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Ranking: Die politische Elite im Jahre 2020: Regierungswechsel, Covid-19-Pandemie und Verfassungsreform | Russland-Analysen | bpb.de

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Ranking: Die politische Elite im Jahre 2020: Regierungswechsel, Covid-19-Pandemie und Verfassungsreform

Henning Saßenrath

/ 4 Minuten zu lesen

Die führenden 50 Politikerinnen und Politiker Russlands im Vergleich zu den Vorjahren.

Wladimir Putin und Verteidigungsminister Sergej Schojgu (© picture-alliance/dpa)

Die Beförderung Michail Mischustins vom Chef der Steuerbehörde zum Premierminister am 15. Januar überragte alle anderen Veränderungen in der Rangliste. Mischustin selbst stieg von Platz 57 auf Platz 2 hinter Putin auf. Elf der siebzehn Personen, die es zum ersten Mal in die Top 100 geschafft haben, sind Mitglieder der neuen Regierung. Mischustin nimmt damit den Platz ein, den zuvor auch Dmitrij Medwedew als Premierminister innehatte. Abhängig von der Stärke des Präsidenten und seinem eigenen politischen Gewicht kann der Premierminister im russischen System stärker oder schwächer sein – Putin etwa belegte auch zwischen 2008 und 2012 als Premierminister den ersten Platz im Ranking. Medwedew befindet sich immerhin noch auf Platz 5 des Rankings, nachdem er kurz nach seinem Rücktritt den eigens für ihn geschaffenen Posten des stellvertretenden Vorsitzenden des Sicherheitsrates eingenommen hat. Als Stellvertreter von Putin und Gegenspieler des langjährigen Sekretärs des Sicherheitsrats, Nikolaj Patruschew, bleibt Medwedew eine der zentralen Figuren in der russischen Elite.

Innerhalb der Regierung konnten sich zwei der elf Stellvertreter Mischustins stark verbessern: Der Ökonom Andrej Belousow von Platz 25 auf 13; Jurij Borisow, zuständig für die Rüstungsindustrie, von Platz 50 auf 31. Belousow war vor 2020 Wirtschaftsberater des Präsidenten in der Präsidialadministration, Borisow ist bereits seit 2018 stellvertretender Premierminister. Aleksandr Nowak (Platz 41), Energieminister seit 2012, wurde zum stellvertretenden Premierminister befördert und übersieht auch in der neuen Position den Energiesektor, was seit Januar 2020 übergangsweise in Borisows Amtsbereich fiel.

Igor Krasnow, der neue Generalstaatsanwalt, ist zum ersten Mal im Ranking und belegt Platz 29, fast denselben Platz wie 2019 sein Vorgänger Jurij Tschajka. Tschajka, nun Putins Präsidialvertreter im Nordkaukasus, fällt von Platz 28 auf 88. Diese Auswechslung zeigt, dass die Macht von Krasnow und zuvor Tschajka direkt an ihre Position gekoppelt ist. Damit wird der Unterschied zwischen formeller und informeller Macht in Russland deutlich: Der enge Putin-Vertraute Dmitrij Kosak war 2020 als stellvertretender Premierminister abberufen worden und ist nun als stellvertretender Stabschef der Präsidialadministration unter anderem für die Ukraine zuständig, fiel aber lediglich von Platz 22 auf Platz 34. Für seinen Vorgänger, den schillernden Wladislaw Surkow, war dieser Posten im Nachhinein betrachtet ein Abstellgleis – er ist 2020 zum ersten Mal nicht mehr in den Top 100.

Hier zeigt sich die Rolle Putins als Schiedsrichter und es wird klar, weshalb Kabinettsumbildungen wie im Januar und November in Russland selten sind. Da Putin verschiedene Elitegruppen austarieren muss, kommt es häufig zu Kettenreaktionen: Dmitrij Kosak, vor Januar 2020 als Vizepremier für den Energiesektor verantwortlich, ersetzt Surkow in der Präsidialverwaltung. Auf Kosak folgt übergangsweise Borisow, auf Borisow wiederum Nowak. Es spricht einiges dafür, dass auch Nowaks Nachfolger als Energieminister, der Technokrat Nikolaj Schulginow, ein Übergangskandidat sein wird. Einerseits wegen seines Alters von 69 Jahren, andererseits, weil er als ehemaliger Chef von Rusgidro aus der Stromherstellerbranche kommt und für die Öl- und Gasindustrie weitestgehend ein unbeschriebenes Blatt ist.

Das 2020-Ranking gibt noch in zwei anderen Punkten Aufschluss über informelle Machtnetzwerke: Zum einen der weitere Aufstieg von Personen mit häufigen persönlichen Kontakten zu Putin aus der Präsidialverwaltung und seiner Leibgarde – in den Worten von Tatjana Stanowaja das "Gefolge Putins". Dazu zählt zum Beispiel Dmitrij Kotschnew, Direktor des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation (FSO), der sich von Platz 91 auf Platz 61 verbesserte. Zum anderen dokumentiert es den weiteren Aufstieg eines "Prinzlings", das heißt des Sohnes eines Mitglieds der Machtelite: Der Landwirtschaftsminister Dmitrij Patruschew, Sohn von Nikolaj Patruschew, dem Sekretär des Sicherheitsrats, steigt von Platz 66 auf Platz 42.

Die Folgen der Corona-Pandemie für das Ranking 2020 sind deutlich sichtbar: Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin konnte sich von Platz 15 auf Platz 8 verbessern. Einerseits, da sein Handeln in der Hauptstadt Leitstern für Russlands Handeln bei der Covid-19-Eindämmung war. Außerdem war er als Vorsitzender der Covid-19-Arbeitsgruppe des Staatsrates das Bindeglied zwischen Regierung und Regionen und damit für die Umsetzung der Maßnahmen mitverantwortlich. Der neue Gesundheitsminister Michail Muraschko hingegen belegt Platz 95 und konnte sich auch in dem Ranking für Dezember bloß auf Platz 87 verbessern. Auch der relative Abstieg vieler Geheimdienstler und des Rostec-CEO Sergej Tschemesow (von Platz 10 auf 20) im Ranking kann als mittelbarer Effekt der Covid-19-Pandemie gelesen werden, weil der Fokus zumindest in der Wahrnehmung mehr auf zivile Themen der Innenpolitik gelenkt wurde. So fiel Aleksandr Bortnikow, Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, von Platz 8 auf Platz 14; Sicherheitsrats-Sekretär Nikolaj Patruschew von Platz 14 auf Platz 17. Auch die Verfassungsreform, durch die sich Putin mit der Annullierung seiner Amtszeiten die Möglichkeit geschaffen hat, im Jahr 2024 erneut zur Präsidentschaftswahl anzutreten, hinterlässt ihre Spuren. Nach anhaltenden Spekulationen über die gestiegene Rolle des Staatsrates im politischen System nach der Verfassungsreform ist der Sekretär des Staatsrates und Berater in der Präsidialadministration Igor Lewitin von Platz 63 auf die Position 37 vorgerückt.







Fussnoten

Henning Saßenrath studiert Staatswissenschaften an der Universität Passau und beschäftigt sich im Rahmen des Studiums mit der russischen Machtelite. In seiner Masterarbeit untersucht er den Einfluss philosophischer, ökonomischer, politischer Denker und Ideen auf Nachwuchsführungskräfte in Russland.