Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kommentar: Der Generationenaspekt beim Zusammenbruch der Sowjetunion | Russland-Analysen | bpb.de

Russland-Analysen Silowiki (23.12.2024) Analyse: Die Silowiki im Krieg: Die russischen Geheimdienste seit Februar 2022 Analyse: Die GRU – Russlands Militärgeheimdienst Analyse: Russlands Freiwilligenformationen: Vehikel zur Rekrutierung, Loyalitätsbeweis oder Zeichen der Machtdiffusion? Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Einstellung zum Krieg (20.12.2024) Analyse: Entwicklung der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der Zustimmung in Russland zum Krieg gegen die Ukraine Umfragen: Einstellung zum Krieg gegen die Ukraine dekoder: Verschollene Gefallene Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Wirtschaftsmodell und Eliten (25.10.2024) Veränderungen in den Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen angesichts des Krieges und der Sanktionen Ranking: Russen auf der Forbesliste der Milliardäre weltweit 2024 Analyse: Rätselhafte Todesfälle in der russischen Elite vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Russlands Auslandspropaganda (11.10.2024) Analyse: Wie deutschsprachige alternative Medien vom Kreml unterwandert und instrumentalisiert werden Kommentar: Sympathien für Putin: Eine Folge politischer Entfremdung Kommentar: Schulprojekt: "Russische Propaganda erkennen" – ein Werkstattbericht Dokumentation: Lesetipps: Russische Desinformationskampagne Doppelgänger in Deutschland Dokumentation: EU vs Disinfo: Doppelgänger Dokumentation: Durchführungsverordnung des Rates der Europäischen Union zu Sanktionen gegen Russland Dokumentation: Öffentliche Bewertung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestags der russischen Einflussnahme in Deutschland Kommentar: Lauschangriff auf deutsche Offiziere: Russlands hybride Kriegsführung Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Russlands Weizenexporte (12.09.2024) Analyse: Konzentration der russischen Weizenexporte nach Ägypten und in die Türkei: Evidenzen aus den Exporten der Häfen Noworossijsk und Rostow Analyse: Weizenhandel zwischen Russland und dem Iran: ein unsteter Trend Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Nordkaukasus / Russisch-Orthodoxe Kirche (26.07.2024) Analyse: Ramsan Kadyrow: Halb Putins loyaler Prätorianer, halb ergebener Diener des tschetschenischen Volkes Dokumentation: Lesetipps zu Tschetschenien und Kadyrows Gewaltherrschaft, Familienclan, seinem Gesundheitszustand und Spekulationen über seinen Rücktritt Dokumentation: Ramsan Kadyrows Spezialoperation. Was schreiben die Regionalchefs auf Telegram und VK über Russlands Krieg gegen die Ukraine? Analyse: Fehlwahrnehmung: Inguschetien und Dagestan zwei Jahre nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine Analyse: Prüfung durch das Gebet. Welche Perspektiven haben die Kriegsgegner in der Russisch-Orthodoxen Kirche? Chronik: Chronik: 1. bis 6. Juli 2024 Geheimhaltung und Manipulation von Daten (05.07.2024) Analyse: Die Open Data-Lage in Russland während des Krieges:
zwischen Drohnenangriffen und bürokratischen Grabenkämpfen Analyse: Die Kunst der Datenmanipulation in Russland: Erkenntnisse aus der COVID-19-Pandemie Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Personalveränderungen in Regierung und Präsidialverwaltung (11.06.2024) Analyse: Regierungsumbildung in Moskau: Herrschaftssicherung sticht Effizienzsteigerung Analyse: Andrej Beloussow – Russlands neuer Kriegsminister dekoder: Alexej Djumin Chronik: 30. April – 18. Mai 2024 30 Jahre russische Verfassung (14.05.2024) Editorial: Einleitung der Gastherausgeberin Analyse: Wie der Gewalt der Weg geebnet wurde
. Die Verfassungskrise von 1993 und Russlands politischer Entwicklungspfad Analyse: Über die Bedeutung der russischen Verfassung Analyse: Legitimierung autoritärer Transformation
. Russlands Verfassungsgericht und der Preis des Kompromisses Analyse: Frauenrechte und die russische Verfassung
. 30 Jahre des Versagens Analyse: Menschenrechte in der Hochschullehre in Russland Lesetipp: Was kann die russische Verfassung noch leisten?
 Rechenschaft und Gerechtigkeit in einem Russland nach Putin dekoder: Meine Angst, mein Hass dekoder: Wie man den Drachen besiegt Dokumentation: 15 Thesen eines russischen Bürgers, der am Wohlergehen seines Landes interessiert ist Dokumentation: Politische Gefangene und ihre Schlussworte vor Gericht Chronik: 22. – 26. April 2024 Wahlen / Alternativen / öffentliche Meinung (02.05.2024) Analyse: Die Präsidentschaftswahl 2024: Ergebnisse und Deutungen Umfragen: Einstellung im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2024 in Russland Statistik: Präsidentschaftswahlen in Russland 2000 – 2024 dekoder: Es braucht eine Aussicht auf Veränderung Ranking: Die politische Elite im Jahr 2023 Chronik: 18. März – 20. April 2024 Krieg zwischen Israel und Hamas / Antisemitismus (03.04.2024) Analyse: Eine neue Phase der russisch-israelischen Beziehungen nach dem 7. Oktober 2023 Umfragen: Einstellungen zum Krieg zwischen Israel und der Hamas Analyse: Antisemitismus in Russland – ein alter Bekannter meldet sich zurück Umfragen: Antisemitismus in Russland Dokumentation: Gewissensfreiheit und Anti-Extremismus-Gesetzgebung in Russland dekoder: Lesetipp: Gaza und die Juden im Kaukasus Chronik: 11. – 18. März 2024 Annektierte Gebiete (27.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Einstellung der Bevölkerung zur Krim und dem Krieg gegen die Ukraine Chronik: 14. Februar – 10. März 2024 Propaganda / Nawalnyj (19.02.2024) Analyse: It’s fake! Wie der Kreml durch Desinformationsvorwürfe die Diskreditierung von Informationen in ein Propagandainstrument verwandelt Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Von der Redaktion: dekoder-Special "Propaganda entschlüsseln" Kommentar: Erste Gedanken zum Tod und zum Leben Alexej Nawalnys Statistik: Politisch motivierte strafrechtliche Verfolgung in Russland Chronik: 23. Januar – 09. Februar 2024

