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Analyse: Die strategische Bedeutung des russischen Wolga-Flusssystems | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die strategische Bedeutung des russischen Wolga-Flusssystems Russland-Analysen Nr. 443

Tinoush Jamali Jaghdani Mehdi Ketabchy

/ 11 Minuten zu lesen

Die Nutzung des Wolga-Flusssystem für den Güter- und Getreidetransport, die militärische Nutzung und als Verbindung zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer unterliegt klimatischen Risiken des gobalen Klimawandels.

Schiff auf dem Wolga-Don-Kanal im suedlichen Wolgograd. (© picture-alliance, Uwe Zucchi)

Zusammenfassung

Die Wolga ist der wichtigste Bestandteil des Einheitlichen Tiefwassersystems (UDWS) des europäischen Russlands, das eine Verbindung zwischen dem Kaspischen Meer und dem Asowschen Meer herstellt. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 verschob sich die Bedeutung der Wolga als Wasserweg, und gleichzeitig nahmen die Bemühungen der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres im Ausbau ihrer Handelsrouten zu. In diesem Artikel analysieren wir die Rolle dieses Flusses für den Transport von Getreide und anderen Exportgütern über die Häfen am Schwarzen Meer und am Kaspischen Meer, die militärische Nutzung der Wasserstraßen und die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen auf Russlands Flusstransport angesichts des anhaltenden Krieges in der Ukraine. Darüber hinaus bewerten wir die klimatischen Risiken für die Wolga und das Kaspische Meer, die sich aus dem menschengemachten globalen Klimawandel ergeben. Der Klimawandel hat das Potenzial, die Transportkapazitäten über die Wolga in der Region einzuschränken. Das übergeordnete Ziel ist es, die strategische Bedeutung des Wolga-Flusssystems für den russischen Handel, Logistik und Sicherheit zu verstehen.

Einführung

Das Kaspische Meer ist das größte Binnengewässer der Welt und Russland, Kasachstan, Turkmenistan, Iran und Aserbaidschan haben direkten Zugang dazu. Es ist ein wichtiger eurasischer Logistikknotenpunkt mit einem breiten Netz an schiffbaren Wasserstraßen (Pritchin, 2019) und ist über das Einheitliche Tiefwassersystem des europäischen Russlands (UDWS) mit den internationalen Gewässern indirekt verbunden. Das UDWS ist ein System russischer Binnenwasserstraßen, welches das Weiße Meer, die Ostsee, das Kaspische Meer und, über das Asowsche Meer, das Schwarze Meer über die folgenden Flüsse, Seen und Kanäle verbindet: Newa, Ladogasee, Fluss Swir, Onegasee, Weißmeer-Ostsee-Kanal, Wolga-Ostsee-Wasserstraße, Moskauer Kanal, Wolga, Kama, Wolga-Don-Kanal, Don. Russland besitzt 16 % der weltweiten schiffbaren Binnenwasserstraßen und steht damit an zweiter Stelle nach China, das einen Anteil von 18 % hat. Im Durchschnitt befördert das UDWS 70 bis 75 % aller internen Güter und Transporte über alle russischen Binnenwasserstraßen. Die Wolga ist mit über 3.500 km der längste Fluss Europas und ein wichtiger Bestandteil des UDWS. Mit einem durchschnittlichen Abfluss ins Meer von 8.100 m3 pro Sekunde bei Wolgograd ist die Wolga die wichtigste Quelle für den Wasserfluss ins Kaspische Meer (Leummens, 2016). Der Wasserstand des Kaspischen Meeres ist jedoch in den letzten Jahren erheblich gesunken, was die Transportmöglichkeiten Russlands und Kasachstans bedroht.

