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Kommentar: Türkei, Russland und Bergkarabach: Eine ambivalente Konfliktkonstellation | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Türkei, Russland und Bergkarabach: Eine ambivalente Konfliktkonstellation

Daria Isachenko

/ 5 Minuten zu lesen

Der Konflikt um Bergkarabach im postsowjetischen Raum belastet nicht nur die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei, sondern auch das Verhältnis zum langjährigen Verbündeten Armenien. Ein Kommentar von Daria Isachenko, Wissenschaftlerin am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Russische Einheiten bei der Minenräumung in Chodschali, Bergkarabach. (© picture-alliance/dpa, TASS/Alexander Ryumin)

Die unaufhaltsamen Ambitionen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Türkei als regionale Macht zu stärken, haben den Südkaukasus erreicht, welchen Russland als seinen Einflussbereich betrachtet. Neben Syrien und Libyen ist nun auch der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach zum Gegenstand von Konflikt und Kooperation zwischen Russland und der Türkei geworden. Ähnlich wie in Syrien und Libyen stehen Russland und die Türkei erneut auf unterschiedlichen Seiten.

Seit Beginn der militärischen Eskalation im Konflikt um Bergkarabach am 27. September 2020 agiert die Türkei als Schutzmacht Aserbaidschans. Sie verfolgt dabei die Absicht, den Status quo sowohl militärisch als auch diplomatisch zu überwinden, der für Baku wenig zufriedenstellend ist. Russland hingegen hat die führende Rolle als Vermittler im Verhandlungsprozess inne und sitzt zusammen mit den USA und Frankreich der OSZE-Minsk-Gruppe vor. Andererseits ist Russland sowohl im Rahmen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) als auch durch bilaterale Abkommen gegenüber Armenien verpflichtet, wenn der Krieg das armenische Territorium betreffen würde. Ob es zur Konflikteskalation oder zur Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Russland im Konflikt um Bergkarabach kommt, hängt allerdings weniger davon ab, auf welcher Seite sie stehen. Vielmehr kommt es darauf an, welche Interessen Russland und die Türkei dabei verfolgen und ob diese Interessen kollidieren oder nicht.

Russland und die Türkei: Wie aus Feinden Freunde wurden

Der unverblümte Anspruch Ankaras sich in Moskaus unmittelbare Nachbarschaft einzumischen, löste in der öffentlichen Debatte in Russland ähnliche pan-türkistische Ängste aus, wie sie schon einmal Anfang der 1990er Jahre aufgekommen waren. Gleich nach dem Zerfall der Sowjetunion legte die Türkei im postsowjetischen Raum eine immense Aktivität an den Tag, um den turksprachigen Völkern und Turkstaaten eine Alternative unter dem Dach der "Türkischen Welt" anzubieten. Diese Integrationsvision betraf nicht nur unabhängige Staaten wie Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Turkmenistan und Usbekistan, sondern auch Teilrepubliken, die zu Russland gehören, wie zum Bespiel Tatarstan, Baschkortostan, die Republik Altai, Chakassien, Jakutien und Tuwa. Der Verdacht lag also nahe, dass die Türkei mit dem Slogan "eine Nation, zwei Staaten", mit dem üblicherweise das Verhältnis zwischen der Türkei und Aserbaidschan beschrieben wird, womöglich weitere Staaten und Völker beanspruchen würde.

Die pan-türkistische Debatte in Russland wurde jedoch vom russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich gedämpft. Am 22. Oktober 2020 lobte Putin im internationalen Diskussionsklub "Waldai" den türkischen Amtskollegen als flexiblen und vor allem zuverlässigen Partner (Externer Link: http://kremlin.ru/events/president/news/64261). Neben dem bilateralen Handelsvolumen über 20 Milliarden US-Dollar betonte Putin insbesondere die Vorteile, die die unabhängige Außenpolitik der Türkei für Russland habe. Im Gegensatz zum Nord Stream 2 Pipeline-Projekt mit den europäischen Partnern sei laut Putin trotz des Drucks die Zusammenarbeit mit der Türkei bei der Erdgaspipeline TurkStream viel effizienter. In erster Linie aber sollte der Kauf des russischen S-400-Raketenabwehrsystems seitens der Türkei als dessen stolzes Wahrzeichen für autonomes Handeln stehen.

