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Analyse: Der Mineralölkonzern "Rosneft" - Kommerzieller Erfolg und Einsatz politischer Machtmittel | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Der Mineralölkonzern "Rosneft" - Kommerzieller Erfolg und Einsatz politischer Machtmittel

Hans-Henning Schröder

/ 12 Minuten zu lesen

Ein kometenhafter Aufstieg: Der Mineralölkonzern "Rostneft" wurde in wenigen Jahren zu einem Marktführer in der russischen Mineralölindustrie. Das hängt auch mit seiner Stellung im Staat zusammen, urteilt Hans-Henning Schröder.

Eine Ölbohrstation des Unternehmens "Rostneft" in der Arktis. Die Firma entwickelte sich in wenigen Jahren zu einem der größten russischen Mineralölkonzerne. (© picture alliance/Press-Service of Rosneft/Sputnik/dpa)

Zusammenfassung

Rosneft ist eine Aktiengesellschaft, deren Aktienmehrheit sich in staatlicher Hand befindet, und einer der größten Akteure auf dem russischen Energiemarkt. Gegründet 1992 als staatliche Ölgesellschaft im Rahmen der Privatisierungspolitik war "Rosneft" ursprünglich nicht mehr als eine Art "Auffangbecken" für jene Teile der sowjetischen Ölindustrie, die nicht von den privaten Energiekonzernen übernommen wurden. Nach 1998 wurde der Konzern jedoch reorganisiert und vergrößerte sich in den folgenden Jahren durch die Übernahme russischer Konkurrenzunternehmen wie "Jukos", TNK/BP oder "Baschneft", bis er neben "Lukoil " der größte russische Ölkonzern war. Betrachtet man die Entwicklung des Mineralölkonzerns Rosneft, dann erscheint er als ein Hybrid aus politischem Apparat und Wirtschaftsunternehmen. Einerseits agiert er auf dem Weltenergiemarkt kommerziell und verbindet sich mit transnationalen Großkonzernen. Andererseits beruht sein Erfolg im Inland auf der engen Zusammenarbeit mit den Herrschaftsstrukturen.

Ein Mineralölkonzern in Russland

Russlands Wirtschaft profitiert in hohem Maße von Energieexporten. Im Jahre 2017 war Russland nach Angaben der Firma "Trading Economics" das Land mit der höchsten Erdölförderung weltweit – noch vor Saudi-Arabien und den USA. Es kann daher nicht überraschen, dass die Öl- und Gasindustrie in der russischen Volkswirtschaft eine beherrschende Rolle spielt. Auf der Liste der 500 größten russischen Unternehmen rangieren 2017 drei Öl- und Gasunternehmen unter den ersten fünf: "Gazprom", "Lukoil" und "Rosneft" (siehe Interner Link: Tabelle 1 und Grafik 1).

Insgesamt zählte der Medienkonzern RBK unter den 500 größten russische Unternehmen 53 Öl- und Gasunternehmen. Die Aktiengesellschaft "Ölkompanie ‚Rosneft‘ "nahm im Ranking die dritte Stelle ein und lag im Einnahmenbereich dicht hinter dem privatwirtschaftlich geführten Ölkonzern Lukojl. "Surgutneftegaz", das nächstgrößere Mineralölunternehmen und an 9. Stelle im RBK-Ranking, war schon deutlich kleiner. Es kam nur auf ein Viertel der Einnahmen von Rosneft. Lukoil und Rosneft sind also führend bei der Förderung, Weiterverarbeitung und dem Export von Öl, während Gazprom das Gasgeschäft dominiert.

Das Unternehmen Rosneft

Rosneft ist eine Aktiengesellschaft, deren Aktienmehrheit sich in staatlicher Hand befindet. Der Konzern definiert es als seine Aufgabe, Lagerstätten fossiler Brennstoffe zu erkunden, Öl, Gas und Gaskondensat zu fördern, Projekte zur Erschließung von Lagerstätten im Festlandssockel umzusetzen, die geförderten Rohstoffe zu verarbeiten sowie Öl, Gas und verarbeitete Produkte in Russland und im Ausland zu vermarkten. Er wird vom russischen Staat auf der Liste "strategischer Unternehmen" geführt.

