Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kommentar: Fünf Jahre Krimkrise – Auswirkungen auf die russische Innenpolitik | Russland-Analysen | bpb.de

Russland-Analysen Wirtschaftsmodell und Eliten (25.10.2024) Veränderungen in den Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen angesichts des Krieges und der Sanktionen Ranking: Russen auf der Forbesliste der Milliardäre weltweit 2024 Analyse: Rätselhafte Todesfälle in der russischen Elite vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Propaganda / Nawalnyj (19.02.2024) Analyse: It’s fake! Wie der Kreml durch Desinformationsvorwürfe die Diskreditierung von Informationen in ein Propagandainstrument verwandelt Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Von der Redaktion: dekoder-Special "Propaganda entschlüsseln" Kommentar: Erste Gedanken zum Tod und zum Leben Alexej Nawalnys Statistik: Politisch motivierte strafrechtliche Verfolgung in Russland Chronik: 23. Januar – 09. Februar 2024 Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen und Übergangsjustiz (16.12.2023) Analyse: Russland vor Gericht bringen: Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen Dokumentation: Die Brüsseler Erklärung Analyse: Optionen der Übergangsjustiz für Russland dekoder: "Das unbestrafte Böse wächst" dekoder: "Ist es nicht Patriotismus, wenn alle Kinder zu uns gehören?" Chronik: 01. November – 14. Dezember 2023 Getreidehandel in Kriegszeiten / Wasserwege (06.12.2023) Analyse: Russlands Getreideexporte und Angebotsrisiken während des Krieges gegen die Ukraine Analyse: Russland setzt den Getreidehandel als Waffe gegen die Ukraine ein Analyse: Die strategische Bedeutung des russischen Wolga-Flusssystems Chronik: 23. – 29. Oktober 2023 Hat das Putin-Regime eine Ideologie? (15.11.2023) Von der Redaktion: 20 Jahre Russland-Analysen Analyse: Macht und Angst Die politische Entwicklung in Russland 2009–2023 Kommentar: Russlands neuer Konservatismus und der Krieg Kommentar: Chauvinismus als Grundlage der aggressiven Politik des Putin-Regimes Analyse: Verschwörungstheorien und Russlands Einmarsch in die Ukraine Kommentar: Die konzentrischen Kreise der Repression dekoder: Ist Russland totalitär? Chronik: 03. – 20. Oktober 2023 LGBTQ und Repression (30.09.2023) Analyse: Russlands autoritärer Konservativismus und LGBT+-Rechte Analyse: Russlands Gesetz gegen „Propaganda für Homosexualität“ und die Gewalt gegen LGBTQ-Personen Statistik: Gewalt gegen LGBTQ+-Menschen und Vertrauen in Polizei und Gerichte unter LGBTQ+-Menschen in Russland Dokumentation: Diskriminierung von und Repressionen gegen LGBTQ+-Menschen in Russland Kommentar: Wie sehr geht es bei der strafrechtlichen Verfolgung von "Rehabilitierung des Nazismus" um politische Repressionen? Von der Redaktion: Ausstellung: "Nein zum Karpfen" Chronik: 31. Juli – 04. August 2023 Chronik: 07. – 27. August 2023 Chronik: 28. August – 11. September 2023 Technologische Souveränität / Atomschlagdebatte (20.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause, на дачу – und eine Ankündigung Analyse: Die Sanktionen machen sich bemerkbar: Trübe Aussichten für die russische Chipindustrie Analyse: Kann Russlands SORM den Sanktionssturm überstehen? Kommentar: Russisches Nuklearroulette? Die Atomschlagdebatte in der russischen Think-Tank-Fachöffentlichkeit Dokumentation: Die russische Debatte über Sergej Karaganows Artikel vom 13. Juni 2023 "Eine schwerwiegende, aber notwendige Entscheidung. Der Einsatz von Atomwaffen kann die Menschheit vor einer globalen Katastrophe bewahren" Umfragen: Die Einstellung der russischen Bevölkerung zu einem möglichen Einsatz von Atomwaffen Chronik: 13. Juni – 16. Juli 2023 Chronik: 17. – 21. Juli 2023 Wissenschaft in Krisenzeiten / Prigoshins Aufstand (26.06.2023) Kommentar: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – Ein "Virolog:innen-Moment" für die deutsche Osteuropaforschung? Kommentar: Osteuropaforschung im Rampenlicht: ein Drahtseilakt zwischen Wissenschaft und Aktivismus Kommentar: Ein Moment der Selbstreflexion für Russlandstudien Kommentar: Wissenschaft im Krieg: Die Verantwortung der Regionalstudien und was