Vor der russischen Invasion in die Ukraine in 2022 hatten sich die Getreideexporte von Kasachstan, Russland und der Ukraine dynamisch entwickelt. Erst im Jahr 2000 wurden alle drei Länder zu Nettoexporteuren von Getreide. Parallel zum Aufstieg Russlands zum größten Weizenexporteur der Welt avancierte die Ukraine zu einem der größten Maisexporteure. Die Weizenexporte Kasachstans sind ebenfalls gestiegen, haben sich aber auf einem deutlich niedrigeren Niveau stabilisiert. Kasachstan ist jedoch einer der größten Weizenmehlexporteure der Welt. In den letzten Jahren überstiegen die Getreideexporte Kasachstans, Russlands und der Ukraine die Menge von insgesamt 100 Millionen Tonnen jährlich. Dies entspricht mehr als einem Viertel der weltweiten Getreideexporte von Weizen, Mais und Gerste (Grafik 1 auf S. 3).
Russischer Weizen wurde hauptsächlich von Ländern im Nahen Osten und in Nordafrika (MENA) importiert, wobei Ägypten und die Türkei die wichtigsten Zielmärkte waren. In den letzten Jahren haben die russischen Exporte in Länder mit niedrigem Einkommen, z. B. in Subsahara-Afrika, die stark von Nahrungsmittelimporten abhängig sind, zugenommen (Heigermoser et al. 2022). Mit einem Anteil von 26 % an den Weizenimporten aller afrikanischen Länder wurde Russland zum Hauptlieferanten von Weizen für diese (Götz und Svanidze, 2023). Dabei überschneiden sich die Bestimmungsorte der Weizenexporte Russlands und der Ukraine weitgehend. Im Gegensatz dazu exportiert Kasachstan hauptsächlich Weizen in die Nachbarländer der Region, z. B. nach Usbekistan, Tadschikistan und Afghanistan.
Seit dem Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine haben die russischen Getreideexporte weiter zugenommen. Die Prognosen deuten darauf hin, dass Russland ein dominierender Weizenlieferant auf dem Weltmarkt bleiben wird. So prognostiziert das US-Landwirtschaftsministerium (USDA) für das laufende Wirtschaftsjahr 2023/24 einen weiteren Anstieg der russischen Weizenexporte von 47,5 (2022/23) auf 50 Millionen Tonnen, obwohl die russische Weizenproduktion von 92 auf 85 Millionen Tonnen zurückgeht. Dieser Anstieg ist u. a. auf den Verkauf höherer Endbestände aus der letzten Vermarktungssaison zurückzuführen. Die russischen Ausfuhren von Mais und Gerste werden dagegen konstant bleiben.
Das USDA geht davon aus, dass die Weizen- und Maiserzeugung in der Ukraine auch im Fall eines anhaltenden Krieges 2023/24 im Vergleich zu 2022/23 leicht ansteigen wird. Dagegen könnten die Getreideexporte weiter zurückgehen. Es ist zu erwarten, dass die Getreideexporte der Ukraine nach Beendigung des Krieges wieder zunehmen. Dennoch könnte die Bedeutung von Getreide für die Agrarexporte der Ukraine abnehmen, sofern die Ausfuhren von Ölsaaten und Ölsaatenerzeugnissen, insbesondere Rapssaaten, Sonnenblumenöl und Ölsaatenschrote, weiter zunehmen. Diese Entwicklungen sind jedoch von der künftigen Situation der Exportlogistik der Ukraine abhängig.
Es ist zu erwarten, dass der russische Weizenhandel zukünftig stärker von der Geopolitik beeinflusst werden wird. In den letzten Jahren ist der Iran zu einem der wichtigsten Weizenexportziele Russlands aufgestiegen. Auch die Getreideexporte nach China könnten über den sogenannten Neuen Land-Getreidekorridor zunehmen, der derzeit vom Ural über Sibirien und den Fernen Osten nach China eingerichtet wird. Sobald der Nord-Süd-Transportkorridor, eine geplante Eisenbahnverbindung zwischen Russland und dem Indischen Ozean, fertiggestellt ist, könnte der Getreideexport in Länder des Nahen Ostens und Südasiens, z. B. in den Iran, nach Indien und Pakistan, weiter zunehmen.