Kommentar: Der Generationenaspekt beim Zusammenbruch der Sowjetunion

Mikhail Anipkin Colchester) Mikhail Anipkin (Alexander Consultancy Limited

/ 4 Minuten zu lesen

Einen Grund für den Zerfall der UdSSR sieht Mikhail Anipkin in der Unfähigkeit, Macht abzugeben. Droht der politischen Elite unter Putin ein ähnliches Schicksal?

Der Kongress der sowjetischen Volksdeputierten beschließt am 5. September 1991 das Ende der alten Sowjetunion. (© picture-alliance/dpa, RIA Nowosti | Yuryi Abramochkin)

Ein Hauptgrund für den Zusammenbruch der UdSSR ist wohl in der Generationenkrise innerhalb der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) zu sehen, nämlich in der mangelnden oder gar völlig ausgebliebenen personellen Erneuerung an der Spitze der Parteihierarchie. Ein unzureichender oder gar fehlender Generationswechsel in den Führungsgremien war in der späten Sowjetunion und ist im modernen Russland ein angestammtes Problem, das bis heute anhält und die jüngeren Generationen betrifft.

Breschnews Generation konnte vor allem deshalb schnell in Spitzenpositionen aufgestiegen, weil es vor dem Krieg die Massensäuberungen unter Stalin gegeben hatte, die in Wirklichkeit eine Verjüngungskur in den herrschenden Strukturen der Nomenklatura bedeutete, auch wenn Stalin es nicht unbedingt als Instrument für einen Generationswechsel gesehen haben mag. Nachdem Leonid Breschnew 1964 an die Macht gekommen war, hatte diese Generation die führenden Posten inne – für die nächsten 20 Jahre (und manchmal gar länger). Sie machten der nächsten Generation, der Generation ihrer Kinder, die in den späten 1930er, frühen 1940er Jahren geboren waren, den Weg nicht frei. Diese Generation der Schestidesjatniki (die Generation der "Sechziger" der Tauwetterperiode) wurde von der Breschnew-Generation übergangen und musste nahezu bis 1989/90 auf weniger bedeutenden Posten verharren. Selbst nach dem Antritt Michail Gorbatschows als Generalsekretär änderte sich die Lage nicht grundlegend. Bekanntermaßen hat Gorbatschow, nachdem er 1985 Führer der Sowjetunion wurde, den 76-jährigen Andrej Gromyko zum Vorsitzenden des Obersten Sowjet der UdSSR gemacht.

Es hat meiner Ansicht nach eine Kluft zwischen den Generationen gegeben, die dann in den regionalen Parteihierarchien in eine "Meuterei der Vierziger" (der in den 1940er Jahren Geborenen) mündete. Dieses Aufbegehren richtete sich 1989/90 quer durch die Sowjetunion gegen die ältere Generation in den Gebiets-, Regions- und Republikskomitees der KPdSU. Der Fall Wolgograd ist nur ein Beispiel für diese Kluft zwischen den Generationen.

