Sportgroßereignisse wie Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften sind globale Mega-Events, die nicht nur großen Sport, sondern auch die große Show versprechen und präsentieren. Als Medienspektakel inszeniert, kommentiert, vermarktet und verhandelt, haben Sportgroßereignisse ein enormes Wirkpotenzial – auch jenseits des Sports: Kulturelle, gesellschaftliche, politische wie wirtschaftliche Systeme sind mittelbar oder unmittelbar betroffen. Deshalb ist es wenig überraschend, dass über die FIFA-Fußballweltmeisterschaft in Russland intensiv debattiert wird. Auch die Politik greift das Thema auf: 60 Europaabgeordnete aus fünf Fraktionen und 16 Ländern riefen im Frühjahr 2018 zum Boykott des Turniers auf, weil die Politik des russischen Präsidenten Putin "die europäischen Werte verhöhnen" würde.
Das mediale Umfeld von Sport-Events
Das Interesse von Politik und Wirtschaft an einer engen Verbindung zum Volkssport Fußball erwächst aus seinem integrativen und identitätsstiftenden Potenzial. Fußball schafft aber nicht nur ein Wir-Gefühl. Eine kontroverse Berichterstattung, bei der umstrittene gesellschafts- und sportpolitische Themen im Vorfeld des Ereignisses und während der Übertragungen angesprochen werden, kann das Wohlfühl-Klima negativ beeinflussen. Die Kommunikationswissenschaftlerin Christiana Schallhorn hat am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2014 sowie der Olympischen Spiele 2016 in Brasilien analysiert, dass Sportgroßereignisse trotz der großen bunten Show auch Schatten auf die Vorstellungen der Zuschauer werfen.
Genannte Assoziationen vor und nach der WM 2014 und den Olympischen Spielen / Paralympischen Spielen 2016
Vor der WM 2014 | Nach der WM 2014 | Nach Olympia 2016 |
Karneval | Deutschland Weltmeister | Doping |
Samba/Musik/Rhythmen | Hohe Kosten, wenig Nutzen | Armut |
Rio de Janeiro | Emotionen | Hohe Kosten, wenig Nutzen |
Sonne/Strand/Meer | Klima | Sonne/Strand/Meer |
Fußball | DFB-Brasilien 7:1 | Korruption |
Quelle: Schallhorn 2018, S. 88.
Akzeptanz und Ignoranz von Sportgroßereignissen beim Publikum liegen offenbar dicht beieinander. Dies wirft die Frage auf, bis zu welchem Grad das Publikum auch kritische Stimmen verträgt. Eine statistische Analyse identifizierte drei Strategien in Bezug auf die Berichterstattung über die Olympischen Spiele in Rio 2016: die Verweigerung jeglicher Hintergrundinformationen (Sportpuristen), das Ignorieren negativer Themen und Konzentration auf positive Aspekte der Olympischen Spiele (Eskapisten) sowie die bewusste Konfrontation und Auseinandersetzung mit allen positiven wie negativen Facetten (Informationssuchende).
Neben den Gastgeberländern stehen dabei inzwischen die Sportorganisationen unter Beobachtung, denn ihnen ist es bislang nicht gelungen, Kommerz und Korruption im Fußball zurückzudrängen.
Sportorganisationen unter Beobachtung
Die öffentliche Kritik an der Fédération Internationale de Football Association, kurz FIFA, hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Dabei geraten die Finanzierung und Organisation von Sportgroßereignissen genauso unter Beobachtung wie die Bewerbungsprozesse. Sportgroßereignisse haben ihren Rückhalt in der Bevölkerung verloren – auch weil die Medien die politischen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen der Veranstaltungen und des Sports im Allgemeinen thematisieren.
