Linke Gruppierungen am Vorabend der Invasion
Die russische Annexion der Krim im Frühjahr 2014 hatte die weitreichende Kooptation der in der Duma vertretenen "systemischen Opposition" hinter der Kreml-Linie zur Folge – einschließlich der KPRF und Gerechtes Russland (SR), die zwei Jahre zuvor die Protestbewegung "Für faire Wahlen" in deren Anfangsphase unterstützt hatten. (Bezeichnenderweise wurde Ilja Ponomarjow – Listenzweiter der SR bei den Wahlen 2011 und ein prominenter Fürsprecher der damaligen Proteste – von seiner Fraktion verbannt und musste wenige Monate später das Land verlassen, nachdem er als einziger Duma-Abgeordneter gegen die Annexion stimmte.) Die Linksfront hatte eine sichtbare Rolle in diesen Protesten gespielt, litt aber stark unter der nach den Vorfällen am Bolotnaja-Platz im Mai 2012 eingetretenen Repressionswelle, die u. a. zur Verurteilung ihres Koordinators Sergej Udalzow 2014 zu viereinhalb Jahren Strafkolonie führte. Im Kontext des Donbas-Krieges verabschiedete die dezimierte LF im August 2014 eine kämpferische Antikriegserklärung unter dem Slogan "Krieg dem Kriege", die zu einer Friedenskampagne beiderseits der russisch-ukrainischen Grenze für eine Beendigung des militärischen Konflikts aufrief. Mit Udalzows Haftentlassung drei Jahre später erlebte die LF einerseits eine organisatorische Wiederbelebung, andererseits aber auch eine strategische Verschiebung hin zum "Linkspatriotismus". Auf der ersten Pressekonferenz nach seiner Rückkehr kündigte Udalzow eine Selbstverortung der LF als Bestandteil eines "linkspatriotischen" Blocks einschließlich der KPRF an: Hierzu gehörte neben einer antioligarchisch-linkspopulistischen Berufung auf "das Volk" u. a. die Bereitschaft, den bewaffneten Kampf der selbsternannten Volksrepubliken im Donbas gutzuheißen und dem Kreml mangelnde Unterstützung für diese vorzuwerfen. Somit ließ sich die LF bereits auf ein strategisches Wagnis ein, das vor allem zum Repertoire radikalnationalistischer Gruppierungen wie Eduard Limonows "Anderes Russland" oder Igor Strelkows "Noworossija-Bewegung" gehörte: nämlich den Anspruch, mit einer freundlichen Haltung zu den Separatistenrepubliken oppositionelle Politik gegenüber dem Kreml zu betreiben.
Im Vorfeld des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 war es die KPRF, die in der Duma die Resolution zur Anerkennung der selbsternannten Donezker und Luhansker Volksrepubliken initiierte, die vom langjährigen Parteivorsitzenden Gennadij Sjuganow als Maßnahme gegen "die Provokationen der USA" sowie zur Verhinderung eines Krieges zwischen "den Völkern Russlands und der Ukraine" begründet wurde. Die LF unterstützte diesen Schritt und forderte im selben Zuge eine "Wende hin zum Sozialismus" einschließlich der Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, um den Kampf um die Separatistengebiete in ein gesamtgesellschaftliches Projekt der sozioökonomischen Transformation auszuweiten, was sie am 23. Februar – dem Tag des Verteidigers des Vaterlands – mit einer Kundgebung in Moskau untermauerte.
