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Analyse: Diversifizierung der sozialen Dienstleistungen in Russland: Gründe für regionale Unterschiede | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Diversifizierung der sozialen Dienstleistungen in Russland: Gründe für regionale Unterschiede

Anna Tarasenko

/ 11 Minuten zu lesen

In einigen Gebieten Russlands werden Sozialleistungen fast ausschließlich von staatlichen Trägern übernommen, in anderen agieren bereits nichtstaatliche Organisationen und Privatunternehmen in diesem Bereich. Anna Tarasenko erklärt, woher diese regionalen Variationen kommen und wie die Reform des Sozialwesens der Dominanz staatlicher Anbieter entgegenwirken könnte.

Ein Sozialarbeiter einer kirchlichen Einrichtung im Gespräch mit Obdachlosen in einer Notunterkunft in Moskau. (© picture-alliance/dpa)

Der Bereich personenbezogener sozialer Dienstleistungen in Russland durchläuft seit einigen Jahren einen Wandel: Kompetenzen des Staates als Träger sozialer Dienste werden teilweise auf nichtstaatliche Organisationen und Privatunternehmen verlagert. Doch dieser Prozess vollzieht sich in den russischen Regionen höchst unterschiedlich. Zwei wesentliche Gründe lassen sich dafür ausmachen: Erstens hängt die Diversifizierung in der Erbringung sozialer Dienstleistungen davon ab, inwieweit Regionen bereits die neuen Prinzipien öffentlichen Managements umgesetzt haben. Und zweitens führt ein höherer Wohlstand einer Region zu einer größeren Vielfalt an Trägern sozialer Dienstleistungen.

Einleitung

Die Erfahrungen, die Russland mit der Reform des Systems der sozialen Sicherung und dem Abschied vom Staatsmonopol im Bereich sozialer Dienstleistungen gemacht hat, sind ein wichtiges und lehrreiches Beispiel, wie ein eng verstandenes Modernisierungsprojekt angesichts der Bedingungen in einem undemokratischen politischen Regime umgesetzt wurde. Die Prinzipien eines neuen öffentlichen Managements und das Setzen auf nichtstaatliche Dienstleister im Sozialbereich gehören mittlerweile in vielen Staaten West- und Osteuropas zu den sozialpolitischen Elementen. Für eine Beurteilung der Ergebnisse dieser Reform in einem so großen Land wie Russland ist die Berücksichtigung regionaler Unterschiede von grundsätzlicher Bedeutung. Ziel der vorliegenden Analyse ist es, die regionalen Variationen bei der Diversifizierung des Bereichs der sozialen Dienstleistungen herauszuarbeiten. Darüber hinaus wird erklärt, worauf diese regionalen Unterschiede zurückzuführen sind.

