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Das Medienereignis Fußball-WM | Russland | bpb.de

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Das Medienereignis Fußball-WM Quoten, Themen, Skandale und Rekorde –

Prof. Dr. Thomas Horky Thomas Horky

/ 9 Minuten zu lesen

Die Kommunikationswissenschaft analysiert Medienereignisse unter dem Gesichtspunkt ihrer Inszenierung. Noch immer steht das Fernsehen dabei im Mittelpunkt, aber Livestreams und Social Media spielen auch bei der WM eine immer größere Rolle.

Medienereignis Fußball - Weltmeisterschaften als weltweite Quotenbringer (© picture alliance/robertharding)

Die Fußball-Weltmeisterschaft ist eines der größten Medienereignisse der Welt. Die Berichterstattung über das Finalturnier der 32 besten Männermannschaften aller Kontinente erreicht in nahezu allen Ländern der Erde höchste Einschaltquoten in Fernsehen und Radio, die Auflagen der Printmedien und Zugriffszahlen online steigen in den Wochen der Austragung deutlich und die Interaktion auf den sozialen Netzwerken erreicht Rekordmarken. Im Rahmen des Medienereignisses Fußball-WM stehen alle vier Jahre auch Themen im Fokus der Aufmerksamkeit, die nur indirekt mit dem sportlichen Wettbewerb verknüpft sind. Die Analyse der Fußball-WM als weltweites Medienereignis ist damit nicht nur sportlich oder medial von immenser Bedeutung, sondern ist vor allem auch aus politischer oder gesellschaftlicher Perspektive äußerst relevant.

Medienereignisse zeichnen sich durch verschiedene Faktoren wie eine festive Rahmung oder Abweichung vom normalen Medienverhalten aus. Gemessen an nüchternen Zahlen weist die Fußball-WM ein hohes Potenzial für Rekorde im Bereich der Medien auf: Die Anzahl der Journalistinnen und Journalisten, die bei einer WM arbeiten, gleicht mittlerweile einer „großen Kleinstadt“. Berichteten 1974 noch etwa 4.500 Medienvertreter vom deutschen Titelgewinn im eigenen Land, waren es 1990 beim Sieg in Italien schon über 7.000, beim deutschen Titel 2014 in Brasilien waren etwa 18.000 Sportjournalisten akkreditiert.

Die Fußball-WM im Fernsehen: eine internationale Rekordjagd

Kein Medienereignis hat die deutsche Fernsehbevölkerung so beeinflusst wie die Fußball-WM. Das Finale der Weltmeisterschaft 2014 zwischen Deutschland und Argentinien (1:0 nach Verlängerung) ist die Sendung mit der bisher höchsten, jemals gemessenen Anzahl an Sehern im deutschen Fernsehen. Am 13. Juli verfolgten im Schnitt 34,65 Millionen Menschen die Partie in der ARD, die Sendung erreichte einen Marktanteil von 86,3 Prozent. Dazu haben etwa 10 Millionen Deutsche die Partie außer Haus live gesehen, auf großen Videoleinwänden im Rahmen von FIFA-Fanfesten beim so genannten Public Viewing, in Biergärten oder in Sportbars. Auf dem zweiten Platz der deutschen Einschaltquoten-Hitliste rangiert das fast schon legendäre 7:1 gegen Gastgeber Brasilien, das am 8. Juli im ZDF übertragen wurde: Das Spiel erreichte mit 32,57 Millionen Sehern an einem Dienstag sogar einen leicht höheren Marktanteil von 87,8 Prozent. In den Top Ten der deutschen TV-Einschaltquoten sind nur Spiele des deutschen Teams bei Welt- oder Europameisterschaften zu entdecken (vgl. Tabelle 1).

Rang

 

Spiel

 Sender

Datum

 

Zuschauer (mio.)