Darüber hinaus ist die jüngere FIFA-Geschichte von zahlreichen Skandalen begleitet. Besonders hohe Wellen schlugen erstens die Schmiergeldzahlungen des früheren Vermarktungspartners ISL/ISMM an FIFA-Spitzenfunktionäre, darunter FIFA-Präsident Havelange, im Zuge der Vergabe von Medienrechten für die Fußballweltmeisterschaft 2002 in Südkorea und Japan
Die FIFA und die Fußballweltmeisterschaften: eine Erfolgsgeschichte
Die FIFA, die mit 211 Mitgliedsverbänden mehr Mitglieder hat als die UNO, ist ein Monopolist, der im 21. Jahrhundert als unumstrittener Global Player mit der Fußball-Weltmeisterschaft über ein herausragendes Produkt verfügt, das wie kaum ein zweites weltweite Aufmerksamkeit und milliardenschwere Einnahmen garantiert. Die FIFA-Weltmeisterschaft entwickelte sich zu einem internationalen Großereignis, begünstigt durch die weltenweiten Übertragungen der Weltpokal-Turniere. Mit dem Amtsantritt des Brasilianers João Havelange 1974 stieg die Zahl der teilnehmenden Nationen an Weltmeisterschaften an: auf 24 im Jahre 1982 und 32 im Jahre 1998. Die verstärkte Beteiligung von asiatischen-, afrikanischen und zentralamerikanischen Teams schürte das weltweite Interesse an der Endrunde der Weltmeisterschaftsturniere. Hinzukommen neue Wettbewerbe wie Jugend- und Frauenweltmeisterschaften, aber auch Futsal- (die von der FIFA anerkannte Variante des Hallenfußballs, deren Bezeichnung sich vom portugiesischen Ausdurck "futebol de salão" ableitet) und Klubweltmeisterschaften.
Der Weltfußballverband erzielt seine Einnahmen in erster Linie durch die Veranstaltung und Vermarktung dieser Wettbewerbe. Insgesamt zeichnet die FIFA für 24 verschiedene Turniere verantwortlich. Das FIFA-Budget in Höhe von knapp 2 Milliarden US-Dollar 2014 – also im Jahr der letzten Männer-WM – setzte sich aus das den Erträgen aus Fernsehrechten in Höhe von 743 Mio. US-Dollar; Marketingrechten der Sponsoren in Höhe von 465 Mio. US-Dollar; den Hospitality-Rechten (die Bewirtung von VIP-Gästen betreffend) mit 111 Mio. Dollar; den Lizenzrechten von 54 Mio. Dollar; den Ticketverkäufen in Höhe von 537 Mio. Euro und sonstigen betrieblichen Erträgen mit 78 Mio. Dollar zusammen.Externer Link: Vgl. den Finanzbericht 2014 der FIFA als PDF-Dokument unter Externer Link: fifa.com. Neben den Fernsehsendern und Sponsoren tragen in einem WM-Jahr also auch Zuschauer und Fans in erheblichem Maße zu den Einnahmen der FIFA bei.
Wer weist die FIFA in die Schranken?
Angesichts der wirtschaftlichen, medialen und politischen Bedeutung der FIFA und vor allem des von ihr ausgetragenen Weltmeisterschaftsturniers einerseits und den aktuellen Skandalen anderseits stellt sich die Frage, welche Institutionen und Akteure den Weltfußballverband kritisieren und kontrollieren können bzw. sollten. Fünf Kontrollinstanzen kommen hier in Frage: Die FIFA selbst, die Medien, die Sponsoren, die Politik und schließlich das Publikum.
An erster Stelle sind Selbstbeobachtung und Selbstkontrollinstanzen der FIFA zu nennen. Doch Reformen aus dem Inneren des Verbandes stehen bereits die Vereinsstrukturen im Sitzland Schweiz mit fehlender Wahlkonkurrenz und Opposition im Weg. Die FIFA hat im Kern mit Kongress und Exekutivkomitee zwei Hauptorgane. Der Präsident steht letzterem vor und vertritt die FIFA nach außen. Bis zur Reform 2015 trafen der Präsident und Teile des Exekutivkomitees alle wesentlichen Entscheidungen der FIFA. Einige Funktionäre konnten somit ohne Kontrollen oder Gegenspieler erheblichen Einfluss zum eigenen Vorteil ausüben. Selbst die Ethikkommission wird vom Exekutivkomitee bestellt, was eine Kontrolle und Überprüfung der Verbandsspitze zur Farce werden lässt.
