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Analyse: Wird die russische Landwirtschaft vom Klimawandel profitieren? | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Wird die russische Landwirtschaft vom Klimawandel profitieren?

Florian Schierhorn Florian Schierhorn (Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO))

/ 8 Minuten zu lesen

Könnte Russland von der globalen Erderwärmung profitieren? Studien weisen darauf hin, dass der globale Norden durch den Klimawandel landwirtschaftliche und ökonomische Vorteile erlangen könnten.

Zwei Arbeiter ernten Teepflanzen im Bezirk Khostinsky in Sotschi. (© picture-alliance/dpa, Nina Zotina)

Zusammenfassung

Der Klimawandel gefährdet große Teile der globalen Landwirtschaft. Der globale Norden könnte jedoch von der Erwärmung landwirtschaftlich und ökonomisch begünstigt werden. Russland wird daher international immer häufiger als großer Profiteur der Erwärmung dargestellt. Treibt der Klimawandel den heutigen Agrar-Riesen zum international dominierenden Agrar-Giganten? In diesem Artikel ordne ich aktuelle und wichtige wissenschaftliche Studien zu diesem Thema ein und untersuche diese Frage.

Russlands Weg zum Agrar-Riesen

Der Systemwandel und der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel Anfang der 1990er Jahre hat die russische Landwirtschaft in eine substanzielle Krise geführt. Landwirtschaftliche Erträge und Anbauflächen gingen zurück, die Tierproduktion brach massiv ein. Erst Anfang der Jahrtausendwende stabilisierten sich politische und betriebliche Strukturen und der russische Agrarsektor trat in eine bis heute fortwährende Boomphase ein. Der Aufschwung ist nicht auf eine Vergrößerung der Agrarflächen, sondern vor allem auf die steigende Produktivität zurückzuführen. Lagen die durchschnittlichen Weizenerträge in den 1990er Jahren bei 1,6 Tonnen pro Hektar (t/ha), stieg diese Kennzahl in den 2000er Jahren auf 2,0 t/ha und in den 2010er Jahren auf 2,4 t/ha (FAOSTAT, 2021). Obgleich die Erträge bis heute weit unter den Erträgen der produktivsten internationalen Getreideproduzenten liegen, ist Russland heute ein landwirtschaftliches Schwergewicht. Das größte Land der Erde lieferte in der Saison 2017/18 23 % der weltweiten Weizenexporte. Der russische Agrarsektor ist damit nicht nur ein Zugpferd der nationalen Wirtschaftsentwicklung, sondern auch eine entscheidende Säule für die globale Welternährung. Vor diesem Hintergrund wird die klimatische Entwicklung in Russland mit großer internationaler Aufmerksamkeit verfolgt.

Ist der Agrarboom auf den Klimawandel zurückzuführen?

Die Erwärmung in der südlichen Schwarzerderegion, wo sich heute die Hauptanbauregionen befinden, lag mit 0,4 – 0,5 °C Erwärmung pro Jahrzehnt in den letzten Jahrzehnten deutlich über dem weltweiten Anstieg. Mehrere wissenschaftliche Studien zeigen, dass die großen Ertragszuwächse dort in den letzten Jahren nicht auf verbesserte klimatische Bedingungen zurückzuführen sind. Im Gegenteil: Eine international bahnbrechende Studie zeigte, dass die russischen Weizenerträge zwischen 1980 und 2008 15 % höher ausgefallen wären, wenn sich das Klima in diesem Zeitraum nicht verändert hätte (Lobell et al., 2011). Hinzu kommt, dass die jährlichen wetterbedingten Ertragsschwankungen bereits seit vielen Jahren hoch sind und noch weiter ansteigen. Die Zahl der heißen Sommer hat sich zwischen 1980 und 2012 im Vergleich zu den drei vorangegangenen Jahrzehnten verdoppelt. Die extreme Dürre im Jahr 2010 hat Ertragseinbrüche nach sich gezogen (Hunt et al., 2021), was die russische Regierung im August 2010 dazu veranlasste, die Getreideausfuhren zu stoppen, um einer Nahrungsmittelinflation im Inland entgegenzuwirken (Svanidze et al., 2019). Die Exportbeschränkungen Russlands haben weltweit rasante Preisanstiege und soziale Unruhen (besonders gravierend in Ägypten) angetrieben.

Wie wird sich der Klimawandel auf die Agrarproduktion in Russland auswirken?

