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Bevölkerungsverteilung und Demografie

Prof. Dr. Jörg Stadelbauer Jörg Stadelbauer

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Russland ist voller Unterschiede: Dicht besiedelte Gebiete stehen dem fast menschenleeren Ostsibirien gegenüber. Instabile und unsichere wirtschaftliche Verhältnisse sorgen zudem für eine starke Binnenmigration.

Die Bevölkerung Russlands ist sehr ungleichmäßig verteilt. Die Einwohnerdichte reicht von 74,4 Einwohner/km² in Tschuwaschien bis 0,03 Einwohner/km² im Autonomen Bezirk der Ewenken in Ostsibirien. (rasenfalkenstein) Lizenz: cc by-nc-sa/2.0/de

Russland ist über das ganze Land gesehen dünn besiedelt. Aus der Umrechnung der Bevölkerungszahl (2009: 141,9 Millionen) ergibt sich eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von nur 8,31 Einwohner/km². Dabei bestehen zwischen den Regionen – von den beiden Metropolitanregionen Moskau und St. Petersburg abgesehen – Unterschiede: die Bevölkerungsdichte reicht von 74,4 Einwohner/km² in Tschuwaschien bis 0,03 Einwohner/km² im Autonomen Bezirk der Ewenken in Ostsibirien (der inzwischen in die Region Krasnojarsk eingegliedert wurde).

Bevölkerungsdichte. Interner Link: Hier finden Sie die Karte als Download-PDF. (© www.kartographie-kaemmer.de)

Nur partiell spiegelt die Bevölkerungsverteilung die für Landwirtschaft günstigen Gebiete wider. Die massive Verstädterungspolitik der Sowjetzeit hat dazu geführt, dass 73 % der Bevölkerung in städtischen Siedlungen leben. Da zahlreiche Städte Verwaltungsfunktionen ausüben und damit nicht zu ungleich verteilt sein dürfen, ergeben sich relativ weite Entfernungen zwischen den Zentren. Trotz moderner Kommunikationstechnik bestehen einige Probleme weiter, weil die ausgeprägte Ausrichtung der Verkehrsverbindungen auf Moskau und einige wenige andere Großzentren große Umwege erforderlich macht. Auch sind die Kosten für den Infrastrukturausbau wesentlich höher als in dichter besiedelten Staaten.

Die natürliche Bevölkerungsentwicklung ist seit Ende der 1980er-Jahre durch niedrige Geburtenraten, steigende Sterberaten und eine sinkende Lebenserwartung gekennzeichnet. Während 1990 13,4 Geburten je 1 000 Einwohner noch 11,2 Sterbefälle gegenüberstanden, kamen 1994, auf dem Höhepunkt der Transformationskrise, auf 9,6 Geburten 15,7 Sterbefälle je 1 000 Einwohner, und die demografische Krise hält in Russland an. Besonders von Bevölkerungsverlusten betroffen ist die eher überalterte ländliche Bevölkerung. Im Altersaufbau sind die hohen Verluste der Stalinzeit und des Zweiten Weltkriegs nach wie vor spürbar; sie führten in der Folgegeneration der heute etwa 30-Jährigen zu unterdurchschnittlich schwachen Jahrgängen. In der Gegenwart überlagern sich die Folgen dieser zurückliegenden Ausfälle mit den Folgen von Geburtenregelung und Geburtenausfällen, die durch die aktuelle sozioökonomische Lage bedingt sind. Damit wird sich der Bevölkerungsrückgang fortsetzen, wenn es nicht gelingt, zusätzliche Immigranten anzuwerben. Der Rückgang betrifft die ethnisch russische Bevölkerung mehr als die meisten nicht russischen ethnischen Gruppen, bei denen in der Regel höhere natürliche Zuwachsraten bestehen. Damit könnten sich mittelfristig auch die Gewichte zwischen Mehrheitsbevölkerung und Minderheiten leicht verschieben.

Dass Russland in der Transformationsphase der 1990er-Jahre keine höheren absoluten Bevölkerungsverluste erlebte, ist vor allem auf massive Zuwanderungen aus den nicht russischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zurückzuführen. Vor allem Russen, die in allen nicht russischen Sowjetrepubliken einen bedeutenden Anteil erreicht hatten, wanderten bei ungünstigen Sprach- und Einbürgerungsgesetzen in diesen Republiken nach Russland ein. Sie konnten die Abwanderungsverluste ausgleichen, die sich aus der Übersiedlung von Russlanddeutschen nach Deutschland und von Juden nach Mitteleuropa, Nordamerika oder Israel ergaben. Während sich bei den Wanderungen zwischen Russland und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion 1992 bis 1998 ein positiver Wanderungssaldo zugunsten Russlands ergab (Nettozuwanderung: 3,6 Millionen Personen), errechnet sich für das »ferne Ausland«, d. h. die Länder außerhalb der GUS, ein negativer Saldo von rund 70 000 Personen.

Die internationale Migration wird von der Binnenmigration übertroffen. Nach wie vor gibt es eine anhaltende Abwanderung aus den in sowjetischer Zeit mit hohem Kostenaufwand erschlossenen Gebieten des Hohen Nordens. Extrem ist das Beispiel Tschukotka, wo wegen akuter Versorgungsmängel Siedlungen evakuiert wurden: Dort reduzierte sich die Bevölkerungszahl zwischen 1990 und 2006 von 155 700 auf 51 000 Bewohner und damit auf ein Drittel. Wichtige Gründe für diese Abwanderung sind: eine dramatische Verschlechterung der Versorgungslage in den entlegenen Nordgebieten, deutlicher Anstieg der Verbraucherpreise, Abschaffung der bisherigen finanziellen Vergünstigungen, Demilitarisierungseffekte, ferner Ansprüche der indigenen Bevölkerung auf die natürlichen Ressourcen, eine Umorganisation der wirtschaftlichen Verflechtungen, die den Nordgebieten nur einen nachgeordneten Rang einräumt (außer im Autonomen Bezirk der Jamal-Nenzen mit der Nutzung der Erdgasressourcen).

Nahm das Gesamtvolumen der Migration in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre gegenüber der sowjetischen Zeit rasch zu, so flaut seit etwa 1996 die Zuwanderungswelle deutlich ab. Dies hängt mit geringerer Abwanderungsbereitschaft in den Herkunftsländern, aber auch mit der Stabilisierung der Wirtschaftslage seit 1998 zusammen. Die Abwanderung aus dem Hohen Norden und die Zuwanderung aus den kaukasischen und zentralasiatischen Nachfolgestaaten führen weiterhin zu Problemen bei der Ansiedlung von Migranten und bei der Arbeitsplatzbeschaffung.

Auszug aus: Jörg Stadelbauer: Russlands Geografie. Landschaftszonen, Bodenschätze, Klimawandel und Bevölkerung, in: Pleines, Heiko/Schröder, Hans-Henning (Hrsg.): Länderbericht Russland, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2010, S. 11ff.
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Prof. Dr. Jörg Stadelbauer ist Direktor des Instituts für Kulturgeographie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.