Im August 2023 führte Ali Salajegheh, der Leiter der iranischen Umweltorganisation (DOE), welche unter der Aufsicht des iranischen Präsidenten steht, den Rückgang des Wasserspiegels im Kaspischen Meer darauf zurück, dass Russland absichtlich den Wasserfluss von der Wolga in das Kaspische Meer reduziert habe (Sharghdaily, 2023). Später änderte er jedoch seinen Standpunkt und schrieb das Phänomen dem globalen Klimawandel zu. Dieser Perspektivenwechsel löste Diskussionen unter iranischen Politikern, Forschern, Journalisten, Aktivisten und Iranern in der Diaspora aus, die zu allgemeinen Debatten über die Hauptursachen für den sinkenden Wasserspiegel des Kaspischen Meeres führten. In einem Teil dieser Debatte wurde die Russische Föderation beschuldigt, den Wasserfluss von der Wolga ins Kaspische Meer absichtlich zu verringern. Dies veranlasste uns dazu, die Bedeutung der Wolga für die Binnenwasserstraßen in Russland und den Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres zu bewerten. Die sich zurückziehenden Küstenlinien des Kaspischen Meeres und die schrumpfende Wasserfläche können erhebliche ökologische, wirtschaftliche und geopolitische Folgen für die gesamte Region haben (Barale & Gade, 2018; Prange et al., 2020).

In dieser kurzen Analyse untersuchen wir die Struktur der russischen Binnenwasserstraßen, insbesondere ihre Anbindung an das Kaspische und das Schwarze Meer. Anschließend wird die Bedeutung der Binnenschifffahrt bewertet, wobei der Schwerpunkt auf dem Getreidetransport zu den Exportpunkten in der Schwarzmeer- und Kaspischen Region liegt. Darüber hinaus untersuchen wir die militärische Nutzung dieser Wasserstraßen und die Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf den Wasserstand des Flusses Wolga und damit des Kaspischen Meeres. Schließlich analysieren wir die Rolle des kurz- und mittelfristigen Wassertransports in Russland unter Berücksichtigung des anhaltenden Krieges in der Ukraine und möglicher zukünftiger Schwankungen der Wasserstände aufgrund von Veränderungen der Niederschlags- und Verdunstungsmuster.

Die Binnenwasserstraßen Russlands, die Bedeutung des UDWS und die Rolle der Wolga

Die Binnenwasserstraßen Russlands beliefen sich im Jahr 2019 auf 101.500 km, von denen 50.000 km schiffbar sind. Aufgrund zu geringer Investitionen und unzureichender Finanzierung in die Infrastruktur der Wasserstraßen ist die standardisierte Größe der Schiffswege zwischen 1990 und 2019 um 30 % zurückgegangen. Die Gesamtlänge der Binnenwasserstraßen ist ebenfalls rückläufig; 2019 bestand die funktionale Anzahl der Binnenflotte aus 11.700 Schiffen mit Eigenantrieb und 5.300 Schiffen ohne Eigenantrieb. Die verfügbaren Informationen zeigen, dass der erhebliche Rückgang von 17,4 % bei den Schiffen mit Eigenantrieb und 34 % bei den Schiffen ohne Eigenantrieb im Vergleich zu 2009 auch auf unzureichende Investitionen in diesen Sektor zurückzuführen ist (Rostislav & Ponomarev, 2020).

Das UDWS ist der wichtigste Teil der russischen Binnenwasserstraßen und verbindet die größten Städte Russlands, darunter Sankt Petersburg, Moskau, Kasan, Nischni Nowgorod, Wolgograd, Rostow am Don und Astrachan (Grafik 1 auf S. 17). Die Länge des UDWS wird auf bis zu 6.500 km geschätzt. Die Tiefe im gesamten UDWS schwankt zwischen 4,0 und 4,5 m, so dass es nicht nur von Flussschiffen und Fluss-See-Klassen durchfahren werden kann, sondern auch von Seeschiffen, Kriegsschiffen und sogar Atom-U-Booten an der Oberfläche.

Eine der wichtigsten Komponenten des UDWS ist der Wolga-Don-Kanal, der die Wolga und den Don miteinander verbindet und die Verbindung zwischen dem Kaspischen Meer, dem Asowschen Meer und dem Schwarzen Meer herstellt und zwischen 1949 und 1952 zur Zeit der Sowjetunion erbaut wurde. Er erstreckt sich über eine Länge von 101 km und umfasst 13 Kanalschleusen, 3 Pumpstationen, 22 Schifffahrtskanäle und 2 Schottentore. Da der Don 44 m höher liegt als die Wolga, und sich zusätzlich ein Hügel zwischen Don und Wolga befindet, müssen die Schiffe einen Höhenunterschied von 88 m an der Wolga-Seite überwinden, wenn sie aufwärts fahren, oder 44 m an der Don-Seite, wenn sie abwärts fahren, und umgekehrt. Theoretisch kann der Kanal Schiffe von bis zu 5.000 t tragen. In einigen flachen Abschnitten des Don und der Wolga gibt es jedoch Grenzen von bis zu 3.000 t, die durch einen Ausbau verdoppelt werden könnten (Tirone & Motevalli, 2022). Der Wolga-Don-Kanal ist nur an 200 Tagen im Jahr schiffbar, da er meist von November bis April zugefroren ist.