daraus folgt Kommentar: Verträgt sich politisches Engagement und Wissenschaft? Zur öffentlichen Position des Fachs Osteuropäische Geschichte dekoder: Mediamasterskaja: Wissenschaftsjournalismus – seine Bedeutung und seine Herausforderungen dekoder: Prigoshins Aufstand gegen den Kreml: Was war das? dekoder: Prigoshins Aufstand: eine Chronologie der Ereignisse Chronik: 15. Mai – 12. Juni 2023 Deutschland und der Krieg II / Niederlage und Verantwortung (26.05.2023) Kommentar: Ostpolitik Zeitenwende? Deutschland und Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Deutsche Wirtschaft und der Krieg Kommentar: Deutschland, der Krieg und die Zeit Kommentar: Nach einem Jahr Krieg: Deutschland im Spiegel der russischen Medien Kommentar: Der Ukrainekrieg: Kriegsängste, die Akzeptanz von Waffenlieferungen und Autokratieakzeptanz in Deutschland Umfragen: Die Haltung der deutschen Bevölkerung zum Krieg gegen die Ukraine: Waffen, Sanktionen, Diplomatie Statistik: Bilaterale Hilfe für die Ukraine seit Kriegsbeginn: Deutschland im internationalen Vergleich Notizen aus Moskau: Niederlage Chronik: 24. April – 14. Mai 2023 Auswanderung und Diaspora (10.05.2023) Analyse: Politisches und soziales Engagement von Migrant:innen aus Russland im Kontext von Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Ukraine-Krieg: Bislang nur wenig humanitäre Visa für gefährdete Russen Statistik: Asylanträge russischer Bürger:innen in Deutschland Analyse: Emigration von Wissenschaftler:innen aus Russland: Kollektive und individuelle Strategien Dokumentation: Schätzungen zur Anzahl russischer Emigrant:innen nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Chronik: 01. März – 23. April 2023 Sanktionen (27.03.2023) Analyse: Die Wirkung von Krieg und Sanktionen auf Russlands Volkswirtschaft im Jahr 2022 Statistik: Russlands Wirtschaft Analyse: Russische wirtschaftliche Anomalie 2022: Ein Blick aus Unternehmensperspektive Umfragen: Wahrnehmung von Sanktionen durch die russische Bevölkerung Chronik: 01. – 28. Februar 2023 Feminismus / Kriegswahrnehmung / Gekränktes Imperium (13.03.2023) Analyse: Feminist_innen machen in Russland Politik auf eine andere Weise Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Analyse: Nicht Befürworter:innen und nicht Gegner:innen: Wie verändert sich bei der Bevölkerung in Russland mit der Zeit die Wahrnehmung des Krieges in der Ukraine? dekoder: Die imperiale Formel ist: Russland hat keine Grenzen Repression und stiller Protest / Die Botschaft des Präsidenten (06.03.2023) Analyse: "Nein zum Karpfen": Stiller Protest im heutigen Russland Dokumentation: Repressionen wegen Antikriegs-Akten in Russland seit 2022 dekoder: Die Schrecken des Kreml Analyse: Ein langer Krieg und die "Alleinschuld des Westens". Präsident Putins Botschaft an die Föderalversammlung am 23. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Kirchen im Ukrainekrieg (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Eliten (16.02.2023) Analyse: Ansichten der russischen Eliten zu militärischen Interventionen im Ausland Analyse: Zusammengeschweißt und gefesselt durch Illegitimität Ranking: Die politische Elite im Jahr 2022 Meinungsumfragen im Krieg (02.02.2023) Kommentar: Sind Meinungsumfragen im heutigen Russland sinnvoll? Kommentar: Diese vier Fragen sollten Sie sich stellen, bevor Sie Meinungsumfragen darüber lesen, was Russ:innen über den Krieg denken Kommentar: Es gibt noch immer keine öffentliche Meinung – der Krieg in der Ukraine und die Diktatur in Russland lassen uns das besser erkennen Kommentar: Die Meinungsumfragen des Lewada-Zentrums auf der Discuss Data Online-Plattform. Zur Diskussion um die Aussagekraft der Daten Kommentar: Telefonische Umfragen im autoritären Russland: der Ansatz von Nawalnyjs Stiftung für Korruptionsbekämpfung Kommentar: Annäherungen an eine Soziologie des Krieges Kommentar: Methodologische Probleme von russischen Meinungsumfragen zum Krieg Kommentar: Befragungen von Emigrant:innen: Herausforderungen und Möglichkeiten dekoder: "Die öffentliche Meinung ist ein Produkt von Umfragen" Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: 01. – 31. Januar 2023