Reaktionen linker Gruppierungen auf den Invasionsbeginn am 24. Februar
Der russische Einmarsch in die Ukraine wurde am 24. Februar in einer Stellungnahme Sjuganows im Namen der KPRF als Maßnahme zur Erzwingung von "Frieden" und zur Befreiung des ukrainischen Volkes von "Faschismus" und "Oligarchie" begrüßt. In den ersten zwei Tagen der Invasion sprachen sich zwei KPRF-Abgeordnete – Oleg Smolin und Michail Matweew – als einzige Mitglieder der Duma öffentlich gegen die Invasion aus; am 28. Februar folgte mit Wjatscheslaw Marchaew ein dritter. Insbesondere der LF-nahestehende Matweew erlangte internationale Aufmerksamkeit mit seiner Begründung, dass er bei der Anerkennung der Separatistenrepubliken "für Frieden und nicht für Krieg" gestimmt habe. Allerdings stellte er am 26. Februar in einem Interview mit dem unabhängigen Radiosender "Echo Moskwy" klar, dass er sich bei weitergeltender Ablehnung der Invasionsentscheidung "einen Sieg der russischen Armee" wünsche, da es nun "keinen Weg zurück" gebe; auch sein Tweet vom Vortag mit der Forderung, "dass der Krieg schnell beendet werden muss", wurde nachträglich gelöscht.
Für die LF erklärte Udalzow am 24. Februar über soziale Medien, dass er die "militärische Invasion in andere Regionen der Ukraine" neben dem Donbas für "falsch" halte, gleichzeitig aber das ukrainische Volk dazu aufrufe, das "den Nazismus unterstützende und die Ukrainer in den Krieg hineinziehende politische Regime" in Kyjiw zu stürzen. Am 26. Februar beschloss der LF-Vorstand eine Resolution, die "oligarchische ‚Eliten‘ aus verschiedenen Ländern" für den "Krieg in der Ukraine" verantwortlich machte und die zentrale Forderung nach einer "Wende hin zum Sozialismus" als Lösung der Stunde bekräftigte. Daraufhin trat der LF-Mitgründer und langjährige führende Aktivist Alexej Sachnin aus der Linksfront aus und kritisierte die Resolution als "Unterstützung für diesen kriminellen Krieg". Unter den kleineren außerparlamentarischen linksradikalen Gruppierungen positionierte sich die Russische Sozialistische Bewegung am eindeutigsten gegen die "russische Aggression" und für den sofortigen Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine.
>Insgesamt lässt sich beobachten, dass sich die KPRF zwar auf Führungsebene eindeutig für den Angriffskrieg positionierte, gleichzeitig aber das größte Ausmaß an internem Antikriegsdissens unter allen Parteien der "systemischen Opposition" aufwies (mit Ausnahme der in der Duma nicht vertretenen Jabloko, die sich gegen den Krieg positionierte). Sowohl innerhalb der KPRF als auch in diversen außerparlamentarischen kommunistischen Gruppierungen wurden vereinzelte Stimmen laut, die die Orwellsche Rechtfertigung des Krieges im Namen von Frieden und Völkerverständigung umdrehten (wie im Fall Matweew), um sich gegen die Invasion auszusprechen. In zwei kommunistischen Kleinparteien – der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei (RKPR) und der ROT Front – kam es etwa zu Austritten sowie Ausschlüssen von Dissidenten, nachdem die RKPR im März 2022 eine umstrittene Propagandaveranstaltung "Für den Sieg" (Sa pobedu , mit dem "Z"-Zeichen) organisierte. Im Fall der LF konstatierte Sachnin nach seinem Austritt, dass sein Resolutionsentwurf gegen die Invasion etwa 20 Prozent Zuspruch im Vorstand bekommen habe und dass viele andere aus Angst ihre Antikriegsposition nicht offenlegen würden.