Quote
(
in%)

1

WM

GER – ARG

ARD

13.07.2014

Finale

34,65

86,3

2

WM

GER – BRA

ZDF

08.07.2014

Halbfinale

32,57

87,8

3

WM

GER – SPA

ARD

07.07.2010

Halbfinale

31,1

83,2

4

EM

GER – FRA

ZDF

07.07.2016

Halbfinale

29,85

80,3

5

WM

GER – ITA

ZDF

04.07.2006

Halbfinale

29,66

84,1

6

EM

GER – TUR

ZDF

25.06.2008

Halbfinale

29,46

81,5

7

WM

GER – GHA

ARD

23.06.2010

Gruppenspiel

29,3

79,6

8

WM

GER – ARG

ARD

08.07.1990

Finale

28,66

87,9

9

EM

GER – ITA

ARD

02.07.2016

Viertelfinale

28,47

79,7

10

EM

GER – TCH

ZDF

30.06.1996

Finale

28,45

76,3

Die letzte Fußball-WM war nicht nur in Deutschland ein äußerst erfolgreiches Programmangebot. Insgesamt wurden vom Fußball-Weltverband FIFA weltweit 98.087 Stunden ungeschnittenes audiovisuelles Material der Spiele aus Brasilien übertragen, allein das Finale erreichte bei der Zuhause-Nutzung weltweit eine Reichweite von 3,2 Milliarden Menschen. Im Schnitt haben dazu etwa 280 Millionen Menschen weltweit die Spiele online oder auf einem mobilen Endgerät verfolgt – ein Hinweis, dass moderne Übertragungstechnologie bei diesem Medienereignis immer stärkere Beachtung findet.

Fußball-Medienereignisse sind somit eine Art Gegenbeweis für den nahen Tod des Mediums Fernsehens, je nach Turnierverlauf ist auch in Russland erneut mit Einschaltquoten-Rekorden zu rechnen. Bei der deutschen Mediensportart Nummer eins, Fußball, ist insgesamt seit Jahren ein Anstieg des Umfangs der Übertragungszeiten zu beobachten. Dies ist auch der Ausdifferenzierung von Liga-Spieltagen, der Ausweitung von Champions League-Übertragungen und einer damit einhergehenden Gewöhnung der Zuschauer an internationale Stars, die für europäische Vereine spielen, geschuldet. Ein Fakt, der das Medienereignis Fußball weiter wachsen lässt.

Ein auch in anderen Ländern (z.B. in den USA) dazu weiter steigender Faktor ist die gemeinschaftliche Nutzung beim Public Viewing, die das Medienereignis Fußball-WM zu einem wahrlich gesellschaftlichen Ereignis werden lässt. Für die Live-Übertragungen aus Russland nach 22:00 Uhr wurde wegen der herausragenden Bedeutung für die deutsche Bevölkerung von Bundestag und Bundesrat immerhin eine Ausnahmeregelung hinsichtlich des Lärmschutzes beschlossen. Und auch im internationalen Vergleich gibt es eindrucksvolle Beispiele für die Bedeutung von Fernsehfußball: So verfolgten fast 100 Prozent der TV-Zuschauer in Island die Begegnung der eigenen Nationalmannschaft beim Viertelfinale der Europameisterschaft 2016 vor dem Bildschirm (der Sender RUV erzielte 0,16 Mio. Seher/99, 8% Marktanteil).

Ohne Zweifel ist das Medienereignis Fußball-WM von monetären Interessen geprägt. Die Vergabe der Lizenzrechte für Medienberichterstattung ist eine der Haupteinnahmequellen der FIFA. Die Rechte für Fernsehen, Radio, Internet und Mobile werden von der FIFA direkt oder über Agenturen an Medienorganisationen weltweit vergeben. Der Lizenzrechte-Verkauf erwirtschaftet zurzeit etwa 60 Prozent der Gesamteinnahmen der FIFA. Dabei versucht die FIFA wie auch die UEFA immer stärker die Kontrolle über die Bilder von EM und WM zu erreichen, eine Art visuelle Herrschaft über das Medienereignis Fußball. In 2014 wurden die Bilder des Turniers zum vierten Mal in Folge durch das Tochterunternehmen des Sport-Vermarkters Infront Sports & Media, Host Broadcasting Services (HBS), erstellt, und auch für 2018 und 2022 wird HBS als gastgebende Institution die WM rundfunktechnisch organisieren. Lizenzrechte-Nehmer verpflichten sich dabei immer stärker, die aufwendige Produktion der FIFA dann direkt ins eigene Programm zu übernehmen.