Der ausgebliebene Generationswechsel in den Führungsgremien war für die KPdSU ein riesiges Problem, das sich Mitte der 1970er Jahre weiter verschärfte. Das war die Zeit, als jüngere Männer und Frauen, die seinerzeit Ende dreißig, Anfang vierzig waren und bereits über beträchtliche Erfahrung verfügten, Führungspositionen in der Kommunistischen Partei hätten übernehmen können. Der Generationswechsel, der hier hätte stattfinden sollen, blieb aus. Das war eine wesentliche Ursache für den Unmut unter den Apparatschiks der KPdSU.

Die große Sehnsucht nach einem Generationswechsel in den oberen Etagen der Parteihierarchie und die immer größer werdende, gegen das Establishment gerichtete Volksbewegung in den großen Städten fielen zeitlich zusammen. Dadurch hat vor allem 1989 und 1990 in vielen Regionen der UdSSR an der Spitze der Parteistrukturen ein Verjüngungsprozess stattgefunden.

Dieser so sehr erwartete Generationswechsel setzte schließlich 1990 verbreitet auch bei den Schlüsselpositionen der Partei ein. In den Regionen war dieser Prozess besonders deutlich zu beobachten. Dies war auch der Grund, warum die Volksbewegungen in den Regionen von bestimmten Parteifunktionären unterstützt oder zumindest nicht behindert wurden. Ich bin überzeugt, dass ein Generationswechsel in den Hierarchien der KPdSU, sobald dieser Prozess vollendet worden wäre, eine neue Generation mit demokratischen Visionen an die Spitze befördert hätte, wie es 1990 in Wolgograd der Fall war. Nachdem die Tätigkeit der KPdSU im August 1991 unterbunden wurde (ein vorübergehendes Verbot folgte im November), fand dieser Prozess erzwungenermaßen ein Ende. Das kann als Beginn eines gegen die Perestroika gerichteten Kurses betrachtet werden. Beim Beispiel Wolgograd, das von einem Vorbild für Demokratisierung zu einem Ort tiefsitzender Stagnation verfiel, erfolgte dieser Prozess deshalb so schnell, weil die natürlichen Rotationsmechanismen ausgesetzt wurden. Die gleichen Prozesse fanden auch in ganz Russland statt, allerdings erst später. Sie kamen dort ungefähr seit 2004 in Gang. Das Problem besteht darin, dass das gesamte Land derzeit wieder das gleiche Generationenproblem erlebt: Die Putin-Generation hat keinerlei Absicht, die Macht abzugeben. Somit könnte es in Russland auch in Zukunft zu einem öffentlichen Aufbegehren kommen, angetrieben von der Unzufriedenheit mit dem erneuten Sastoj , der neuen Stagnation beim Generationswechsel. Das könnte sehr wohl in einen weiteren "August 1991" münden.

Die Generationsfrage in Russland ist, so wie es sich gegenwärtig darstellt, in erster Linie Fortsetzung und Folge der Ereignisse von 1991, als die Sowjetunion zusammenbrach. Gemeint ist hier der Umstand, dass die "Tauwetter-Generation" weggespült und die Generation der Babyboomer aus den 1950er Jahren, also die Putin-Generation, zum Nutznießer der Konterrevolution gegen die Perestroika wurde. Auf beunruhigende Weise zieht die Geschichte hier eine Grimasse: Russland erlebt jetzt das gleiche wie die UdSSR in ihren letzten Jahren, in der Zeit des Sastoj , nämlich eine Stagnation auf der personellen Ebene. Diese Wiederholung hat umso schlimmere Auswirkungen, als es nicht nur eine Generation betrifft, die deshalb verärgert ist, weil sie übersehen wird und auf weniger bedeutenden Posten landet, wie es in den 1970er und 1980er Jahren der Fall war: Die heutige Situation betrifft drei Generationen, und zwar längst nicht nur jene im Machtapparat. Eine dieser Generationen ließe sich als "letzte sowjetische Generation" bezeichnen (sie ist nach meinem Verständnis eine "verlorene Generation"). Hinzu kommen die Kinder dieser Generation sowie drittens einige Kinder der Putin-Generation. Der Fall der letzteren ist allerdings komplizierter. Putins Generation, die weiterhin die Macht in den Händen hält, hievt ihre Kinder Schritt für Schritt auf Schlüsselpositionen – allerdings nicht so schnell wie die es sich wünschten.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Fussnoten

Weitere Inhalte

Dr. Mikhail Anipkin wurde 2007 an der Universität Essex im Fach Soziologie promoviert und erhielt 2010 seine Habilitation als Soziologe an der Staatlichen Universität Wolgograd. Zuletzt war er Professor und Leiter des Soziologischen Instituts der Staatlichen Universität Wolgograd. Er ist gegenwärtig, im Vereinigten Königreich lebend, als unabhängiger Wissenschaftler tätig. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Soziologie der Generationen. Sein jüngstes Buch mit dem Titel "Partrabotnik" (2020 auf Russisch erschienen) erörtert die Verbindung zwischen der Generationenkrise in der KPdSU und dem Zusammenbruch der Sowjetunion.