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Kommentar: Planungen für ein Russland (nicht ganz) nach Putin | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Planungen für ein Russland (nicht ganz) nach Putin

Andrei Kolesnikov Moskau) Andrei Kolesnikov (Carnegie Moscow Center

/ 4 Minuten zu lesen

Aus juristischer Sicht lässt sich die vorgeschlagene Verfassungsänderung von Wladimir Putin als rechtliche Revolution werten. Der Staatsrat, dem bisher kaum Bedeutung zukam, erhält nun Einzug in die Verfassung. Doch besonders für die Menschenrechte ist die Reform ein Schlag ins Gesicht.

Dmitri Medwedew und Wladimir Putin bei einem Treffen mit russischen Abgeordneten nach der Ankündigung des Regierungsrücktritts. (© picture alliance/Russian Look)

Unter den von Putin angekündigten Verfassungsänderungen gibt es eine, die in der Tat viel verändern wird, nämlich der Vorschlag, der russischen Verfassung (einschließlich der repressiven russischen Gesetzgebung) Vorrang vor internationalem Recht zu geben. Diese Abkehr vom üblichen Prinzip ist nichts weniger als eine rechtliche Revolution.

Nach der unerwarteten Ankündigung von Änderungen an der russischen Verfassung und der Ablösung der Regierung ist die Frage, ob der Putinismus ohne einen Präsidenten Putin enden wird, umgehend eine rhetorische geworden. Der Präsident hat in seiner Rede an die Nation am 15. Januar klar gemacht, dass niemand nirgendwohin geht, auch wenn Ministerpräsident Dmitrij Medwedew und seine Regierung anschließend zurücktraten und Medwedew umgehend von dem wenig bekannten Technokraten Michail Mischustin abgelöst wurde.

Putins beiläufige Bemerkung, dass der Status und die Rolle des unbedeutenden und bis in die jüngste Zeit weitgehend leblosen Staatsrates in der Verfassung verankert werden sollte, kann nur eines bedeuten, nämlich dass Putin für sich selbst an einer neuen Position innerhalb dieser Struktur arbeitet. Wenn der Status des Staatsrates stark angehoben wird, könnte der Präsident den Rang eines nationalen Führers einnehmen und Vorsitzender dieses Gremiums werden, das die Rolle einer parallelen Präsidialadministration oder einer Parallelregierung übernehmen könnte.

Man stelle sich also folgendes Bild vor: Putin an der Spitze des Staatsrates und als Vater der Nation; Medwedew als Präsident, nach einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl, sobald die Verfassungsänderungen in einem Referendum von der Bevölkerung gebilligt worden sind; und ein Technokrat – Michail Mischustin – als Ministerpräsident.

Medwedew hatte bereits unter Beweis gestellt, dass er Putin gegenüber loyal ist und die Hierarchie akzeptiert, indem er von 2008 bis 2012 mit Putin die Posten tauschte, was es dem letzteren ermöglichte, die von der Verfassung vorgeschriebene Begrenzung auf zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten zu umgehen. In seiner neuen Rolle als stellvertretender Leiter des Staatsrates wird er nicht der Stellvertreter von Nikolaj Patruschew sein, dem Sekretär des Staatsrates, sondern von Putin, dem Vorsitzenden. Das bedeutet, dass Medwedew de facto Vizepräsident wäre. Das ist ein gutes Sprungbrett, um (wieder) zum Präsidenten aufzusteigen. Putin und Medwedew könnten sogar ein Gentlemen’s Agreement treffen, durch das Putin für alles Gute verantwortlich ist, während Medwedew für alles Schlechte geradesteht.

Schließlich wächst im Land die Unzufriedenheit mit der sozialen und wirtschaftlichen Lage, und das könnte in den kommenden vier Jahren bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen 2024 Fahrt aufnehmen. Für den Augenblick ist das aber kaum mehr als eine Hypothese. Putin hat keine weiteren Details verraten, doch eines ist klar: Er wird es nicht zulassen, dass aus ihm eine lahme Ente wird.

Mit dem Vorschlag, dass das Parlament in Zukunft den Ministerpräsidenten bestätigt, kanalisiert Putin den öffentlichen Unmut in Richtung des nächsten Präsidenten, des Ministerpräsidenten und des Parlamentspräsidenten, da diese nun die Verantwortung für die zu ernennenden Minister der Regierung teilen werden, und dementsprechend für deren Misserfolge. Die angekündigte Reform zeigt auch, dass womöglich verbliebene Illusionen, Putin könnte für diese Position jemanden mit liberalen Ansichten vorschlagen, etwa Alexej Kudrin, nun eindeutig ins Reich der Utopie gehören.

