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Russisch-chinesische Beziehungen

Sören Urbansky

/ 7 Minuten zu lesen

Seit dem Ende des Kalten Krieges haben Russland und China ihre Beziehungen sukzessive verbessert. Aus Rivalen sind strategische Partner geworden. Sowohl Peking als auch Moskau streben eine weitere Stärkung ihrer wirtschaftlichen, militärischen und diplomatischen Zusammenarbeit an, die indes nicht frei von Gegensätzen ist.

Der russische Präsident Wladimir Putin, links, gibt dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping am Samstag, den 25. Juni 2016, am Ende einer gemeinsamen Pressekonferenz in Pekings "Großer Halle des Volkes" die Hand. (© AP)

Die Beziehungen vor 1991

In ihrer vierhundert Jahre währenden Geschichte haben die chinesisch-russischen Beziehungen Licht und Schatten gesehen. Im Zuge der Expansion des Zarenreichs nach Osten stieß Russland im 17. Jahrhundert in Nordostasien auf die Einflusssphäre Chinas. Im Vertrag von Nerčinsk (1689) legten beide Imperien erstmalig ihren gemeinsamen Grenzverlauf fest. Dem Abkommen waren Konfrontationen zwischen Kosaken des Zarenreichs und Truppen des Qing-Imperiums vorausgegangen. Russland setzte sich Mitte des 19. Jahrhunderts über den Vertrag hinweg, als es mit einer militärischen Expedition in das linksufrige Amur-Gebiet vorstieß. St. Petersburg ergriff damals Besitz von großen Landstücken nördlich des Amur und östlich des Ussuri-Flusses.

Das Zarenreich verfolgte auch in den nächsten Jahrzehnten eine expansive Politik gegenüber dem bevölkerungsreichen Nachbarn. Die Inbetriebnahme eines Teilstücks der Transsibirischen Eisenbahn quer durch die chinesische Mandschurei 1903 war eine weitere Schmach für Peking. Nur ein Jahre später war die Region Hauptschlachtfeld des Russisch-Japanischen Kriegs.

Nach der Russischen Revolution von 1917 gab sich die bolschewistische Führung in Moskau zwar ein anti-imperiales Antlitz, das aber nur von geringer Dauer war. Die Sowjetunion trat rasch in die Fußstapfen des Zarenreichs und machte erneut Einfluss geltend. Stalins diplomatischer Triumph auf der Konferenz von Jalta 1945 schließlich umfasste die Wiederherstellung der Situation des Jahres 1904 in der Mandschurei.

Nur wenige Monate nach Gründung der Volksrepublik China unterzeichneten Mao Zedong und Josef Stalin Anfang 1950 einen Freundschaftsvertrag. Die Sowjetunion verzichtete auf ihre Sonderrechte in Nordostchina, ihre technologische und wirtschaftliche Hilfe war für den Aufbau des jungen kommunistischen Bruderlands jedoch prägend. Die im Vertrag vereinbarte sowjetische Wirtschaftshilfe für die Volksrepublik nahm im Verlauf des Koreakriegs (1950-1953) konkrete Gestalt an. In der Folge stieg China zum wichtigsten Handelspartner der Sowjetunion auf.

Auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) 1956 in Moskau offenbarten sich jedoch bereits erste Risse in dem Bündnis der beiden kommunistischen Staaten. Ausschlaggebend für die zunehmende Entfremdung waren die ideologisch gegensätzliche Politik des neuen sowjetischen Machthabers Nikita Chruschtschow und Maos sowie ihre divergierenden Positionen in geopolitischen Fragen. China verabschiedete sich zudem vom wirtschaftspolitischen Entwicklungsmodell der Sowjetunion – mit verheerenden Folgen für die eigene Bevölkerung.

Höhepunkt der sino-sowjetischen Konfrontation waren die Scharmützel am Grenzfluss Ussuri von 1969. Pekings Abkehr von Moskau ging einher mit der Hinwendung nach Washington. 1972 weilte der US-amerikanische Präsident Richard Nixon auf Staatsbesuch in Peking. Bereits im Jahr zuvor war der Volksrepublik China der ständige Sitz im UN-Sicherheitsrat zugesprochen worden.

