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Kommentar: Unternehmerinnen in Russland | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Unternehmerinnen in Russland

Ann-Mari Sätre Ann-Mari Sätre (Universität Uppsala)

/ 4 Minuten zu lesen

Ein privates Unternehmen in Russland aufzubauen ist schwierig - besonders für Frauen. Die Ursachen und Hintergründe erklärt die Ökonomin Ann-Mari Sätre in ihrem Kommentar.

Im Internationalen Onkologiezentrum Moskau bedient eine Frau ein digitales Interface. (© picture-alliance/dpa, TASS | Mikhail Japaridze)

Die Massenprivatisierung der frühen 1990er Jahre in Russland ist aufgrund der Struktur der gesetzten Prioritäten in vielerlei Hinsicht kaum gerecht gewesen. Es gab Gewinner und Verlierer. Zu den eindeutigen Gewinnern gehörten die Direktoren der großen und wichtigen Öl- und Gasunternehmen, meist Männer. Jene, die in Branchen von ehemals hohem Stellenwert tätig waren, etwa in der Schwerindustrie, hatten da weniger Glück: Die Leistung dieser Branchen war allgemein im Niedergang begriffen, was dann zu Betriebsschließungen und Bankrotten führte, wodurch die Besitzer ihren Wohlstand verloren. Frauen wie Männer verloren in der Schwerindustrie ihre Vermögen. Allerdings haben viele Frauen von der Privatisierung in der weniger angesehenen Konsumgüterindustrie profitiert. Im Zuge der Massenprivatisierung 1994-1995 waren hier einige Frauen in der Lage, Teile von Staatsunternehmen in private Firmen umzuwandeln. Trotz veralteter Strukturen und somit eines allgemeinen Investitionsbedarfs ist es ihnen gelungen, kleinere Betriebsstätten in verbraucherorientierten Branchen wie der Textilindustrie und im Tourismus aufzubauen. Auch andere Frauen, die Chefposten in weniger angesehenen Branchen, etwa im Handel, der Kultur und der Bildung innehatten, profitierten von den Privatisierungsprozessen.

Ein Unternehmen zu gründen war eine neue Aufgabe, die zu Sowjetzeiten nicht möglich war. Frauen nutzten die neuen Möglichkeiten und gründeten Unternehmen in traditionellen "Frauenbranchen", die wenig prestigeträchtig und in der Sowjetzeit wirtschaftlich weniger entwickelt waren. In den frühen 1990er Jahren orientierten sich Unternehmerinnen vorwiegend auf Beratung, Einzelhandel und Dienstleistungen. Frauen gründeten Handelsfirmen, sind aber auch mit Unternehmen zur Verarbeitung von Holz, Beeren, Pilzen und Agrarprodukten aktiv. Zu den Firmen von Unternehmerinnen gehörten vorwiegend Betriebe mit wenigen Angestellten. Auch in den Bereichen Kinderpflege, Gesundheitswesen, Bildung, Schneiderei, Strickwaren, Kunsthandwerk sowie in der Frucht- und/oder Gemüseproduktion haben Frauen kleinere Unternehmen gegründet. In der von Frauen dominierten Konsumgüterbranche entfallen offiziellen Statistiken zufolge 90 Prozent der Produktion auf kleine Firmen. Diese Branche wächst und ist relativ wettbewerbsfähig. Es könnte auch sein, dass Frauen von einer positiven Haltung gegenüber Firmen von Unternehmerinnen profitiert haben. Es besteht die Vorstellung, dass Frauen Verantwortung übernehmen und in ihren Geschäftsbeziehungen vertrauenswürdig sind, weil sie ihre Familien versorgen müssen und Unternehmen mit sozialen Zielen betreiben.

Frauen verfügten allerdings nur über geringe Ressourcen, um nachhaltige Unternehmen aufzubauen und sie womöglich über eine Existenzsicherung hinweg ausbauen zu können. In den Jahren 1996 bis 1998 erfolgte die stärkste Zunahme an Selbstständigen: Deren Anzahl hat sich im gleichen Zeitraum, in dem die Arbeitslosigkeit einen Höchststand erreichte, verdoppelt. Es scheint zudem eine Korrelation zwischen männlicher Arbeitslosigkeit und weiblichem Unternehmertum zu bestehen.