Ziele und Inhalt der Reform des Sozialwesens

Die Reform des Systems der sozialen Sicherung wird in Russland mit Hilfe einer Reihe föderaler Gesetze umgesetzt, die die Schaffung ähnlicher Gesetze auf regionaler Ebene vorschreiben. Hier ist das Gesetz Nr. 442-FZ "Über die Grundlagen sozialer Dienstleistungen für Bürger der Russischen Föderation" zu nennen (Verabschiedung: 28.12.2013, in Kraft getreten am 1.1.2015), das für nichtstaatliche Anbieter von Dienstleistungen ebenso wie für öffentliche Träger Kompensationszahlungen aus den regionalen Haushalten vorsieht. Die Föderalen Gesetze Nr. 174-FZ "Über autonome Einrichtungen" vom 3.11.2006 und Nr. 83-FZ vom 8.5.2010 zielten auf die Reform des öffentlichen Bereichs, indem unter anderem ineffiziente Einrichtungen reduziert und ihre Tätigkeit kommerzialisiert werden soll. Das Änderungsgesetz Nr. 40-FZ "Über Änderungen in einzelnen Gesetzesakten der Russischen Föderation zur Frage der Förderung sozial-orientierter nichtkommerzieller Organisationen" vom 5.4.2010 machte es möglich, nichtkommerziellen Organisationen (NKO) den Status von sozial-orientierten NKO [im Weiteren: SONGO; d. Red.] zu verleihen, was ursprünglich die Erfahrung westlicher Länder kopieren sollte. Dort gibt es die gesonderte Kategorie der gemeinnützigen (socially beneficial) Organisationen. Einerseits sollte die Umsetzung dieser Gesetze die staatlichen und kommunalen Träger (Soziale Förderzentren, Altenheime, Familienhilfezentren, Krisenzentren für Frauen, Obdachloseneinrichtungen usw.) von einer staatlichen Finanzierung unabhängiger, marktorientierter und auch effizienter machen. Hierzu sollten sich staatliche Einrichtungen als sogenannte "staatliche autonome Einrichtungen" registrieren lassen. Der Status einer autonomen staatlichen Einrichtung wird aufgrund einer Entscheidung der Leitung sowie der Mitarbeiter der Einrichtung erlangt und ermöglicht ein eigenständigeres finanzielles und administratives Handeln: Es können Kredite aufgenommen und Dienste entgeltlich angeboten werden; die Einrichtung kann an Ausschreibungen für staatliche Fördermittel teilnehmen und mit nichtstaatlichen Organisationen zusammenarbeiten, unter anderem in Form gemeinsamer Projekte. Eine autonome Einrichtung ist stärker den Entscheidungen des Aufsichtsrates unterstellt als ihrem Gründer (der zuständigen regionalen Sozialbehörde). Für diese Eigenständigkeit müssen die autonomen staatlichen Einrichtungen auch Pflichten übernehmen, unter anderem das finanzielle Risiko und die Vermögensrisiken tragen – der staatliche Gründer der Einrichtung wird von diesen Pflichten und Risiken befreit.

Andererseits erhalten SONGOs und Privatunternehmer die Möglichkeit, Dienstleistungen ganz wie staatliche Einrichtungen anzubieten und dafür nach einheitlichen Tarifen, die für alle Anbieter gelten, öffentliche Mittel zu erhalten. Dadurch ergibt sich keineswegs immer eine "Gleichberechtigung", weil die finanziellen und personellen Möglichkeiten der NKO in der Regel natürlich erheblich geringer sind, als die von staatlichen Einrichtungen. Zur Aufnahme in ein Register muss eine nichtkommerzielle Organisation oder eine private Firma, bestätigen, dass sie berechtigt ist, Dienstleistungen anzubieten (beispielsweise medizinische oder pädagogische), und sie muss unter den Mitarbeitern über die nötigen Fachkräfte für diese Dienstleistungen verfügen. Die Praxis zeigt, dass dieses Verfahren in einigen Regionen sehr einfach ist und durch die NKO leicht durchlaufen werden kann. Allerdings gibt es auch Regionen, in denen für die Aufnahme in ein Register bewusst bürokratische Hürden errichtet werden. Daher ist das Vorhandensein nichtstaatlicher Organisationen im Register ein Indikator für den guten Willen und die Aufgeschlossenheit der betreffenden Regionalbehörden hinsichtlich einer Beteiligung von NKO und Privatfirmen im Bereich sozialer Dienstleistungen.

Eine wichtige Besonderheit dieser Reform besteht darin, dass sie von der Zentralregierung ohne eine ernsthafte Abstimmung mit den Regionen erfolgt, also ohne deren finanzielle und administrative Möglichkeiten zu berücksichtigen. Im Ergebnis werden in vielen Regionen bürokratische Hürden bei der Registrierung alternativer Anbieter geschaffen; oder es werden keine Haushaltsmittel eingestellt, um die Ausgaben für die von alternativen Anbietern erbrachten sozialen Dienstleistungen zu decken. Gleichzeitig gibt es auch Beispiele eines erfolgreichen Übergangs zu neuen Prinzipien der Erbringung von sozialen Dienstleistungen.

