Einleitung
Die russisch-chinesische strategische Partnerschaft ist in den letzten Jahren Gegenstand fortlaufender Aufmerksamkeit, wenn nicht gar Betroffenheit gewesen. Und zwar in einem geopolitischen "Moment", der anscheinend den Beginn eines anhaltenden Übergangs weg von der liberalen Weltordnung markiert (Ikenberry). Im Bereich der Wirtschaft sind Handelskriege, langfristige Sanktionen und die Entkoppelung, Verkürzung und Diversifizierung von Lieferketten von Ost nach West der Beleg für die Wahrnehmung, dass der Handel nicht mehr klar von Geostrategie zu trennen ist, und dass wechselseitige Abhängigkeit und Integration eher die Verwundbarkeit erhöhen als den Frieden fördern (Farrell / Newman). Es mag vielleicht überraschen, dass einer der Wirtschaftsbereiche, in dem sich das am dramatischsten abspielt, der Lebensmittel- und Agrarsektor ist.
Handelskriege und vertiefte Partnerschaften
Im August 2014 verhängte Russlands Präsident Wladimir Putin angesichts der westlichen Sanktionen im Zusammenhang mit der Ukraine "Gegensanktionen", nämlich ein umfassendes Einfuhrverbot für wichtige Produktgruppen aus den Staaten, die die Sanktionen gegen Russland verhängt hatten. Das kappte ein Handelssegment mit einem Volumen von über acht Milliarden US-Dollar, auf das seinerzeit ein Drittel der russischen Agrarimporte entfielen. Das Importverbot wurde in den vergangenen sieben Jahren alljährlich verlängert. China verhängte einige Jahre später, nämlich 2018, eigene Strafmaßnahmen gegen seine westlichen Handelspartner und ließ den fortlaufenden Handelskrieg des US-Präsidenten Donald Trump durch eine "Soja-Schlacht" eskalieren, die die wichtigsten Agrarexporte der USA nach China unterband. Die Maßnahmen endeten zwar im Frühjahr 2020 mit dem Handelsabkommen der Phase 1 (das für chinesische Rekordkäufe von US-amerikanischen Agrarprodukten sorgte), doch geben sich chinesische Politiker und Experten offen, wenn es um die Notwendigkeit geht, die Handelspartner im Lebensmittel- und Agrarbereich zu diversifizieren und die Handelsströme von den USA fernzuhalten.
Was bedeutet das für die russisch-chinesischen Agrarbeziehungen und die russisch-chinesische strategische Partnerschaft im breiteren Sinne? Die geopolitischen Spannungen mit dem Westen bedeuteten sicherlich einen Anstoß zu einer Vertiefung dieser Partnerschaft, und beide Seiten haben offen ihre Ambitionen bekundet, den bilateralen Agrarhandel und die Zusammenarbeit auszubauen, zum Teil, um die Beziehungen auf ein vermeintlich "beispielloses Niveau" zu heben (TASS). Aus der Sicht von Wladimir Putin eröffneten die Spannungen zwischen China und den USA ein Fenster für russische Produzenten, um auf diesem großen Agrarmarkt jene Lücken zu besetzen, die die USA durch ihren "freiwilligen Rückzug", wie er es ausdrückte, hinterlassen haben (Kremlin). 2020 rief der chinesische Handelsminister zu einer "Allianz in der Sojaindustrie" zwischen Russland und China auf, um "die potenziellen Risiken zu bewältigen, unter anderem die Risiken im Handel zwischen China und den USA" (Global Times). In den letzten Jahren haben die Agrarbeziehungen zwischen Russland und China tatsächlich einen neuen Höhepunkt erreicht, wobei die Landwirtschaft einer der Sektoren ist, in dem die Ressourcen-Zusammenarbeit zwischen den Ländern am schnellsten wächst. 2020 erreichte der Wert des bilateralen Handelsvolumens im Agrarbereich eine Spitze von rund 5,5 Milliarden US-Dollar (Chatham House; Xinhua), auch wenn es 2021 – größtenteils aufgrund neuer Corona-Maßnahmen – einen leichten Abschwung gab.