Hauptaktionär ist die Aktiengesellschaft "Rosneftegaz", deren Aktien sich zu 100 Prozent in Staatsbesitz befinden und von der Föderalen Agentur zur Verwaltung des Staatsbesitzes (Rosimuschtschestwo) gehalten werden. In Gestalt von Rosneftegaz verfügt der Staat über ein Kontrollpaket von 50 Prozent des Aktienkapitals plus einer Aktie (siehe Interner Link: Tabelle 2).

Der Konzern gliedert die zugehörigen Betriebe und Projekte nach der Funktion im Produktionsprozess: Exploration, Förderung, Verarbeitung, Absatz und Service. Der größte unter den Förderbetrieben ist "RN-Juganskneftegas". Nach Angaben von Rosneft ist RN-Juganskneftegas für 12 Prozent der gesamten russischen Ölförderung verantwortlich. Der russische Wikipedia-Eintrag behauptet, dass im Jahre 2017 die Produktion des Tochterunternehmens 57 Prozent der Ölförderung von Rosneft ausmachte. Ende 2015 hatte der gesamte Konzern 261.500 Mitarbeiter.

Geleitet wird der Konzern seit Anfang 2018 von einem Vorstand (Prawlenije), dem elf Personen angehören. Vorstandsvorsitzender ist Igor Setschin. Der Aufsichtsrat ("Direktorenrat" – Sowjet direktorow) besteht ebenfalls aus elf Personen. An seiner Spitze steht der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, sein Stellvertreter ist Setschin. Dem Aufsichtsrat gehören ferner Andrej Beloussow an, seines Zeichens Berater des Präsidenten mit dem Arbeitsbereich Wirtschaft und Industrie, Aleksandr Nowak, der russische Minister für Energiewirtschaft, Robert ("Bob") Dudley, der Vorstandsvorsitzende von BP, Donald Humphreys, bis 2013 Vizepräsident von "ExxonMobil" sowie weitere namhafte Vertreter der Energiewirtschaft aus Brasilien, Katar und den USA. In dieser Zusammensetzung spiegelt der Aufsichtsrat die Bindung von Rosneft an den russischen Staat und seine Ambitionen als internationaler Energieakteur wider.

Rosneft vor 2004: Vom Ministerium zur Aktiengesellschaft

Gegründet 1992 als staatliche Ölgesellschaft im Rahmen der Jelzinschen Privatisierungspolitik, war Rosneft ursprünglich nicht mehr als eine Art "Auffangbecken" für jene Teile der sowjetischen Ölindustrie, die nicht von den in dieser Phase gegründeten privaten Energiekonzernen Lukoil, Jukos und Surgutneftegas übernommen worden waren. In den folgenden Jahren bedienten sich weitere neugegründete Ölkonzerne wie "Sidanko", "Onako", VNK und "Sibneft" aus der bei Rosneft "geparkten" Restmasse. Rosneft selbst war in dieser Phase schlecht organisiert und es gelang dem Mutterkonzern auch nicht, seine Tochtergesellschaften zu kontrollieren. Ende der 1990er Jahre stand Rosneft in der Rangliste der russischen Ölkonzerne an achter Stelle und verfügte, was Förderung und Reserven anging, gerade mal über 5 Prozent der russischen Kapazitäten.

Wie die anderen Großunternehmen litt Rosneft unter der Finanzkrise von 1998. Diese allerdings markierte auch eine Wende. Direkt nach der Krise, am 14. Oktober 1998 übernahm Sergej Bogdantschikow das Amt des Konzernpräsidenten und damit die Unternehmensleitung. Er war ein Fachmann mit großer Erfahrung und seit Anfang der 1980er Jahre in der sowjetischen Ölindustrie und dem Apparat der KPdSU tätig. In den 1990er Jahren hatte er Tochterunternehmen von Rosneft geführt und war 1997 zum Vizepräsidenten des Konzerns aufgestiegen. Ihm gelang es, die Situation bei Rosneft zu stabilisieren, die Tochterunternehmen unter Kontrolle zu bringen, Minderheitsaktionäre zu verdrängen und den Bestand des Konzerns zu sichern. Seine Position wurde 2004 weiter gestärkt, als Igor Setschin, die graue Eminenz der Putin-Administration, der dem Vernehmen nach auch lange Jahre in Verbindung mit dem sowjetischen Geheimdienst stand, den Vorsitz des Aufsichtsrates von Rosneft übernahm.