Regionale Unterschiede bei der Umsetzung der Reform sozialer Dienstleistungen

Nach Angaben des russischen Justizministeriums waren 2017 insgesamt 223.179 NKO registriert (einschließlich der politischen Parteien). Etwas mehr als die Hälfte von ihnen haben den Status einer SONGO, nämlich 143.436 Organisationen (nach Angaben des Föderalen Dienstes für staatliche Statistik, Rosstat). Während 2016 noch 297 nichtstaatliche Organisationen (SONGOs und Privatunternehmen) als offizielle Anbieter sozialer Dienstleistungen registriert waren, gab es 2017 bereits 415 solcher Organisationen. Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass die Zahl nichtstaatlicher Organisationen, die ebenso wie die staatlichen Anbieter Träger sozialer Dienstleistungen sind, innerhalb eines Jahres um 118 gestiegen ist. Berücksichtigt man, dass 2016 insgesamt 4735 Anbieter registriert waren, wird deutlich, dass weiterhin – wie zu erwarten – ein Monopol staatlicher Einrichtungen besteht. Interessanterweise gab es 2016 unter den 297 nichtstaatlichen Anbietern 159 private Unternehmen, während die übrigen 138 SONGOs waren.

In mehr als einem Drittel der Regionen (37,8 %) gibt es keine NKO als alternative Anbieter, beispielsweise in den Gebieten Iwanowo und Omsk sowie in der Republik Komi. In rund der Hälfte der Regionen Russlands (53 %) sind weniger als zehn Prozent der Anbieter nichtstaatlich. Zu dieser Gruppe gehören unter anderem die Gebiete Saratow, Rostow und Belgorod. Neun Prozent der Regionen sind beim Anteil nichtstaatlicher Anbieter führend: Hier sind zwischen 10 % und 15 % NKO und Privatunternehmen in den Registern gelistet, unter anderem das Gebiet Tambow, das Leningrader Gebiet und die Region Kamtschatka.

Die Regionen unterscheiden sich sowohl in der Menge, als auch Qualität der offiziell anerkannten alternativen staatlichen und nichtstaatlichen Anbieter. Eine Analyse der sozialen Gruppen, mit denen registrierte nichtstaatliche Anbieter arbeiten, lässt eine Reihe von Schlüssen zu (Stand 2017). Von den 415 nichtstaatlichen Trägern waren 112 Organisationen (26 %) in der Altenpflege aktiv, 72 Organisationen (17 %) arbeiten mit Kindern (kranken und solchen ohne elterliche Fürsorge), 91 Organisationen (22 %) sind zur Unterstützung und Eingliederung von Menschen in schwierigen Lebenslagen tätig (Drogen- und Alkoholabhängige, Obdachlose, ehemalige Strafgefangene usw.) und 59 Organisationen (14 %) arbeiteten mit Behinderten. Die verbleibenden 35 Organisationen (8 %) arbeiten mit unterschiedlichen Klientelkategorien oder fördern einen gesunden Lebenswandel, die Eigenentwicklung der Menschen usw.

Diese Daten bestätigen die Ansicht von Experten, dass das Gesetz Nr. 442-FZ vor allem im Bereich der Altenpflege angewandt wurde. Das lässt sich damit erklären, dass es für diesen Bereich staatlicher sozialer Dienstleistungen, genau wie für die Kinderhilfe, in der russischen Gesellschaft den größten Bedarf gibt und die bestehende staatliche Infrastruktur den herrschenden Bedarf nicht decken kann. Die Infrastruktur der Altersheime ist in erheblichem Maße baufällig, so dass sie nur von den Bedürftigsten genutzt werden, die ohne Unterstützung ihrer Familie leben müssen. Gleichzeitig sorgt zusätzlich die Alterung der Bevölkerung in Russland und die entsprechend zunehmende Nachfrage nach qualitativ angemessenen Dienstleistungen in gerontologischen Einrichtungen oder Abteilungen gerade in diesem sozialpolitischen Bereich für eine Entwicklung nichtstaatlicher Anbieter.

