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Russland und die internationalen Organisationen

Andreas Heinemann-Grüder

/ 9 Minuten zu lesen

Russland zeigt als Mitglied zahlreicher internationaler Organisationen eher ein instrumentelles Verhältnis zu diesen. Trotz verschiedener Ansätze hat es Russland bisher nur begrenzt vermocht, die Integration nicht-westlicher internationaler Organisationen voranzutreiben.

António Guterres, Generalsekretär der Vereinte Nationen, und Sergei Lawrow, Außenminister von Russland, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am 21. Juni 2018 in Moskau. (© picture alliance/Mikhail Pochuyev/TASS/dpa)

Russland ist Mitglied in einer Vielzahl internationaler Organisationen, darunter ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, in der Welthandelsorganisation, in der OSZE, im Europarat, in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU), im Internationalen Olympischen Komitee, in der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC), der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (kurz OVKS, auch als "Taschkenter Vertrag" bekannt) und in einer Staatenunion mit Belarus.

UN-Sicherheitsrat

Russland ist ein ständiges Mitglied des Interner Link: UN-Sicherheitsrates und als solches eine potente Vetomacht. Seit der Perestroika (1985-1991) unter dem Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, setzte sich die sowjetische, später russische Politik für eine Stärkung der Vereinten Nationen bei der Regelung internationaler Konflikte ein. Vor dem Hintergrund nicht-mandatierter Interventionen westlicher Staaten bzw. des Missbrauchs von UN-Mandaten (vor allem im Kosovo 1999, im Irak 2003 und in Libyen 2011) ist Russland im UN-Sicherheitsrat immer weniger kooperationswillig. In jüngerer Zeit hat sich Russland konsequent allen Verurteilungen Syriens aufgrund von Verletzungen des Kriegsvölkerrechtes, insbesondere des Einsatzes von Giftgas, entgegen gestellt. Russland beteiligt sich nur sehr geringfügig mit ca. zwei Prozent der Finanzierung an friedenserhaltenden UN-Missionen, personell beteiligt sich Russland in der Regel nur mit wenigen Beobachtern an laufenden UN-Missionen. Das russische Mitspracherecht durch den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat steht in deutlichem Kontrast zur Bereitschaft, eigene Beiträge zu leisten.

Gemeinschaft Unabhängiger Staaten

Die Interner Link: Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) wurde am 8. Dezember 1991 als Nachfolgeorganisation der Sowjetunion gegründet, sie dient nominell der Koordination von Handel, Finanzen, der Gesetzgebung und der Sicherheitspolitik der Mitglieder. Bei ihrer Gründung hatte die GUS elf Mitglieder (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Kasachstan, Kirgistan, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und Ukraine). Die drei Baltischen Staaten betrachten ihre Eingliederung in die Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges als völkerrechtswidrige Annexion und sehen sich folglich auch nicht als Nachfolgestaaten der UdSSR. Georgien trat erst 1993 ein und 2008 wieder aus, die Ukraine trat 2018 aus allen GUS-Organen aus. Beide Staaten reichten ihren Austritt nach der aus ihrer Sicht "russischen Aggression" gegen ihre Souveränität ein. Formell gibt es in der GUS einen Rat der Verteidigungsminister, doch seit Jahren finden keine Gipfeltreffen mehr statt, es handelt sich de facto um eine lose Assoziation von Nachfolgestaaten der Sowjetunion ohne politische Bedeutung. Die GUS kann am ehesten als Abwicklungsgemeinschaft für die Sowjetunion bezeichnet werden, die ihre Funktion nach der Erlangung der Souveränität der Nachfolgestaaten der Sowjetunion eingebüßt hat.

Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit

Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) wurde 2001 verkündet und hat ihren Sitz in Peking. Die SOZ ist eine direkte Nachfolgeorganisation der 1996 initiierten sogenannten Schanghaier Fünf (China, Russland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan – 2001 schloss sich Usbekistan an). Ihr Zweck ist die sicherheitspolitische Zusammenarbeit und die Abstimmung von Wirtschafts- und Handelsfragen zwischen den Mitgliedern. Zu diesem Zweck wurde ein Anti-Terror-Zentrum aufgebaut, die Staaten stimmen sich bei der Anti-Drogen Politik ab, insbesondere Russland und China führen im Rahmen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit auch gemeinsame Manöver durch. Seit 2017 sind Indien und Pakistan Mitglieder. Einen Beobachterstatus haben die Mongolei, Iran, Afghanistan und Belarus, als "Dialogpartner" zählen Armenien, Aserbaidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka und die Türkei. In den Mitgliedsstaaten der SOZ leben derzeit ca. 40 Prozent der Weltbevölkerung. Seit 2005 führen insbesondere Russland und China gemeinsame Großmanöver durch. Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit stellt keine Militärallianz dar, sie bildet jedoch ein Gegengewicht zum weit gespannten Netz von US-amerikanischen Militärbasen in Asien. Die SOZ ist Teil der "Seidenstraßen"-Politik Chinas, dient aber aus russischer Sicht vor allem der Eindämmung des Einflusses der NATO und insbesondere der USA in Zentralasien. Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit kann auch als Allianz autoritärer Staaten gegen "farbige Revolutionen" (z.B. Interner Link: Orangene Revolution 2004 in der Ukraine, Tulpenrevolution 2005 in Kirgisistan) interpretiert werden.

Eurasische Wirtschaftsunion

Die Interner Link: Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) ist ein Zusammenschluss von mehreren Staaten zu einem Binnenmarkt mit Zollunion. Zwischen Russland, Belarus und Kasachstan wurden bis Juli 2011 alle Zollschranken abgebaut und zum 1. Januar 2012 wurde der gemeinsame Wirtschaftsraum für Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeit zwischen Russland, Kasachstan und Belarus verwirklicht. Aus dieser Zollunion ging die EAWU hervor. Gründungsmitglieder sind seit Mai 2014 Kasachstan, Russland und Belarus, seit Oktober 2014 gehören Armenien und seit August 2015 Kirgisistan ebenfalls zur EAWU. Zu den Zielen der EAWU gehören die Zollunion, ein einheitlicher Wirtschaftsraum, freier Austausch von Dienstleistungen und Arbeitskräften, die Kooperation in den Bereichen Energie, Industrie, Landwirtschaft und Transport und perspektivisch ein gemeinsamer Strom-, Erdöl- und Gasmarkt und die Schaffung eines einheitlichen Finanzmarktes sowie einer gemeinsamen Währung. Ob es zu diesen weiteren Integrationsschritten kommt, ist insbesondere vor dem Hintergrund der russischen Intervention in der Ukraine fraglich, denn seither befürchten die nicht-russischen Mitgliedstaaten, dass Russland russisch-sprachige Minderheiten auch bei ihnen mobilisieren und zum Vorwand für Intervention nutzen könnte.

Die Mitglieder der EAWU wollen nach dem Vorbild der Europäischen Union auch ihre Wirtschaftspolitik abstimmen. Aufgrund des Assoziierungsabkommens mit der EU gelang es Russland indes nicht, die Ukraine für eine Mitgliedschaft in der EAWU zu gewinnen. Usbekistan hat mehrfach erwogen, der Zollunion mit Russland, Belarus und Kasachstan beizutreten, hat davon jedoch bisher aus politischen Gründen Abstand genommen. Ein Abkommen zwischen Russland und der separatistischen Region Abchasien (de jure Teil von Georgien) legt fest, dass Abchasien seine Handelsgesetze an die der Eurasischen Wirtschaftsunion angleicht. Durch abchasisch-russische und südossetisch-russische Verträge sind diese nicht anerkannten Republiken faktisch mit der EAWU assoziiert. Ähnlich hat die nicht anerkannte Republik Transnistrien (de jure Teil von Moldau) im November 2012 ein Konzept für die Integration Transnistriens in die EAWU verabschiedet. Mit dem Beitritt Armeniens zur EAWU wurde die nicht anerkannte Republik Berg Karabach de facto auch in die EAWU integriert. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sicherte Aserbaidschan zwar formell zu, dass Berg-Karabach nicht in die EAWU einbezogen würde, dies ist jedoch nicht umsetzbar, da zwischen Armenien und Berg Karabach keine Zollgrenze besteht.