Rosneft und Jukos

Im Jahre 2005 stieß Rosneft in die Spitzengruppe der russischen Ölkonzerne vor. Innerhalb eines Jahres konnte der Konzern seine Rohölförderung nahezu vervierfachen. Geschuldet war dieser Zuwachs der Übernahme des Förderbetriebes Juganskneftegas, das seitdem über die Hälfte der Erdölförderung des Konzerns erbringt (siehe Interner Link: Tabelle 3).

Juganskneftegas hatte bis 2003 zum Jukos-Konzern gehört und war dessen wichtigster Förderbetrieb gewesen. Doch Jukos wurde 2003 durch Steuernachforderungen, die rasch in ein Konkursverfahren mündeten, in die Insolvenz getrieben. Der Hauptanteilseigner, Michail Chodorkowskij, wurde verhaftet und in zwei zweifelhaften Verfahren zu langjähriger Lagerhaft verurteilt. Um die Steuerschulden zu befriedigen, leitete das Justizministerium Ende 2004 den Verkauf von Juganskneftegas ein. Man setzte den Preis mit 8,65 Mrd. US-Dollar an, obwohl internationale Investmentbanken den Wert des Unternehmens auf 13 – 20 Mrd. US-Dollar schätzten. Dem Vernehmen nach hatte Gazprom geplant, Jugansk­neftegas zu erwerben und sich damit auch im Ölgeschäft zu etablieren. Nachdem die Jukos-Affäre international großes Aufsehen erregte und im Westen der öffentliche und juristische Druck auf mögliche Geldgeber für die Übernahme hoch war, entschied sich der Gaskonzern anders und bot bei der Auktion lediglich einen Mindestbetrag. Ein unbekanntes Unternehmen, die Baikalfinansgrup, die zwei Wochen vorher registriert worden war, bot dagegen 9,35 Mrd. US-Dollar und erhielt dafür am 19.12.2004 den Zuschlag. Drei Tage später, am 22.12.2004 wurde die Bajkalfinansgrupp von Rosneft aufgekauft, womit der Konzern in Besitz des wichtigsten Vermögenswertes von Jukos gelangte und zwar für eine Geldsumme, die deutlich unter dem Marktpreis lag. Allerdings hatte Rosneft zunächst Probleme, den Kaufpreis aufzubringen und geriet in eine finanzielle Schieflage, aus der sich der Konzern erst 2006 durch einen erfolgreichen Börsengang in London befreien konnte.

Rosneft hatte mit dem Erwerb der wichtigsten Vermögenswerte von Jukos seine Position auf dem russischen und internationalen Ölmarkt gestärkt. Doch dies war nicht das Ergebnis der Erschließung neuer Fördergebiete oder des Ausbaus der Förderkapazitäten. Rosneft profitierte davon, dass die russischen Sicherheitsorgane einen Konkurrenten ausschalteten, und das Justizministerium die Auktionsfarce mittrug, mit der sich Rosneft die Vermögenswerte zu einem Niedrigpreis aneignete.

Der Ausbau des Konzerns seit 2004

2004 begann für den Konzern "eine neue Etappe", wie Rosneft auf seiner Website mitteilt . Man straffte das Management, integrierte die von Jukos übernommenen Unternehmen, führte erfolgreich den Börsengang durch und weitete seine Aktivitäten im Inland und im Ausland aus. Schließlich engagierte der Konzern sich im Gasgeschäft. Die Ölpreiskrise 2008 führte zwar zu zeitweiligen Gewinneinbußen, doch erholte Rosneft sich rasch.

International suchte Rosneft zunächst die Zusammenarbeit mit dem britischen Mineralölkonzern BP. Im Jahre 2011 vereinbarte man einen Aktienaustausch und die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens zur Entwicklung von Förderfeldern in der Kara-See (Arktis). Dieses Vorhaben scheiterte am Widerstand der innerrussischen Konkurrenz. Das Aktionärskonsortium AAR, Anteilseigner des Konzerns TNK/BP, legte vor dem Stockholmer Schiedsgericht erfolgreich Einspruch ein. Rosneft orientierte sich daher um und schloss am 30. August 2011 ein Abkommen mit ExxonMobil über eine Zusammenarbeit bei der Erschließung des arktischen Festlandsockels und von Ölvorkommen im Schwarzen Meer. Im Gegenzug eröffnet ExxonMobil Rosneft die Möglichkeit von Minderheitenbeteiligungen bei Projekten im Golf von Mexiko.