Bemerkenswerterweise sind von den 88 Organisationen, die Personen mit eingeschränkten Möglichkeiten unterstützen und mit sozialen Dienstleistungen versorgen, rund ein Drittel (29 Träger) regionale Abteilungen russlandweit tätiger Organisationen (ehemaliger Allunionsverbände). Diese Organisationen sind Rechtsnachfolger der sowjetischen Behindertenverbände, der "Allrussische Gesellschaft der Blinden" und die "Allrussische Gesellschaft der Behinderten". Regionale Abteilungen der Verbände wurden in den Gebieten Archangelsk, Brjansk und Orenburg in das Register der Anbieter sozialer Dienstleistungen aufgenommen. Im Gebiet Archangelsk sind Mitarbeiter der Organisation als Dolmetscher für Gebärdensprache tätig, um Gehörlosen den Zugang zum bestehenden Spektrum sozialer Dienstleistungen zu erleichtern.

Ein interessantes Phänomen ist die Einbeziehung von Veteranenverbänden in die neue Logik der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen, und zwar ungeachtet des Umstandes, dass für deren Tätigkeit vor allem Paternalismus und Lobbyarbeit für eine staatliche Finanzierung dieser Organisationen kennzeichnend ist. In einigen Fällen jedoch durchlaufen diese Organisation einen Wandel und werden zu Anbietern sozialer Leistungen für ihre Mitglieder.

Bezeichnend ist auch der geringe Anteil der betreffenden religiösen Organisationen, die in der einen oder anderen Form soziale Hilfestellung und Dienste für Menschen mit geringem Wohlstand anbieten. Eine Durchsicht der Register für 2016 förderte vier Organisationen zutage, die der Russischen Orthodoxen Kirche nahestehen (in den Gebieten Kostroma und Nowosibirsk sowie in der Republik Baschkortostan). 2017 waren bereits 13 solcher Organisationen registriert. Darüber hinaus waren 2016 zwei andere Konfessionen durch registrierte Träger vertreten, nämlich: durch die gesellschaftliche Organisation "Lokale nationale und kulturelle griechische Autonomie" in Rostow am Don und die Regionale gesellschaftliche Organisation "Jüdisches Gemeinde- und Kulturzentrum des Gebiets Rjasan Chesed Tschuwa". Die Anzahl solcher Organisationen ist 2017 sogar auf sechs angestiegen.

Einen besonderen Fall stellt die Republik Baschkortostan dar, in der Privatunternehmen und NKO 37,3 % aller Anbieter im Register stellen. Das lässt sich damit erklären, dass hier viele soziale Dienstleistungszentren für die Bevölkerung von Baschkortostan zweifach ins Register eingetragen sind: einmal als sogenannte "autonome nichtkommerzielle Organisationen" (ANO), die von Behörden in der Region gegründet wurden, und als Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Dadurch besteht das Register zu mehr als einem Drittel aus nichtstaatlichen Trägern. Dort sind nur zwei NKO zu finden, die nicht vom Staat gegründet wurden, nämlich die religiöse Organisation "Neftekamsker Eparchie der Russischen Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat)" und die Jüdische wohltätige Stiftung "Chesed-Leja".

Eine Analyse des Führungspersonals der nichtstaatlichen Träger zeigt, dass es Organisationen gibt, die von leitenden Sozialarbeitern entsprechender staatlicher Einrichtungen gegründet wurden oder mit diesen in Verbindung stehen. Die Analyse hat darüber hinaus ergeben, dass die zielgerichtete Gründung einer nichtkommerziellen Organisation oder eines Privatunternehmens (als GmbH oder als Einzelunternehmer) keine verbreitete Praxis ist. Einige Beispiele konnten allerdings festgestellt werden. Meist werden dabei Leiter von Lokalverwaltungen oder Sozialdiensten zu Leitern eines Privatunternehmens, indem sie sich als "unabhängige" Einzelunternehmer registrieren ließen. Beispiele hierfür gibt es in den Gebieten Belgorod, Murmansk und Archangelsk sowie im Leningrader Gebiet. Von den 297 nichtstaatlichen Trägern, die 2016 registriert waren, bestanden in sieben Fällen Interessenskonflikte oder waren Führungspositionen im staatlichen Bereich und in einer kommerziellen oder nichtkommerziellen Organisation von den gleichen Personen besetzt.