Das könnte zwar als Anzeichen einer breiteren geopolitischen Annäherung gewertet werden, doch sind einige Vorbehalte angebracht. Zum einen ist die Landwirtschaft zwar tatsächlich ein Bereich, in dem die bilaterale Zusammenarbeit zunimmt, doch erfolgt der Handelszuwachs in diesem Bereich von einem merklich geringen Ausgangsniveau aus. Zudem ist die Landwirtschaft im Vergleich mit der Zusammenarbeit im Öl- und Gassektor von eher geringer Bedeutung. Zweitens hat es zwar seit 2014 einen kontinuierlichen Zuwachs im bilateralen Agrarhandel gegeben, der sich zunehmend zugunsten von Russland entwickelte (siehe Grafik 1 und Tabelle 1 auf S. 15–16), doch spiegeln diese Beziehungen insgesamt die Richtung wider, in der sich die wirtschaftliche Abhängigkeit entwickelt: China ist der größte Exportmarkt für russische landwirtschaftliche Nahrungsmittel, während nur ein minimaler Anteil der chinesischen Agrarimporte aus Russland kommen (siehe Grafik 2 und Tabelle 2 auf S. 16–17). Die chinesischen Exporte spiegeln vor allem die relative Stärke bei arbeitsintensiven Produkten wie Gemüse und Obst wider. 2019 machten diese beiden Gruppen die Hälfte des Werts der chinesischen Agrarexporte nach Russland aus.
Ungeachtet des geringen Volumens und des niedrigen Wertes hat sich der bilaterale Handel in der Bilanz zugunsten Russlands als Exporteur gewandelt. Die russischen Agrarexporte nach China haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten beharrlich vor allem aus Fisch und Meeresfrüchten bestanden. Hierauf waren bis in die frühen 2010er Jahre über 90 Prozent der russischen Agrarexporte nach China entfallen (Yu et al.), und sie bildeten 2019 immer noch rund die Hälfte des Werts der russischen Exporte, auch wenn China jüngst temporäre Einschränkungen bei russischem Fisch und Meeresfrüchten erlassen hat, weil auf Verpackungen Coronaviren gefunden wurden. Seither ist in der Struktur der russischen Agrar- und Lebensmittelexporte nach China eine gewisse Diversifizierung erfolgt. Es gab eine Verschiebung hin zu Ölsaaten und Fettprodukte, auf die 2019 ein Drittel des Werts der russischen Agrarexporte entfiel. Eine ähnliche Verschiebung gab es auch bei einigen verarbeiteten Nahrungsmittelprodukten. Diese Diversifizierung spiegelt den Umstand wider, dass Russland nun bei wichtigen Produktkategorien Zugang zum chinesischen Markt erlangt hat, da in den vergangenen fünf Jahren durch die Unterzeichnung von Protokollen zu Getreide, Sojabohnen, Geflügelfleisch, Milchprodukten und anderen Waren wichtige phytosanitäre Barrieren überwunden wurden.
Die Öffnung des chinesischen Marktes?
Diese Öffnung des chinesischen Marktes ist wohl zum Teil durch breitere geopolitische Faktoren motiviert gewesen. Der russisch-chinesische Agrarhandel war allerdings in dieser Hinsicht in den letzten Jahren eher von der Beseitigung von politischen und technischen Engpässen gekennzeichnet. Hier wurde also lediglich der Ausgangspunkt normaler marktbasierter Beziehungen erreicht. Zudem finden seit mehreren Jahren Verhandlungen statt, die den Grundstein für einen breiteren Marktzugang legen sollen und deren Früchte erst jetzt allmählich sichtbar werden (Shtepin). Ein verstärktes Entgegenkommen und politische Förderung für russische Exporteure sollte ebenfalls im Kontext der chinesischen Ausweitung der Marktöffnung auf eine größere Anzahl Länder gesehen werden: 2019 wurde der chinesische Markt zusätzlich für Fleischimporte aus weiteren 16 Ländern geöffnet (PRC State Council).