Der russische Botschafter bei der EU schlug vor, dass die EU eine Freihandelszone mit der EAWU bildet, und zwar als Alternative zur Freihandelszone mit Nordamerika (TTIP). Bundeskanzlerin Merkel griff 2015 den Vorschlag auf und erwog die Möglichkeit einer Freihandelszone "von Lissabon bis Wladiwostok", allerdings unter der Voraussetzung, dass die Ukrainekrise gelöst würde. Russland drängt auf die Schaffung von supranationalen Behörden im Rahmen der EAWU, darunter einer Kommission, vergleichbar der Kommission der Europäischen Union, und eines gemeinsamen Parlamentes. Die Bildung von supranationalen Institutionen nach dem Vorbild der EU stößt jedoch bei einigen Mitgliedern auf Vorbehalte, da russische Dominanz befürchtet wird. Insbesondere Kasachstan und Belarus beharren auf ihrer Souveränität und befürchten die Wiedererrichtung einer "neuen Sowjetunion" unter russischer Vorherrschaft. Die russischen Vorstellungen zur EAWU orientieren sich oberflächlich an der EU, sie soll jedoch aus russischer Sicht eine Alternative zur EU und deren Assoziierungspolitik sein und zugleich als zentrales Bindeglied zwischen den Wirtschaften Asiens und Europas dienen.

Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit

Russland ist Mitglied in der Interner Link: Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS, oder "Taschkenter Vertrag"), der Armenien, Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan und Belarus angehören. Aserbaidschan, Georgien und Usbekistan haben ihre Mitgliedschaft aufgekündigt. Ziel des "Taschkenter Vertrages" ist die Zusammenarbeit in den Bereichen Außenpolitik, Militär und Militärtechnologien, die Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus, die Abhaltung gemeinsamer Militärmanöver und die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels.

Russisch-Weißrussische Union

Formell befindet sich Russland in der "Russisch-Weißrussischen Union", einem Staatenbund, der im Kern eine Verteidigungs- und eine Wirtschaftsgemeinschaft umfasst. Die Kompetenzen des überstaatlichen Unionsrates sind jedoch ungeklärt. Der Präsident von Belarus, Lukaschenka, lehnt eine Vertiefung der Union ab, insbesondere nach der russischen Krim-Annexion und aufgrund des anhaltenden Streites um die Rubel-Einführung in Belarus sowie um die Gaspreise und den Öltransit. Belarus will nicht als Provinz zu Russland gehören.

Die regionale Kooperation im eurasischen Raum reagiert auf die fehlende EU- und Nato-Perspektive für die meisten post-sowjetischen Staaten. Die Eurasische Wirtschaftsunion imitiert die EU, basiert jedoch nicht auf einer Wertegemeinschaft. Die Mitglieder fürchten die Dominanz Russlands und stellen sich deshalb einer supranationalen Integration, wie von Russland gewünscht, entgegen. Die Kooperation ist folglich intergouvernemental und nicht mit dem Aufbau von supranationalen Institutionen in der EU zu vergleichen.

Welthandelsorganisation

Seit 2012 ist Russland Mitglied der Interner Link: Welthandelsorganisation (WTO), deren Funktion darin besteht, Importzölle zu reduzieren und die dadurch auch zur Liberalisierung des russischen Marktes beitragen soll. Tatsächlich haben sich die Zölle zwischen 2012 und 2017 von 9,6 Prozent auf 5,4 Prozent verringert, doch die Sanktionen infolge der Krim-Annexion und der Militärintervention im ukrainischen Donbass sowie die russischen Gegensanktionen haben den Nutzen der WTO-Mitgliedschaft für Russland gemindert. Die westlichen Russland-Sanktionen verstoßen aus russischer Sicht gegen die WTO-Regeln, da diese keine politisch motivierten Sanktionen vorsehen, allerdings erwägt Russland keinen Austritt. Die russische Regierung schwächt ausländische Konkurrenz auf dem russischen Automarkt durch protektionistische Maßnahmen. Kritik an der WTO-Mitgliedschaft kommt aus der russischen Landwirtschaft, die wiederum am meisten von den westlichen Sanktionen profitiert. Die EU forderte 1,39 Milliarden Euro Schadensersatz für das Verbot Russlands, Schweinefleisch aus Europa einzuführen. Im August 2016 urteilte ein Schiedsgericht der WTO, dass die russischen Einfuhrbeschränkungen für Schweinefleisch aus der EU in der Tat gegen die WTO-Regeln verstießen.