Faktoren bei der Diversifizierung sozialer Dienstleistungen

Eine Analyse der Faktoren, die eine Diversifizierung des Bereichs sozialer Dienstleistungen befördern, erfordert eine tiefergehende Untersuchung. Allerdings lassen sich jetzt schon vorläufige Schlüsse ziehen. Zwei markante Beispiele sind die Republik Tatarstan und das Gebiet Tjumen, zwei Pilotregionen bei der Einführung neuer Prinzipien des öffentlichen Managements. Wie zu erwarten, ist hier das Diversifizierungsniveau bei sozialen Dienstleistungen höher. Die Republik Tatarstan ist einer der regionalen Nutznießer und an vielen föderalen Programmen zur Einführung von Instrumenten eines neuen öffentlichen Managements beteiligt (Outsourcing, Abwicklung über Projektbudgets usw.). Allerdings wird die Subventionierung durch Mittel aus dem Zentralhaushalt vielfach dazu genutzt, um im Bereich der Sozialpolitik Klientele für künftige politische (elektorale) Mobilisierung zu erzeugen. Da die ursprünglichen Ziele durch eine Praxis von Patronage und Klientelismus verdrängt wurden, ist eine echte Diversifizierung des Sektors ausgeblieben. Ein ähnliches Beispiel ist das Gebiet Tjumen, eine Pilotregion für viele Projekte im Bereich innovativer Sozialpolitik, unter anderem solcher, die von den Zentralbehörden angestoßen wurden. 2016 waren dort im Register 7,8 % nichtstaatlicher Anbieter gelistet (drei NKO und ein Privatunternehmen), während es 2017 bereits 13 % waren (sechs NKO und ein Privatunternehmen). Die Beispiele der beiden oben genannten Regionen Tatarstan und Tjumen zeigen, dass externe Investitionen in Innovationen im Sozialbereich nicht immer eine Garantie für eine erfolgreiche Diversifizierung der Anbieterstruktur für soziale Dienstleistungen sind.

Wenn für einen Vergleich die erfolgreichsten Versuche einer Etablierung alternativer Anbieter herangezogen werden, so ist in diesen Regionen bei den im Register gelisteten staatlichen Einrichtungen der relativ hohe Anteil autonomer staatlicher Einrichtungen ähnlich gelagert. Dieser Effekt ist – in der Gegenrichtung – auch in jenen Regionen wirksam, in denen keine nichtstaatlichen Träger registriert sind: Hier ist die Anzahl autonomer staatlicher Einrichtungen minimal oder gleich null (s. Tabellen 1 und 2 auf S. 9). Aus den Beispielen ergibt sich auch, dass Regionen ohne registrierte nichtstaatliche Anbieter weniger wohlhabend sind und nur ein geringes Bruttoregionalprodukt aufweisen. Diese Regionen sind durch einen schwach entwickelten nichtkommerziellen Sektor gekennzeichnet: Die Anzahl registrierter NKO aller Art in den betreffenden Regionen ist sehr gering. Umgekehrt ist in Regionen, in denen eine größere Zahl nichtstaatlicher Anbieter registriert und der nichtkommerzielle Sektor stärker entwickelt ist, auch die Anzahl der registrierten alternativen Anbieter größer.

