Bistümer in von Russland besetzten Gebieten der Ukraine haben sich inzwischen der ROK angeschlossen. Aufgrund des Krieges ist die Situation sehr unübersichtlich; weitere Veränderungen der kirchlichen Situation der Ukraine sind nicht ausgeschlossen. Weltweit verfügt die ROK über ca. 26.000 Gemeinden (die etwa 12.500 Gemeinden der UOK nicht eingerechnet), von denen knapp 20.000 in Russland sind. Die Zahl der Priester ist etwas geringer als die der Gemeinden.
Kirche und Staat
Die russische Orthodoxie hat eine besondere Beziehung zum Staat und zur Politik. Um sie zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte notwendig. Das Christentum ist im 10. Jahrhundert von Konstantinopel aus in das Gebiet der heutigen Ukraine gekommen. Von dort hat es sich im Laufe der Jahrhunderte ausgebreitet und gelangte schließlich auch ins heutige Russland. Politische Prozesse führten dazu, dass Moskau sich zum Machtzentrum entwickelte, und auch das kirchliche Oberhaupt, der Metropolit, nahm dort im 14. Jahrhundert seinen Sitz, nachdem er ursprünglich in Kiew residiert hatte. Bis zum 16. Jahrhundert gehörte die Kirche zu Konstantinopel, seither war sie autokephal und wurde von einem Patriarchen geleitet. Zar Peter der Große führte zu Beginn des 18. Jahrhunderts zahlreiche Reformen durch, die auch die Kirche betrafen und sie eng an den Staat banden. Diese Verbindung endete, als die Bolschewiki nach der Oktoberrevolution 1917 an die Macht kamen; nun erlitt die Kirche sehr bald eine grausame Verfolgung und wurde Opfer einer antireligiösen Kampagne. Erst der 2. Weltkrieg brachte eine Erleichterung. Jetzt wurde die Kirche nicht mehr blutig verfolgt, konnte aber nur in sehr engen Grenzen und immer nur in Übereinstimmung mit den staatlichen Behörden agieren. Erst in der Perestroika in den späten 1980er-Jahren endete die direkte staatliche Kontrolle und Einflussnahme auf die Kirche. Mit dem Christentum kam auch eine bestimmte Sichtweise der Beziehung von Staat und Kirche aus Konstantinopel nach Osteuropa. Danach werden beide nicht als voneinander getrennte Realitäten betrachtet, sondern sie sind eigentlich nur zwei verschiedene Aspekte des Gemeinwesens. Hierfür wird oft der Begriff „symphonia“ verwendet, erstmals seit dem 6. Jahrhundert: Das Verhältnis zwischen politischer und kirchlicher Sphäre wird als „Zusammenklang“ beschrieben. Beide haben dieselben Interessen und arbeiten für das Wohl des Gemeinwesens, aber in verschiedenen Bereichen. Ein Gegensatz oder Konflikt zwischen beiden ist danach kaum denkbar, auch wenn es historisch immer wieder solche Konflikte gegeben hat. Für die russische Kirche hatte das in den verschiedenen Phasen ihrer Existenz unterschiedliche Konsequenzen. Die Kirche war im 18. und 19. Jahrhundert gewissermaßen Teil des russischen Staates. Sie stützte die Monarchie und war nur dann für Reformen, wenn sie vom Zaren kamen. Ihre privilegierte Stellung verlor sie in den Revolutionen von 1917. Die Verfolgung in der Zeit zwischen den Weltkriegen lässt sich aus der kommunistischen Ideologie erklären, wonach Religion ein Relikt der Vergangenheit sei und verschwinden werde. Doch die Reaktion der ROK auf den Angriff der Wehrmacht gegen die UdSSR im Juni 1941 ist bemerkenswert: Obgleich der Staat die Kirche fast völlig vernichtet hatte, rief das Kirchenoberhaupt die Gläubigen zum Widerstand gegen die Deutschen und zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Nach dem Krieg war die ROK unter strenger Kontrolle des Staates – allerdings gibt es auch nur wenige Anzeichen dafür, dass sie versucht hätte, sich dieser Kontrolle zu entziehen. Nach dem Ende des Kommunismus und dem Zerfall der Sowjetunion hatte die Kirche (erstmals in ihrer Geschichte) die Möglichkeit, sich unabhängig vom Staat zu positionieren. Doch in der Vergangenheit zeigte sich, dass die ROK fast in jeder Hinsicht die Linie unterstützte, die der russischen Staatsdoktrin bzw. der Politik der jeweiligen Regierung entsprach. Diese Unterstützung der Regierungslinie lässt sich mit einer großen inhaltlichen Übereinstimmung zwischen der Kirche und der russischen Führung unter Präsident Putin erklären. Es bedarf also keiner ausdrücklichen Aufforderung an die Kirche, sich zu positionieren, und es lässt sich auch nicht von einer Instrumentalisierung sprechen. Vielmehr