Grafik 1: Einheitliches Tiefwassersystem (UDWS) des europäischen Russlands

Die Binnenwasserstraßen Russlands spielen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine relativ geringe Rolle im gesamten russischen Binnentransport. Nach den von den russischen Behörden bekannt gegebenen Daten belief sich das auf den Binnenwasserstraßen beförderte Frachtvolumen 1988 auf 582 Mio. t, welches 1996 auf 100 Mio. t sank. Seit 1999 ist das Transportvolumen gestiegen und erreichte 2004 136 Mio. t und 30 Mio. Passagiere. Seitdem schwankt das Beförderungsaufkommen in der Binnenschifffahrt zwischen 150 und 110 Mio. t. Die Schwankungen zwischen dem Gesamtverkehr innerhalb Russlands und der Rolle der Binnenschifffahrt, vorrangig durch das UDWS dargestellt, sind in Grafik 2 und Tabelle 1 für den Zeitraum 2006 – 2022 nachzuverfolgen.

Der Umfang der Beförderung auf den Wasserstraßen schwankt im Laufe der Jahre, wie aus Grafik 2 und Tabelle 1 hervorgeht. Der sprunghafte Anstieg des Verkehrsaufkommens in den Jahren 2011 – 2013 ist auf höhere Investitionen der Regierung in die Wasserstraßen in diesem Zeitraum zurückzuführen. Der Anteil der Binnenschifffahrt am Gesamtverkehr innerhalb Russlands beträgt etwa 1,5 bis 2,5 %. Nach offiziellen Angaben wurden im Jahr 2017 118,53 Mio. t Güter auf Binnenwasserstraßen befördert, davon 10,3 Mio. t Getreide und Mischfutter. Wie bereits erwähnt, entfallen 70 – 75 % des russischen Binnenschiffsgüterverkehrs auf das UDWS, auf dem jährlich mehr als 12 Mio. Passagiere befördert werden.

Grafik 2: Der gesamte Güterverkehr im Binnenland und der Anteil der Wasserstraßen im Zeitraum 2006 – 2022 (die Daten für 2021 und 2022 sind geschätzt)

Tabelle 1: Der gesamte Güterverkehr im Binnenland und der Anteil der Wasserstraßen im Zeitraum 2006 – 2022 (die Daten für 2021 und 2022 sind geschätzt)

Zugang der ausländischen Flotten zu den russischen Binnenwasserstraßen

Seit 1994 hat Russland schrittweise die strengen sowjetischen Vorschriften von 1936 gelockert, die Schiffen mit ausländischer Flagge die Einfahrt in russische Binnenwasserstraßen untersagten. Diese Änderungen sind jedoch sehr spezifisch und gelten nur für bestimmte Länder. Gegenwärtig gibt es mehr als 130 Häfen an den Binnenwasserstraßen, von denen nur 40 für ausländische Schiffe offene sind (Nikiforov & Burkov, 2020). Seit 2013 erlaubt Russland Sportsegelschiffen und Freizeitbooten unter ausländischer Flagge die Einfahrt in einige Abschnitte der Binnenwasserstraßen. Durch weitere Änderungen der Vorschriften wird die Schifffahrt von Handelsschiffen unter ausländischer Flagge auf Binnenwasserstraßen auf der Grundlage internationaler Verträge und spezieller Regierungsbeschlüsse erlaubt. Die russische Regierung hat Schiffen, die unter der Flagge der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) fahren, die Durchfahrt auf den Binnenwasserstraßen gestattet. Diese Länder verfügen jedoch nicht über eine bedeutende Handelsflotte und können daher praktisch nicht mit der russischen Flotte konkurrieren (Smirnow, 2022). Auch die Tarife und Genehmigungen für die Durchfahrt durch die russischen Binnenwasserstraßen sind teilweise diskriminierend. Aus einigen verfügbaren Informationen geht hervor, dass russische Schiffe für die Durchfahrt durch den Wolga-Don-Kanal etwa 5.000 – 6.000 US-Dollar (USD), während aserbaidschanische und iranische Schiffe etwa 20.000 – 25.000 USD bzw. 30.000 USD zu entrichten haben. Dabei ist jedoch ungewiss, ob die russischen Behörden allen Schiffen eine Genehmigung erteilen, da jedes Schiff einzeln geprüft wird.