Obwohl die Bedeutung Russlands für die weltweite Weizenversorgung weiter zunimmt, haben sich die Risiken für die russischen Weizenexporte mit dem Kriegsausbruch erhöht. So wurden beispielsweise die vorübergehenden Ausfuhrbeschränkungen in ein dauerhaftes System umgewandelt und es wurden Anstrengungen unternommen, einen Mindestpreis für Weizenexporte festzulegen. Außerdem befindet sich der russische Getreideexportsektor in der Umstrukturierung und die makroökonomische Instabilität hat zugenommen. Dies erhöht das Risiko von Lieferunterbrechungen bei der Ausfuhr zusätzlich, da der Getreidetransport per Schiff im Schwarzen Meer generell militärischen Risiken ausgesetzt ist.
Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Hauptrisiken des russischen Getreideexports, welche mit dem Krieg Russlands in der Ukraine im Zusammenhang stehen. Wir schließen mit Empfehlungen für Länder, die von Getreideimporten abhängig sind, um diesen Risiken zu begegnen.
Russlands derzeitige Politik der Weizenexportbeschränkung
Russland hat seine Weizenexporte wiederholt eingeschränkt, um die heimischen Märkte vor steigenden Weltmarktpreisen zu schützen. Zunächst wurde während der Nahrungsmittelkrise 2007/08 eine Ausfuhrsteuer eingeführt (Götz et al., 2013), später wurden die russischen Weizenexporte temporär 2010/11 ganz verboten (Svanidze et al., 2022) und 2015 durch eine Ausfuhrsteuer begrenzt. Eine im März 2020 eingeführte Exportquote wurde 2023 zum dritten Mal verlängert. Im Februar 2021 führte die russische Regierung eine pauschale Ausfuhrsteuer ein, die im Juni desselben Jahres in ein bis heute gültiges recht komplexes System variabler Ausfuhrsteuern umgewandelt wurde (Svanidze et al., 2023).
Die Berechnungsweise der Ausfuhrsteuer wurde seit ihrer Einführung im Jahr 2021 sechsmal angepasst, um den sich schnell ändernden Marktbedingungen Rechnung zu tragen. So erreichte der Ausfuhrzoll Anfang Juli 2022 mit 146 US-Dollar (USD) pro Tonne seinen höchsten Wert und entsprach damit fast der Hälfte des russischen Erzeugerpreises für Weizen. Angesichts der hohen Weltmarktpreise für Weizen, einer Rekordernte und eines starken Rubels zu Beginn der neuen Erntesaison wurde der Steuersatz im Juli 2022 und im Juni 2023 durch eine Änderung der Berechnungsweise zweimal gesenkt, um die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Weizenexporte auf den internationalen Märkten zu verbessern. Dadurch wurde die Weizenexportsteuer stärker an die Entwicklung des Weizenexportpreises und des Rubelkurses gekoppelt. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die Erzielung von Einnahmen für den Staatshaushalt für die Ausgestaltung der Weizenexportsteuer entscheidend ist.
Experten berichten auch von Versuchen der Regierung, inoffiziell einen Mindestexportpreis für Weizen durchzusetzen. Bislang war diese Begrenzung des Exportpreises angesichts der guten Ernte Russlands und der großen Restbestände sowie des ausreichenden Weltweizenangebots nicht erfolgreich. Im Falle ungünstiger Marktbedingungen könnte ein Mindestexportpreis jedoch das Preisniveau auf dem Weltmarkt für Weizen beeinflussen.