Der Konflikt mit TNK/BP war damit aber nicht beigelegt. Bei diesem Unternehmen handelte es sich um ein 2003 gegründetes Gemeinschaftsunternehmen, an dem die britische BP und das russische Investorenkonsortium AAR jeweils 50 Prozent hielten. Die russische Seite, die "Tjumenskaja Neftjanaja Kompanija" (TNK) war 1995 aus Rosneft herausgelöst und bei den Pfandauktionen 1997 von der "Alfa Grupp" (Michail Fridman und Pjotr Awen) erworben worden. Die Holding sanierte den Ölkonzern mit Erfolg und erweiterte den Kreis der Aktionäre, indem sie "Access Industries" (Leonard Blavatnik) und "Renova" (Viktor Wekselberg und German Chan) mit einbezog. Diese drei Gruppen bildeten das Aktionärskonsortium AAR. Durch den Aufkauf der Ölfirma "Sidanko", an der auch BP beteiligt war, kam TNK mit dem britischen Ölkonzern in Kontakt. Nach einer Phase von Reibungen gründeten BP und AAR im Jahr 2003 mit Unterstützung durch die russische politische Führung um Präsident Putin schließlich das Gemeinschaftsunternehmen TNK/BP, dem beide Seiten alle ihre Aktiva in Russland und der Ukraine übergaben.

Allerdings war die Partnerschaft zwischen AAR und BP voller Konflikte und AAR versuchte bald, BP aus dem Unternehmen zu drängen. In Reaktion darauf suchte BP eine Partnerschaft mit Rosneft und plante mit ihm ein gemeinsames Projekt in der Arktis, ein Vorhaben, das auf Antrag von AAR vom Stockholmer Schiedsgericht untersagt wurde, da es die Verträge zwischen BP und AAR verletzte. Es folgte ein internes Tauziehen zwischen drei Parteien Rosneft, AAR und BP, in dem Rosneft sich durchsetzte. Im Oktober 2012 wurde bekannt, dass Rosneft auch TNK/BP übernahm. Das Aktionärskonsortium AAR verkaufte seine Anteile für 27,3 Mrd. US-Dollar an Rosneft, und BP gab seine Ansprüche gegen Zahlung von 16,65 Mrd. US-Dollar und 12,84 Prozent der Rosneft-Aktien auf.

Rosneft hatte damit einen weiteren Wettbewerber in Russland eliminiert und sich zugleich international besser aufgestellt. Im Jahr 2012 erweiterte der Konzern seinen Tätigkeitsbereich, indem er mit dem privaten Erdgasunternehmen "Itera" einen gemeinsamen Betrieb zur Erschließung und Ausbeutung von Erdgasvorkommen gründete. Nach und nach erwarb Rosneft "Itera"-Aktien und übernahm die Firma dann im Mai 2013 ganz. Damit war Rosneft auch im Gasgeschäft präsent.

Unternehmensausbau, Übernahme von Konkurrenten, Ausweitung der Geschäftsfelder und Internationalisierung waren in diesen Jahren die Grundzüge der Konzernstrategie. Kompetentes Management, stabiler Rückhalt in der politischen Führung und gute Verbindung zu den Sicherheitsorganen erlaubten es der Konzernführung, an deren Spitze Igor Setschin 2010 Sergej Bogdantschikow abgelöst hatte, ihren Kurs durchzusetzen.

Das Jahr 2014: Sanktionen und Ölpreiskrise

Durch die Entwicklungen des Jahres 2014 geriet Rosneft allerdings wieder unter erheblichen Druck. Nach dem russischen Militäreinsatz auf der Krim und der Übernahme der Halbinsel in den Bestand der Russländischen Föderation verhängte die US-Administration Sanktionen gegen Einzelpersonen und Organisationen in Russland sowie in der Ukraine. Setschin und Rosneft fanden sich bereits im März 2014 auf den Sanktionslisten wieder. Damit wurden Transaktionen des Konzerns und seines Vorstandsvorsitzenden mit US-Bürgern und Unternehmen in den USA eingeschränkt. Die EU-Kommission folgte dem im Juli und Dezember 2014 mit Erlassen, die die Geschäftsbeziehungen mit der russischen Ölindustrie erheblich beschränkten. Diese Maßnahmen beschnitten die Möglichkeiten von Rosneft, sich Kapital im Ausland zu verschaffen, da mögliche Geldgeber sich Strafmaßnahmen der EU und der USA aussetzten.