Putins Komplimente an Erdogan, aber mehr noch die Zurückhaltung des Kremls gegenüber der Türkei im aktuellen Konflikt im Südkaukasus, stehen in starkem Kontrast zum ersten Krieg um Bergkarabach (1991–1994). Als die Türkei Anfang der 1990er Jahre versuchte, im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan zu intervenieren, warnte der damalige sowjetischen Verteidigungsminister Jewgenij Schaposchnikow, dies könne der Anstoß zu einem Dritten Weltkrieg sein. Dass Russland nun nicht versucht, seine exklusive Einflusszone vor der Einmischung des NATO-Mitglieds Türkei zu bewahren, hat mehrere Gründe. Zum einen arbeiten Russland und die Türkei seit 2016 sehr eng in Syrien zusammen. Dies hat sich nicht nur auf die bilateralen Beziehungen zwischen Moskau und Ankara positiv ausgewirkt, sondern auch zu einer Koordinierung in Libyen geführt. Zum anderen sind die Beziehungen zu Aserbaidschan für Russland nicht unwichtig: Baku wird in Moskau als strategischer Partner betrachtet. Entscheidend für die aktuelle Politik des Kremls im Konflikt um Bergkarabach scheint allerdings Russlands Verhältnis zur jetzigen Regierung Armeniens unter Premierminister Nikol Paschinjan zu sein.

Russland und Armenien: Wie aus Freunden Feinde werden

Als Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Militärallianz OVKS ist Armenien der bedeutsamste Alliierte Russlands im Südkaukasus. Allerdings sind die Beziehungen zwischen Moskau und Jerewan seit 2018 erheblich belastet (Externer Link: https://regnum.ru/news/polit/3078264.html). Der wesentliche Grund dafür ist die pro-amerikanische Orientierung des derzeitigen Premierministers Paschinjan, der 2018 als Folge der Proteste in Armenien an die Macht gekommen ist. In Moskaus Wahrnehmung werden Farbrevolutionen wie die sogenannte Samtene Revolution in Armenien vom Westen gefördert, um den Einfluss des Kremls im postsowjetischen Raum zu beschneiden. Mit der fehlenden Rückendeckung Russlands für Armenien, insbesondere gegenüber der entschlossen auftretenden Türkei, sendet der Kreml eine deutliche Botschaft, dass eine unausgewogene Multivektorenpolitik auch ihre Grenzen hat. Somit sind die Effekte der allgemein militarisierten Außenpolitik der Türkei im Südkaukasus nicht ohne Vorteil für Russland.

Der Konflikt um Bergkarabach symbolisiert Russlands größtes Problem im postsowjetischen Raum, aber gleichzeitig auch dessen bevorzugte Lösung. Höchste Priorität für den Kreml hat es, Regimewechsel durch Farbrevolutionen zu verhindern. Dadurch soll dem Einfluss des Westens entgegengewirkt werden. Im Gegensatz zum Westen hat jedoch Russland zu wenig soft power in seiner exklusiven Zone der privilegierten Interessen investiert. Dies führte dazu, dass Russland dort militärisch mit einer Art spezoperazija reagierte, wo der Westen zu viel Einfluss gewonnen hatte, wie etwa in Georgien oder der Ukraine. Im Falle Armeniens wurde die Rolle Russlands bei der Beseitigung des Problems offensichtlich stellvertretend von der Türkei übernommen.

Fazit

Die Konfliktkonstellation um den Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan problematisiert somit nicht nur die historischen Rivalitäten zwischen Russland und der Türkei, sondern auch die Beziehungen zwischen den langjährigen Verbündeten Russland und Armenien, deren gegenseitige Bindung nicht mehr selbstverständlich ist. Vor allem aber verdeutlicht der wieder aufgeflammte Krieg im Südkaukasus, dass das "Einfrieren" eines Konfliktes keine endgültige Lösung ist.

Lesetipp

Daria Isachenko. "Türkei-Russland-Partnerschaft im Krieg um Bergkarabach: Militarisierte Friedensstiftung mit Folgen für die Konflikttransformation" SWP-Aktuell 2020/A 88, November 2020, 4 Seiten: doi:10.18449/2020A88. Abrufbar unter: Externer Link: https://www.swp-berlin.org/publikation/tuerkei-russland-partnerschaft-im-krieg-um-bergkarabach/.

Fussnoten

Dr. Daria Isachenko ist Wissenschaftlerin am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.