Im Gegensatz zu den früheren, relativ kurzlebigen exportbeschränkenden Maßnahmen Russlands bleiben die flexiblen Weizenausfuhrkontrollen für einen längeren Zeitraum in Kraft. Die derzeitige Weizenausfuhrsteuer, die in das russische Weizenhandelssystem eingebettet ist, entkoppelt die inländischen Erzeugerpreise vom Weltmarktpreis. Da sich dadurch das inländische Angebot erhöht, stehen die Erzeugerpreise unter einem Anpassungsdruck. Kurzfristig kann die Regierung das russische Weizenexportangebot begrenzen, indem sie die Ausfuhrsteuer erhöht. Bei entsprechenden Volumina sollten die Weltmarktpreise tendenziell ansteigen. Insbesondere in den von Weizenimporten abhängigen Ländern mit niedrigem Einkommen, aber auch weltweit, wäre damit die Ernährungssicherheit negativ betroffen. Mittel- und langfristig wirkt sich eine hohe Exportsteuer auch negativ auf die Produktion im russischen Getreidesektor aus, da infolgedessen die Einnahmen und Gewinne der Erzeuger und Exportunternehmen zurückgehen.
Umstrukturierung der russischen Getreideexportwirtschaft
Das russische Weizenexportgeschäft hat sich in den letzten zehn Jahren dynamisch entwickelt, wobei der Anteil des von russischen Unternehmen gehandelten Weizens im Vergleich zu internationalen Wettbewerbern gestiegen ist. Auch die staatlich kontrollierte russische Bank VTB hat ihre Rolle auf den lokalen Getreidemärkten durch den Erwerb von Handelsunternehmen, Eisenbahn- und Hafeninfrastruktur seit 2019 gefestigt (Logistics OS, 2020).
Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 haben große multinationale Agrarexportunternehmen wie Viterra (USA), Cargill (USA) und Louis Dreyfus (Frankreich) ihre Aktivitäten in Russland zunächst eingeschränkt und sich dann am Ende des Wirtschaftsjahres 2022/23 vom russischen Markt ganz zurückgezogen. Nach Expertenangaben ist dies auch auf den Druck der russischen Regierung zurückzuführen (Almeida et al., 2023). Aston (USA, Schweiz) bleibt das einzige internationale Unternehmen, das im laufenden Wirtschaftsjahr 2023/24 weiterhin im Getreidehandel in Russland tätig ist. Darüber hinaus hält es eine der führenden Positionen unter den drei größten Weizenexporteuren Russlands und hat seine Weizenexporte im Wirtschaftsjahr 2022/23 im Vergleich zum vorherigen Wirtschaftsjahr fast verdoppelt.
Diese Verlagerung gibt den lokalen russischen Unternehmen mehr Kontrolle über die Getreidelieferungen. Insbesondere die beiden größten privaten russischen Unternehmen "Rif" und "Grain Gates" haben ihre Weizenlieferungen 2022/23 gegenüber 2021/22 deutlich erhöht. Das erstgenannte Unternehmen, das seine Weizenexporte von 6,1 Millionen Tonnen im Jahr 2021/22 auf 8,2 Millionen Tonnen im Jahr 2022/23 steigerte, war in den letzten sieben Jahren der größte Weizenexporteur Russlands. "Grain Gates", ein 2022 eingetragenes Privatunternehmen, exportierte 2022/23 jedoch fast die gleiche Menge Weizen (7,7 Millionen Tonnen). Diese Veränderungen seit Kriegsbeginn führten zu einer zunehmenden Konzentration im russischen Getreideexportgeschäft, während die Exportanteile der führenden Unternehmen in den Jahren vor Kriegsbeginn zurückgingen. Insbesondere die drei größten Exportunternehmen (derzeit "Rif", "Grain Gates" und "Aston") haben ihren Anteil am gesamten russischen Weizenexport auf 44 % im Jahr 2022/23 erhöht.