Die auf hoher Ebene verkündete Zusammenarbeit und Kooperationspläne wie der "Plan zur vertieften Zusammenarbeit zwischen Russland und China bei Sojabohnen" werden eher von den jeweiligen nationalen und innenpolitischen Prioritäten der beiden Länder bestimmt als von einem Agrar-"Bündnis" in diesem Bereich. Das sollte Mutmaßungen dämpfen, dass der Anstieg beim Agrarhandel einen grundlegenden Wandel in den geopolitischen Beziehungen der beiden Länder darstellt. Wichtig ist zu beachten, dass zu den nationalen Prioritäten auch Autarkiebestrebungen gehören, was die potenzielle Tiefe der Partnerschaft für beide Ländern begrenzen dürfte.
Die Ziele Isolation und Importsubstituierung begrenzen den Export von russischem Getreide auf einen chinesischen Markt, der für dieses am stärksten wettbewerbsfähige Agrarprodukt Russlands weitgehend gesperrt ist. China hatte seit Mitte der 1990er Jahre bei Getreidekategorien [chin.: "liangshi", was üblicherweise, aber inkorrekt im Englischen als "grain" übersetzt wird – d. Red.] eine Autarkiepolitik verfolgt, unter anderem bei Weizen, Mais und Reis. Es legt bei diesen sensiblen Gütern strenge Zollkontingente an. Innerhalb der Kontingente liegt der Tarif lediglich bei einem Prozent, während er darüber hinaus protektionistische 65 Prozent beträgt, und das mit begrenzten Lizenzen, die gewöhnlich an die großen chinesischen Staatsunternehmen gehen. Die Importe sind üblicherweise von sehr hoher Qualität und für Marktnischen bestimmt. Sojabohnen sind hier zwar wegen der starken chinesischen Abhängigkeit von Importen ein ausgesprochen anderes Gut, doch dürfte Russland hier auf dem stark entwickelten – wenn nicht gar gesättigten – internationalen Markt kaum mehr als ein Kleinlieferant sein.
Es gibt nur wenig Anzeichen, dass die chinesische Regierung von ihren Prinzipien zur Lebensmittelsicherheit abrücken wird. Gleichzeitig verlieren die wichtigsten Massengüter wie Mais, Reis und Weizen an Bedeutung für den chinesischen Speiseplan. Somit gibt es laut Arkadij Slotschewskij, des Präsidenten des Russischen Getreideverbands, "keine sonderlichen Aussichten auf einen Anstieg der Getreideverkäufe" (Ganenko). Ironischerweise dürfte ein Anstoß zur Öffnung des chinesischen Marktes für Getreideimporte nicht durch russische Einflussnahme erfolgen, sondern auf Druck der USA bei der Welthandelsorganisation.
In Russland gehören zu den langfristigen politischen Zielen nicht nur eine Dominanz des Exports, sondern auch Autarkie und Importsubstituierung. Das macht eine Steigerung der chinesischen Agrarimporte in den Augen der russischen Führer nicht attraktiver.
Darüber hinaus bedeutet ein erweiterter Marktzugang noch nicht, dass alles glatt läuft. Eine Reihe von Fragen – nicht durch Zölle errichtete Handelsbarrieren, geringe Wettbewerbsfähigkeit russischer hochwertiger Produkte, andere Verbraucherpräferenzen und Infrastrukturfragen – begrenzen ebenfalls die Kooperation. Russische Firmen können jetzt zwar eine breitere Produktpalette legal nach China exportieren, doch müssen sie in vielen Fällen noch Exportlizenzen erlangen. Russische Exporteure müssen zudem strenge technische Vorschriften in Bezug auf Qualität, besondere Verpackungs- und Kennzeichnungsvorgaben sowie komplizierte Zollformalitäten einhalten. Die sanitären und phytosanitären Maßgaben sind beim Export nach China extrem streng, wie an dem anhaltenden Verbot von russischem Fisch und Meeresfrüchten ersichtlich wird. Das gleiche gilt auch für die Gegenrichtung: 2019 und 2020 erließ Russland eine Reihe von Restriktionen für chinesische Agrarexporte nach Russland, unter anderem im August 2019 ein Verbot von Steinobstimporten und im Januar 2020 Beschränkungen bei Zitrusfrüchten wie auch bei bestimmten Fisch- und Meeresfrüchteprodukten. Im Frühjahr 2020 hatten zudem viele russische Einzelhändler aus Angst vor dem Coronavirus den Verkauf von chinesischen Agrarprodukten ausgesetzt (Burlakova and Romanova).