Diese Faktoren (Bruttoregionalprodukt, Anzahl der autonomen staatlichen Einrichtungen) mögen zwar nicht in allen Regionen Russlands in gleicher Weise wirksam sein, doch lässt sich ihr Gewicht mit einem hohen Maß an Gewissheit festhalten: Eine statistische Analyse belegt den Einfluss dieser Faktoren auf den entsprechenden Anteil nichtstaatlicher Träger in der jeweiligen Region. Der Reformprozess ist noch nicht abgeschlossen und es zeichnet sich die Tendenz ab, dass immer mehr nichtstaatlicher Träger registriert werden. So sind beispielsweise 2017 in den Registern einiger Regionen (Region Krasnojarsk, Republiken Altai, Komi und Jakutien (Sacha), Gebiet Jaroslawl) SONGOs entstanden. Das bedeutet, dass der Diversifizierungsprozess sich noch nicht stabilisiert hat und es Aufgabe der Forschung bleibt, dessen Dynamik zu eruieren.

Schlussfolgerungen

Dieser Beitrag sollte anhand der vorgenommenen Reformen die Abkehr von der totalen Dominanz staatlicher Anbieter sozialer Dienstleistungen sowie die regionalen Unterschiede in diesem Bereich beschreiben und analysieren. Die Analyse hat ergeben, dass die Diversifizierung zwar reichlich begrenzt ist, aber die Anzahl nichtstaatlicher Träger tendenziell zunimmt, vergleicht man die Register von 2016 und 2017.

Die Gründung von GONGOs (Nichtregierungsorganisationen, die vom Staat gegründet oder stark beeinflusst werden) und Privatunternehmen durch Vertreter von Staatsbeamten und Politikern aus dem Sozialbereich wurde nur begrenzt betrieben. Religiöse Organisationen bleiben eine Minderheit und sind unter den Trägern nur sehr begrenzt vertreten. Der überwiegende Teil alternativer Anbieter sind professionelle NKO, die in ihrem Bereich schon viele Jahre tätig sind. Den größten Bedarf gibt es im Bereich der Altenpflege, an zweiter Stelle steht die Kinderfürsorge.

Aufgrund einer vorläufigen Analyse können wir konstatieren, dass der Diversifizierungsgrad davon abhängig ist, inwieweit das staatliche System der sozialen Dienstleistungen selbst bereits reformiert ist: Je mehr autonome staatliche Träger registriert sind, desto mehr nichtstaatliche Anbieter wurden auch anerkannt. Anders gesagt: Wenn mehr staatliche Einrichtungen (freiwillig oder unfreiwillig) die Prinzipien des neuen öffentlichen Managements übernehmen, ist in der betreffenden Region auch eher eine Entwicklung alternativer Anbieter zu erwarten. Daneben spielen auch die vorhandenen Ressourcen einer Region bzw. ein relativ hohes regionales Bruttoprodukt eine positive Rolle bei der Entwicklung des nichtkommerziellen Sektors.

Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder

Lesetipps

  • Kulmala, M., A. Tarasenko: Interest Representation and Social Policy Making: Russian Veterans’ Organisations as Brokers between the State and Society, in: Europe-Asia Studies, 68.2016, Nr. 1. S. 138–163; https://publications.hse.ru/en/view/173603935.

  • Remington T.: Institutional Variation among Russian Regional Regimes: Implications for Social Policy and the Development of Non-governmental Organizations, in: Voluntas: International Journal of Voluntary & Nonprofit Organizations, 26.2015, Nr. 6, S. 2215–2237.

  • Tarasenko, A.: Russian Welfare Reform and Social NGOs: Strategies for Claim-making and Service Provision in the Case of Saint Petersburg, in: East European Politics, 31.2015, Nr. 3, S. 294–313.





Fussnoten

Anna Tarasenko wurde in Politikwissenschaft promoviert und forscht derzeit am Aleksanteri Institut (Finnisches Zentrum für Russland- und Osteuropa-Studien) der Universität Helsinki. Sie lehrt zudem an der Abteilung für angewandte Politologie der "Higher School of Economics" in St. Petersburg.