Durch die Loslösung von globalen Wertschöpfungsketten, die zunehmende Marktkonzentration und Präsenz staatlicher Unternehmen im Getreidehandel und in der Hafeninfrastruktur wird die staatliche Kontrolle erleichtert und die Möglichkeiten zur Politisierung des russischen Getreidehandels vergrößert. Dies kann Bedenken hinsichtlich der Markteffizienz eines Getreidesektors aufkommen lassen, der zunehmend auf die Verfolgung geopolitischer Ziele ausgerichtet ist.
Getreidepreise reagieren auf die militärischen Risiken in der Schwarzmeerregion
Die mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine einhergehende militärische Blockade der ukrainischen Häfen hat zur Unterbrechung der globalen Versorgungsketten der Ukraine für landwirtschaftliche Güter und Nahrungsmittel geführt. Die ukrainischen Agrarexporte brachen ein und es wurden nur noch geringe Mengen Getreide über die neu eingerichteten EU-Ukraine-Solidaritätsrouten exportiert. Im Rahmen dieser wurden neue Logistikrouten per Lkw, Zug und Schiff über die Donau etabliert (Götz und Svanidze, 2023). Im August 2022 konnte der Schwarzmeer-Getreidekorridor im Rahmen der Schwarzmeer-Getreide-Initiative geöffnet werden. Dies ermöglichte die Wiederaufnahme der ukrainischen Getreideexporte über die Schwarzmeerhäfen und hat stark zur Senkung der (internationalen) Getreidepreise beigetragen.
Nach dem Austritt Russlands aus der Schwarzmeer-Getreide-Initiative im Juli 2023 wurde erwartet, dass die internationalen Getreidepreise stark ansteigen. Jedoch wurden nur begrenzte Preissteigerungen beobachtet. So stiegen die Preise der Weizenterminkontrakte an der Euronext in Paris um relativ moderate 14 % nach der Schließung des Schwarzmeerkorridors am 17. Juli 2023 und zeitgleich mit der Schließung der Straße von Kertsch vom 17. bis 20. Juli, nachdem die Krimbrücke durch einen militärischen Angriff beschädigt worden war. Hingegen wurden deutliche Preissteigerungen bei Zwischenfällen auf den Logistikrouten für russisches Getreide beobachtet, wie der Angriff auf einen Tanker in der Nähe der Krim-Brücke (5. August 2023) und auf ein Kriegsschiff in der Nähe des größten russischen Getreideexporthafens Noworossijsk (4. August 2023).
Dieser relativ mäßige Anstieg der weltweiten Weizenpreise nach Beendigung der Schwarzmeer- Getreide-Initiative lässt sich mit den rückläufigen monatlichen Getreideexporten der Ukraine in 2023/24 erklären. Basierend auf Schätzungen des USDA werden sich die Getreideexporte der Ukraine auf monatlich 2,65 Millionen Tonnen und Russlands auf monatlich 4,7 Millionen Tonnen für die Saison 2023/24 belaufen. Die Schließung der Straße von Kertsch ist für den Weltmarktpreis von Bedeutung, da ein erheblicher Teil der Getreideexporte Russlands aus dem Schwarzen Meer über das Asowsche Meer erfolgt und die Schiffe dabei die Straße von Kertsch passieren müssen. Da jedoch der Großteil der russischen Getreideschiffe das Schwarze Meer über den Hafen von Noworossijsk verlässt, kann jede Unterbrechung dieser Exportlieferkette starke Preiseffekte auf den internationalen Märkten nach sich ziehen. Die nach den Angriffen auf die Infrastruktur der Donauhäfen am 16. und 23. August beobachteten Preisanstiege waren hingegen eher moderat. Das ukrainische Getreide wird über die Donau hauptsächlich zum Hafen Constanta in Rumänien transportiert, wo es auf größere Schiffe umgeladen wird. Die geringen Preiswirkungen könnten zum Teil durch das Vorhandensein alternativer Logistikrouten innerhalb der EU-Ukraine-Solidaritätsrouten erklärt werden.
