Immer wieder hat man versucht, historische und politische Entwicklungen Russlands auf natürliche Gegebenheiten zurückzuführen. Der Binnenorientierung auf das Stromgebiet der Wolga wurde der Drang zum Meer als historische Konstante entgegengestellt, die Gliederung in Großlandschaften zog man zum Verständnis frühen Handelsaustausches heran, das Ausgreifen in die Siedlungsräume nichtslawischer Völker wurde als Sicherung des Zugangs zu Ressourcen verstanden. Bisweilen ergaben sich daraus geodeterministische (allein durch die natürliche Raumausstattung bedingte) Konstruktionen der Entwicklung Russlands, die kaum zu halten sind. Andererseits ist eine gewisse Wechselwirkung zwischen räumlichen Strukturen und gesellschaftlichem Handeln in Vergangenheit und Gegenwart nicht zu leugnen.
Zwei Faktoren treten dabei besonders hervor: Dem geologischen Bau folgt die Anordnung von Tiefländern, Ebenen und Gebirgsräumen, aber auch die Verteilung von Bodenschätzen; auf das durch Gebirge nicht gestörte Relief und das Klima ist die im europäischen Teil Russlands geradezu idealtypische Abfolge großer Landschaftszonen zurückzuführen, die unterschiedliche landwirtschaftliche Potenziale bedingt, deren tatsächliche Nutzung freilich von den jeweiligen Akteuren abhängig ist. Schließlich müssen die Folgen des gegenwärtigen Klimawandels für Natur, Wirtschaft und Gesellschaft bedacht werden.
Geologischer Bau und Bodenschätze
Weite Teile Russlands entstanden vor langer Zeit. Im europäischen Teil lagern auf dem Urkontinent, der den Baltischen Schild nach Osten fortsetzt, Sedimente, die seit ihrer Entstehung vor über 350 Millionen Jahren kaum bewegt wurden und über denen sich in jüngster geologischer Vergangenheit noch Ablagerungen der Kaltzeiten bildeten. Die sanfte Wellung des Untergrunds paust sich in flachen und weitgestreckten Höhenzügen wie dem Timanrücken im Norden oder im mittelrussischen Hügelland durch. Flache, oft Hunderte von Kilometern breite Senken wie die Moskauer Synklinale werden heute von Flüssen genutzt. Nach Süden begrenzen der Übergang zu den ukrainischen Lößgebieten, die Flach- und Hügelländer Nordkaukasiens und die Absenkung zur Kaspischen Senke das Russische Tiefland. Südlich anschließend ragt der Große Kaukasus auf (Elbrus, 5 633 m). Er entstand nach plattentektonischer Interpretation beim Abtauchen der iranischen unter die eurasische Platte.
Nach Osten bildet der Ural eine sanfte Gebirgsschwelle. Hier schließt sich das westsibirische Tiefland als ein in sich gegliederter, ebenfalls auf einer paläozoischen Plattform liegender Ablagerungsraum an, dessen Sedimente das Speichergestein für Erdöl- und Erdgasvorkommen sind. Das entwässernde Flusssystem von Ob und Irtysch ist das größte des Kontinents. Östlich des Jenissej steigt das Gelände zum mittelsibirischen Bergland an, das sich im Putorana-Bergland bis 1.700 m erhebt und von ausgedehnten Decken vulkanischer Gesteine eingenommen wird. Nach Osten fällt das Bergland sanft zum Jakutischen Becken ab. Daran schließen nach Osten Gebirgszüge an, die im Erdmittelalter aufgefaltet wurden und bis 3.000 m Höhe erreichen. Nach Süden begrenzen Gebirge wie Altai und Sajany westlich des Baikalsees die Tief- und Bergländer, während östlich des Baikalsees die Gebirgszüge zu den steppenartigen Niederungen des Amur abfallen. Im Süden des Fernen Ostens bildet der stark bewaldete Gebirgszug Sichotė-Alin´ eine eigenständige Landschaftseinheit. Auf der Halbinsel Kamtschatka zeigen mehrere Vulkane, darunter als höchster die Kljutschewskaja Sopka (4.750 m) an, dass der Ostrand des Kontinents durch die Unterschiebung der Pazifischen Platte unter die Eurasische gebildet wurde. Dieser Bereich weist ebenso wie die Baikalregion und die Gebirgszüge an der Grenze zur Mongolei eine hohe Erdbebengefährdung auf.