Die russische Landfläche wird sich, je nach Entwicklung der globalen Treibhausgasemissionen, bis 2050 um 2,6 bis 3,4 °C erwärmen. Die Erwärmung wird voraussichtlich im Norden etwas stärker sein als im Süden. Es wurde berechnet, dass sich das heutige subarktische Klima in Nordrussland bis 2071 – 2100 in ein sommerlich warm bis heißes, kontinentales Klima verwandeln wird. Russland wird dann ein ähnliches Klima wie der Weizengürtel der USA haben (Beck et al., 2018). Permafrostböden werden sich weit in den Norden Russland zurückziehen. Niederschlagsprognosen sind unsicherer als Temperaturprognosen, aber es gibt deutliche Hinweise auf einen positiven Trend (eine 10 – 20 %-ige Zunahme) in weiten Teilen Russlands. Extreme Wetterbedingungen werden sehr wahrscheinlich zunehmen. Wenn die globale Erwärmung 1,5 °C übersteigt, zeigt die Studie von Templ und Calanca (2020), werden so intensive und großflächige Dürreereignisse wie im Jahr 2010 in einigen Jahrzehnten viel wahrscheinlicher sein als heute. Eine andere Studie modellierte, dass eine ähnliche Wetterkonstellation wie im Jahr 2010 im Zusammenspiel mit geringerer Bodenfeuchte zukünftig viel intensivere Dürrephasen als in diesem Extremjahr verursachen würden (Rasmijn et al., 2018).

Was bedeuten diese Klimaaussichten für die russische Landwirtschaft? Fast alle soliden Studien zeigen, dass der Klimawandel die Erträge in der südlichen Schwarzerderegion negativ beeinflussen wird, insbesondere wenn Anpassungsmaßnahmen nicht effektiv eingesetzt werden. Vor allem größere Hitze, aber auch Wasserstress, während der wichtigsten Wachstumsphasen im Frühsummer wird den Ackerkulturen in der Schwarzerderegion wahrscheinlich noch stärker zusetzen als heute. Die Ertragsrückgänge werden voraussichtlich höher bei den Sommerkulturen als bei den Winterkulturen ausfallen. Die höchsten Ertragsrückgänge werden für die Wolgaregion, wo überwiegend Sommerkulturen angebaut werden, erwartet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass häufigere und sich verstärkende Extremwetterereignisse die jährlichen Ertragsschwankungen in der Schwarzerderegion steigern werden.

Die Wissenschaft ist sich auch weitestgehend darin einig, dass die Erwärmung und insbesondere eine Verlängerung der Anbauperiode zukünftig höhere Erträge nördlich der Schwarzerderegion (etwa zwischen 54 ° und 60 ° nördliche breite) ermöglichen wird. Noch weiter nördlich (etwa nördlich des 60. Breitengrads, also nördlich von Sankt Petersburg), wo bislang kaum Getreide oder geringe Mengen Futter produziert werden, könnte die Erwärmung noch drastischere Veränderungen hervorrufen. Zahlreiche aktuell erschienene und teils viel beachtete Studien zeigen, dass das zukünftige Klima im Norden Canadas, Skandinaviens und vor allem Russlands in wenigen Jahrzehnten günstig sein wird für den Ackerbau (Hannah et al., 2020, Xu et al., 2020). Eine Studie zeigt, dass ein breiter Streifen im Norden Russlands in einigen Jahrzehnten mit Weizen und Kartoffeln kultivierbar sein wird. Die zukünftige Verschiebung der landwirtschaftlichen Eignung Richtung Norden ist sehr anschaulich bei x Di Paola et al. (2018, Abbildung 3) dargestellt.

Können die zukünftigen Klimavorteile im Norden ausgenutzt werden?

Mittelfristig (bis 2050) sind die Entwicklungschancen für den Streifen nördlich der Schwarzerderegion (54 ° – 60 ° N) am günstigsten. Diese Region ist infra- und agrarstrukturell gut erschlossen, etwa die Hälfte der russischen Gesamtbevölkerung lebt hier (obgleich der ländliche Raum seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion häufig verkümmerte). Unsere Forschung hat gezeigt, dass in dieser Region sehr große Ertragssteigerungen möglich sind, insbesondere wenn die Nährstoffdüngung und der Pflanzenschutz optimiert werden (Schierhorn et al., 2014). Auch verbesserte Sorten, modernes Agrarmanagement und günstigere klimatische Bedingungen könnten zu kräftigen Ertragssprüngen führen. Unsere Forschungsarbeiten zeigen zudem, dass nördlich der Schwarzerderegion die größten Brachflächen liegen (Lesiv et al., 2018). Brachflächen, die noch keine großen Mengen Kohlensoff im Boden und in der Vegetation (einige Flächen sind bereits bewaldet) gespeichert haben, könnten in ertragsreiche Äcker verwandelt werden. Langfristig (bis ins Jahr 2100) könnten zunehmende Extremwetterereignisse den Ackerbau in dieser Region unter großen Druck stellen.