Diese kriegsbedingten Vorfälle und ihre Auswirkungen auf die Preise haben die Preisvolatilität seit der Einstellung der Schwarzmeer-Getreide-Initiative erhöht. Das Risiko, dass militärische Aktivitäten am Schwarzen Meer wieder aufgenommen werden, ist nach wie vor hoch und demnach auch das Risiko einer Unterbrechung der Exportversorgung.
Makroökonomische Instabilität beeinflusst das Getreideexportgeschäft in Russland
Unmittelbar nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 wertete der russische Rubel abrupt ab und der Wechselkurs stieg innerhalb von zwei Wochen von unter 80 auf über 110 Rubel/USD an. Im März 2022 erreichte der Wechselkurs einen Spitzenwert von 132 Rubel/USD (Grafik 2). Dadurch stieg die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Weizenexporte stark an. Dieser Anstieg hat zur Erhöhung der Weizenexporte, welche jene des entsprechenden Vorjahreszeitraums übertrafen, beigetragen.
Die Phase der Aufwertung in 2022 lässt sich durch Kapitalkontrollen auf dem Devisenmarkt seitens der russischen Zentralbank und den sanktionsbedingten Rückgang der Einfuhren bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Ausfuhren von Öl und Gas erklären. Der starke Rubel/USD-Wechselkurs verringerte die internationale Wettbewerbsfähigkeit des russischen Weizens auf den Weltmärkten (Yugay et al., 2020). Trotz einer Rekordweizenernte gingen daher die russischen Weizenexporte von Juli bis September 2022 im Vergleich zu 2021 erheblich zurück. Mit der wieder einsetzenden Abwertung des Rubels im Oktober 2022 wurden die Weizenexporte jedoch wieder aufgenommen und überstiegen den Umfang der Ausfuhren des Vorjahres. Bis heute hält die Abwertung des Rubels an, was die Wettbewerbsfähigkeit weiter erhöht und die russischen Weizenexporte begünstigt.
Aufgrund des Krieges in der Ukraine und der gegen Russland verhängten westlichen Sanktionen ist davon auszugehen, dass die Volatilität des Rubel-Wechselkurses hoch bleiben wird, was ein weiteres Risiko für die Getreideexporte Russlands darstellt. Mittelfristig wird die hohe Wechselkursvolatilität in Verbindung mit der Weizenexportsteuer die Abkopplung der russischen Weizenmärkte vom Weltmarkt vorantreiben, was sich längerfristig rückläufig auf die russische Getreideproduktion auswirken kann.
Schlussfolgerungen
Nach der Auflösung der ehemaligen Sowjetunion wurden Kasachstan, Russland und die Ukraine im Jahr 2000 zu Nettoexporteuren von Getreide und zählten in jüngster Vergangenheit zu den größten Getreideexporteuren der Welt. Vor allem Russland wurde zum global dominierenden Weizenexporteur. Durch die damit einhergehende Diversifizierung und Ausweitung des weltweiten Exportangebots haben Kasachstan, Russland und die Ukraine die globale Ernährungssicherheit verbessert.
Trotz des Einmarsches Russlands in die Ukraine stiegen die Getreideexporte Russlands weiter an. Es ist davon auszugehen, dass Russland auch in Zukunft ein weltweit dominierender Weizenlieferant bleiben wird. Allerdings sind die Risiken im Zusammenhang mit dem russischen Weizenexportangebot in vielfältiger Hinsicht erheblich gestiegen. Über die Auswirkungen auf die globalen Weizenpreise könnten diese Risiken auch die weltweite Ernährungssicherheit beeinträchtigen.