stützt die Kirche das Regime in der Überzeugung, dass es die richtige Politik verfolgt. Obwohl Russland nach seiner Verfassung von 1993 ein säkularer Staat ist, erfüllt die Regierung zuweilen Forderungen der Kirche nach gesetzlichen Maßnahmen, etwa hinsichtlich einer Strafbewehrung von Blasphemie (in Folge des „Punk-Gebets“ der Gruppe „Pussy Riot“) oder der Festschreibung der Ehe als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, die 2020 in die Verfassung eingefügt wurde. Die Kernpunkte dieser Positionen, die Staat und Kirche teilen, sind die besondere Rolle Russlands im internationalen Bereich sowie die Erhaltung eines konservativen Gesellschaftsmodells im Inneren; beides sind Punkte, in denen sich Russland vom Westen deutlich unterscheide und seinen eigenen Weg gehe. Dahinter steht die Vorstellung von einem zivilisatorischen Modell, das in Russland vor allem durch die Orthodoxie bestimmt sei und sich durch die Bewahrung bestimmter traditioneller Werte auszeichne. Dieses Weltbild, das grundsätzlich in der russischen Geistesgeschichte nicht neu ist, wurde in den letzten Jahrzehnten sehr dominant. Ein wichtiges Element darin ist die Betonung der Gemeinschaft gegenüber dem Individuum. Während im Westen laut dieser Auffassung Individualismus und Egoismus dazu führten, dass traditionelle Kategorien wie Familie, Kirche oder Nation keine besondere Bedeutung mehr hätten, habe das Wiederaufleben von Religion nach dem Ende des Kommunismus in Russland dazu geführt, dass hier die überlieferten Werte noch Gültigkeit besäßen und positiv gesehen würden. Dieses von der Kirche vertretene Weltbild ist gewissermaßen die religiöse Basis für die politische Abgrenzung, die Russland gegen den Westen vorgenommen hat. Vom Westen drohe Gefahr, weil er die Intention habe, seine eigenen Werte auch Russland und den Staaten, die es zum Bereich seiner Zivilisation zählt, aufzudrängen. Damit hat diese Haltung auch eine außenpolitische Dimension. Grundsätzlich sei die Koexistenz von verschiedenen Gesellschaftsmodellen denkbar, doch könne keines von ihnen universale Geltung beanspruchen, wie es das westliche tue. Außenpolitische Aktionen Russlands wie die Militärintervention in Syrien oder der Krieg gegen die Ukraine (dazu unten) werden somit auch von der Kirche gerechtfertigt, weil es Verteidigungskriege gegen eine aggressive und Russland bedrohende Haltung der westlichen Länder, geführt von den USA, seien. Auch bemüht sich die ROK um Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften, bei denen man eine ähnliche Haltung in Bezug auf die Werte vermutet, etwa zum iranischen Islam oder zu US-amerikanischen evangelikalen Kirchen. Zu dieser grundsätzlich staatsbejahenden Position gehört auch eine positive Haltung gegenüber dem russischen Militär. Nach den politischen Veränderungen der 1990er-Jahre konnte die ROK zunächst in Form von Militärseelsorge in den Streitkräften tätig sein. Zwar kann in Russland der Militärdienst aus religiösen Umständen (und in einem komplizierten Verfahren) verweigert werden, doch sind es meistens Angehörige anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften, die sich auf ihre Religionszugehörigkeit berufen; die ROK unterstützt Verweigerer nicht. Sie baute vielmehr ihre Präsenz im Militär aus und sieht die Aufgabe der Priester nicht so sehr in der Seelsorge, sondern vor allem in der Stärkung von Patriotismus und der Hebung des Kampfgeistes. Eine riesige Militärkathedrale (“Hauptkirche der Streitkräfte Russlands“), die 2020 in der Nähe von Moskau eingeweiht wurde, ist sichtbarer Ausdruck der Beziehung zwischen ROK und russischer Armee. Ihre Architektur und ihre Ausschmückung zeigen das patriotische Geschichtsbild, das in Kirche und Staat dominiert. Die russische Kirche hat auch im westlichen Ausland, in der sogenannten „Diaspora“, ein Netz von Kirchengemeinden. Sie dienen der Seelsorge an dort lebenden russischen Gläubigen, häufig auch als Treffpunkte für Landsleute im Ausland. In den Gemeinden werden – vor allem angesichts der aktuellen Lage – politische Themen in der Regel vermieden. Die jeweiligen russischen Botschaften haben allerdings Abteilungen für die Beziehungen zu den Landsleuten und unterhalten daher auch Beziehungen zu den Gemeinden. Eine direkte Einflussnahme ist allerdings kaum zu erkennen.