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit

Russland war Gründungsmitglied der Interner Link: Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die 1995 in die Interner Link: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) umgeformt wurde. Russland setzte anfänglich hohe Erwartungen auf die OSZE als möglicher gesamteuropäischer Alternative zur Ausweitung der NATO. Beginnend mit dem Kosovokrieg 1999, dem zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2006) und der Nicht-Ratifikation des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (angepasster KSE Vertrag von 1999) änderte sich die russische Bewertung der OSZE, die zunehmend als Mittel westlicher Einflussnahme auf die Innenpolitik angesehen wurde. Insbesondere das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte galt als Hebel, um die "farbigen Revolutionen" (Regimewechsel) im postsowjetischen Raum zu befördern. Dem Wertekanon der Pariser Charta der OSZE von 1990 fühlte sich Russlands Außen- und Sicherheitspolitik immer weniger verpflichtet. Ab 2007 unterband Russland die Beobachtung von Wahlen durch die OSZE in Russland und 2007 suspendierte Russland seine Teilnahme am KSE-Vertrag (Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa). Mit der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine kooperiert Russland in begrenztem Maße, selbst wenn deren Beobachtertätigkeit, z.B. Informationsbeschaffung mittels Aufklärungsdrohnen, massiv behindert wird. Spätestens seit 2007 lässt sich eine Spaltung zwischen Russland und den westlichen Staaten innerhalb der OSZE beobachten, die zu einer weitgehenden Paralyse der OSZE geführt hat. Gleichzeitig ist die OSZE jedoch das einzige Forum, in dem trotz der Spannungen regelmäßig über Sicherheitsfragen kommuniziert wird.

Europarat

Russland ist seit 1996 Mitglied des Europarates, einem Forum für den Einsatz zugunsten von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Europäische Menschenrechtskonvention stellt den wichtigsten Vertrag im Rahmen des Europarates dar. Russland gehört neben der Türkei zu den Staaten, die am häufigsten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention angeklagt bzw. verklagt wurden. Infolge der Annexion der Krim ist Russland in der parlamentarischen Versammlung des Europarates das Stimmrecht entzogen worden. Ab dem Jahr 2107 stellte Russland in Reaktion darauf seine Zahlungen an den Europarat teilweise ein. Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, warnte Russland vor einem möglichen Ausschluss, sollte es im ersten Halbjahr 2019 seine Beiträge nicht zahlen.

Russland zeigt ein instrumentelles Verhältnis zu internationalen Organisationen, vermeidet es jedoch bisher, aus Konventionen, die es unterzeichnet hat, formell gänzlich auszusteigen, da Russland völkerrechtlich nicht als Paria-Staat angesehen werden möchte. Russland hat es bisher nur begrenzt vermocht, die Integration nicht-westlicher internationaler Organisationen voranzutreiben. Dies hängt zum einen mit der Furcht vor russischer Hegemonie bei Partnern, mit dem Misstrauen aufgrund des Autoritarismus in Russland und den Methoden russischer Einflusspolitik zusammen.

Literatur:

  • Ian Bond: Russia in International Organizations: The Shift from Defence to Offence, in: D. Cadier, M. Light (eds): Russia’s Foreign Policy, London: Palgrave Macmillan, 2015, S. 189-203.

  • Richard Sakwa: Russia against the Rest: The Post-Cold War Crisis of World Order, Cam bridge: Cambridge University Press, 2017

PD Dr. Andreas Heinemann-Grüder ist Leiter der Akademie für Konflikttransformation im ForumZFD und Privatdozent an der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Friedens- und Konfliktforschung, politisches System Russlands, vergleichender Föderalismus, politische Regime in Zentralasien.