Trotz Entspannungssignalen Moskaus gelang eine zaghafte Annäherung zwischen beiden Staaten jedoch erst Mitte der achtziger Jahre. Das Ableben von Mao Zedong und von Chruschtschows Nachfolger Leonid Breschnew (1964-1982 Vorsitzender der KPdSU) hatte ideologische Gegensätze abgemildert. Michail Gorbatschow, ab 1985 Vorsitzender der KPdSU, zeigte zudem Entgegenkommen bei außen- und sicherheitspolitischen Fragen, die nach Meinung Pekings die Entkrampfung der bilateralen Beziehungen bislang verhindert hatten. Ein Staatsbesuch Gorbatschows in Peking im Mai 1989 läutete die Normalisierung der bilateralen Beziehungen ein. Nachdem knapp einen Monat später in Peking die Panzer rollten war China außenpolitisch isoliert. Das aus der untergegangenen Sowjetunion hervorgegangene Russland war nun ein willkommener Partner und williger Lieferant von Rüstungstechnologie.

Diplomatische Beziehungen

Seit dem Ende des Kalten Krieges haben Peking und Moskau ihre diplomatischen Beziehungen sukzessive aufgewertet. Aus einer "konstruktiven Partnerschaft" (1994) wurde eine "strategische Partnerschaft" (1996), die im Rahmen des 2001 unterzeichneten Vertrags über gute Nachbarschaft, Freundschaft und Zusammenarbeit zu einer "umfassenden, sich vertiefenden strategischen Partnerschaft" ausgebaut wurde.

Wichtige Hindernisse waren da bereits aus dem Weg geräumt: So hat Peking in den neunziger Jahren Verhandlungen über den Grenzverlauf gemeinsam mit Moskau und den anderen aus der Sowjetunion hervorgegangenen Nachbarstaaten weitergeführt und mit dem Kreml alle strittigen Territorialfragen geklärt. Aus diesem Format der "Shanghai Fünf" ging die 2001 gegründete Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit hervor. Hauptaufgabe dieser internationalen Organisation ist die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Stabilität in der Region.

Heute gibt es zwischen Peking und Moskau weitreichende Überschneidungen, was die eigene Rolle und die des jeweils anderen bei der Lösung weltpolitischer Fragen anbelangt. Auch über den Gestaltungsrahmen in den jeweiligen Haupteinflusssphären – Eurasien und Asien-Pazifik – ist man sich weitgehend einig.

Die Zusammenarbeit in sensiblen diplomatischen Fragen kennt jedoch Grenzen. Ein Beispiel hierfür ist Russlands Annexion der Krim und die russische Invasion der Ost-Ukraine, die Chinas Bekenntnis zur Unverletzlichkeit der Souveränität und territorialen Integrität von Staaten zuwiderläuft. Peking hielt sich dennoch mit Kritik zurück. Ähnlich ist sich Moskaus Haltung bei Pekings territorialen Ansprüchen im Südchinesischen Meer. Der Kreml ist bemüht, eine weitere Entfremdung zwischen China und Vietnam sowie anderen Anrainerstaaten zu vermeiden.

Konfliktpotential birgt indes die zunehmende Konkurrenz in Zentralasien. Beide Seiten haben es versäumt, ihre ökonomischen Strategien in der Region zu koordinieren. China bindet durch seine Handels- und Investitionstätigkeit im Rahmen der Seidenstraßen-Initiative die Volkswirtschaften der Region immer stärker an sich. Entscheidend wird sein, ob Pekings wachsende wirtschaftliche Rolle unvermeidlich dazu führen wird, dass sein sicherheitspolitisches Gewicht in der Region gleichermaßen steigt – und wie Russland darauf reagiert.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und China wuchsen in den letzten zwei Jahrzehnten stetig, wenn auch langsamer als von beiden Seiten erhofft. Für Russland ist China heute das wichtigste Herkunftsland von Importen und der zweitwichtigste Exportmarkt. Russlands Bedeutung als Handelspartner bleibt für die Volksrepublik hingegen dagegen weiterhin begrenzt. Trotz der langen gemeinsamen Staatsgrenze bleiben die Wirtschaftsbeziehungen in den Regionen schwach entwickelt. Dennoch besteht Chinas Interesse an einer umfassenderen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland fort, da der nördliche Nachbar ein wichtiger Lieferant von Rohstoffen und Absatzmarkt für Industriegüter ist.

Die westlichen Sanktionen gegen Russland im Zuge des Ukraine-Konflikts gaben den ökonomischen Beziehungen beider Länder neuen Auftrieb. Gezwungen seine ökonomischen Einbußen zu kompensieren, senkte Russland die Hürden für chinesische Investitionen. Unternehmen aus dem Reich der Mitte investieren seither unter anderem in den russischen Eisenbahn- und Telekommunikationssektor und russische Banken intensivierten ihre Zusammenarbeit mit chinesischen Institutionen.