Darüber hinaus hat Russland mit China zwar eine lange Grenze, doch ist die russische Agrarproduktion derzeit im europäischen Teil des Landes konzentriert. Der Transport erfolgt entweder per Fracht durch den Kontinent, was schneller, aber auch teurer ist, oder per Schiff aus Westrussland an Europa und Afrika vorbei durch den Indischen Ozean. Hier kann es bis zu 60 Tage dauern, bis die Ware die ostchinesischen Häfen erreicht.
Chinesischer Markt
Vertreter des russischen Landwirtschaftsministeriums räumen ein: "China ist das Land, in das alle exportorientierten Länder ihre Produkte liefern wollen. Wir sind da keine Ausnahme" (RIA Novosti). China wird wegen seiner unbegrenzten Abnehmerkapazitäten idealisiert, stellt aber auch eine große Herausforderung dar, und zwar nicht nur hinsichtlich eines Markteintritts dort, sondern auch beim Manövrieren auf diesem Markt (Karlova and Serova). Es erfordert Investitionen in eine grundlegende Marktanalyse, um die spezifischen chinesischen Geschmäcker und Verbraucherpräferenzen zu verstehen oder ihnen gar zu entsprechen. Der russische Landwirtschaftsminister Dmitrij Patruschew hat zugegeben: "Die Chinesen sind ein schwieriges Volk, es dauert geraume Zeit sie davon zu überzeugen, dass unsere Produkte besser sind. Sie sind wählerisch und natürlich eigennützig" (RIA). Steigende Lebensstandards und sich wandelnde Ernährungsmuster in China haben die Nachfrage nach höherwertigen und qualitativeren Produkten steigen lassen, die traditionell nicht zu den Stärken Russlands gehörten, auch wenn sich die Lage hier langsam ändert. Also besteht neben der Frage des Marktzugangs auch die der russischen Wettbewerbsfähigkeit, die begrenzt ist (Karlova and Serova). Russland sieht sich einer Konkurrenz durch andere, nun dynamischere Exporteure von Sojabohnen, Ölsaaten, Fleisch und Milchprodukten gegenüber, wie auch den Schwellenmärkten, mit denen China in den letzten Jahren engere Beziehungen beim Agrarhandel gepflegt hat.
Die außenpolitische Komponente
Geopolitische Turbulenzen und Großmachtkonkurrenz spielen sich eindeutig auch in den Bereichen Nahrungsmittel und Agrarprodukte ab, und zwar sowohl durch defensive wie auch durch offensive Maßnahmen der einzelnen Staaten. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit für engere Beziehungen zwischen Russland und China, was die Ressourcen anbelangt. Bei den Nahrungsmitteln und der Landwirtschaft wie auch in den breiteren politischen Beziehungen – seien diese nun als Annäherung bezeichnet, oder als Bündnis oder gar als "Achse" – sind die Grenzen einer Integration klar zu erkennen: Beide Systeme sind weitgehend auf eine Minderung der eigenen geopolitischen Risiken ausgerichtet. Mehr noch: Die allgemeineren geopolitischen Entwicklungen und ein breiter angelegtes Bündnis zwischen Russland und China sind keineswegs irrelevant für den Handel mit Nahrungsmitteln und Agrarprodukten, langfristig wie mittelfristig. Allerdings erscheinen andere Faktoren gewichtiger. Hierzu gehört nicht nur die politische Schieflage, sondern auch die Herausforderungen bei der Überwindung von Handelsbarrieren wie auch operative Fragen bei der harten und weichen Infrastruktur.
Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder
Dieser Beitrag basiert auf dem Kapitel"Prospects for Agri-Food Trade Between Russia and China" des Buches "Russia’s Role in the Contemporary International Agri-Food Trade System", herausgegeben von Stephen K. Wegren und Frode Nilssen (London / New York: Palgrave Macmillan 2022), S. 195–223.