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Kommentar: Die Ukraine in der Rhetorik russischer Präsidenten und der Staatsduma | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Die Ukraine in der Rhetorik russischer Präsidenten und der Staatsduma Russland-Analyse Nr. 413

Gwendolyn Sasse Berlin) Gwendolyn Sasse (Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS); Humboldt-Universität

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Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur Auswirkungen auf Russlands Außenpolitik und Selbstverständnis, sondern auch auf die politische Rhetorik. Begriffe wie »Separatist« und »Separatismus« werden von Präsident Putin stets vermieden.

Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz in Moskau im Jahr 2019. Bei der Konferenz äußerte Putin die Hoffnung über die Beilegung des Konflikts in der Ostukraine. (© picture-alliance/AP, Pavel Golovkin)

Zwei Ereignisse – die Annexion der Krim 2014 und der Krieg in der Ostukraine, der im Frühjahr 2014 begann und bisher etwa 14.000 Todesopfer gefordert hat – haben die Politik und das Selbstverständnis Russlands maßgeblich beeinflusst und die Konfrontation zwischen Russland und der EU, den USA und der NATO zugespitzt. Trotz der zentralen Bedeutung dieser miteinander verknüpften Ereignisse, spielten explizite Nennungen der Ukraine und der Krim in den Reden von Präsident Wladimir Putin und in den Redebeiträgen der Duma-Abgeordneten nur punktuell eine größere Rolle. So ist der Zeitraum von den Euromaidan-Demonstrationen ab Ende 2013 bis zur Annexion der Krim und dem Beginn des Krieges in Teilen des Donbas durch zahlreiche Nennungen der Ukraine gekennzeichnet. Die bis 2017 wieder abflachende Kurve in der Anzahl der expliziten Bezüge veranschaulicht jedoch, wie schnell die Integration der Krim in die Russländische Föderation aus Sicht der russischen Eliten und der Gesellschaft trotz internationaler Nichtanerkennung und großer finanzieller Kosten als abgeschlossen galt und somit in der Logik des Kreml keine besondere rhetorische Aufmerksamkeit erforderte. Eher im Gegenteil: Je weniger Russ:innen von den Opfern im Donbas und den Größenordnungen der Subventionen für die Krim aus dem russischen Staatshaushalt erfahren, umso besser für den internen Systemerhalt.

Ein Vergleich der Äußerungen von Präsident Wladimir Putin und Duma-Abgeordneten zeigt darüber hinaus, dass Putin die narrative Linie vorgibt, auf die die in der Duma vertretenen Parteien reagieren (müssen). Sie greifen die Rhetorik auf und halten sie auf dem für nötig erachteten Niveau auf der Agenda. Die Parteien der Systemopposition (LDPR, KPRF, Gerechtes Russland) und die Regierungspartei Einiges Russland spielen hier teilweise mit verteilten Rollen. So ist Einiges Russland beim Thema "Krim" präsenter, während die anderen Parteien die Resonanz verstärken. Bei den Bezügen auf die Ukraine liegt die LDPR deutlich vor allen anderen Parteien.

Die Ukraine wird für den russischen Präsidenten in Krisensituationen zu einem Thema, das er explizit anspricht – zunächst im Zusammenhang mit der Orangenen Revolution 2004, als der von Russland unterstützte Präsidentschaftskandidat Wiktor Janukowytsch durch Massenproteste an der Manipulation des Wahlergebnisses gehindert wurde. Die Ukraine wird dann erneut während der Euromaidan-Proteste 2013/14 zum prominenten Thema in Putins Äußerungen. Auf die Proteste und den Regierungswechsel in Kyjiw – von Russland als "Coup" bezeichnet – antwortete Russland unmittelbar mit der Krim-Annexion und militärischer und finanzieller Unterstützung für die separatistische Mobilisierung in Teilen des Donbas. Auch in der Duma machen die Bezüge auf die Ukraine von 2013 bis 2014 einen quantitativen Sprung, an dem alle in der Duma vertretenen Parteien beteiligt sind. Mit dem Nachlassen der tagespolitischen Aktualität hält v. a. Einiges Russland die Ukraine auf der Agenda.

Insbesondere das russische Staatsfernsehen, nach wie vor die Hauptinformationsquelle für die Mehrheit der russischen Bevölkerung, hinterfragt seit 2013/14 regelmäßig und lautstark die staatliche Souveränität der Ukraine. Somit entfiel für Präsident Putin die Notwendigkeit, dieses Thema über die Krisenmomente hinaus selbst mit gleichbleibender Intensität aufzugreifen. Ab 2021 wächst in Putins Reden die Bedeutung der Ukraine erneut – passend zum durch den Präsidenten persönlich geprägten Geschichtsdiskurs, der der Ukraine ihre staatliche Souveränität abspricht und dem massiven Truppenaufbau in der Nähe der russisch-ukrainischen Grenze.