Entwicklungspfade und Strategien linker Gruppierungen nach der Invasion
In den Monaten seit dem 24. Februar hat sich ein Spektrum an Kommunikationsmustern und -strategien etabliert: zwischen der proaktiven Befürwortung des Krieges durch die KPRF einerseits (einschließlich der indirekten Befürwortung einer Mobilmachung als erste Partei in der Duma am 13. September) und der konsequenten Oppositionshaltung der RSD andererseits. KPRF-Dissidenten wie Matweew haben seitdem auf öffentlichkeitswirksame Auftritte gegen den Krieg tendenziell verzichtet; eine Ausnahme bildet hierbei die Plenarintervention zweier KPRF-Regionalabgeordneten im fernöstlichen Primorje im Mai 2022 für die sofortige Beendigung der Invasion, woraufhin beide Mandatsträger von der Fraktionsleitung denunziert und aus der Fraktion ausgeschlossen wurden. Auf der anderen Seite hat die RSD ihre Antikriegsbotschaften fast ausschließlich auf soziale Medien und ins Englische umgestellt, um Strafverfolgungen zu vermeiden und für internationale Aufmerksamkeit zu sorgen. Hierzu gehört eine gemeinsame Erklärung mit dem ukrainischen linken Bewegungsparteiprojekt "Soziale Bewegung" im April 2022 "gegen den russischen Imperialismus", die über englischsprachige Online-Medien weiterverbreitet wurde.
In diesem Kontext nimmt die LF mit ihrer Haltung zum Krieg eine ambivalentere Stellung ein: Sie vermeidet tendenziell direkte Kritik an der Kriegsführung einerseits, beharrt aber andererseits auf ihrer zentralen Forderung nach einer "Wende hin zum Sozialismus", um ihre Oppositionshaltung gegenüber dem Kreml zu untermauern. Hierzu gehören öffentliche Aktionen wie Einpersonenkundgebungen und sogar ein Autokorso durch die Stadt Pensa, die anders als Antikriegsproteste auf weitgehende Duldung durch die Behörden stoßen. Die LF-Forderung nach einem sozialistischen Systemwechsel wird als Garant für nationales Überleben gerade im Kontext ausländischer Sanktionen und eines "neuen Kalten Kriegs mit dem Westen" präsentiert, ohne dass die dahinterliegenden außenpolitischen Entscheidungen Russlands hinterfragt werden. Eine solche Diskursstrategie ist durchaus anfällig für die gezielte Kooptierung innenpolitischer Opposition durch sozialprotektionistische rhetorische Gesten des Kremls – beispielsweise die Ankündigung, dass im alten Renault-Werk russische Autos unter der 2002 eingestellten "Moskwitsch"-Marke wieder produziert werden sollen, was von Udalzow prompt begrüßt wurde. Insofern bilden die künftigen Positionierungen der LF einen nicht unwichtigen Gradmesser für die Frage, inwiefern es dem Kreml unter Kriegsbedingungen gelingt, soziale Unzufriedenheit durch kooptierende Maßnahmen aufzufangen und somit mögliche Widerstandspotenziale gegen die Kriegsführung im Keim zu ersticken.
Fazit
Nach der gewaltsamen Zerschlagung der Antikriegsproteste in den ersten Tagen und Wochen der Invasion bilden etwaige soziale Proteste gegen die ökonomischen Folgen von Krieg und Sanktionen eine besonders wichtige Quelle innenpolitischer Widerstandspotenziale gegen den Kreml. Hierbei käme linken Akteuren wie KPRF und LF, die in den vergangenen Jahren in Protesten gegen das Platon-Gebührensystem für LKW-Mauten und gegen die Rentenreform aktiv mitmischten, eine wichtige Rolle zu. Allerdings weist das selbsternannte "linkspatriotische" Lager – insbesondere die KPRF und teilweise auch die LF – eine erhöhte Anfälligkeit für die Kooptationslogik des Regimes auf, vor allem dann, wenn diese auf antiwestlich-sozialprotektionistische Gesten zurückgreift. Insbesondere die LF, die sich in Protestkampagnen der 2000er-Jahre wie den "Tagen des Zorns" und "Strategie-31" durch ihre Aufopferungsbereitschaft in direkten Konfrontationen mit den Ordnungsbehörden auszeichnete, weist im Kontext des Krieges eine markante Angepasstheit auf, die es ihr aber andererseits ermöglicht, unter Vermeidung von Antikriegsbotschaften weiterhin Straßenaktionen durchzuführen. Inwiefern sie diese aktivistische Kapazität im weiteren Verlauf des Krieges nutzen wird, um sozialen Protest gegen den Kreml zu richten, bleibt abzuwarten.