Kommentar: Fünf Jahre Krimkrise – Auswirkungen auf die russische Innenpolitik

Stefan Meister

/ 4 Minuten zu lesen

Die Annexion der Krim hatte vor allem auf die Beliebtheit von Präsident Putin einen positiven Effekt. Während der Unmut in der Bevölkerung über innenpolitische Entscheidungen wächst, scheint sich der Präsident allein für die russische Außenpolitik verantwortlich zu fühlen.

Bei einem Treffen in Simferopol spricht der russische Präsident Wladimir Putin mit Mitgliedern der krimschen Gesellschaft. (© picture alliance/Mikhael Klimentyev/Sputnik/dpa)

Die Annexion der Krim hatte nicht nur Auswirkungen auf das Verhältnis Russlands zur EU (Russland wurde vom strategischen Partner zum Gegner), zu den USA (Russland wurde von der vernachlässigbaren Macht zum Feindbild Nummer zwei, nach China) sowie zur Ukraine (dort kam es zum Nation Building in scharfer Abgrenzung zu Russland), sondern wirkte sich auch auf die russische Innenpolitik aus. Nachdem die Annexion der Krim Wladimir Putin aus der mit seiner Entscheidung zur Wiederwahl zum Präsidenten 2012 bestehenden Legitimationskrise herausgeholfen hatte, erfolgte im Nachgang eine Mobilisierung der russischen Bevölkerung gegen innere und äußere Feinde, die teilweise an stalinistische Rhetorik erinnerte. Diese Polarisierung der Gesellschaft und das damit verbundene politische Klima haben dazu beigetragen, dass 1,7 Millionen vor allem junge und gut ausgebildete Russen ihr Land seit 2012 verlassen haben. Damit einher gingen eine Stigmatisierung und Marginalisierung jeglicher Opposition, wachsende Repressionen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen sowie eine grundlegende Veränderung der russischen Außenpolitik.

Präsident Putin hat den Erfolg auf der Krim und die Heroisierung seiner Person so interpretiert, dass er freie Hand bei ambitionierten außenpolitischen Projekten hat. Diese neue Außenpolitik im Donbas, in Syrien und zunehmend in Libyen und im Schwarzen Meer sowie der Cyber- und Informationskrieg können als risikofreudig, aggressiv und rücksichtslos gegenüber den Befindlichkeiten des Westens charakterisiert werden. Die Militarisierung der russischen Außenpolitik wirkt über eine Versicherheitlichung auch auf die russische Innenpolitik. Das bedeutet Budgetverschiebungen zugunsten von Militär und Geheimdiensten sowie wachsender Einfluss des sicherheitspolitischen Denkens auf politische Entscheidungen – ohne Korrektive.

Inszenierung als Kriegsherr und historische Figur

Während sich Putin in seinen beiden ersten Amtszeiten vor allem auf die innere Stabilisierung und Konsolidierung Russlands konzentriert hat, stand seine dritte Präsidentschaft im Zeichen eines neuen geopolitischen Spiels. Die Annexion der Krim hat das Volk um Putin herum versammelt, ihm außenpolitischen Spielraum gegeben und dann den Präsidenten vom Volk abgekoppelt. Mit der Rentenreform und dem Nachlassen des Krim-Effekts sind die Zustimmungsraten für den Präsidenten und die Partei der Macht "Einiges Russland" zurückgegangen. Die Bevölkerung zeigte ihren Unmut über den andauernden Wohlstandsverlust bei den letzten Regionalwahlen und bei Demonstrationen gegen die neue Internetgesetzgebung. Erstmals wird der Unmut der Bevölkerung auch in den Umfrageergebnissen deutlich: 55 Prozent der Russen äußerten im Dezember 2018 bei einer Umfrage des Lewada-Zentrums die Ansicht, Putin sei schuld an der Misere. Den Präsidenten jedoch scheint das alles nicht zu berühren. Er inszenierte sich bei seinem Jubiläumsauftritt zu fünf Jahren Annexion der Krim weiter als Kriegsherr und historische Figur. Er ist ja verantwortlich für die Außenpolitik, seine jungen Technokraten für die Innenpolitik.