Arm an Bodenschätzen ist die Weite der Russischen Tafel im europäischen Teil des Landes; nur im äußersten Nordosten geht sie mit den Kohlelagerstätten von Workuta in die Gebirgssenke vor dem Ural über, im zentralen Teil finden sich innerhalb der Antiklinale (weiträumige Aufwölbung des Gesteinsuntergrunds) von Voronesh die Eisenerze der Kursker Magnetanomalie – hier wird durch die Wirkung des größten bekannten Eisenerzbeckens die Nadel des Kompasses von ihrer Nordrichtung abgelenkt. Im Süden wird die Russische Tafel vom Senkensystem begrenzt, in dem die Kohle des Donbass lagert. Erzvorkommen finden sich vor allem in alt gefalteten, d. h. in der Erdgeschichte vergleichsweise früh entstandenen, Gebirgen (Gebirgszug der Chibiny auf der Kola-Halbinsel, Ural, Altai, Sajany sowie andere sibirische Gebirgszüge), Lagerstätten von Steinkohle in den Vorsenken dieser alten Gebirge, etwa im Kusnezker Becken. Unter den heutigen wirtschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen sind umfangreiche Kohlevorkommen in Sibirien wie die Lagerstätten des Tunguska-Beckens nicht nutzbar.
Die große Entfernung von den bevölkerungsreichen Ortschaften bewirkte, dass die Erschließung zahlreicher Bodenschätze erst spät erfolgte. Entlegene Lagerstätten von Buntmetallerzen, wie die von Norilsk mit Kupfer-, Kobalt- und Nickelerzen, wurden aus strategischen Interessen erschlossen. In den subarktischen Bergbaugebieten auf der Kola-Halbinsel, im Petschora-Becken (Workuta) und bei Norilsk ist der Bergbau mit hohen Emissionen und massiven Landschaftsschäden verbunden.
Lagerstätten von Erdöl und Erdgas befinden sich vor allem in weitgespannten geologischen Becken wie der Kaspischen Senke, dem westlichen Uralvorland, der Senke in Nordkaukasien oder dem Westsibirischen Tiefland. Russland verfügt über außerordentlich umfangreiche Lagerstätten, doch ist ihre Nutzung mit einem hohen Aufwand für die Schaffung der erforderlichen Infrastruktur verbunden, aber wenn die einzelnen Bohrungen ergiebig sind, lohnt sich dies. Westsibirien gehört deshalb heute zu den reichsten Gebieten Russlands mit den höchsten Durchschnittseinkommen. Schätzungen über die wirtschaftlich nutzbaren Vorräte gehen bei allen Bodenschätzen weit auseinander und sind von technologischer Entwicklung, Weltmarkt und der Erkundung neuer Lagerstätten abhängig. Die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen bestimmt in hohem Maß Russlands Wirtschaftsaktivitäten, da die Transformation eine partielle Deindustrialisierung bewirkt hat. Bei den Exporten von Bodenschätzen stehen Erdöl aus dem mittleren und Erdgas aus dem nördlichen Westsibirien an erster Stelle. Die Erdgasregion reicht inzwischen bis auf die Jamal-Halbinsel, denn die westeuropäische Nachfrage garantiert einen sicheren Markt und fordert den Bau neuer Pipelines. Allerdings sind die Erschließungsarbeiten im hohen Norden teuer. Daher wird das sowjetische Modell der Arbeitsorganisation, das auf zeitlich befristeten Einsätzen von Arbeitern aus weiter südlich gelegenen Wohnsiedlungen beruht, mit Modifikationen beibehalten. Die Einwohnerzahlen zahlreicher Siedlungen im hohen Norden stagnieren oder sind sogar rückläufig.
Unter den übrigen Bodenschätzen kommt Gold und Diamanten nach wie vor große geoökonomische Bedeutung zu. In der Phase verstärkter Regionalisierung verstand es die Republik Sacha (Jakutien), sich umfassende Mitspracherechte bei der Erschließung und Vermarktung ihrer Diamantvorkommen zu sichern. Bei der Förderung der "klassischen" Bodenschätze für die Schwermetallurgie, Eisenerze und Steinkohle, musste Russland dagegen Einbußen hinnehmen, die sich aus veränderten Marktbedingungen, vor allem aber auch aus der Überalterung der Förder- und Aufbereitungsstätten erklären lassen.