Das Medienereignis Fußball-WM hat nebenbei bereits seit Jahrzehnten großen Einfluss auf die Entwicklung von Fernsehtechnik weltweit. Speziell aus deutscher Perspektive ist die WM 1954 als der Startpunkt für den bundesweiten Erfolg von Sport im Fernsehen zu bezeichnen. Millionen Menschen verfolgten damals das Finale gegen Ungarn vor Bildschirmen erstmals als Liveübertragung zuhause oder in Gaststätten, der Absatz von TV-Geräten stieg mit dem Erfolg des deutschen Teams. Die WM 1962 wurde in Deutschland noch zeitgleich in der Nacht nur im Radio übertragen, 1970 gab es erstmals Fernsehübertragungen per Satellit aus Mexiko, live und in Farbe. Schon damals wurden für die fernsehfreundliche Sendezeit in Europa einige Partien der WM zur Mittagszeit in Mittelamerika angepfiffen. Bereits bei der WM 1966 in England war die Zeitlupentechnik eingeführt worden und revolutionierte die Übertragungen. Für die Weltmeisterschaften 1974 und 1978 erarbeitete der Hamburger NDR-Redakteur Horst Seifart eine "Dramaturgie von Sportsendungen", und diese Form der Inszenierung eines Fußball-Fernsehereignisses hat noch heute weitgehend Gültigkeit. Die WM 1998 stand im Zeichen der beginnenden Digitalisierung der Medien, 2006 wurde mit der WM das Fernsehen in High Definition (HD-TV) eingeführt, 2010 gab es erstmals einige der Spiele versuchsweise live im 3D-Format zu sehen u.a. in ausgewählten Kinos in Deutschland. So kann man die technische Entwicklung des Medienereignisses Fußball-WM zumindest ansatzweise auch als eine Fernsehtechnik-Geschichte beschreiben.

Die Fußball-WM in Print, Radio und Online: "don’t mention the war" und andere Skandale

1978 waren es noch vor allem die Printmedien, die in Deutschland (wichtige) Fragen nach der politischen Bedeutung und Beeinflussung des Turniers im damals diktatorisch geprägten Argentinien stellten. Auch 2010 in Südafrika oder 2014 in Brasilien bewiesen vor allem die auf Papier gedruckten Medien vielfach ihre Relevanz als kritische Instanz des Medienereignisses WM. Nicht nur britische Boulevardblätter neigen seit Jahren zur Skandalisierung; die "Kriegsberichterstattung" ("don’t mention the war") im Rahmen der WM 2006 in Deutschland war dafür ein Beispiel. Auch heute sind es vor allem Zeitungen oder Magazine, aber auch zunehmend Onlinemedien, die sich hintergründig den Skandalen oder der Brisanz des Turniers in Russland widmen. Das politische Medienereignis Fußball-WM findet tatsächlich weitgehend im Print statt. Vernachlässigt wird seit Jahren das Medium Radio, das dennoch einen hohen Stellenwert in der emotionalen Produktion respektive Überlieferung des Medienereignisses WM spielt.

Fußball-WM und Social Media – ziemlich beste Freunde

Es war kurz vor der WM 2010 in Südafrika, als der damalige FIFA-Präsident Joseph Blatter einen Account auf dem sozialen Netzwerk Twitter eröffnete. Tatsächlich hat kaum ein anderes Medium die Fußball-WM in den vergangenen Jahren so intensiv beeinflusst und wohl auch verändert wie Social Media. Facebook, Twitter, Instagram oder Snapchat bilden einen durchgehenden Informations-Strom, eine weltweite Diskussionsplattform und damit so etwas wie die aktuelle Themen-Fundierung des Medienereignisses Fußball-WM. Darüber hinaus ist die Fußball-WM eine der größten Werbeflächen auf Social Media: Zum Titelgewinn vor vier Jahren startete bspw. die Lufthansa („#Fanhansa“) eine breit angelegte Kampagne, die diesen Resonanzraum nutzte.

Das Turnier 2014 war die bisher größte messbare Konversation auf Facebook, an der etwa 350 Millionen Menschen aktiv teilnahmen und mit Posts, Kommentaren oder einfachen Likes über drei Milliarden Interaktionen generierten. Rund 57 Prozent der Brasilianer auf Facebook beteiligten sich an der Diskussion um die WM, die Fan-Seite des brasilianischen Superstars Neymar erzielte während der WM 15 Millionen mehr an Likes, der Argentinier Lionel Messi wurde trotz (oder wegen) der Final-Niederlage über 4 Millionen auf Facebook erwähnt. Und es ist kein Wunder, dass der Abpfiff des Finales das bis dato meistdiskutierte Ereignis auf Social Media darstellte.

Auch auf Twitter erreichte die WM 2014 Rekorde, weltweit zählte der Microblogging-Dienst 672 Millionen Tweets zur WM, allein 35,6 Millionen Mal wurde das Spiel zwischen Brasilien und Deutschland erwähnt. Mit 618.725 Tweets pro Minute stellte auch hier das Finale Deutschland gegen Argentinien einen Höhepunkt dar. Nach dem Start im April 2010 folgen nun vor der WM 2018 5,7 Millionen Nutzer dem offiziellen Account der Fußball-WM (@FIFAWorldCup, Stand: Mai 2018).