Großes Theater, das vor allem kostet

Wladislaw Surkow hat in einem zynischen Artikel in der "Nesawisimaja Gaseta" Mitte Februar 2019 (mal wieder) behauptet, die Russen seien anders als alle anderen Völker, nicht Umfragen verstünden das Volk, sondern nur Putin. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein. Für viele Russen zählt, was sie am Ende des Monats in der Tasche haben, und Putin versteht sein Volk nicht mehr. Die Euphorie im Zuge der Krim-Annexion hat die russische Führung offenbar nicht nur von den strukturellen Defiziten ihrer Politik abgelenkt, sondern sie auch in dem Glauben bestärkt, alles manipulieren zu können. Jetzt wo der Rauch verschwindet, wird deutlich, dass die Annexion der Krim ein großes Theater war, das vor allem kostet. Es hat keine großen Auslandsinvestitionen (nicht mal chinesische) auf der Krim gegeben, da internationale Firmen die westlichen und vor allem die US-Sanktionen fürchten. Die Krim ist unter den fünf wichtigsten Nehmerregionen, die auf föderale Zahlungen aus Moskau angewiesen sind. Laut Journalist Jewgenij Karasjuk wird Russland zwischen 2014 und 2020 eine Trillion Rubel (13,6 Billiarden Euro) über Zuschüsse, Subventionen und ein föderales Programm in die Krim investiert haben. Die Krimbrücke über die Meerenge von Kertsch und die zu ihr führenden 250 Kilometer Autobahn kosten zusammen 450 Milliarden Rubel (gut 6 Milliarden Euro), mehr als das Jahresbudget einiger russischer Regionen.

Die Post-Krim-Realität

Während große Teile der russischen Bevölkerung im Zusammenhang mit andauernden Einkommensverlusten bereits in der post-Krim-Realität angekommen sind (laut Meinungsforschungsinstitut FOM sahen 2014 noch 67 Prozent der befragten Russen einen eindeutigen Nutzen in der "Angliederung" der Krim, 2019 waren es nur noch 39 Prozent – siehe auch die Umfrage auf S. 15), scheint die russische Führung diese Realität weiterhin ignorieren zu wollen. Weder glaubt sie, bei der Rentenreform oder bei der Internetgesetzgebung Kompromisse machen zu müssen, noch ist sie bereit, ein Entgegenkommen im Krieg im Donbas zu zeigen. Der Westen ist schwach und Russland ist stark. Diese Wahrnehmungsstörung des Kremls führt inzwischen in der Bevölkerung zu der Diskussion, ob Putin überhaupt noch alle Entwicklungen im Land kontrolliere und wer die innenpolitischen Probleme lösen solle, wenn der Präsident sich nur für außenpolitische Fragen verantwortlich fühle. Damit ist die Annexion der Krim nicht nur ein entscheidender Baustein für die grundlegende Entfremdung zwischen Russland und der EU, sondern wirft die zentrale Frage auf, wie stabil und handlungsfähig das System Putin eigentlich noch ist.

Fussnoten

Stefan Meister war bis vor kurzem Leiter des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ab Sommer wird er das Auslandsbüro der Heinrich Böll Stiftung für den Südkaukasus in Tiflis leiten. Er arbeitet zu russischer Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik, deutsch-russischen Beziehungen, russischer Desinformation, Russlands Politik gegenüber den postsowjetischen Staaten sowie zu postsowjetischen Konflikten. Zuletzt erschienen von ihm in Co-Herausgeberschaft die Sammelbände "Eastern Voices: Europe’s East Faces an Unsettled West" (Externer Link: https://dgap.org/de/think-tank/publikationen/weitere-publikationen/eastern-voices-europes-east-faces-unsettled-west) und "The Russia File: Russia and the West in an Unordered World" (Externer Link: https://dgap.org/en/think-tank/publications/further-publications/russia-file-russia-and-west-unordered-world), beide bei Brookings Press.