Die Medien bilden den zweiten potenziellen Akteur für eine verstärkte Kontrolle der FIFA. Der moderne Sport ist nicht ohne seine Wechselbeziehung zu den Medien denkbar. Aus der engen Verbindung ist inzwischen eine wechselseitige Einflussnahme und Abhängigkeit oder geradezu symbiotische Beziehung entstanden. Da aufgrund des Aufmerksamkeitswettbewerbs die Medien den Unterhaltungswert immer stärker in den Vordergrund rücken, muss man inzwischen von "Sportainment" sprechen, das in erster Line Boulevardisierung und Personalisierung bedient und keine kritische Auseinandersetzung mit dem Sport führt.
Da wesentliche Einnahmen der FIFA von den Sponsoren stammen, wären diese eine dritte potenzielle Kontrollinstanz. Bislang haben sich die Sponsoren relativ desinteressiert am verbandsinternen Geschehen gezeigt. Die Erklärung der beiden Unternehmen Sony und Emirates nach 2014 ihre Werbeverträge nicht zu verlängern, erzeugte einen öffentlichen Druck, den der Weltfußballverband bis dato nicht kannte.
Die Politik als vierte Akteursgruppe hat die FIFA bislang eher hofiert als kontrolliert. Während auf der nationalen Ebene auf den organisierten Sport durch Fördergelder und Steuererleichterungen zumindest eine mittelbare Kontrolle ausgeübt werden kann, haben so gut wie keine (auch internationale) Institutionen die Möglichkeit auf die FIFA einzuwirken – wie es im Fall des IOC durch die nationalen und internationalen Anti-Dopingorganisationen der Fall ist. Dies scheint die Mehrzahl der Politikerinnen und Politiker nicht zu stören, gefallen sich doch viele Staats- und Regierungschefs im Glanz der öffentlichen Aufmerksamkeit bei den Fußballweltmeisterschaften in der Rolle der Fans und Patriotinnen und Patrioten. Einzig die Europäische Union und die US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden haben es bislang vermocht, den wirtschaftlichen Geltungsbereich die FIFA zumindest punktuell in die Schranken zu weisen. Die US-Behörden wenden seit einigen Jahren Strafverfolgungsmaßnahmen an wie sie gegenüber dem organisierten Verbrechen zum Einsatz kommen – das Einfrieren der Konten, Kronzeugenregelungen und internationale Haftbefehle inklusive. Die EU prüft die Transferregelungen und Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Fußball. In diesem Zusammenhang entwickelt die EU Kontrollmechanismen und drängt auf die Einführung von Good Governance-Regelungen.
Die FIFA–Reform: erste Schritte
Die Notwendigkeit einer solchen Weiterentwicklung zeigte sich im Sommer 2015. Zum ersten Mal in der jüngeren Sportgeschichte interveniert mit den USA ein Staat grundlegend bei einer internationalen Sportorganisation und zum ersten Mal wird diese – ohne auf eine unzulässige Einmischung in interne Verbandsangelegenheiten verweisen zu können – in ihren Grundfesten derart massiv erschüttert, dass neben Präsident und Generalsekretär auch das Gros des Exekutivkommitees unter Anklage gestellt wird bzw. sein Amt nicht mehr inne hat. Es bedürfte nun institutioneller Arrangements, um die FIFA zu reformieren und die Verbandsstrukturen demokratischer auszugestalten. Mit der Einbeziehung des FIFA-Kongresses in die Entscheidung über die WM-Vergabe werden die Weichen gestellt, die innerverbandliche Willensbildung auf ein breiteres und demokratischeres Fundament zu stellen. Dem müssen jedoch weitere Schritte im Sinne der Etablierung von institutionellen "checks and balances" folgen. Hierzu können die Wahl des Exekutivkomitees, eine höhere Sitzungsfrequenz des Kongresses, größere Kompetenzen der Kommissionen und nicht zuletzt eine Stimmgewichtung im Kongress zählen. Schließlich sollten die Amtszeitbegrenzungen von Funktionsträgern weiter diskutiert werden. Nur durch eine regelmäßige Fluktuation innerhalb der FIFA können autokratischen Strukturen im Verband überwunden werden. Damit Fußball weiterhin Motor und Objekt der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung bleibt, sollten solche Reformen in naher Zukunft stattfinden.