Am deutlichsten zeigt sich die Vorzugsbehandlung beim chinesischen Kauf von und Investition in russische Energieressourcen. Russland gehörte schon seit den neunziger Jahren zu Chinas wichtigsten Öllieferanten, ist seit 2016 sein wichtigster Exporteur. Chinesische Politiker und Wirtschaftsführer sind mit den Risiken von Investitionen in russische Energieprojekte vertraut. Das Land hat sich zudem durch eine nachhaltige Diversifizierung seiner Energieimporte abgesichert.

Im Ergebnis hat die Asymmetrie der ökonomischen Beziehungen infolge der Sanktionen des Westens gegen Russland weiter zugenommen. China erlangt seit 2014 besseren Zugang zum russischen Markt und zwar zu deutlich günstigeren Konditionen als vor der Krise – ohne dass Russland viel dagegen tun könnte.

Sicherheitskooperation

Seit der Normalisierung ihrer bilateralen Beziehungen hat sich die Kooperation in der Verteidigungszusammenarbeit vertieft. Mehr als zwei Jahrzehnte schon ist Russland für China der wichtigste Rüstungslieferant. Doch die Art der Waffenverkäufe hat sich im Laufe der Jahre verändert. Anstatt des Kaufs von allgemein verfügbaren Systemen aus der Sowjetzeit, die China längst selbst fertigen kann, fordert Peking von Moskau nun Technologietransfers und modernste Waffensysteme. Seit Russlands Bedarf an Devisen gestiegen ist, hat Moskau seine Weigerung aufgegeben, China Zugang zu den hochempfindlichen Technologien seiner modernsten Kampfflugzeuge, Luftverteidigungssysteme und U-Booten zu geben. So lieferte Moskau Ende 2016 beispielsweise die ersten vier Kampfflugzeuge des Typs SU-35 nach China aus, im Rahmen eines Abkommens, das den Kauf von 24 Maschinen dieses Typs vorsieht.

Zusätzlich zu der neuen Qualität der Rüstungskooperation haben die beiden Militärs das Tempo ihrer gemeinsamen Übungen und Verteidigungsdialoge erhöht. Inzwischen finden mehrmals pro Jahr strategische Militärmanöver statt. So veranstalteten beide Staaten im Juli 2017 eine großangelegte gemeinsame Übung der beiden Kriegsflotten in der Ostsee. Diese seit 2012 jährlich stattfindenden gemeinsamen Marinemanöver sind ein starkes Zeichen für die wachsende chinesische und russische Präsenz auf den Weltmeeren – auch jenseits traditioneller Einsatzgebiete. Trotz der intensiven Kooperation in Sicherheitsfragen bleiben die gegenseitigen Verteidigungsverpflichtungen indes weit hinter denen eines traditionellen Militärbündnisses zurück.

Fazit

Seit Ende des Kalten Krieges haben sich die chinesisch-russischen Beziehungen in allen Bereichen intensiviert. Gleichzeitig sind die bilateralen Beziehungen zunehmend asymmetrisch. Anders als der "großer Bruder" Sowjetunion der fünfziger Jahre ist Russland heute Chinas Juniorpartner. In Moskau wächst die Skepsis gegenüber den Motivationen des Nachbarn. Chinas Politiker tun alles, um nach außen ihren russischen Partnern auf Augenhöhe zu begegnen und Ängste zu zerstreuen.

Ungeachtet dieses Ungleichgewichts werden Peking und Moskau in den kommenden Jahren wohl noch enger zusammenrücken. Denn sowohl China als auch Russland betrachten die Vereinigten Staaten als strategischen Gegner. Auf diesem Fundament haben beide Länder eine stabile strategische Partnerschaft etabliert, die auf einer geopolitischen Realität sowie zahlreichen Konvergenzen in wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Fragen beruht.

Literatur

Margarete Klein, Kirsten Westphal: Russlands Wende nach China, in: SWP-Aktuell, Nr. 78, September 2015

Sören Urbansky: Grenze im Fluss. China-Russland. Das historische Echo des chinesisch-russischen Territorialdisputs, Osteuropa, Jg. 65, Nr. 5-6, 2015, S. 125-136

Gudrun Wacker: Chinesisch-russische Beziehungen unter Putin, in: SWP-Studie, Nr. 19, Berlin 2002

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Dr. Sören Urbansky ist ein Historiker mit dem Fokus auf Russland und China in der Neuzeit, spezialisiert auf imperiale und ethnische Fragen, Emigration und die Geschichte der Grenzen.