Militärische Verwendung

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 und der Sperrung des Bosporus für die russische Kriegsmarine durch die Türkei (gemäß dem Montreux-Abkommen von 1936 (Pedrozo, 2023)) gewann die russische Militärflottille im Kaspischen Meer an Bedeutung. Die russische Flottille im Kaspischen Meer ist die einzige kampfbereite Flottille in der Region des Kaspischen Meeres und ihre militärischen Fähigkeiten gehen über die der Region hinaus (Pritchin, 2019). Die Kaspische Flottille besteht aus 27 Kriegsschiffen, darunter Kanonenboote, Landungsboote, Minensuchboote und Korvetten mit Marschflugkörpern. Monate vor der russischen Invasion in der Ukraine 2022 wurden mehrere Schiffe der Kaspischen Flottille in das Asowsche Meer verlegt, um sich der Schwarzmeerflotte anzuschließen und Seemanöver im Schwarzen Meer durchzuführen (Pedrozo, 2023). Die ausschließliche Kontrolle des Wolga-Don-Kanals durch die russischen Behörden, die die Bewegung von Kriegsschiffen zwischen dem Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer während der eisfreien Zeiten im Frühjahr und Sommer erleichtert, hat Russland die Möglichkeit gegeben, militärische Kräfte in einer strategisch wichtigen Region einzusetzen.

Zukunftspläne für die Binnenschifffahrt

Der schlechte Zustand der Infrastruktur der Binnenschifffahrt als Folge unzureichender Investitionen ist der russischen Regierung seit langem bekannt. Erst in den letzten Jahren kam der Ausbau der Binnenschifffahrt auf die Tagesordnung der russischen Regierung, und es wurden Investitionen zur Stärkung und Erweiterung dieses Systems getätigt, insbesondere für das UDWS. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 und der zunehmenden Notwendigkeit, den Handel über weniger riskante Handelsrouten abzuwickeln, wuchs jedoch das Interesse der russischen Regierung an einer Verbesserung des Transports durch die Region des Kaspischen Meeres. Noch vor Beginn des Krieges, im Februar 2022, wurde der Plan bekannt gegeben, den Kanal zwischen Wolga und Kaspischem Meer bis 2028 wiederherzustellen. Die vorläufigen Baggerarbeiten wurden auf 15 Mio. m3 geschätzt. Im Jahr 2022 sollen mehr als 5 Mio. m3 Aushub und Material ausgebaggert worden sein, um eine Schifffahrtstiefe von 4,2 m im Wolga-Kaspischen-Kanal zu gewährleisten. Für 2023 sind 12 Mio. m3 Baggerarbeiten geplant, um eine Schifffahrtstiefe von 4,5 m zu erreichen.

Getreidetransport über Russlands Binnenwasserstraßen

Obwohl der Wolga-Don-Kanal an der Taganrog-Bucht im Asowschen Meer endet, spielt diese Route für den Getreidetransport in Russland eine untergeordnete Rolle. Die Exportdaten zeigen, dass etwa 30 % des russischen Getreides über die flachen Seehäfen des Asowschen Meeres exportiert werden, während 60 % über die Tiefseehäfen des Schwarzen Meeres wie Novorossiysk ausgeführt werden. Im Jahr 2017 wurden rund 7,5 Mio. t Getreide und Futtermittel über die russischen Binnenwasserstraßen exportiert (Egorov, 2021), was ca. 23 % der in diesem Jahr von Russland exportierten 33 Mio. t Weizen entspricht.