Für die Regionen nördlich des 60. Breitengrads sind die Agrarpotenziale aus meiner Sicht realistisch und differenziert zu bewerten. Lediglich 4,5 % der russischen Bevölkerung lebt in dieser Region und dafür gibt es verständliche Gründe: Kurze Tage in den Wintermonaten (was sich selbstverständlich auch nicht durch den Klimawandel verschieben wird), extreme Wetterbedingungen und schlechte Infrastrukturen kennzeichnen Nordrussland. Das Auftauen und damit einhergehende Absinken der Permafrostböden stellt Siedlungen überall in Nordrussland vor gewaltige Herausforderungen und Investitionen (Shemetov, 2021). Die russische Regierung bietet Zuwanderern kostenloses Land in Nordrussland, aber diese Initiative ist bislang einigen aktuellen Medienberichten folgend nicht effektiv. Insgesamt sind das, mittelfristig betrachtet, eher ungünstige Voraussetzungen für eine positive demografische Entwicklung in dieser Region.

Auch hinsichtlich der landwirtschaftlichen Eignung gibt es Argumente gegen eine überzogene Erwartungshaltung: Zwar wird sich die Anbauperiode im Durchschnitt verlängern, aber die Anzahl der warmen Tage wird starken jährlichen Schwankungen unterliegen. Auch häufig auftretender Spätfrost und unbeständige Sommerniederschläge werden die Landwirtschaft in Nordrussland noch lange beeinträchtigen. Es gibt erste wissenschaftliche Hinweise, dass auftauende Permafrostböden Ackerflächen überfluten könnten oder, infolge von Bodenerosion, ungünstige ackerbauliche Eigenschaften haben könnten (Desyatkin et al., 2021). Nicht zuletzt sind es ökologische Faktoren, die die landwirtschaftlichen Potenziale Nordrusslands limitieren. Der überwiegende Teil nördlich des 60. Breitengrads ist bewaldet und in der Vegetation sowie in den Böden sind große Mengen Kohlenstoff und Methan gespeichert. Die Umwandlung von Wäldern und Permafrostböden zu Ackerflächen führt sehr wahrscheinlich zu hohen Treibhausgasemissionen. Auch das Trockenlegen von Mooren, die in Nordrussland weit verbreitet sind, geht mit großen Emissionen einher. Es gibt auch Anzeichen, dass der Ackerbau zu einem schnelleren Abtauen der Permafrostböden als andere Landnutzungsarten führt und dadurch den Klimawandel antreibt.

Fazit

Der russische Getreidesektor befindet sich bis heute auf Wachstumskurs. Allerdings wird der Hauptteil des Getreides in der fruchtbaren, südlichen Schwarzerderegion produziert. Dort ist es bereits heute in einigen Jahren zu heiß und/oder zu trocken für die wichtigsten Kulturen, aber fast alle Klimamodelle zeigen ungünstigere Klimaverhältnisse für den Ackerbau voraus. Die Regionen nördlich der Schwarzerderegion werden voraussichtlich von der Erwärmung profitieren. Dort sind große Ertragssprünge realistisch. Aufgrund der großen Brachflächen in dieser Region könnten die Anbauflächen teilweise vergrößert werden. Der Klimawandel wird auch Regionen weiter nördlich für den Ackerbau öffnen. Gewichtige agroklimatische und sozioökonomische Faktoren werden die landwirtschaftliche Entwicklung in Nordrussland in den nächsten Jahrzehnten noch stark begrenzen, meiner Einschätzung nach. Der Klimawandel stellt auch die russische Landwirtschaft und die russische Politik vor große Herausforderungen. Ein Narrativ, in dem der Klimawandel vor allem positive Auswirkungen für die Landwirtschaft haben wird, ist undifferenziert und irreführend.

Literaturverzeichnis

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Fussnoten

Weitere Inhalte

Dr. Florian Schierhorn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) in Halle (Saale). Er hat seine Dissertation zu den Agrarpotenzialen Russlands an der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahr 2015 verteidigt. Dr. Schierhorn beschäftigt sich vor allem mit den komplexen Feedbacks zwischen Klima und Agrarproduktion.