Fußballfans in Russland stellen eine äußerst heterogene Gruppe dar. Häufig unterscheidet man die unorganisierte Anhängerschaft von der organisierten Ultras- und Hooliganszene. Hooligans gelten zwar als der aggressivste Teil der Fanszene, die Grenzen zwischen ihnen und den Ultras sind in Russland jedoch fließend. Sie werden beide der so genannten "Okolofutbol-Szene" zugeordnet, eine Selbstbeschreibung von Fans, die der Wille zur aggressiven Unterstützung ihres Klubs und eine Art Gewaltkult verbindet.
Rassismus und Rechtsextremismus im Stadion
Kurz vor Beginn der Fußball-WM in Russland steht nun die Fan- und Hooliganszene in Russland erneut im Fokus der Öffentlichkeit. Neben der Hooligan-Gewalt wird häufig auf einen weit verbreiteten Rassismus in der Fankurve verwiesen. Dieses Urteil trifft viele Fans zu Unrecht. Doch was stimmt, ist, dass Rassismus in russischen Fußballstadien keine Ausnahme ist. Im WM-Testspiel Russland gegen Frankreich wurden die französischen Spieler Ousmane Dembele und Paul Pogba in St. Petersburg von Heimfans mit Affenlauten beleidigt. Wenige Wochen später kam es im Halbfinalspiel im russischen Pokal zwischen Spartak Moskau und dem FK Tosno erneut zu rassistischen Beleidigungen seitens einiger Spartak-Fans gegen den kapverdischen Spieler Nuno Rocha. Diese beiden Fälle reihen sich in eine lange Liste rassistischer Vorfälle in russischen Fußballstadien ein.
Die umfangreichste Dokumentation hat das anti-rassistische Fare-Netzwerk gemeinsam mit der russischen zivilgesellschaftlichen Organisation SOVA geleistet.
Fälle von Diskriminierung und rechtsextremer Propaganda im russischen Fußball
June 2015 – May 2016 | June 2016 – May 2017 | ||
Type of action | Count | Type of action | Count |
Banners, other visual displays in the stands, graffiti | 86 | Banner, other visual displays in the stands, graffiti | 84 |
Discriminatory Chanting | 10 | Discriminatory Chanting | 2 |
Attacks | 5 | Incidents on the pitch | 1 |
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| Attacks | 2 |
Total | 101 | Total | 89 |
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Type of discrimination | Count | Type of discrimination | Count |
Far right and neo-Nazi symbols and slogans | 79 | Far right and neo-Nazi symbols and slogans | 79 |
Against people from the North Caucasus | 9 | Against people from the North Caucasus | 3 |
Against people from Central Asia | 1 | Anti-black racism | 1 |
Against Albanians | 1 | Against Asians | 1 |
Against Turks (Turkey) | 1 | Anti-Semitism | 4 |
Anti-black racism | 5 | Homophobia | 1 |
Anti-Semitism | 1 |
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Islamophobia | 1 |
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Russophobia | 1 |
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Sexism | 2 |
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Total | 101 | Total | 89 |
Quelle: SOVA/Fare (2017) A Changing Picture: Incidents of Discrimination in Russian Football 2015-2017.
Ein spezifisches Feindbild in der rechten Fußballfanszene in Russland stellen Fangruppen und Teams aus dem muslimisch geprägten Nordkaukasus dar wie zum Beispiel Achmat Grosny oder Anschi Machatschkala. Die dem Fußball inhärente Rivalität wird in diesem Zusammenhang als Feindschaft interpretiert und mit rassistischen Motiven vermischt. Während einiger Ligaspiele wurden die Flaggen der russischen Republiken Tschetschenien und Dagestan angezündet und Kaukasus-feindliche Parolen skandiert.
Einen weiteren Anknüpfungspunkt für Rassismus im Stadion bildet der Protest gegen die Kommerzialisierung des Fußballs unter dem Stichwort "Against Modern Football". Die globale Bewegung hat sich auch in Russland etabliert. Allerdings wird in der russischen Fanszene die Kritik an der Kommerzialisierung und Entfremdung des Profifußballs von der Fan-Basis zum Teil mit fremdenfeindlichen und rassistischen Deutungsmustern verbunden. Dies betrifft insbesondere die Einbürgerung und Verpflichtung schwarzer Spieler in der Nationalmannschaft, in deren Zusammenhang eine Kommerzialisierungskritik mit einem Überfremdungsdiskurs verbunden wird. Die Argumentation lautet, es gäbe eigentlich schon genug gute ‚russische‘ Fußballer, so dass die Einbürgerung nicht notwendig sei. Diese Position wird teilweise mit dem Bild einer drohenden Überfremdung des russischen Nationalteams durch schwarze Spieler verbunden und erhält dadurch einen rassistischen Charakter.