Korridore und alternative Transportmöglichkeiten

Das Kaspische Meer ist die einzige Wasserstraße für Länder wie Kasachstan, Turkmenistan und Aserbaidschan, die über den Wolga-Don-Kanal nur begrenzte Verbindungen zu den freien Gewässern der Welt haben. Dies hat das Interesse an einer Ausweitung der Handelswege in der Region über das Kaspische Meer verstärkt. Darüber hinaus haben folgende Faktoren die geopolitischen Interessen in der Region des Kaspischen Meeres verstärkt:

  1. das Wirtschaftswachstum in Zentralasien,

  2. der Reichtum an natürlichen Ressourcen mehrerer zentralasiatischer Länder und Aserbaidschans, die potenziell exportiert werden können,

  3. Chinas Belts-and Road-Initiative (BRI), die durch die Region des Kaspischen Meeres verlaufen soll, und

  4. Russlands Interesse an einem Nord-Süd-Korridor, der das Kaspische Meer mit dem Indischen Ozean über iranische Schienen und Straßen verbinden soll.

Daher wird versucht, die Handelsrouten zu erweitern. Beispiele dafür sind: der Nord-Süd-Korridor (geplante Verbindung zwischen Russland mit dem Indischen Ozean), der Eurasien-Kanal (Wasserstraßen, die das Kaspische Meer mit dem Asowschen Meer verbinden sollen), der Mittleren Korridor (Ost-West-Korridor durch den Südkaukasus) und der Zangezur-Korridor (Ost-West-Korridor durch den Südkaukasus).

Man kann sagen, dass die Bedeutung des Kaspischen Meeres und der russischen Binnenwasserstraßen zugenommen hat, und jede Veränderung des Wasserstands des Kaspischen Meeres kann sich potenziell auf die oben genannten Initiativen auswirken. Das Kaspische Meer dient als zentraler Knotenpunkt für alle aktuellen und geplanten Wasserwege der Anrainerstaaten. Daher können Schwankungen des Meeresspiegels die Zukunft des Verkehrs in der Region beeinflussen.

Im folgenden Abschnitt werden die jüngsten und erwarteten Veränderungen in diesem See bewertet.

Klimawandel und Schwankungen des Wasserstandes im Kaspischen Meer

Das Kaspische Meer ist als endorheischer Wasserkörper anfällig für Veränderungen der Niederschlags- und Verdunstungsmuster. In den letzten drei Jahrzehnten ist der Wasserstand des Kaspischen Meeres erheblich gesunken. Ausgehend von Beobachtungsdaten ist der Meeresspiegel seit Mitte der 1990er Jahre bis 2022 um mehr als zwei Meter gesunken (Umarov, 2023). Dieses dramatische Schrumpfen des größten Sees der Welt kann schwerwiegende Auswirkungen auf die regionale Umwelt und die Wirtschaft im kaspischen Becken haben.

Als Hauptursache für das Absinken des Pegels des Kaspischen Meeres wurden natürliche Schwankungen ausgemacht, die durch den anthropogenen globalen Klimawandel erheblich verstärkt werden. Steigende Lufttemperaturen aufgrund der globalen Erwärmung führten zu einer erhöhten Verdunstung von der Meeresoberfläche (Wesselingh & Lattuada, 2020). Studien haben ergeben, dass die kumulativen Verdunstungsraten über dem Kaspischen Meer schneller gestiegen sind als die Niederschlags- und Abflussraten, was eng mit den stetig steigenden regionalen und globalen Oberflächentemperaturen zusammenhängt (Chen et al., 2017). Dieser Wasserverlust durch Verdunstung verschärft den abnehmenden Zufluss von Süßwasser aus den in das Kaspische Meer fließenden Flüssen, insbesondere der Wolga. Infolgedessen wurde der Gesamtwasserhaushalt des Kaspischen Meeres stark beeinträchtigt.

Die Prognosen deuten darauf hin, dass der Pegel des Kaspischen Meeres bis zum 21. Jahrhundert wahrscheinlich weiter deutlich sinken wird, insbesondere wenn von hohen Treibhausgasemissionen ausgegangen wird. Modellrechnungen deuten darauf hin, dass bis zum Jahr 2100 ein zusätzlicher Rückgang von 9 – 18 m eintreten könnte (Koriche et al., 2021). Ohne konzertierte globale Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen und zur Begrenzung der weiteren Erwärmung scheint eine ökologische Katastrophe im Kaspischen Becken unmittelbar bevorzustehen. Anpassungsmaßnahmen für die Region, angefangen bei der Wiederherstellung von Feuchtgebieten bis hin zu einer verbesserten wasserwirtschaftlichen Infrastruktur, sind dringend erforderlich, um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Die Verringerung der globalen Treibhausgasemissionen ist jedoch nach wie vor von entscheidender Bedeutung, um den langfristigen Rückgang des Meeresspiegels im Kaspischen Meer durch die Begrenzung der Verdunstung und die Abschwächung der Auswirkungen der Klimaerwärmung zu begrenzen. Die potenzielle Umweltkatastrophe im Kaspischen Meer kann als eine Warnung vor den Risiken gesehen werden, die der Klimawandel für Binnengewässer mit sich bringt.