Die WM 2010 kann zudem als ein erstes, großes Experimentierfeld für die Visualisierung von Daten in den Medien angesehen werden. Der englische Guardian und die US-amerikanische New York Times waren Vorreiter im grafischen Aufbereiten von Sportstatistiken wie den Laufwegen von Spielern, sogenannten Heatmaps oder auch zur Nutzung von Twitter-Hashtags während der WM-Spiele. Kaum ein Medienereignis ist heute visuell so eindringlich mediatisiert wie die Fußball-WM.

Die Weltmeisterschaft: Themen und Thematisierungen des Sportjournalismus

Sobald der Ball rollt stehen im Sportjournalismus die Spiele, Spieler und Ergebnisse im Mittelpunkt der Berichterstattung. Aber das Medienereignis Fußball-WM wirft immer auch einen Scheinwerfer auf andere Themen: auf politische Probleme im Ausrichterland wie bspw. bei den letzten Turnieren in Südafrika 2010 und Brasilien 2014 und sicher auch in Russland 2018 etwa mit dem Ukraine-Konflikt; auf soziale Thematisierungen wie Hooliganismus bei der WM 1998 in Frankreich, bei der ein Polizist lebensgefährlich verletzt wurde, oder die Integration von gesellschaftlichen Gruppen wie der Schwulen- und Lesbenszene in Russland. Oder eben auch auf andere sportliche Themen wie Korruption, Doping oder zuletzt den von der FIFA anerkannten, aber umstrittenen Videobeweis. Eine Langzeitstudie konnte in den vergangenen 20 Jahren bei der WM-Berichterstattung im Fernsehen zwar einen Anstieg der Sendezeit von deutschen Spielen von dreieinhalb auf zuletzt über neun Stunden nachweisen, die ausufernde Vor- und Nachberichterstattung wird allerdings zu einem Großteil mit Expertengesprächen, Interviews, Moderationen oder Programmtrailern gefüllt – Sportjournalismus ist dagegen kaum noch zu entdecken (vgl. Tabelle 2).

Langzeitstudie, Fußball-Großsportabende im deutschen Fernsehen

International wird das Fernseh-Medienereignis zwar durchaus unterschiedlich präsentiert, dennoch ist vor allem durch die immer einheitlichere, visuelle Produktion der FIFA eine Angleichung in den verschiedenen Ländern zu beobachten. Ein weiterer Faktor dafür ist die internationale Vermarktung der Fußball-WM von verschiedenen Unternehmen und die direkte Beobachtung des Publikums über Social Media, die zu Thematisierungen führt, die kaum an Ländergrenzen gebunden ist.

Medienereignis Fußball-WM – ein aufmunterndes Fazit

Wer sich intensiv mit der Fußball-Weltmeisterschaft als Medienereignis beschäftigt, mag mit Blick auf Mediatisierung und Sportjournalismus voreilig negative Schlüsse ziehen. Dementgegen stehen jedoch in der jüngeren Vergangenheit einige durchaus positive Tendenzen: Die Thematisierung von problematischen Folgen sportlicher Großereignisse, wie nach den Turnieren leerstehende Stadien, die wenn auch wenigen, kritischen Berichte zur Korruption in Brasilien (wenn auch nur selten im TV) sowie die Publikation der Beschäftigung von Fremdarbeitern auf den WM-Baustellen in Katar 2022 lassen auf eine sich verändernde Auseinandersetzung der Medien mit dem Ereignis Fußball-WM schließen. In diesem Verständnis könnte auch die Kontroverse um die Vergabe eines Visums an den (kritischen) deutschen Fernsehjournalisten Hajo Seppelt nun das Thema Pressefreiheit/Zensur verstärkt auf die mediale Tagesordnung setzen. Das wäre schließlich ein Schritt nach vorne für mehr Sportjournalismus in der Zukunft des Medienereignisses Fußball-Weltmeisterschaft.

studierte Diplom-Sportwissenschaft, Journalistik und Linguistik. Danach Volontariat bei der dpa und Tätigkeit als Freier Journalist. Er hat seit 2009 eine Professur für Journalistik an der Hochschule Macromedia in seiner Heimatstadt Hamburg