Rechte Mobilisierung und Hasskriminalität
Neben der Präsenz rassistischer Botschaften innerhalb des Stadions erscheint das Mobilisierungspotential gewalttätiger Hooligans und der damit verbundenen Hasskriminalität bedrohlich. Die bemerkenswerteste Aktion erfolgte 2010, als sich über 3.000 Fußball Hooligans gemeinsam mit rechtsextremen Aktivisten auf dem Moskauer Manege-Platz in Sichtweite des Kremls versammelten. Ein tödlicher Angriff auf einen Fan von Spartak Moskau durch einen jungen Mann aus dem Nordkaukasus hatte starke Unruhen ausgelöst. Es kam zu schweren Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften, zahlreiche Teilnehmer streckten ihre Hand zum Hitler-Gruß und die Masse skandierte "Russland den Russen, Moskau den Moskauern". Auch die Parolen "f**k the Caucasus” and "stop feeding the Caucasus” wurden laut (Arnold/Veth 2018).
Rechtsextreme Einflussnahme in den Sozialen Medien
Die Präsenz von Rassismus in den Fußballstadien Russlands und die genannten Mobilisierungserfolge von Hooligans für migrationsfeindliche Aktionen verweisen auf eine Verbindung rechtsextremer Gruppen mit der Fußballfanszene. Die Autoren Manuel Veth und Richard Arnold haben dies damit begründet, dass die russische Fankultur zu Beginn der 1990er Jahren schwach ausgebildet war und so leicht von organisierten rechtsextremen Akteuren unterwandert werden konnte.
Die Einflussnahme neonazistischer Akteure richtet sich unter anderem auf eine Transformation des Selbstbildes und der Praktiken rechter Hooligans. Die der Hooligankultur inhärente Gewaltkultur wird in ein Weltbild eingebettet, in dem "ein weißes Europa" angesichts einer "fortschreitenden Überfremdung" um sein Überleben kämpft. Auf diese Entwicklung verweist auch die ansteigende Popularität der Marke PPDM (Po programme Dedushki Moroza, Father Frost Program) in der Hooliganszene.
Bedrohungspotential der Szene
Auch wenn die Einflussnahme rechtsextremer Akteure auf die Sozialen Netzwerke der Fan- und Hooliganszene nur in Ausnahmefällen zur Mobilisierung für politische Aktionen führt, so erfüllt die Online-Kommunikation dennoch eine wichtige Funktion. Sie gibt den sonst eher isolierten Gruppierungen der russischen NS-Szene eine Plattform, auf der sie sich verbinden können und schaffen neue Räume und potentielle Anhänger ihrer menschenfeindlichen Ideologie, wodurch zum Überleben der Neonazi-Szene in Russland beigetragen wird. Darüber hinaus hat eine Studie in Bezug auf Deutschland erst kürzlich gezeigt, dass die Online-Publikation rechtsextremer Inhalte nicht nur der Verbreitung menschenfeindlicher Ideen dient, sondern auch zu Hasskriminalität im "realen" Leben motiviert.
Das Verhältnis des russischen Staates gegenüber der rechtsextremen Fan- und Hooliganszene ist bislang wenig beleuchtet. Einerseits ist sich die russische Staatsführung bewusst über den Image-Schaden, den Störungen jeglicher Art während der Fußball-WM verursachen würde und hat in der Vergangenheit die rechtliche Regulierung gegenüber Fans deutlich verschärft. Andererseits sind in der Vergangenheit mehrere Fälle über Verbindungen staatlicher Akteure sowie Fußballfunktionäre mit der rechten Hooliganszene öffentlich geworden. Das bekannteste Beispiel ist der Vorsitzende des Allrussischen Fanverbands Alexander Schprygin, der einst aktives Mitglied der russischen Neonazi- und Hooliganszene war. Die russische Staatsführung distanzierte sich erst von ihm nachdem er höchstpersönlich in den Hooligan-Skandal in Frankreich involviert war und aus Frankreich ausgewiesen wurde. Um das Problem des Rassismus und Rechtsextremismus im russischen Fußball effektiver zu bekämpfen, wäre ein wesentlich konsequenteres Eingreifen des russischen Staates aber auch der Fußballvereine selbst notwendig, sowie eine Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen wie "#CSKAFansAgainstRacism".