Die ROK und der Krieg gegen die Ukraine
Eine besondere Rolle hat diese Beziehung zum Staat und auch die Haltung zum Westen seit dem Jahr 2022 gespielt, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hat. Präsident Putin hat seine antiwestliche Haltung in einem Text vom Sommer 2021 mit dem Titel „Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern“ dargestellt, einem angeblich von ihm verfassten historischen Aufsatz, indem er das Existenzrecht der Ukraine als Staat und der Ukrainer/innen als Nation leugnet. In diesem Text und in einer längeren Ansprache unmittelbar vor Beginn der Invasion hat er ausdrücklich auf religiöse Faktoren Bezug genommen. Das Oberhaupt der ROK, Patriarch Kirill, hat sich zunächst sehr zurückhaltend zum Krieg geäußert, hat aber – vor allem in seinen Predigten – im Verlauf der Ereignisse immer deutlicher seine Interpretation der Situation wiedergegeben. Danach ist der russische Krieg eine Verteidigung gegen den Westen. Seiner Auffassung nach sei es der Westen, der der Ukraine, die doch zum orthodoxen Kulturkreis gehöre, seine Werte aufdrängen wolle. Die Bewohner des Donbass in der Ostukraine hätten sich dagegen gewehrt, seien dann von der Ukraine unter Druck gesetzt worden und Russland sei gekommen, um sie zu verteidigen. Dabei betont der Patriarch immer wieder, dass die Uneinigkeit und der Streit zwischen Russland und der Ukraine, zwei Länder, die eigentlich „Brüdervölker“ seien, von außen an die Staaten herangetragen worden sei. Kirills Darstellungen zeichnen sich durch ein unreflektiertes Geschichtsbild aus. Er bezieht sich häufig auf die Anfänge des ostslawischen Christentums im 10. Jahrhundert, auf das „gemeinsame Taufbecken“, um daraus eine Gemeinsamkeit auch für die Gegenwart zu konstruieren. So spricht er etwa häufig vom „gemeinsamen Vaterland“ von Russen und Ukrainern und sagt, beide seien ein Volk. Die Haltung des Patriarchen hatte massive Konsequenzen für die kirchliche Situation in der Ukraine. Die UOK, die Teil der ROK war, sagte sich am 27. Mai 2022 von Moskau los und erklärte sich als „unabhängig und selbstständig“. Dieser Schritt wurde von Moskau nicht anerkannt, aber es ist offensichtlich, dass die ROK den größten Teil ihrer Gemeinden in der Ukraine verlieren wird bzw. bereits verloren hat. Das wird auch vom Ergebnis des Krieges abhängen. Solange er andauert, bleibt die kirchliche Lage der Ukraine unübersichtlich. Die ROK jedenfalls beansprucht die kirchliche Jurisdiktion nach wie vor auch über das ukrainische Territorium. Das entspricht der Idee von einem orthodox geprägten geistig-religiösen Raum, für den sie zuständig sei und der außer Russland und der Ukraine auch noch Belarus, das Baltikum und eine Reihe von anderen Staaten umfasst.
Ausblick
Es ist schwer, angesichts der enormen gesellschaftlichen und politischen Dynamik Aussagen über die künftige Rolle der Orthodoxie in Russland zu machen. Sicherlich wird sie für die Erfüllung des Bedürfnisses nach traditioneller Religiosität noch über längere Zeit hinweg wichtig bleiben. Doch ist es wahrscheinlich, dass die gesellschaftliche Moderne mit ihren Phänomenen wie Individualisierung und der nachlassenden Bedeutung traditioneller Strukturen und Vorstellungen auch in Russland immer stärker wird. Die Russische Orthodoxe Kirche wird eine Strategie auf diese Herausforderung finden müssen, um auf die Fragen des 21. Jahrhunderts adäquate Antworten zu finden – doch ist bislang nicht zu sehen, dass sie sich diesen Fragen stellt. Ein zusätzliches Problem ist ihre enge Bindung an das russische Regime. Die ROK wird weiterhin versuchen, eine spirituelle Grundlage für das jetzt herrschende politische System zu liefern; allerdings wird sie das nach dessen möglichem Ende vor zusätzliche Probleme stellen, und sie wird erheblich an Vertrauen verlieren. Daher ist davon auszugehen, dass ihre Bedeutung für die russische Gesellschaft auf längere Sicht abnehmen wird, so gefestigt ihre Position jetzt auch erscheinen mag.