Es gibt für potenzielle Unternehmer:innen viele neue Möglichkeiten, allerdings auch sehr viele mitunter unvorhersehbare Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Die Behörden hätten es lieber mit nur einigen wenigen großen Firmen zu tun als mit einer größeren Zahl kleiner Unternehmen. Die aus sowjetischer Zeit ererbte Geschlechterverteilung auf dem Arbeitsmarkt spiegelt sich auch in Bezug auf die Unternehmerinnen wider: Es gibt eine nur langsame Entwicklung, die sich auf persönliche Beziehungen stützt. Die Willkür der Behörden bei der Durchsetzung der Regularien und beim Umgang mit kleinen Unternehmen zwingt Unternehmerinnen dazu, auf persönliche Netzwerke zurückzugreifen und mehrere Einnahmequellen zu unterhalten. Der Umstand, dass die Unternehmensintegration allgemein eher vertikal als horizontal erfolgt, erschwert den Aufbau neuer Firmen. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Neulinge sich an bestehende hierarchische Strukturen anpassen müssen, weil die Märkte von zahlungskräftigen Unternehmern kontrolliert werden. Politiker und Angehörige der Kommunalverwaltung sind in der Hand von Oligarchen. Also müssen sich große, von Männern geführte Firmen nicht um jene Regularien kümmern, die den kleineren Unternehmen Sorgen bereiten. Es gibt allerdings auch Fälle, dass Bürgermeister:innen kleinen, von Frauen geleiteten Unternehmen geholfen haben, und zwar auf unterschiedliche Weise: durch die Vermietung von Räumlichkeiten oder sogar durch Kredite für sie.

Die Gründung eines kleinen Unternehmens ist in jüngster Zeit wohl schwieriger als nach den Privatisierungsreformen in den 1990er Jahren. Ein Grund hierfür ist darin zu sehen, dass sich die russischen Staatsbeamten zunehmend auf wirtschaftliche und politische Kontrolle konzentrieren. Ein weiterer Grund könnte sein, dass es damals leichter war, die für den Anfang notwendige Ausrüstung von alten Staatsunternehmen zu übernehmen oder günstig zu kaufen. Ein dritter Grund dürfte in den Schwierigkeiten bei der Registrierung und in den strengeren Regularien zum Erhalt einer Lizenz liegen. Zudem wünschen sich viele keine Geschäftspartner:innen oder Mitarbeiter:innen, die nicht aus der Familie kommen. Da die Lage als instabil wahrgenommen wird, führt das dazu, dass Menschen auf informeller Grundlage eingestellt werden, insbesondere bei Firmen, die ohne Lizenz tätig sind.

Ungeachtet der vielen Probleme versuchen Frauen auch weiterhin, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Seit Mitte der 2000er Jahre sind erheblich mehr Frauen Unternehmerinnen geworden, zum Teil in neuen Tätigkeitsfeldern wie soziale Dienstleistungen, Catering, Kosmetik- und Friseursalons, Medizin, Kunst, Kultur und Tourismus. Das spiegelt sich auch in der offiziellen Politik zur Förderung von Unternehmerinnen wider, die Teil der nationalen Unternehmensförderungsprogramme ist. Darüber hinaus enthält die "Nationale Aktionsstrategie für Frauen für den Zeitraum 2017 bis 2022" Maßnahmen zur Steigerung der unternehmerischen Tätigkeit von Frauen. Zudem werden dort Maßnahmen zur Förderung sozialen Unternehmer:innentums aufgeführt, das für Unternehmerinnen einen wichtigen Tätigkeitsbereich darstellt.

Es scheint sich unter den Frauen allerdings eine neue Arbeitsteilung zu entwickeln, bei der diejenigen, die es schaffen, ihr Privatunternehmen weiterzuentwickeln, Mitarbeiter:innen einstellen, um die eigene Doppelbelastung zu reduzieren. Es gibt zwar Beispiele, dass Frauen ein (solides) Unternehmen aufbauen konnten, doch lösen andere Frauen ihre alltäglichen Probleme weiterhin überwiegend mit traditionellen unternehmerischen und Überlebensstrategien. Die Coronapandemie wird wohl vor allem Frauen treffen, die kleine Unternehmen leiten, die ohnehin geringe Einnahmen hatten, und die nicht in der Lage wären, ihre Angestellten zu bezahlen.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Fussnoten

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Dr. Ann-Mari Sätre ist Associate Professor für Wirtschaft und Forschungsdirektorin am Institut für Russland- und Eurasienstudien (IHRES) der Universität Uppsala.