Putins Ankündigung, dass der neue Ministerpräsident Michail Mischustin sein wird, der ehemalige Leiter des Steuerdienstes, war unerwartet und zugleich wenig überraschend. Wenig überraschend deshalb, weil Mischustin ein idealer, von Putin unterstützter Kandidat ist: Der Steuerdienst hat innige Verbindungen zu den Geheimdiensten, und seine Hilfe ist bei der Lösung verschiedenster Fragen verzeichnet worden, unter anderem bei Unternehmenskonflikten. Mit der Übernahme digitaler Technologien gilt er aber auch als eine reibungslos funktionierende Behörde.

Gleichzeitig war es eine Ernennung entgegen der Intuition: Putin hat jemanden ernannt, den niemand erwartet hatte. Gewiss, die Leute erwarteten einen Technokraten, aber eher einen wie den für Digitalisierung zuständigen stellvertretenden Ministerpräsidenten Maxim Akimow. Mischustin hatte niemand auf dem Radar gehabt. Mit dessen Hilfe wird Putin ein Land aufbauen, das dem Föderalen Dienst für das Steuerwesen gleicht: Mit Berichten und Inspektionen, Sicherheitsreserven und – wo notwendig – der Digitalisierung des gesamten Landes.

Wird Putins Vorhaben ungehindert aufgehen? Putins Vorschläge zur Verfassungsänderung werden mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, sobald ein Referendum stattgefunden hat, da die öffentlichen Zustimmungswerte für den Präsidenten dauerhaft hoch sind. Ebenso wenig wird Putin von Seiten der politischen Institutionen des Landes Widerstand begegnen. Die Verfassungsänderungen werden bei einem autoritären Regime wie dem in Russland vor keinen ernstzunehmenden Hindernissen stehen.

Unter den von Putin angekündigten Verfassungsänderungen gibt es eine, die wirklich wichtig ist und in der Tat viel verändern wird, nämlich der Vorschlag, der russischen Verfassung (einschließlich der repressiven russischen Gesetzgebung) Vorrang vor internationalem Recht zu geben. Dies stellt die Abkehr von einem üblichen Prinzip dar, dem zufolge internationales Recht stets Vorrang hat. Es bedeutet, dass Russland jedweden Aspekt des internationalen Rechts ignorieren kann.

Es bedeutet auch, dass Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht durchgesetzt werden können. Russische Oppositionsaktivisten können in Straßburg Beschwerde einlegen, bis ihnen die Luft ausgeht, doch russische Justizinstitutionen werden in der Lage sein, die Urteile des internationalen Gerichts als unvereinbar mit der nationalen Gesetzgebung zu erachten. Diese Änderung im russischen Rechtssystem ist nichts weniger als eine Revolution.

All dies ist anscheinend erst der Anfang. Vieles wird noch spannend sein, nicht zuletzt die Zusammensetzung der Regierung, die Frage, welche Vollmachten Medwedew haben wird, und das Referendum über die Verfassungsreform. Das Interessanteste kommt noch.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Die englische Fassung dieses Kommentars wurde ursprünglich am 16.01.2020 auf der Internetseite des Carnegie Moscow Centers veröffentlicht und erscheint auch in der Ausgabe Nr. 246 des Russian Analytical Digest.

Fussnoten

Andrei Kolesnikov ist Senior Fellow am Carnegie Moscow Center und dort Leiter des Programms "Russische Innenpolitik und politische Institutionen". Seine Forschungsschwerpunkte sind die zentralen Entwicklungen der Innenpolitik in Russland, insbesondere die Auswirkungen der Krise in der Ukraine und die ideologischen Verschiebungen in der russischen Gesellschaft. Kolesnikov arbeitet auch für das "Gajdar-Institut für Wirtschaftspolitik" und veröffentlicht oft Beiträge in den Wedomosti, bei Gazeta.ru und Forbes.ru. Er ist Mitglied im Stiftungsrat der Jegor-Gajdar-Stiftung und Mitglied des Komitees für bürgerschaftliche Initiativen (Alexej-Kudrin-Komitee).