Erstens hat sich mit der Einführung einer dauerhaften Weizenausfuhrsteuer das Risiko politisch motivierter kurzfristiger Ausfuhrsenkungen erhöht. Dies hätte sowohl einen Aufwärtsdruck auf die Weltmarktpreise als auch langfristig negative Anreize für die russische Inlandsproduktion zur Folge. Außerdem eröffnet ein informeller Mindestexportpreis, der über dem tatsächlichen Weltmarktpreis liegt, die Möglichkeit, den Weltmarktpreis für Weizen zu erhöhen und vorübergehend auf einem relativ höheren Niveau zu stabilisieren, insbesondere im Falle ungünstiger Marktbedingungen. Zweitens hat die Loslösung des russischen Getreideexportgeschäfts von den globalen Wertschöpfungsketten die Marktkonzentration und die verstärkte Präsenz staatlicher Unternehmen im Getreideexportsektor erhöht. Dies kann die Möglichkeiten der staatlichen Kontrolle und der Politisierung des Getreidehandels erweitern. Geopolitische Ziele könnten auf Kosten der Markteffizienz verfolgt werden, was sich preistreibend auf die internationalen Märkte auswirken würde. Drittens haben die militärischen Aktivitäten im Schwarzen Meer das Risiko für die Exportlieferketten erhöht. Unterbrechungen für Exporte aus Russland (und der Ukraine) könnten das Exportangebot kurzfristig verringern und vorübergehend zusätzliche Preisschocks auf dem Weltmarkt auslösen. Viertens hat die makroökonomische Instabilität Russlands mit dem Anstieg der Volatilität des Rubel/Dollar-Wechselkurses erheblich zugenommen, was das Risiko für das russische Weizenexportangebot weiter erhöht.
Aufgrund der beherrschenden Stellung Russlands auf dem globalen Weizenmarkt, die sich voraussichtlich noch weiter verstärken wird, hat das erhöhte Exportrisiko Auswirkungen auf die globalen Getreideversorgungsketten. Daher sollten die Risiken im globalen Getreidehandel durch eine Diversifizierung der Getreideeinfuhren von Ländern mit einer hohen Importabhängigkeit von Weizeneinfuhren aus Russland verringert werden, um die Widerstandsfähigkeit des globalen Getreideliefersystems zu stärken. Dazu gehört auch die Diversifizierung der Transportwege, z. B. die Nutzung der transkaspischen internationalen Transportroute für den kasachischen Getreideexport als Alternative zum Schwarzen Meer. Außerdem sollten Länder, die stark von Importen abhängig sind, ihre Getreidelager ausbauen, um kurzfristige Preissteigerungen aufzufangen. Auch die lokale Produktion von Getreide oder Substituten in den von Importen abhängigen Ländern ließe sich ausbauen.
Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Lieferkette sind jedoch mit Kosten verbunden. Die Diversifizierung der Importe und deren Substitution durch die Ausweitung der lokalen Lebensmittelproduktion können mit einer Erhöhung der inländischen Lebensmittelpreise einhergehen, wodurch sich der Zugang zu Lebensmitteln (insbesondere für einkommensschwache städtische Verbraucher) verschlechtert und die Ernährungssicherheit negativ beeinflusst wird. Insbesondere Regierungen, die Preiskontrollen und Verbrauchersubventionen für Getreide und Getreideprodukte anwenden, könnten alternative, gezieltere politische Instrumente einsetzen. Eine Umlenkung der finanziellen Unterstützung ausschließlich auf bedürftige Verbraucher in einer unsicheren Ernährungslage dürfte dazu beitragen, die finanzielle Belastung der Regierungen in Zeiten höherer Lebensmittelpreise zu begrenzen und den heimischen Erzeugern ermöglichen, von den Produktionsanreizen zu profitieren. Die politischen Kosten, d. h. der potenzielle Verlust der Unterstützung durch städtische Verbraucher mit mittlerem Einkommen, könnten durch eine gute Kommunikation der politischen Reform und ihre schrittweise Umsetzung aufgefangen werden. Die Ausweitung der einheimischen Nahrungsmittelproduktion kann aber auch die Umwandlung von bisher nicht wirtschaftlich genutzten Flächen in Ackerland erfordern, was möglicherweise zu zusätzlichen Kohlenstoffemissionen führt und somit zum Klimawandel beiträgt. Diese Wechselwirkungen, Rückkopplungsschleifen und Zielkonflikte müssen sorgfältig abgewogen werden.