Rosneft litt auch deshalb unter diesen Maßnahmen, weil die Erdölpreise in der zweiten Jahreshälfte 2014 deutlich zurückgingen – von 100 Euro/Barrel Anfang September 2014 auf 45 Euro/Barrel Mitte Januar 2015. Für das Unternehmen bedeutete das massive Einbußen. Während die Förderung auf gleichem Niveau blieb, sank der Ertrag – in US-Dollar gerechnet – zwischen 2014 und 2015 um 40 Prozent, der Reingewinn um 34 Prozent. Der Kursverfall des Rubels gegenüber dem Dollar schönte die Rubelbilanz, doch das änderte nichts daran, dass die Einnahmen aus dem internationalen Ölgeschäft eingebrochen waren (siehe Interner Link: Tabelle 4).

In dieser Situation wandte sich Rosneft, wie die Zeitung "Wedomosti" am 14.8.2014 meldete, an die Regierung und bat um eine Finanzhilfe in Höhe von 1.500 Mrd. Rubel [rund 27,81 Mrd. Euro zum damaligen Umrechnungskurs] aus dem staatlichen Wohlstandsfond. Igor Setschin, der Vorstandsvorsitzende von Rosneft, spielte die Bitte um solche Regierungsanleihen in einem Spiegel-Interview herunter und stritt einen Zusammenhang mit den Sanktionen ab. Ministerpräsident Medwedew unterstützte eine mögliche Anleihe des Konzerns. Auch das Energieministerium befürwortete das Ansuchen von Rosneft, das sich in Wirklichkeit sogar auf 2.000 Mrd. Rubel belief, wie Finanzminister Siluanow offenbarte. Das Wirtschaftsministerium indessen bewertete das Ansinnen skeptisch. Minister Uljukajew erklärte im Oktober 2014, dass der Antrag abgelehnt werden müsse, da er nicht den Regularien des Wohlstandsfonds entspreche:

"Wir finanzieren keine Unternehmen oder deren Investitionsprojekte. Wir finanzieren einzelne Projekte, vor allem im Bereich der Infrastruktur. Wenn ein Unternehmen so ein Projekt vorstellt, dann prüfen wir es. Bisher haben wir so ein Projekt nicht gesehen."

Zudem übertreffe die Antragssumme die Obergrenze für eine Kreditvergabe aus dem Wohlstandsfonds bei weitem. Die Regularien sähen vor, dass nicht mehr als 60 Prozent der Rücklagen für Kreditvergabe eingesetzt werden sollen und nicht mehr als 40 Prozent für einen einzelnen Antrag. Bei einer Rücklage in Höhe von 3.270 Mrd. Rubel [rund 60,6 Mrd. Euro zum damaligen Umrechnungskurs] würde die Obergrenze daher insgesamt bei 1.900 Mrd. Rubel liegen, und für einen einzelnen Antragsteller bei 1.300 Mrd. Rubel.

Präsident Putin lavierte im November 2014 noch, ließ aber durchblicken, dass mögliche Kredite an Rosneft voraussichtlich unterhalb der gewünschten Summe liegen würden:

"Wenn ich der Vorstandsvorsitzende von Rosneft wäre, würde ich auch um Geld bitten. Warum nicht? Wer fragt heute nicht danach? … Die Regierung – ich kenne ihre Position, weil ich sie mit dem Kabinett und mit Rosneft diskutiert habe – wird eine Entscheidung treffen, … Das wird eine realistische Bewertung sein und ich schließe nicht aus, dass Rosneft gewisse Mittel bekommen wird. Doch der Umfang solcher Finanzierungen und die Bedingungen erfordern eine gründliche Analyse. Da darf man nichts übereilen."

Es dauerte bis zum Spätsommer des folgenden Jahres, ehe eine Entscheidung gefällt wurde. Wirtschaftsminister Uljukajew teilte am 23. August 2015 Journalisten am Rande einer Konferenz in Malaysia mit, dass vier der fünf von Rosneft beantragten Projekte abgelehnt worden seien.

Während die Regierung erörterte, ob man dem Ansuchen des Konzerns in der angestrebten Höhe nachkommen solle, unterstützte sie gleichzeitig die Privatisierung von 19,5 Prozent der Rosneft-Aktien – eine Maßnahme, die auch darauf gerichtet war, neues Kapital aufzubringen. Der Verkauf wurde dann in der Tat im Laufe der nächsten beiden Jahre auch bewerkstelligt.

Parallel zu dem Hilfegesuch an den Staat führte Rosneft seine Geschäfte weiter. Die Zusammenarbeit mit ExxonMobil für Erschließung eines Förderfeldes im arktischen Festungssockel ging voran, Lieferbeziehungen nach China wurden ausgebaut. Zugleich versuchte Rosneft den Mineralölkonzern Baschneft zu übernehmen. Rosneft konnte sich dabei gegen den Minderheitseigner Jewtuschenkow durchsetzen (nicht ohne Rückgriff auf "administrative Ressourcen") und die Übernahme im Oktober 2016 erfolgreich vollziehen (siehe dazu den Interner Link: Beitrag von Roland Götz in dieser Ausgabe).

Staat und Konzern

Betrachtet man die Entwicklung des Mineralölkonzern Rosneft, dann erscheint er als ein Hybrid aus politischem Apparat und Wirtschaftsunternehmen. Einerseits agiert er auf dem Weltenergiemarkt kommerziell und verbindet sich mit transnationalen Großkonzernen. Andererseits beruht sein Erfolg im Inland auf der engen Zusammenarbeit mit den Herrschaftsstrukturen.

Sowohl im Falle Juganskneftegas, wie in den Fällen TNK/BP oder Baschneft nutzte die Rosneft-Führung politische Rückendeckung und das Vorgehen der Justiz- und Sicherheitsorgane, um russische Wettbewerber zu übernehmen und sich auf diese Weise zu vergrößern. Symptomatisch ist auch die Verwicklung der Konzernspitze in den Sturz und die Verurteilung von Wirtschaftsminister Uljukajew. Dass der Vorstandsvorsitzende eines großen Konzerns den agent provocateur spielt, um einen Minister zu stürzen, ist eine bizarre Vorstellung. Dass sich diese Maßnahmen gegen einen Minister richtet, der eine Staatshilfe für das Unternehmen öffentlich abgelehnt hat, gibt der Affäre reichlich Beigeschmack.

In jedem Falle ist Rosneft ein wichtiger Akteur in der russischen Wirtschaft und in der russischen Politik, ein Akteur, der nicht umgangen werden kann. Der Konzern verfolgt einerseits kommerzielle Interessen, andererseits betreibt er anscheinend auch eine Politik, die darauf ausgerichtet ist, "strategische" Ressourcen unter staatliche Aufsicht zu bringen. Er greift so in die Kräfteverhältnisse zwischen den Elitengruppen ein und betreibt somit auch eine politische Neuordnung. Dabei sichert er auch die Vormachtstellung derjenigen Elitengruppen, die gegen eine Modernisierung des Landes und eine Öffnung der Gesellschaft stehen.

Lesetipps

  • Fortescue, Stephen: Russia’s Oil Barons and Metal Magnates. Oligarchs and the State in Transition, Houndsmills, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2006.

  • Poussenkova, Nina: Lord of the Rigs. Rosneft as a Mirror of Russia’s Evolution. Prepared in Conjunction with an Energy Study Sponsored By Japan Petroleum Energy Center and the James A. Baker III Institute for Public Policy Rice University, March 2007, 95 S. Externer Link: https://carnegieendowment.org/files/Rosneft_Nina.pdf, 30. Januar 2018.

  • Grätz, Jonas: "Russland" als globaler Wirtschaftsakteur. Handlungsressourcen und Strategien der Öl- und Gaskonzerne, München: Oldenbourg 2013 [= Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (03) der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zu Frankfurt am Main]).

  • Baev, Pavel: Rosneft, Gazprom and the Government: the Decision-Making Triangle on Russia’s Energy Policy, March 2014 [= Russie.Nei.Visions, No. 75]; Externer Link: https://www.ifri.org/sites/default/files/atoms/files/ifrirnv75pbaevenergyengmarch2014.pdf, 1. Februar 2018.

Fussnoten

Prof. Dr. Hans-Henning Schröder lehrte am Osteuropa-Institut der FU Berlin "Regionale Politikanalyse mit Schwerpunkt Osteuropa". Er war bis April 2017 der Herausgeber der Russland-Analysen, die er 2003 gemeinsam mit Heiko Pleines gegründet hat.