Abschließende Bemerkungen

Nach der Erklärung des iranischen DOE-Chefs im August 2023, in der er behauptete, Russland habe die Wasserzuteilung von der Wolga zum Kaspischen Meer reduziert, sahen wir uns veranlasst, verschiedene ökologische, wirtschaftliche und geopolitische Aspekte im Zusammenhang mit diesen beiden Gewässern zu bewerten. Wie wir gezeigt haben, ist der Wasserfluss der Wolga das Herzstück des russischen UDWS, das die Ostsee, das Kaspische Meer und das Schwarze Meer miteinander verbindet. Dies ist von großer verkehrstechnischer Bedeutung, insbesondere für die großen Städte Russlands. Darüber hinaus ist sie von militärischer Bedeutung, insbesondere seit Russlands Invasion in der Ukraine im Jahr 2022, da Teile der russischen Flottille vom Kaspischen Meer durch den Wolga-Don-Kanal ins Asowsche Meer verlegt werden. Diese unterstützt die russischen Truppen in den besetzten Regionen der Ukraine, darunter die Krim, Donezk, Cherson und Saporischschja, die das Asowsche Meer umgeben. Wir haben keine Hinweise darauf gefunden, dass Russland neue Dämme an der Wolga baut; im Gegenteil, es gibt Pläne für den Ausbau der Binnenschifffahrt in Russland, die auf die hohe Wasserführung von Flüssen und Kanälen, einschließlich der Wolga, angewiesen ist. Der vom Menschen verursachte globale Klimawandel schränkt jedoch die Möglichkeiten zum Ausbau der Binnenschifffahrt ein, vor allem, weil er zum verstärkten Rückgang des Wasserspiegels im Kaspischen Meer beiträgt. Insgesamt hat der anhaltende Krieg in der Ukraine in Verbindung mit der Abhängigkeit Russlands von der russischen Flottille im Kaspischen Meer und den expandierenden Handelsbeziehungen und potenziellen Abkommen mit Ländern wie dem Iran die militärische und geopolitische Bedeutung des UDWS im Vergleich zu früheren Jahrzehnten erheblich gesteigert. Für Russland ist es entscheidend, diese Bedeutung aufrechtzuerhalten, um eine Nutzung zu vielfältigen Transportzwecken zu ermöglichen.

Weitere Inhalte

Tinoush Jamali Jaghdani ist seit Oktober 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO). Er promovierte 2012 in Agrarökonomie mit dem Nebenfach Angewandte Statistik an der Universität Göttingen. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind Agrarmärkte und Lebensmittelversorgungsketten, insbesondere die Dauer des Handels, Preisvolatilität, Governance und Marktmacht in Lebensmittelversorgungsketten mit besonderem Fokus auf Transformationsländer und Europa. Darüber hinaus forscht er zu wasserwirtschaftlichen Fragen im Nahen Osten.

Mehdi Ketabchy ist Berater für Wasserressourcen im Bundesstaat Maryland, USA. Gleichzeitig ist er Doktorand an der University of Maryland, College Park, USA. Seine Beratungs- und Forschungsschwerpunkte sind grüne Infrastrukturen, die Verbesserung der Widerstandsfähigkeit von Wasserressourcen, die Anpassung an die Herausforderungen des Klimawandels und Wasserpolitik. Er erwarb seinen zweiten M.Sc. in Biological Systems Engineering am Virginia Polytechnic Institute and State University, VA, USA, und schloss seinen ersten M.Sc. in Environmental Engineering an der Sharif University of Technology in Teheran, Iran, ab. Sie können ihm auf X (Twitter) unter @MehdiKetabchy folgen.