Klima und landwirtschaftliche Nutzungspotenziale
Das Klima ist in den meisten Landesteilen kontinental mit großen jahreszeitlichen Temperaturunterschieden. Zeitweise erstreckt sich das winterliche Kältehoch von der ostsibirischen Baikalregion bis Westrussland; arktische Kaltluft kann, weil sich ihr keine Gebirge als Querriegel entgegenstellen, fast ungehindert einfließen. Dann wieder dringen subpolare Tiefdruckgebiete vom Atlantik weit in das Innere Russlands vor und bewirken, dass im wärmsten Monat des Sommerhalbjahrs die Temperaturunterschiede zwischen der Südgrenze der Tundra und der Nordgrenze der Steppe kaum 4° C überschreiten. In der Steppenzone des Trans-Wolga-Gebietes können allerdings Dürreperioden auftreten, die die Getreideernte beeinträchtigen, ebenso Spätfröste, die die Frühjahrsaussaat bedrohen.
Die durchschnittlichen jährlichen Niederschlagssummen liegen in den Niederungen nur bei 600 bis 800 mm und steigen im nördlichen Ural und den fernöstlichen Gebirgen über 1.000 mm an. Dennoch wird der Alltag durch winterliche Schneeverwehungen, einen im Norden mehrere Monate währenden Eisgang auf den Flüssen und die frühjährliche Auftauperiode erschwert. Im Grenzbereich zwischen Tundra und Taiga umfasst die Schneeperiode fast zwei Drittel des Jahres. In der Nichtschwarzerdezone des europäischen Teils Russlands reichen die Niederschlagssummen aus, um mineralische Nährstoffe aus dem Boden auszuwaschen; hierbei bildet sich der für die Taiga typische Podsolboden. Dieser ist sandig, sauer sowie nährstoffarm und bietet deshalb den meisten Nutzpflanzen keine optimalen Bedingungen. In Waldsteppe und Steppe führt der Wechsel von winterlicher Abkühlung und sommerlicher Erwärmung bei ausreichender Bodendurchfeuchtung zur Entwicklung von Schwarzerden (Tschernosjom), die besonders fruchtbar sind.
Eine Folge früherer und aktuell andauernder winterlicher Abkühlung ist die weite Verbreitung von Dauerfrostboden; geschlossen tritt er auf 47 Prozent der Landfläche auf, rechnet man die sporadischen Vorkommen hinzu, nimmt er fast 60 Prozent der Landesfläche ein. Im äußersten Nordrussland sowie in weiten Teilen Sibiriens und des Fernen Ostens erschwert er den landwirtschaftlichen Anbau und beeinträchtigt und verteuert den Bau und den Erhalt von Gebäuden und Verkehrsanlagen. Der Untergrund ist teilweise über 200 m tief gefroren und taut während der sommerlichen Erwärmung nur in einer dünnen Bodenschicht auf. Gebäude müssen auf Pfählen, heute meist aus Beton, tief im Untergrund verankert und gegen Wärmeleitung zwischen Gebäude und Boden geschützt werden. Die wichtigsten wirtschaftlichen Nutzungen in den Gebieten mit Tundrenvegetation oder Nadelwald und gleichzeitig Dauerfrostboden sind die Gewinnung von Bodenschätzen, die Rentierzucht und der Holzeinschlag, der in den Nadelwäldern bereits zu großen Einbußen geführt hat.
Damit hat die klimatologische Differenzierung zur Folge, dass ausreichend günstige Anbaubedingungen nur im sogenannten Agrardreieck vorhanden sind; dieses reicht von der europäischen Westgrenze Russlands zwischen St. Petersburg und Rostow keilförmig nach Osten zur mittleren Wolga, zum südlichen Ural und in das südliche Westsibirien. Beträchtliche Schwankungen der Niederschlagsverteilung und -menge von Jahr zu Jahr lassen in den Steppen große Unterschiede bei den Ernteerträgen auftreten. Betroffen sind insbesondere die Gebiete östlich der Wolga, während in Südrussland und Nordkaukasien die Erntesicherheit etwas höher ist. Die Unterschiede zeigten sich exemplarisch in den Jahren 1997 und 1998; konnte 1997 noch eine ausreichende Getreideernte von 75 Millionen Tonnen eingebracht werden, blieb sie 1998 mit 42 Millionen Tonnen weit hinter dem Bedarf zurück. Allerdings ist die geringe agrarische Produktivität nur teilweise den von Jahr zu Jahr schwankenden Witterungsbedingungen anzulasten; ebenso wichtig sind Mängel in der Agrarstruktur und in der Organisation der landwirtschaftlichen Produktion sowie ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag.
Auszug aus: Jörg Stadelbauer: Russlands Geografie. Landschaftszonen, Bodenschätze, Klimawandel und Bevölkerung, in: Pleines, Heiko/Schröder, Hans-Henning (Hrsg.): Länderbericht Russland, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2010, S. 11ff.
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