Die Krim-Annexion 2014 kam sowohl für die russische Gesellschaft als auch für die internationale Gemeinschaft überraschend. Die offizielle Kreml-Rhetorik spiegelt diese Tatsache wider: Die Halbinsel Krim wurde vor 2014 vom Präsidenten kaum und von der Duma gar nicht erwähnt. Auch wenn der Plan, nach dem die Annexion ablief, schon länger ausgearbeitet war, wurde die Entscheidung, ihn im Februar 2014 in die Realität umzusetzen, bewusst nicht durch eine Informationskampagne in Russland vorbereitet. Erst mit der Annexion wurde die Krim zu einem Schlüsselelement in der Selbst- und Fremddarstellung Russlands. In der Duma bezieht sich zum entscheidenden Moment, aber auch über einen längeren Zeitraum vor allem Einiges Russland auf die Krim, aber auch die anderen Parteien stimmen ein.

Das Thema der Krim war im internen politischen Diskurs schnell abgehandelt – die Krim-Annexion wurde und wird in Russland weder von Eliten noch von der Bevölkerung infrage gestellt. Die direkte Bezugnahme auf die Krim klingt in den Reden Putins somit schnell wieder ab. Insbesondere ab 2017 verschwindet die Krim zwar nicht völlig aus dem Kreml-Narrativ, pendelt sich aber auf einem niedrigschwelligen Niveau sowohl beim Präsidenten als auch in der Duma ein. Unter den Äußerungen in der Duma ist insbesondere Einiges Russland präsent, was zeigt, dass der Krim-Diskurs "Chefsache" bleibt.

Die Krim-Tatar:innen waren der für Russland schwierigste Aspekt der Annexion. Ihr territorialer Anspruch auf die Krim ist eng mit der Erinnerung an ihre Deportation unter Stalin und die Rückkehr auf die Halbinsel nach 1991 verknüpft. 2014 protestierten vor allem Krimtatar:innen gegen die Annexion. Auf sie konzentrieren sich seitdem die Repressionen des russischen Staates. Krimtatarische politische Organisationen und Medien wurden verboten; prominente politische Vertreter:innen der Krimtataren verließen die Krim. Es entspricht dem Interesse des Kreml, die Krimtatar:innen in offiziellen Reden des Präsidenten bzw. der Duma nicht vorkommen zu lassen.

Der auf die Krim-Annexion folgende Krieg im Donbas wird in der offiziellen Rhetorik kaum thematisiert. Mit einer zeitlichen Verzögerung – der Krieg begann in der ersten Jahreshälfte 2014 – sind die zentralen Kriegsschauplätze Donbas, Donezk und Luhansk v. a. im Jahr 2015 etwas präsenter. Das offizielle russische Narrativ streitet bis heute die Beteiligung Russlands an diesem Krieg ab – die insgesamt begrenzte Bezugnahme auf die Region ist eine logische Konsequenz dieser Argumentation. Duma-Abgeordnete thematisieren den Donbas im Vergleich zum Präsidenten häufiger und über einen längeren Zeitraum hinweg, aber auch hier sind die Erwähnungen zahlenmäßig und zeitlich begrenzt. Die regierungsnahe Partei Einiges Russland meldet sich wesentlich weniger zum Thema als die LDPR und die KPRF. Ab 2021 erhält das Thema allmählich eine neue Aktualität. Die Abkürzungen für die "Volksrepubliken" (DNR/LNR) ersetzen zunehmend die Bezüge auf die Städte bzw. administrativen Regionen von Donezk und Luhansk. Insgesamt bleibt die größere Region Donbas im Diskurs präsenter als die Bezeichnungen der Teilgebiete.

Die Begriffe "Separatist" und "Separatismus" werden von Präsident Putin in Bezug auf den Donbas vermieden. Sie sind im offiziellen Sprachgebrauch v. a. Tschetschenien vorbehalten, so dass hier klar zwischen politischen Ansprüchen unterschieden wird. Die Duma meidet den Begriff Separatismus ebenfalls. In der Diskussion des Kriegs im Donbas findet sich u. a. der Begriff der Volksmilizen, der eine größere Legitimität der politischen Ansprüche und Bemühungen um Sicherheit suggeriert und zur offiziellen Selbstdarstellung passt, der zufolge Russland nicht direkt am Krieg beteiligt sei.





Fussnoten

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Prof. Dr. Gwendolyn Sasse ist Wissenschaftliche Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) und Einstein-Professorin für Vergleichende Demokratie- und Autoritarismusforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin.